Im Gespräch mit Barbara Possinke, Stefanie Weidner und Johanna Wörner

Womit wie bauen?

Das Bauen spielt bei der Erreichung der Klimaziele wegen des enormen Ressourcenverbrauchs eine bedeutende, lange unterschätzte Rolle. Entsprechend wichtig ist die Frage, womit, mit welchen Materialien wir bauen. Und wie bauen wir zukünftig, noch immer neu, mehr im Bestand?

Bernhard Hauke hat mit Barbara Possinke von RKW Architektur +, Stefanie Weidner von der Werner Sobek AG und Johanna Wörner von Architects for Future über nachhaltiges und klimagerechtes Bauen gesprochen.

Zuerst ist die architektonische Idee. Wann kommen Materialität und Klimaschutz dazu?

Barbara Possinke: Von Anfang an. In der Phase 0 haben wir direkt die Nachhaltigkeitsziele mit dem Auftraggeber festgelegt. Konkret untersuchen wir dann in der Vorplanung, also Phase 2, verschiedene Varianten der Materialität und der Konstruktion. Mit SketchUp-Modellen können wir dem Auftraggeber dann schnell zeigen, welche Variante welchen Fußabdruck erzeugt. Innerhalb dieser Untersuchung entwickeln wir für ihn vier bis fünf Varianten mit verschiedenen Ansätzen. Bedauerlich ist allerdings, dass viele neuere Baustoffe, die nach Unterzeichnung des Pariser Abkommens entstanden sind, noch keine Zulassung haben und auch nicht in der Plattform ÖKOBAUDAT zu finden sind. Dennoch schlagen wir dem Auftraggeber dann verschiedene Materialitäten vor, unterlegt mit LCA-Zahlen, die wir mithilfe digitaler Modelle ermitteln.

Stefanie Weidner: Ja, diese Vorgehensweise wird immer wichtiger. Auch im Bereich der Tragwerksplanung gehen wir offen an die Materialfrage heran. Wenn z. B. Holz die herkömmlichen Materialien Beton und Stahl ersetzen kann, schlagen wir das natürlich auch vor. Bei der Entscheidung für den Werkstoff, mit dem dann tatsächlich gearbeitet wird, spielen aber auch viele andere Aspekte wie Festigkeit, Expositionsklassen oder Brandschutz eine Rolle. Aber auch die thermische Masse oder die Akustik muss mit einbezogen werden. Deswegen ist es immer wichtig, Projekte materialoffen anzugehen und je nach Gebäudetyp und Nutzungsart den primären Rohstoffverbrauch und die grauen Emissionen zu berücksichtigen. Dafür gibt es aktuell verschiedene Methoden und Materialoptionen. Bei der Wiederverwendung von ganzen Bauteilen, also bspw. Betondeckenelementen aus einem Bestandsgebäude, gibt es aber noch Zulassungsgrenzen. Auch unabhängig von der Frage der Zulassung braucht es für solche Situationen mutige Bauherren, die unseren Untersuchungen vertrauen. Schließlich sollen die neuen Gebäude ja viele Jahrzehnte halten. Es ist nicht einfach, alle theoretisch verfügbaren Möglichkeiten zur Reduktion von Massen und Emissionen auch tatsächlich zu nutzen. Die Transparenz der Prozesse ist eine weitere Herausforderung.

Johanna Wörner: Je nach Projekt ist es auch möglich, schon vor der architektonischen Idee nachhaltige Planungsgrundlagen zu schaffen. Wenn die Möglichkeit besteht, Bestandsgebäude zu nutzen, sollte Bauauftraggebenden dazu bereits vor Planungsbeginn geraten werden. Außerdem können Planende bereits vor dem Entwurf bei der Absprache des Raumprogramms mit den Bauauftraggebenden besprechen, ob Flächen und damit viel Baumasse und zu betreibende Räume eingespart werden können. Vielleicht können Bedürfnisse durch schlaue Nutzungsstrategien bereits gedeckt werden, sodass gar nicht gebaut werden muss. Also schon der erste Schritt zur suffizienten Planung, ganz nach dem Motto reduce, (dann) reuse, recycle. Und wenn man sich dann im Entwurf für ein Tragwerk aus Holz oder Sekundärmaterial entscheidet, je nach lokaler Verfügbarkeit, muss bewusst zirkulär und mit den Eigenschaften des Materials geplant werden, sonst läuft es bei zu hohen statischen oder brandschutztechnischen Anforderungen wieder auf konventionelle, klimaschädliche Materialien hinaus.

Massivbau ist die überwiegende Bauweise.

SW: Auch beim Massivbau können wir viel optimieren. Auf Bauteilebene können wir z. B. mit Hohlkörperdecken arbeiten. Auf der Produktebene können wir weniger emissionsintensiven Bewehrungsstahl verwenden, auf der Materialebene Betone mit weniger ­Zementklinker. Auch Recyclingbeton mit rezyklierter Gesteinskörnung ist vorteilhaft, ebenso die schon genannte Wiederverwendung auf Bauteilebene. Das alles sind Aspekte, die auch beim Massivbau dazu beitragen, Material, Ressourcen und Emissionen einzusparen. All diese Punke bringen wir zur Anwendung, weil wir uns als Tragwerksplaner bewusst sind, dass ein großer Anteil der Emissionen und des Ressourcenverbrauchs im Tragwerk steckt. Es ist unsere Verantwortung dafür zu sorgen, dass dieser Einfluss so klein wie möglich ausfällt. Natürlich immer in Zusammenarbeit mit den Architekten und den anderen am Bau Beteiligten, insbesondere den Bauherren.

Viel besser wäre es, wenn wir ohne fossile Baustoffe ­aus­kommen

JW: In der Tat gibt es einige Möglichkeiten zur Einsparung von Beton, wie z. B. durch die ETH Zürich, die es geschafft haben, in vorgefertigten Deckenelementen durch 3D-Druck und Formung entsprechend den Druckkräften ca. 70 % des Betons und den kompletten Bewehrungsstahl einzusparen. Noch viel besser wäre es, wenn wir ohne fossile Baustoffe auskommen, sowohl im Tragwerk als auch bei der weiteren Baustoffwahl. Am ökologischsten ist die Wiederverwendung von Baumaterial, und das ist auch bei alten Ziegeln gut möglich. Abgesehen davon gibt es noch ein anderes Material, mit dem massiv gebaut werden kann und das häufig lokal vorhanden ist: Lehm. Zum Beispiel gestampft oder als Lehmstein, ungebrannt und aus Erdaushub. Der ungebrannte Lehm bringt die bauphysikalischen Vorteile vom Massivbau mit – bei gleichzeitig viel geringerem CO2-Fußabdruck und 100 % Wiederverwertbarkeit. Viele Lehmbaustoffe sind inzwischen genormt, von Putzen bis zu Trockenbauplatten und seit Kurzem tragendes Lehmsteinmauerwerk für Gebäudeklasse 4. Gleichzeitig macht Erdaushub weiterhin den größten Teil der Bau- und Abbruchabfälle aus und ein typisches Bodengutachten untersucht zwar auf Schadstoffgehalt, nicht aber auf Eignung als Lehmbaustoff. Das muss sich ändern, denn in Zeiten von Ressourcenknappheit liegt uns dieser Rohstoff in Massen zu Füßen. Ihn als Abfall zu behandeln, können wir uns nicht mehr leisten. Die Lehmindustrie muss noch weiter wachsen und gefördert werden, um diese Techniken im großen Maßstab kostengünstig ausführen zu können.

Holz gilt als nachhaltig. Neuere Studien hinterfragen das ein bisschen. Wann sollen wir mit Holz bauen?

Wir müssen darauf achten, dass wir ­unsere Nachhaltigkeit nicht auf Kosten ­anderer Länder ­realisieren

SW: Bauen mit Holz lohnt sich, wenn damit aktiv mineralische oder metallische Rohstoffe eingespart werden und somit Kohlenstoff möglichst langfristig im Holz gebunden ist. Aber die Entwicklung hin zu Super-High-Rise-Gebäuden mit Holz sehe ich eher kritisch. Holzhybrid ist nochmal ein separates Thema, aber beim reinen Holzbau sind irgendwann die Dimensionen so, dass man sich schon fragt: Ist das noch materialgerecht? Könnte mit diesen Unmengen an hochleistungsfähigem Holz-Leim-Verbund nicht eher deutlich effizienter eine Vielzahl an niedrigeren Gebäuden realisiert werden? Prinzipiell lohnt es sich immer, die Alternative Holz durchzuspielen, um zu überprüfen, ob es in einem nachhaltigen Rahmen umsetzbar ist. Hierbei sind einige wichtige Parameter zu beachten: Der Deckenaufbau ist beim Holzbau normalerweise etwas höher als bei Massivbauten, der Brandschutz muss sorgfältig konzipiert werden, die Spannweiten sind geringer, der vertikale Lastabtrag sollte ohne große Versprünge erfolgen, Auskragungen sollten nicht zu groß sein etc. pp. Eine Berücksichtigung dieser Anforderungen ist nur mit besonderen Vorkehrungen möglich (z. B. aufgrund der vorgesehenen Nutzung oder des architektonischen Entwurfs), dann wird Holzbau irgendwann unwirtschaftlich. Und hoch bearbeitete Holzbauprodukte haben oft komplexe Produktionsprozesse und einen hohen Leimanteil, der nicht biobasiert ist (sodass das Holz nicht in biologische Kreisläufe zurückgeführt werden kann). Trotzdem empfehlen wir immer die Untersuchung einer Holzoption oder zumindest einer Holzhybridlösung.

BP: In Deutschland haben wir gerade einen Holzbau-Hype. Das ist aus meiner Sicht nicht immer nachhaltig, weil wir die Provenienz der Hölzer genauso wenig hinterfragen wie die von Kobalt oder Lithium für Elektroautos. So kann es sein, dass vielleicht ein Nationalpark in Belarus abgeholzt wird, weil wir hier in Deutschland oder in Westeuropa so einen Hunger nach Holz haben. Wir müssen darauf achten, dass wir unsere Nachhaltigkeit nicht auf Kosten anderer Länder realisieren.

JW: Die Lieferkette ist problematisch, denn wir exportieren sehr viel Holz und importieren gleichzeitig. Ohne eine Kontrolle über nachhaltige Forstwirtschaft und kurze Transportwege kann das Klimapotenzial von Holz nicht genutzt werden. Außerdem muss beachtet werden, dass Holz nur wenig thermische Masse hat, was bei Gebäuden mit hohem Verglasungsanteil ein höheres Überhitzungsrisiko darstellen kann. Dieser bauphysikalische Nachteil wird wiederum oft durch Kühlungstechnik mit hohem Betriebsenergieverbrauch ausgeglichen. Ideal wäre dann wiederum eine Kombination mit Lehm als Speichermasse. Das gleiche Problem tritt natürlich auch auf, wenn der Massivbau aus technischen, bauphysikalischen oder optischen Gründen komplett verkleidet wird. Hierfür müssen in der Planung andere Lösungen gefunden werden. Als Leichtbaumaterial für Aufstockungen ist Holzskelettbau aber eine gute Option. Massiven Holzbau sehen wir angesichts der begrenzten lokalen Verfügbarkeit durch die lange Wachstumsperiode und die hohe Nachfrage eher kritisch: Eine Förderung der reinen Einbaumasse für biogene CO2-Speicherung in Gebäuden, wie es sie in Bayern gibt, sollte sich besser auf schnell nachwachsende Rohstoffe wie etwa Stroh und Schilfrohr beziehen. Aber auch hier gilt: Was an einem Standort die nachhaltigste Materialwahl ist, entscheiden viele Faktoren.

SW: Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir nur eine von vielen Branchen sind, die auf Holz und Holzwerkstoffe setzen. Wir müssen daher branchenübergreifend die Verteilung von Holz regeln, um mit den verfügbaren Waldflächen, die als lebende CO2-Senken dringend nötig sind, zu haushalten.

Also bauen wir wieder stärker mit regionalen Baustoffen?

BP: Darauf wollte ich hinaus. Aber hier fehlt mir der regulatorische Rückhalt. Ich finde, man sollte diese Entscheidung nicht dem Goodwill des Auftraggebers überlassen – der Aufruf zur Nutzung regionaler Baustoffe gehört in die Landesbauordnungen.

SW: Wir sollten weltweit verstärkt die jeweils heimischen Baumaterialien nutzen. Vor 100 Jahren haben wir nur mit lokalen Rohstoffen gebaut und es gab an die jeweiligen klimatischen Bedingungen vor Ort angepasste konstruktive Lösungen. Das ging durch die Internationalisierung und Globalisierung verloren. Wir müssen uns diesbezüglich zurückbesinnen und verstärkt mit lokal verfügbaren Baumaterialien bauen.

JW: Als Planende dürfen wir uns nicht darauf zurückziehen, dass Normen und Gesetze den Bau mit diesen Materialien erschweren. Wir müssen uns und dann unsere Bauauftraggebenden über die technische Machbarkeit informieren und Einsatzmöglichkeiten finden. Dies setzt vieles in Bewegung. Ein gutes Beispiel ist die neue DIN zu tragendem Lehmsteinmauerwerk.

Führt regionales Bauen zu Einschränkungen?

Wir müssen uns ­stärker zurück­nehmen, eben nicht immer höher, ­breiter, größer bauen

SW: Vieles muss EU-weit ausgeschrieben werden. Wettbewerb ist natürlich grundsätzlich löblich, aber hier führt das auch dazu, dass die Nutzung regionaler Baustoffe oft nicht so einfach möglich ist. Aber gerade bei den großen Mengen an erforderlichen Baustoffen und dem daraus resultierenden Transportaufwand macht es einen großen ökologischen Unterschied, ob meine Baustoffe über 200 km oder 2000 km antransportiert werden, auch wenn sich das leider häufig nicht in der ökonomischen Bilanz widerspiegelt. Hinzu kommt: Wir müssen uns stärker zurücknehmen, eben nicht immer höher, breiter, größer bauen. Besser ist es, die vorhandenen Flächen effizient zu denken, bescheidener zu denken und zu handeln. Ob das unsere Gesellschaft insgesamt zulässt? Architektur kann zumindest entsprechend sensibilisieren mit Flächen- und Materialeffizienz ohne zusätzliches Drumherum. Auch die einfache Rückbaubarkeit von nicht mehr benötigtem umbautem Raum muss effizient möglich sein.

JW: Sicherlich kann eine Rückbesinnung auf regionale Bauweisen und auf die Nutzung lokal vorhandener Sekundärmaterialien auch zu Einschränkungen in der Architektur führen. Genauso ist es auch mit dem Bauen im Bestand. Ich würde es allerdings nicht Einschränkungen nennen, sondern andere Gegebenheiten, die Einfluss auf den Entwurf haben und deren Integration eine spannende architektonische Herausforderung darstellen kann. Statt eines riesigen internationalen Buffets gibt es dann eben lokale Spezialitäten. Das ist doch viel interessanter, als wenn es überall das Gleiche gibt, und schafft Räume mit ortsbezogener Identität. Außerdem treffen wir beim Bauen im Bestand auch oft auf diese alten Materialien. Bei einem Wandel von Neubau zu Bauen im Bestand ist es also auch wichtig, sich mit diesen Materialien auszukennen und sie sinnvoll weiter einzusetzen.

Wie weit ist nachhaltig Bauen in der Ausbildung angekommen?

BP: Wir haben viele junge Leute, die wir mit unserem internen Sustainability.Lab mitnehmen möchten. Dort haben wir gerade ein Forschungsprojekt entwickelt, um Parameter wie Flächeneffizienz, Wiederverwendung oder CO2-Fußabdruck besser anzugehen. Es beinhaltet einen virtuellen, nutzungsneutralen Musterbau für eine Wohn- oder Büronutzung, bestehend aus einem entmaterialisierten Betonskelett mit typischen sechs Geschossen. Dieses Skelett wird mit nachhaltigen Materialien ausgefacht. Nun können wir mit einem LCA-Vergleich schauen, welche Lösung die beste ist, inkl. der Kosten. So können wir Materialität und Konstruktion, aber z. B. auch die Haustechnik mit ihrem Energiebedarf durchspielen.

SW: An den Hochschulen spielt nachhaltig Bauen inzwischen eine immer größere Rolle. Jeder Lehrstuhl, auch die für Massivbau oder Verkehrsplanung, sollte sich mit dem Thema beschäftigen und transdisziplinär denken. Es ist schön und gut, einen Lehrstuhl für ­Nachhaltiges Bauen zu haben, an dem Grundlagen wie LCA u. Ä. gelehrt werden, aber die nachhaltige Umsetzung muss in der Breite erfolgen und deshalb auch an allen anderen Lehrstühlen integriert werden.

BP: Genau, und auch wir als Architekten sollten stärker mit einer Stimme für mehr Nachhaltigkeit sprechen. Das bedeutet, uns nicht als Konkurrenten zu sehen – und auch mit jungen Büros zu teilen. So verbinden wir Praxiserfahrung mit frischen Ideen. Gemeinsam kommen wir weiter.

JW: Weiterbildung in der Praxis und das Teilen von Lösungen und Fehlern ist wirklich enorm wichtig. Dafür braucht es mehr Angebote und mehr Austausch. Was die Grundausbildung betrifft, hören wir in unserem Netzwerk leider immer noch von vielen Studierenden oder Absolvent:innen, dass sie ganzheitliche Nachhaltigkeit, Bauen im Bestand und Interdisziplinarität im Studium vermissen.

Also ein Gesamtverständnis, wie wir bauen wollen, sowohl an der Architektur- als auch der Bauingenieurfakultät?

BP: Aber auch Wirtschaft, Philosophie und die sozialen Aspekte müssen wir einbeziehen. Das Resultat sollte ein nachhaltiges Gesellschaftsmodell sein, in dem wir miteinander leben und aus der Wachstumsspirale herauskommen, die uns immer mehr bauen lässt, obwohl so viel schon gebaut ist.

Jetzt sind wir bei der Umbaukultur. Wie schaffen wir es, wieder mehr vom Bestehenden auszugehen?

SW: Hier muss sich jeder an die eigene Nase fassen und die eigenen Ansprüche und Anforderungen kritisch hinterfragen. Auch unser eigenes Konsumverhalten spielt bei der nachhaltigen Gestaltung unserer gebauten Umwelt eine Rolle, von der Wohnfläche pro Person über Raumwärme und Wasserverbrauch bis hin zur Wertschätzung für die Bausubstanz. Da müssen wir noch weiter sensibilisieren, um Bewusstsein zu schaffen. Aber in Städten wie Stuttgart haben wir nicht viel Leerstand im Wohnungsbau. Was da noch abgebrochen wird, sind meist Bürobauten aus den 1950er-Jahren, bei denen Licht, Raumhöhe und Energie nicht stimmen.

Es gibt ziemlich viel ungenutzten Raum, der auf keinen Fall abgerissen werden sollte

JW: In vielen deutschen Großstädten gibt es dennoch einiges an beziehbarem Büro-Leerstand, in Frankfurt sind es z. B. ca. 9 % von etwa 12 Mio. m2. Diese Zahlen beinhalten nur den auf dem Markt verfügbaren Bürobestand. Flächen, die aus spekulativen oder anderen Gründen wie Homeoffice leer stehen und nicht auf dem Markt angeboten werden, kommen noch obendrauf. Es gibt also ziemlich viel ungenutzten Raum, der auf keinen Fall abgerissen werden sollte. Licht und Energie sind Themen, die bei einer Sanierung verbessert werden können. Nicht erfüllbare Anforderungen an die Raumhöhe hingegen sind rechtliche Hürden, die nicht sein müssten. Bei Umbau zu Wohnraum spielt das meist keine Rolle, aber bei Umbau für eine neue Büronutzung schon. Um statt Abriss eine Weiternutzung zu ermöglichen sowie Baukosten und Planungsaufwand zu reduzieren, müssen die Regularien für Umbauten und Nutzungsänderungen vereinfacht werden. Ein Beispiel dafür gibt die MusterUMbauordnung von Architects for Future. Gleichzeitig müssen aber auch die öffentlichen und privaten Bauauftraggebenden ihre Anforderungen umdenken und mitziehen.

BP: Viele der letzten Wettbewerbe bei uns in Düsseldorf hatten Abbruch und Neubau zum Thema, obwohl ein Bestand vorhanden war. Wir sollten die Vorgaben für die Wettbewerbe anders regeln. Architekten sollten die Wahl haben, einen Neubau vorzuschlagen oder den Bestand zu nutzen. Zum Beispiel die vielen Warenhäuser, die bereits jetzt oder bald leer stehen. Das ist eine Chance! Dort können Schulen, Labore oder Bibliotheken einziehen, dank der großen Spannweiten und der tragfähigen Decken ist so viel möglich. Oft braucht es nur ein paar Lichthöfe. Was aber bleibt, ist das Problem der Wirtschaftlichkeit: Schulen können nun mal nicht so hohe Mieten zahlen wie Warenhäuser. Aber auch hier sehe ich Ansatzpunkte, etwa durch steuerliche Erleichterungen.

SW: Planung und Umsetzung einer Sanierung sind häufig komplizierter als Neubau. Früher wurden z. B. oft sehr dünne Decken gebaut, das entspricht keiner heutigen Norm und die Datengrundlage muss erst mühsam geschaffen werden. Wir freuen uns immer, wenn ein Bauherr da mitmacht, weil das ökologisch gesehen meist der richtige Weg ist. Aber manche Gebäude eignen sich aufgrund der Bausubstanz besser als andere zum Umbau. Wenn leer stehende Gebäude ohne absehbaren Nutzen Flächen versiegeln und keinen wahrnehmbaren Mehrwert generieren können, kann auch mal an Abbruch gedacht werden.

BP: Viele Gebäude aus den 1970er- und 80er-Jahren werden weniger von den Architekten als von der Bevölkerung als unschön abgelehnt. Die Menschen wollen diese Betonburgen nicht mehr haben. Hier müssen wir wieder eine positive Ästhetik entwickeln, die nach der Sanierung entstehen kann. Gleichzeitig sollten wir aber nicht vergessen, dass auch etwas Patina zu jeder Stadtgeschichte gehört.

Gesetze und Normen sind nach wie vor stark neubauorientiert.

JW: Absolut. Und das muss sich ändern. Wir können nicht erwarten, dass Bestandsbauten den hohen Anforderungen für Neubauten entsprechen. Die Politik steht in der Verantwortung, diese Anforderungen auf das sozial und ökologisch Wichtigste zu reduzieren, ohne Einflussnahme der Industrie.

Wir sollten die Nachhaltigkeits­ziele ohne Konkurrenz und Wett­bewerb ­angehen

BP: Ja, und sie sind noch nicht auf nachhaltiges Bauen angepasst. Bis heute verpflichtet uns bspw. die Norm, Betondecken doppelt so dick zu machen wie statisch erforderlich, nur damit man den Nachbarn nicht hört. Das ist einfach total kontraproduktiv. Denn es bedeutet, dass der Bauherr mutig genug sein muss, das ganze Normenwerk zu umgehen, um richtig nachhaltig zu bauen. Dafür wiederum sind oft aufwendige Zulassungen im Einzelfall nötig, die nicht durch die HOAI gedeckt sind.

JW: Für die Abweichung von einer DIN kann eine Planungsvereinbarung zwischen Planenden und Auftraggebenden ausreichen, im Sinne einer neuen Gebäudeklasse E, also mit Spielraum für Experimente für einfacheres, suffizientes Bauen. Aber auch solche Haftungsabmachungen sind Hemmschwellen.

Zustimmungen im Einzelfall sind keine generelle Lösung.

SW: Nein, weil einfach die bürokratischen Prozesse, die damit verbunden sind, und der erforderliche zeitliche Aufwand aktuell zu viel sind. Dauer und Umfang schrecken ab. Umso wichtiger ist es, dass die Entscheidungsträger auf der politischen Ebene entsprechende Randbedingungen schaffen. Natürlich gibt es laufend Anpassungen zu diesen Themen, allen voran bei den Normen, aber viele beteiligte Kollegen raufen sich die Haare: in dem Tempo kommen wir nicht weiter. Wir müssen da mehr als nur einen Zahn zulegen.

JW: Wir hätten durch die Digitalisierung die Möglichkeit, Zustimmungen im Einzelfall für alle zugänglich und durchsuchbar zur Verfügung zu stellen, sodass sich andere Planende dann darauf berufen und weitere Zustimmungsverfahren vereinfachen und beschleunigen können. Das wäre als lernendes Krisenwerkzeug sehr wertvoll und würde aktiv Innovationen vorantreiben, damit wir mit der Verstetigung guter Ideen in immer weiter verbreitete nachhaltige Praxis diejenigen anerkannten Regeln der Technik, die nur im fossilen Zeitalter Platz haben, schneller hinter uns lassen können.

Ist bei den Architekten und Ingenieurinnen mehr Wille vorhanden, nachhaltiger zu bauen, als rechtlich umsetzbar ist?

BP: Ja, absolut. Wir sind alle Feuer und Flamme dafür, besser und nachhaltiger zu bauen. Aber die Zulassung für eine neue Lösung oder einen neuen Baustoff dauert halt immer noch drei Jahre.

JW: Oder noch länger. Das mit der Begeisterung erfahren wir bei Architects for Future leider etwas anders. Sicherlich gibt es immer mehr Planende, die wollen, aber von den rechtlichen Hürden aufgehalten werden. Einige bemühen sich sogar, die rechtlichen Bedingungen zu verändern. Aber es gibt noch zu viele, die es gar nicht erst versuchen. Das mag auch an der mangelnden Bildung über nachhaltiges Bauen liegen. Dafür muss es wesentlich mehr Weiterbildungsangebote und -pflichten geben. Außerdem dreht sich die Nachhaltigkeitsdebatte oft im Kreis, indem die Verantwortung auf andere Akteure geschoben wird. Die Planenden und Ausführenden schieben es auf die Normen, die Normenausschüsse auf die technischen Lösungen und die Hersteller:innen auf aufwendige Prozesse und fehlende Anforderungen oder Nachfragen.

SW: Ich höre sowohl von Planer- als auch Bauherrenseite häufig den allgemeinen Vorwurf: Nachhaltigkeit ist zu kompliziert und undurchsichtig, es gibt zu viele unterschiedliche Systeme, Rechnungsmethoden und Förderungen, da blickt niemand durch. Die HOAI deckt diese Leistungen nicht ab, die Anforderungen an das Planerteam sind nicht gut abschätzbar und pauschalisierbar. Das ist natürlich ein Problem. Es gibt in diesen Planungsprozessen einfach noch keinen richtig zugewiesenen Platz für die Nachhaltigkeit. Ich kann da schon verstehen, dass viele deshalb zögerlich agieren.

Wie ist Ihr Ausblick?

SW: Wir alle sollten danach streben, die 1,5° noch einzuhalten. Die Baubranche hat dafür ein großes Potenzial. Wir haben bereits viele Methoden entwickelt, die wir nun auf allen Ebenen von der Politik bis zum Bauherren konsequent anwenden müssen. Auch Baufirmen und Hersteller sind dabei enorm wichtig. Nur gemeinsam können wir das schaffen. Viele zweifeln noch bezüglich der Konsequenzen des Klimawandels, denken eher an ­Adaption denn an Verhinderung. Aber die Türe ist noch offen, also sollten wir proaktiv mit allen verfügbaren Mitteln gegensteuern.

BP: Wir sollten die Nachhaltigkeitsziele ohne Konkurrenz und Wettbewerb angehen. Es geht immer weniger um Neubau und immer mehr um Verantwortung. Wir sollten als ­Architekten gemeinsam und mutig überlegen, was für Projekte wir überhaupt noch annehmen möchten. So können wir die Emissionen im Bauwesen deutlich senken und das in Paris vereinbarte Ziel einhalten.

JW: Dem kann ich nur zustimmen. Die Lage ist ernst, das dürfen wir uns nicht schönreden, aber auch nicht resigniert den Kopf in den Sand stecken. Weiter kommen wir nur mit ­Kooperation, Hoffnung und Mut zur Veränderung. Die Lösungen sind da und machbar, wir stehen uns nur teilweise selbst im Weg. Eine Bauwende, ein ganzheitlicher Wandel, muss nicht weh tun, sondern kann auch viele positive Veränderungen für unsere Gesellschaft bewirken, vom Individuum bis zur Gemeinschaft.


Barbara Possinke, geb. 1955, 1973–1980 Architekturstudium Universität Warschau, 1981–1983 Klasse Althoff Kunstakademie Düsseldorf, seit 1987 RKW Architektur + Düsseldorf, seit 1998 Geschäftsführerin, seit 2000 geschäftsführende Gesellschafterin, seit 1995 BDA-Mitglied, seit 2000 Dozentin IREBS Uni Regenburg

Stefanie Weidner, geb. 1989, 2008–2014 Architekturstudium Universität Stuttgart, 2014–2021 Assistentin ILEK Uni. Stuttgart, 2020 Promotion zu ressourcenminimalen Strukturen, seit 2019 Werner Sobek AG Stuttgart, seit 2021 Director Sustain­ability Strategies, seit 2022 Director Büro Kopenhagen

Johanna Wörner, geb. 1990, 2011–2015 BSc Architekturstudium TU Darmstadt, stud. Mitarbeiterin Fachgebiet energieeffizientes Bauen, 2015–2018 MSc Architecture, Urbanism and Building Sciences TU Delft, stud. Mitarbeiterin im Fachgebiet Architectural Engineering, 2019–2022 Mitarbeit bei Sauerbruch Hutton Architekten Berlin, seit 2019 Architects for ­Future, Pressesprecherin, seit 2022 Mitarbeit bei r3leaf

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