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Eine der größten globalen Herausforderungen der heutigen Zeit ist der Klimawandel, ausgelöst durch die anthropogenen Treibhausgasemissionen. Der Gesamtanteil des Bau- und Gebäudesektors am weltweiten Ausstoß von CO2-Emissionen wird auf ca. 50 % beziffert, wodurch dieser Sektor die Position als größter globaler Emittent einnimmt [1].
Aktuelle Herausforderungen im Bauwesen
Durch diesen hohen Anteil an den CO2-Emissionen und den enormen Verbrauch an Ressourcen nimmt die Baubranche eine Schlüsselrolle beim Erreichen der global aufgestellten Klimaziele ein. Den größten Hebel im Hinblick auf ressourcenschonendes und nachhaltiges Bauen stellen der Erhalt und die Weiternutzung bestehender Bauwerke dar [2]. Jedoch überwiegen aktuell im Entscheidungsprozess zwischen Abriss und Ersatzneubau oder Erhalt die wirtschaftlichen Gesichtspunkte den Umweltaspekten. Weiterhin ist kritisch zu hinterfragen, ob der Umgang mit historischen Bauwerken, die u. a. auch oftmals unter Denkmalschutz stehen und zu schnell abgerissen werden, im Sinne der Nachhaltigkeit den sozialen Aspekten genügt. Der Abriss alter Gebäude lässt sich in den meisten Fällen dadurch begründen, dass das Bauen im Bestand, insbesondere von denkmalgeschützten Bauwerken, meist mit einer hohen Komplexität und folglich einem größeren planerischen Aufwand verbunden ist oder die Anwendung konventioneller Verstärkungsmaßnahmen, wie beispielsweise Spritzbetonverstärkungen, aufgrund der denkmalschutztechnischen Anforderungen nicht möglich ist.
In den letzten Jahren wurde als Alternative zu den etablierten Verstärkungsverfahren immer öfter der ressourcensparende Verbundwerkstoff Carbonbeton eingesetzt. Mit Carbonbeton konnten und können auch in Zukunft Bestandsbauwerke erfolgreich instand gesetzt oder verstärkt werden.
Innovative Technologie: das CARBOrefit®-Verfahren zum Verstärken mit Carbonbeton
Für das Verstärken von biegebeanspruchten Bauteilen existiert die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ)/allgemeine Bauartgenehmigung (aBG) Z-31.10-182 CARBOrefit® – Verfahren zur Verstärkung von Stahlbeton mit Carbonbeton. Regelungsgegenstand ist ein Bausatz, bestehend aus einem speziell für das Verstärken mit Carbonbeton entwickelten Feinbeton und verschiedenen Bewehrungen aus Carbon. Die Carbonbewehrungen dienen analog zum Stahl im Stahlbetonbau der Aufnahme von Zugkräften, sind jedoch um ein Vielfaches leistungsfähiger als Stahlbewehrungen und werden in Form von Gittern verwendet. Die verschiedenen Gitter unterscheiden sich sowohl in ihrer Geometrie als auch in ihren Eigenschaften. Planer und Architekten können so in Abhängigkeit von den jeweiligen Randbedingungen der Verstärkungsmaßnahme das geeignetste Gitter wählen sowie die wirtschaftlichste und effizienteste Lösung realisieren.
Ein wesentlicher Vorteil der Carbonbewehrung gegenüber konventioneller Stahlbewehrung ist die Korrosionsbeständigkeit und die höhere Dauerhaftigkeit, wodurch Carbonbetonverstärkungen wesentlich schlanker als Spritzbetonverstärkungen ausgeführt werden können. Dadurch bietet Carbonbeton das Potenzial, Ressourcen und folglich materialbedingte CO2-Emissionen einzusparen. Die Schichtdicken der Carbonbetonverstärkungen unter Anwendung der CARBOrefit®-Zulassung liegen üblicherweise im Bereich zwischen 10 und 15 mm [3]. Im Vergleich dazu betragen die Schichtdicken von Spritzbetonverstärkungen etwa 50 bis 80 mm [4].
Das Potenzial von Carbonbeton wurde bereits in zahlreichen Praxisbeispielen, wie beispielsweise bei der Verstärkung der Autobahnbrücke der A 648 bei Frankfurt am Main oder der Hyparschale in Magdeburg, bewiesen. Bei der Verstärkung der Hyparschale konnten durch die Verwendung von Carbonbeton 85 % an Ressourcen und 52 % an CO2-Emissionen im Vergleich zu einer konventionellen Spritzbetonverstärkung eingespart werden [5]. Ein weiteres Beispiel ist die Verstärkung des Tragbogens der Fußgängerbrücke über den Stadtgraben zur Thainburg in Naumburg (Saale) mit Carbonbeton, welche in diesem Beitrag kurz vorgestellt wird.
Verstärkung der Fußgängerbrücke zur Thainburg
in Naumburg (Saale) mit Carbonbeton
Die Fußgängerbrücke über den Stadtgraben zur Thainburg in Naumburg (Saale) ist eine der ältesten noch erhaltenen Eisenbetonbrücken Deutschlands. Bei der Fußgängerbrücke handelt es sich um eine Bogenkonstruktion, welche 1893 in der sogenannten Monier-Bauweise errichtet wurde. Der sehr schlanke Tragbogen ist im Stich 15 cm dick und weitet sich in den Auflagerbereichen zu 25 cm auf. Aufgrund der historischen Bedeutung und des ästhetischen Erscheinungsbilds steht die Brücke unter Denkmalschutz. Infolge fehlerhafter konstruktiver Abdichtung und ausbleibender Unterhaltungsmaßnahmen entstanden über die Jahre hinweg gravierende Korrosionsschäden am Bauwerk, wodurch die Brücke ihre Tragfähigkeit verlor. Um den Anforderungen an den Denkmalschutz gerecht zu werden, musste eine Verstärkungslösung gefunden werden, welche ohne wesentlichen Eingriff in die schlanke Tragstruktur und das Erscheinungsbild umgesetzt werden kann und so die Tragfähigkeit der Konstruktion wieder herstellt. Eine Verstärkung mit etablierten Verfahren, wie Spritzbeton und aufgeklebten CFK-Lamellen, wäre in Anbetracht dieser Bedingungen und auch aus technischer Sicht nicht realisierbar gewesen, sodass der Brücke ein Abriss bevorstand. Das CARBOrefit®-Verfahren zum Verstärken mit Carbonbeton bot hier die optimale Lösung, da die verstärkende Carbonbetonschicht von unter 1 cm im Erscheinungsbild nicht erkennbar ist und der Eingriff in die Bestandskonstruktion minimal ausfällt. Durch die Verstärkung des Tragbogens mit Carbonbeton konnte das historische Bauwerk erhalten und vor dem Abriss gerettet werden.
Planung und Ausführung der Verstärkung erfolgten in Anlehnung an die abZ/aBG und die darin geregelten Materialien. Die Verstärkungsmaßnahme wurde im Rahmen einer Zustimmung im Einzelfall (ZiE) durchgeführt, da die Zulassung zum Ausführungszeitpunkt nur im Innenbereich angewendet werden durfte. Aufgrund der konkaven Krümmung des Tragbogens kam ein flexibles und biegsames Carbongitter als Bewehrungsstruktur zum Einsatz. Infolge der statischen Anforderungen wurde an der Unterseite des Tragbogens eine 9 mm dicke, zweilagige Verstärkungsschicht mit je einer Lage Carbongitter in Längs- und Querrichtung angebracht. Auf der Oberseite wurde eine Lage Carbonbewehrung verbaut. Die Schichtdicke in diesem Bereich betrug 6 mm. Bild 1 zeigt den Tragbogen mit der aufgebrachten Querbewehrung während der Ausführung der Verstärkungsarbeiten.
Das gute Verbundverhalten zwischen den Carbongittern und der Feinbetonmatrix gewährleistet ein sehr feines Rissbild mit geringen Rissbreiten. Neben der Wiederherstellung der Tragfähigkeit und der Sicherstellung der Gebrauchstauglichkeit dient die Carbonbetonverstärkung auch als Abdichtung auf der Oberseite des Bogens. Auf eine konventionelle Abdichtung konnte somit verzichtet werden. Die Verstärkungsarbeiten wurden Ende 2021 erfolgreich durchgeführt. Die mit Carbonbeton verstärkte Brücke ist in Bild 2 dargestellt.
Durch den Erhalt des Bauwerks und die Verwendung des Hochleistungswerkstoffs Carbonbeton als Verstärkungsmaterial konnten zusätzlich wertvolle Ressourcen und materialbedingte CO2-Emissionen im Vergleich zu einem Abriss und Ersatzneubau, aber auch zu einer konventionellen Spritzbetonverstärkung eingespart werden. An diesem Beispiel konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass mit dem CARBOrefit®-Verfahren Bauwerke vor dem Abriss bewahrt und somit die Lebensdauer signifikant verlängert werden kann. Denn die nachhaltigste Art zu bauen ist, den Bestand zu schützen und bestehende Ressourcen vor dem Abriss zu bewahren.
Dipl.-Ing. Luisa Krauße, Projektingenieurin
Dipl.-Ing. Maximilian May,
Innovationsleiter/Produktmanager CARBOrefit®
Dr.-Ing. Alexander Schumann,
Geschäftsführer CARBOCON GMBH
Dipl.-Ing. Sebastian May,
Geschäftsführer CARBOCON GMBH
Literatur
- Weidner, S.; Mrzigod, A.; Bechmann, R.; Sobek, W. (2021) Graue Emissionen im Bauwesen – Bestandsaufnahme und Optimierungsstrategien. Beton- und Stahlbetonbau 116, H. 12, S. 969–977. https://doi.org/10.1002/best.202100065
- Blandini, L. (2021) Ressourceneffizientes und klimagerechtes Bauen mit Beton – eine Illusion? Beton-und Stahlbetonbau 116, H. 10, S. 717. https://doi.org/10.1002/best.202171003
- Curbach, M.; May, S.; Müller, E.; Schumann, A.; Schütze, E.; Wagner, J. (2022) Verstärken mit Carbonbeton in: Bergmeister, K.; Fingerloos, F.; Wörner, J.-D. [Hrsg.] Beton-Kalender 2022. Berlin: Ernst & Sohn, S. 761–804. https://doi.org/10.1002/9783433610879.ch12
- Seim, W. (2007) Bewertung und Verstärkung von Stahlbetontragwerken. Berlin: Ernst & Sohn.
- Schumann, A.; Schladitz, F.; Schöffel, J.; May, S.; Curbach, M. (2021) Ressourceneinsparung mit Carbonbeton – Am Beispiel der Verstärkung der Hyparschale in Magdeburg in: Hauke, B. [Hrsg.] Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Klimaschutz, Konstruktive Lösungen für das Planen und Bauen – Aktueller Stand der Technik. Berlin: Ernst & Sohn, S. 282–286.