Dem Ingenieur, Architekten und Vordenker des nachhaltigen Bauens zum 70. Geburtstag
Werner Sobek wurde am 16. Mai 1953 in Aalen geboren, hat Bauingenieurwesen und Architektur an der Universität Stuttgart studiert und dort auch promoviert. Anschließend war er für sbp tätig, wurde 1991 als Professor für Tragwerksentwurf an die Universität Hannover berufen und gründete im Folgejahr die heutige Werner Sobek AG. Bereits 1994 wurde er als Nachfolger von Frei Otto Direktor des Instituts für Leichte Flächentragwerke der Universität Stuttgart. Bekannt wurde er in dieser Zeit insbesondere für textiles Bauen, Leichtbau überhaupt oder Bauten zusammen mit Helmut Jahn. Den Stuttgarter Massivbaulehrstuhl, den vor ihm Emil Mörsch, Fritz Leonhardt oder Jörg Schlaich innehatten, übernahm er 2000 zusätzlich und gründete das Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren. Im ILEK lernen und forschen Ingenieur:innen und Architekt:innen gemeinsam. Mit seinem Aktivhaus R128 in Stuttgart setzte er nun auch Maßstäbe in Sachen Energieeffizienz und Ressourcenschonung. Für die 2007 von Werner Sobek mitgegründete Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen war er in den wichtigen Anfangsjahren von 2008 bis 2010 als deren Präsident tätig. Auch wenn er danach mit dem Gradientenbeton und dem Sonderforschungsbereich Adaptive Hüllen und Strukturen durchaus weiterhin als klassischer Bauingenieur tätig war, wird er von nun an eher als Pionier und Mahner für das nachhaltige Bauen wahrgenommen. So entwickelte er mit dem ILEK 2012 das vollständig rezyklierbare Effizienzhaus Plus mit Elektromobilität F87 für das Bundesbauministerium oder veröffentlichte 2022 mit Ausgehen muss man von dem, was ist den viel beachteten ersten Band der Triologie non nobis – über das Bauen in der Zukunft.
Zum 70. Geburtstag des Multidisziplinärs haben Bernhard Hauke und Burkhard Talebitari mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Menschen einen ebenso vielschichtigen Multilog mit Werner Sobek organisiert, bei dem sich doch vieles um ein Thema dreht: nachhaltig Bauen.
Material, Konstruktion & Leichtbau
Prof. Steffen Marx, TU Dresden, Institut für Massivbau, DB-Stiftungslehrstuhl
Schon heute könnten wir im Bauen 50 % der bisher jährlich verbauten natürlichen Ressourcen und damit auch 50 % des emittierten CO2 einsparen. Wir müssten es nur ernsthaft tun!
Werner Sobek: Richtig! Bei der Beantwortung der Frage, warum dies nicht in dem Umfang geschieht, in dem es geschehen könnte, sehe ich zwei Ebenen. Erstens: Es gibt eine offensichtliche, eine moralische, aber keine gesetzliche Forderung zum Einsparen von Baustoffen. Dass ein moralischer Imperativ bei vielen nicht zieht, ist ein Kernproblem unserer Gesellschaft. Also rufen alle nach Verboten, Geboten oder finanziellen Anreizsystemen. Das aber erhöht die Regelungsdichte noch mehr, macht alles noch komplizierter. Ich denke, wir müssen die Baustoffe zumindest vorübergehend höher besteuern. Leider. Aber nur dann wird automatisch mit weniger Material gebaut und weniger Abfall produziert. Die steuerlichen Mehreinnahmen müssen vom Staat zum Aufbau eines bundesweiten Recyclingsystems verwendet werden. Um das Bauen nicht noch teurer zu machen als es ist, kann man gleichzeitig andere baurelevante Steuern senken. Zweitens: Mit weniger Material zu bauen, bedeutet sorgfältigere Berechnungen, sei es in Bezug auf das Tragwerk, die Auslegung der haustechnischen Anlagen u. a. Das bedeutet mehr Arbeit. Und natürlich bedeutet das Arbeiten an den Grenzen des Machbaren auch mehr Verantwortung für die Planenden. Ähnliches gilt für die Baustellen: Je weniger Material eingesetzt wird, desto höher die erforderliche Sorgfalt bei der Verarbeitung. Nehmen wir den von mir entwickelten Gradientenbeton. Mit ihm sparen wir bei einem Bauteil bis zu 40 % an Material und Emissionen ein. Die erste Frage, die gestellt wird, ist aber stets die nach Mehrkosten aufgrund der höheren erforderlichen Sorgfalt bei der Arbeit. So kommen wir nicht weiter. Wir müssen zu einem einfachen Bauen zurück, dem Gebäudetyp E, bei dem die Planer, insbesondere die Ingenieure und Ingenieurinnen ebenso wie die Ausführenden zeigen, was sie können, und bei dem sie für ihr Können anerkannt und für ihre Mehrarbeit vernünftig bezahlt werden.
Prof. Norbert Gebbeken, Präsident Bayerische Ingenieurekammer-Bau
Nachhaltigkeit ist ein globales Thema, wird in der Bauwirtschaft aber sehr regional gedacht. Meines Wissens ist nicht bekannt, welche Rohstoffe zum Bauen wo auf der Welt in den kommenden 20 Jahren benötigt werden und wo sie vorhanden sind. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
W. S.: Mit Ihrer Vermutung liegen Sie richtig. Es ist tatsächlich nur bruchstückhaft bekannt, welche Baustoffe in den kommenden 20 Jahren wo auf der Welt benötigt werden – und noch weniger, wo sie vorhanden sind. In Band 1 und Band 2 meiner Trilogie non nobis habe ich deshalb versucht, dieses Thema aufzuhellen und erste Antworten zu geben. Meine entsprechenden Recherchen waren mühsam und zeitaufwendig, nicht nur, weil es so viele unterschiedliche Bezugsgrößen, Maßeinheiten und Betrachtungshorizonte gibt. Man gewinnt fast den Eindruck, dass niemand der Verantwortlichen aus Politik, Industrie und Wissenschaft wirklich wissen will, wie sich der weltweite Baustoffbedarf entwickeln wird und wie (bzw. ob) er gedeckt werden kann. Umso wichtiger ist es, dass sich alle mit der Materie befassten Experten Gedanken über diese Fragen machen – und ihre Erkenntnisse klar und allgemein verständlich an die Öffentlichkeit kommunizieren. Mit meinen Vorträgen und Büchern versuche ich, einen Beitrag hierzu zu leisten.
Bauen wird zukünftig hauptsächlich im globalen Süden stattfinden. Grob die Hälfte aller verbauten Baustoffe befindet sich im globalen Norden mit seinen 1,4 Mrd. Menschen, die zweite Hälfte gehört den anderen 6,6 Mrd. Menschen. Allein der „Nachholbedarf“ des globalen Südens umfasst ein Bauvolumen, das dem Doppelten der heute gebauten Welt entspricht. Hinzu kommt ein Bevölkerungszuwachs bis 2050 von ca. 2 Mrd. Menschen, also mehr, als der heutige globale Norden umfasst. Und schließlich das Bauen für diejenigen, die ihre Heimat aus klimatischen oder anderen Gründen verlassen werden. Je nach Szenario sprechen wir hier von 100 Mio. bis zu mehr als 1 Mrd. Menschen. Bis 2050. Ich glaube nicht, dass wir zur Befriedigung dieser Nachfrage in den bis dahin verbleibenden 27 Jahren die industrielle Produktion der Standardbaustoffe Beton, Holz, Stahl, Ziegel und Glas in der erforderlichen Menge erhöhen, geschweige denn komplett auf Emissionsfreiheit umbauen können. Neben einer drastischen Reduktion der Nutzflächen werden viel mehr Erdbaustoffe wie Lehm und Naturstein in Kombination mit Holz und Bambus (wo er wächst) sowie Beton, Stahl und Glas in deutlich reduzierten Anteilen zum Einsatz kommen. Rezyklate werden nur in den Ländern des globalen Nordens eine Rolle spielen, denn in den Ländern des globalen Südens gibt es nicht viel zu rezyklieren. Hier spricht man von Zuwachs! Eine gebaute Umwelt, die weitestgehend ohne Primärbaustoffe auskommt, setzt schließlich eine Gesellschaft ohne baulichen Zuwachs voraus. Und zuletzt: Die Baustoffpaletten müssen regionaler werden, um transportbedingte Emissionen zu reduzieren bzw. ganz zu vermeiden.
In summa gesehen: Ihre Frage berührt ein Problem von ungeheurem Ausmaß, an dem bisher viel zu wenig gearbeitet und über das bislang viel zu wenig gesprochen wurde.
Karina Breitwieser, TU Wien
Als Optimist darf man davon ausgehen, dass es in einer (hoffentlich nicht allzu fernen) Zukunft gelingt, für die wichtigsten Baustoffe Herstelltechnologien so zu optimieren, dass klimaschädliche Emissionen vermieden werden. Damit würden für Baumaterialien Aspekte wie Verfügbarkeit, Langlebigkeit oder Recyclingfähigkeit in den Vordergrund rücken. Was wären dann geeignete Materialien für den mehrgeschossigen Wohnungsbau? Wie könnten optimale Konstruktionen ausschauen bzw. worauf muss geachtet werden?
W. S.: Ich bin ähnlich optimistisch wie Sie, was die Entwicklung von Technologien betrifft, mit denen wir unsere Baustoffe klimaneutral herstellen können. Wir werden das schaffen. Wir wissen aber auch, dass dies alles ein Rennen gegen die Zeit ist. Wenn wir nicht schnell genug sind, dann werden wir auch die 2-Grad-Marke der Erderwärmung reißen. Zusätzlich, und das macht mir große Sorgen, müssen diese Technologien auf einen weltweiten Maßstab ausgebracht werden, denn das Gros des Bauens wird zukünftig im globalen Süden stattfinden. Auch dies muss in sehr kurzer Zeit, in einem knappen Jahrzehnt, geschehen. Dies erfordert eine gemeinsame Anstrengung der Weltbevölkerung. Und hierin liegt das Problem. Die hochgerüsteten Nationen unserer Welt konzentrieren sich derzeit lieber auf Handels- und Finanzkriege ebenso wie auf tatsächlich geführte Kriege, häufig genug über Stellvertreter. So aber lösen wir das Klimaproblem nicht. Die Zeit läuft uns weg.
Neben der Klimaneutralität rückt die Verfügbarkeit von Baustoffen immer mehr in den Vordergrund. Wenn wir lange Transportwege wegen der damit verbundenen Emissionen ausschließen wollen, dann wird das Bauen zunehmend ein Bauen mit regional vorhandenen Baustoffen sein. Die Gewichtungen auf der Baustoffpalette werden sich dabei verändern. Holz wird wichtiger werden, Lehm, Naturstein und insbesondere Rezyklate werden neu hinzukommen. Die sparsame Verwendung von Baustoffen wird zurückkehren, recyclinggerechtes Bauen wird Standard werden.
Laura Oberender, TU Dresden
Dass der Bausektor einen großen Beitrag zum Klimawandel leistet, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr. Vorträge, Dokumentationen und Diskussionsrunden tauschen sich zu dieser Problematik aus und überlegen, wie sich Nachhaltigkeit besser in die Baubranche integrieren lässt. Doch fehlt immer wieder das Thema der Aus- und Weiterbildung. Aber ist nicht genau das die Wurzel, an der angesetzt werden muss, um langfristig Klimaneutralität zu erreichen? Wie soll eine Transformation gelingen, wenn es nur vereinzelt Planende gibt, die sich damit auskennen? Im Studium des Bauingenieurwesens spielen Themen des nachhaltigen Planens und Bauens eine Nebenrolle. Mittelpunkt ist der klassische Stahlbetonbau und weniger das interdisziplinäre, ressourceneffiziente und emissionsarme Bauen, womit es erschwert wird, Veränderungen zu erreichen, die im universitären Kontext keine Relevanz haben. Was braucht es in den Ausbildungsstätten, um eine Transformation möglich zu machen?
W. S.: Völlig richtig – die große Transformation kann nur gelingen, wenn sich auch unsere Ausbildung ändert. Bedauerlicherweise hängen hier viele Bauingenieurfakultäten hinterher. An dem von mir gegründeten Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) in Stuttgart lehren wir deshalb seit fast 30 Jahren Studierenden der Architektur und des Bauingenieurwesens gemeinsam (!), worum es wirklich geht. Die Studierenden lernen bei uns eine generalisierte Betrachtungsweise, in der Knicken im Holzbau nicht etwas anderes als Knicken im Stahlbau ist. Sie lernen das Bauen mit Lehm oder Titan, sie lernen das leicht Bauen, das recyclinggerechte, das emissionsarme Bauen und vieles, vieles mehr. Wie das Bauen für blinde oder taube Menschen. Und sie lernen, ihr Tun und Handeln vorzutragen und zu begründen. Wir bieten zudem eine umfassende Vorlesung mit dem Titel Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten für Studierende. Bei vielen Seminaren, Entwürfen und Vorlesungen binden wir zudem Kollegen und Kolleginnen wie auch Studierende aus anderen Disziplinen ein. Gemeinsame Entwürfe über das Bauen auf dem Mond, das Habitat minimaler Größe, das Leben in Raumstationen, Kooperationen mit dem Lehrstuhl für textiles Gestalten der Akademie der Künste oder auch gemeinsame Entwurfsklassen mit Harvard, wo ich zeitweise lehrte, weiten den Blick zusätzlich. Wir qualifizieren die Studierenden also zu mehr als zu einem Beherrschen inhaltlich eng beschränkter Einzelfächer. Ein interdisziplinäres, wissenschaftlich gut basiertes Studium, in dem die Studierenden eine Qualifikation zum Verstehen des Gesamten erlangen sowie eine Sprach- und Sprechkompetenz – das ist unser Ziel. Angesichts der enormen Erfolge, die wir bei unserer Ausbildung erzielt haben, denke ich, ich kann diese Art der akademischen Ausbildung auch anderen Hochschulen empfehlen.
Kassem Taher Saleh, MdB
Werner Sobek hat das nachhaltige Bauen maßgeblich geprägt. Sein Schaffen brachte Vorzeigeprojekte hervor, die zugleich innovativ und nachhaltig sind. Seine Neubauprojekte tragen einer ressourcenschonenden, energieeffizienten und kreislaufgerechten Planung Rechnung. Doch Neubau hat auch ökologische Nachteile, er versiegelt Flächen und verbraucht große Mengen an Ressourcen. Welche Rolle spielt zukünftig das Bauen im Bestand?
W. S.: Das Bauen im Bestand wird zukünftig eine große Rolle spielen. Bei uns in Europa. Durch eine möglichst lange Nutzung unseres Gebäudebestands reduzieren wir unseren Ressourcenverbrauch und die damit zusammenhängenden grauen Emissionen. Das Bewusstsein hierfür ist vielerorts entstanden, der Markt schwenkt langsam in diese Richtung um. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass Klimawandel und Ressourcenschwund globale Probleme sind. Selbst wenn wir in Deutschland jegliche Bautätigkeit einstellen könnten – das Gleiche von den Menschen in Afrika oder Asien zu verlangen, würde von diesen sicher nur als höhnisch empfunden werden. Zur Erläuterung: Knapp die Hälfte aller bisher verbauten Baustoffe findet sich im globalen Norden wieder, der durch ca. 1,4 Mrd. Menschen gebildet wird. Die im globalen Süden lebenden ca. 6,6 Mrd. Menschen müssen sich mit der anderen Hälfte bescheiden, oft genug ohne eine menschenwürdige Behausung oder ausreichende Ver- und Entsorgungssysteme. Der hieraus resultierende bauliche Nachholbedarf wird, zusammen mit der Schaffung einer gebauten Heimat für die bis 2050 zu unserer Weltgemeinschaft zusätzlich hinzukommenden 2 Mrd. Menschen sowie den zu erwartenden Migrantenströmen, eine gigantische Nachfrage nach Baustoffen erzeugen. Können wir diesen Wunsch nach einer Annäherung an unsere eigenen Lebensumstände unterdrücken? Sicher nicht, wir haben das Glück im Konsum ja lange genug als ultimatives Lebensziel verkündet. Müssen wir uns damit auseinandersetzen und global anwendbare Methoden und Technologien entwickeln, die eine nachhaltige Gestaltung unserer Umwelt für kommende Generationen ermöglicht? Ja, davon bin ich fest überzeugt.
Architektur & Stadtplanung
Susanne Wartzeck, BDA-Präsidentin
Der BDA hat schon vor vier Jahren in einem viel beachteten Positionspapier dem Erhalt des Bestehenden Priorität vor leichtfertigem Abriss und Neubau zugesprochen. Was manche zunächst als geschäftsschädigende Utopie empfunden haben mögen, ist innerhalb kurzer Zeit zum Allgemeingut in der Fachdiskussion geworden. Bauen im und mit dem Bestand ist das zentrale Thema für künftige Stadtentwicklung, wenn wir die Ziele der CO2-Reduzierung bei Herstellung und Betrieb unserer Gebäude ernst nehmen.
W. S.: Bauen im und mit dem Bestand ist ein wichtiges Thema. Der BDA hat wichtige und starke Impulse gegeben, damit das Bauschaffen bei uns in diese Richtung dreht. Mittlerweile nimmt das Bauen im Bestand zu, interessante Bauwerke wie das von uns mitgeplante Projekt The Q in Nürnberg zeigen, wie bspw. ehemalige Logistikgebäude erfolgreich in lebenswerte Stadtquartiere umgewandelt werden können. Es gibt noch viele andere gute Projekte, die hier benannt werden könnten. Wir dürfen bei alledem aber nicht vergessen, dass das Bauen im und mit dem Bestand nur in Ländern mit einer stagnierenden oder gar schrumpfenden Bevölkerung wie in Deutschland eine, wahrscheinlich sogar die primäre Option ist. In anderen Gegenden der Welt gibt es aber, bezogen auf die Zahl der dort lebenden Menschen, kaum baulichen Bestand, den man umnutzen kann. Und wir müssen in den kommenden Jahrzehnten für 2 Mrd. Menschen, die zur jetzigen Weltbevölkerung hinzukommen, eine neue gebaute Umwelt schaffen. Und viele der Menschen in Afrika, Asien und Südamerika, die hart für mehr Wohlstand arbeiten, wollen zumindest ansatzweise die Qualität und die Quantität an Wohngebäuden, Schulen, Infrastrukturbauten etc. haben, wie wir sie für uns als selbstverständlich voraussetzen. Und wie wir sie als weltweit gültige Zielsetzungen jahrelang propagiert haben. Mit welcher Berechtigung wollten wir diesen Menschen untersagen, so zu bauen, wie wir es immer noch tun? Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, unsere Fehler zuzugeben, die Zielsetzungen für das Schaffen gebauter Heimat zu ändern und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ohne Belehrungskomponente, wie dies unsere Außenpolitik derzeit so gern tut. Denn belehrt werden darüber, wie man im Einklang mit der Natur lebt, müssten eigentlich wir.
Axel Bienhaus, geschäftsführender Partner AS+P
Ressourcenschonung im Bau und Betrieb von Gebäuden ist das Gebot der Stunde und schon seit Jahren eine Priorität in Ihrer wie unserer eigenen Arbeit. Die Förderung einer Kreislaufwirtschaft auch im Baugewerbe ist hierzu ein Schlüssel und diese beginnt mit der intensiveren Nutzung des Bestands. Wie sehen Sie die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Gestalt unserer Städte und die Baukultur?
W. S.: Eine intensivere Nutzung des Bestands führt zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der architektonischen Qualität des Bestehenden. Ich denke, wenn man mit dem zur Verfügung Stehenden auskommen muss, wenn nur ganz bestimmte Veränderungen möglich sind, dann schaut man sich das Bestehende intensiver, genauer an, sucht seine Qualitäten, seine Schönheiten – und sucht Chancen in der Verbesserung des Kleinen anstatt im Totalersatz. Für unsere Baukultur kann dies alles nur vorteilhaft sein. Für die Gestaltung unserer Gebäude, unserer Städte sehe ich dann zusätzliche große Chancen, wenn die Adaption, die Überarbeitung des Bestehenden mit einem teilweisen Ersatz von Bauteilen einhergeht und wenn dieser Ersatz aus Rezyklaten besteht. Diese bringen neue Formate, neue Oberflächen, neue Farben und vieles andere mehr mit sich. Die dadurch mögliche Ästhetik, die aus dem Wieder-neu-Gewordenen entspringt, müssen wir aber erst noch entwickeln. Es darf keine Trash-Ästhetik sein, das wäre zu vordergründig, zu trivial. Ich bin davon überzeugt: Die Ästhetik des Wieder-neu-Gewordenen birgt Chancen für die Baukunst, viel mehr, als es das Verstellen unserer Städte mit Repliken ehemals wichtiger, irgendwann abgerissener oder zerstörter Bauwerke tut.
Letztlich, technisch: Die intensivere Nutzung des Bestands wird auch die Erkenntnis verstärken, dass alle unsere Gebäude so konstruiert und gebaut sein müssen, dass wir sämtliche Bestandteile am Ende ihres Nutzungszeitraums in biologische oder technische Kreisläufe zurückführen können.
Thomas Kraubitz, Buro Happold
Die Stadtform ist oftmals träge geworden und muss auf die Laufstrecke der Nachhaltigkeit. Wie bekommen wir Ballungszentren zum Abspecken, Verzicht aufs Rauchen und einem gesünderen, CO2– und H2O-armen Lebensstil?
W. S.: Eine zumindest für mich schwierig zu beantwortende Frage, auch, weil ich kein Stadtplaner bin. Meine vielfältigen Beobachtungen sagen mir, dass wir den Trend hin zum Leben in der Metropole, in riesigen Agglomerationen von Städten umkehren müssen. Mit dem von mir erwarteten Rückgang der Weltbevölkerung ab 2050 wird das vielleicht einfacher werden, auch, weil die Gründe für eine Flucht in die Städte weniger werden. Heute aber ist meine Forderung eine Forderung gegen den Trend.
Wir müssen diese das menschliche Maß sprengenden Städte lebenswert machen, sie entgasen, entgiften, ent-lärmen, ent-müllen. Wir müssen ihre Herzfrequenz auf ein menschliches Maß reduzieren, ihre mediale Überflutung zurückfahren u. v. m. Letztlich geht es auch um die Aufteilung der großen Agglomeration in viele kleinere Städte, die allesamt eine urbane Qualität auf hohem Nachhaltigkeitsniveau und mit hoher Lebensqualität im Sinn eines angemessenen und würdigen Lebens haben.
Reiner Nagel, Vorsitzender Bundesstiftung Baukultur
Less is more könnte auch Werner Sobeks Gestaltungsmaxime für das Schlichte und Schöne sein. Seine Ingenieurbaukunst können wir aber umgekehrt mit more brings less beschreiben. Mehr Ingenieurwissen schafft leichte und emotional berührende Konstruktionen und Bauwerke. Mit seiner Trilogie non nobis– über das Bauen in der Zukunft legt er jetzt sein großes Wissen und seine Empathie für die Baukultur auf den Tisch. Ausgehen muss man von dem, was ist ist der Titel des ersten Bands. Eine durchgedachte Bestandsaufnahme, Klimabilanz und Analyse der Zukunftsfähigkeit unserer Baustoffe. Gespannt dürfen wir auf die beiden nächsten Bände sein. Lieber Werner Sobek, wie wird es weitergehen? Werden wir Mittel und Wege finden, die Bauaufgaben der Zukunft klimaverträglich zu lösen und wie wird das aussehen?
W. S.: Wenn uns die große Transformation nicht gelingt, steuern wir nicht nur aufgrund der dann unvermeidlichen Klimakrise auf ein planetares Desaster zu. Millionen von Menschen werden dann verhungern und verdursten, viele weitere Millionen werden versuchen, dem Elend durch Migration in andere Weltgegenden zu entkommen. Verteilungskämpfe um Ressourcen werden deutlich zunehmen. Diese Aussicht ist erschreckend – umso größer ist mein eigener Wunsch, einen positiven Beitrag zu einer anderen, besseren Entwicklung zu leisten. Wir stehen vor einer Vielzahl von Problemen, die in dieser Größe und Komplexität noch nie dagewesen sind. Probleme, bei deren Lösung unseren beiden Berufsgruppen – den Architekten und den Ingenieuren – eine, wenn nicht die entscheidende Rolle zufällt. Wer, wenn nicht wir, hat die notwendige interdisziplinär basierte Planungskompetenz zur Lösung eines großen Teils der Probleme? Ich kenne keine andere Berufsgruppe, die das kann. Also müssen wir vorangehen.
Es ist offensichtlich, dass die genannten Probleme nicht mit den bisher bekannten Werkzeugen und Methoden, insbesondere aber nicht unter den bisherigen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen zu lösen sein werden. Die Antwort auf die Frage nach dem Wie weiter?, die Antwort auf die Frage nach dem Wo wollen wir hin? muss sich natürlich auch an technischen und ökonomischen Überlegungen und Notwendigkeiten orientieren. Da sie aber in ihrer Umsetzung zu teilweise drastischen Veränderungen im Leben nahezu aller führen wird, kann sie in ihrem Kern nur eine gesamtgesellschaftliche Diskussion und Neuorientierung sein. Die Berufsgruppe der Architekten, der Landschaftsplaner, der Stadtplaner muss diese gesamtgesellschaftliche Neuorientierung beflügeln, den Diskurs entfachen, sie muss aufklären, sie muss auf die Straßen gehen! Und sie muss dabei die gerne in der zweiten Reihe stehenden Ingenieure mitnehmen, denn ohne diese sind die Probleme zwar adressier-, aber nicht lösbar.
Die technischen Teile baulicher Lösungen werden wir irgendwie lösen. Natürlich mit signifikanten Einschränkungen in Komfort und Sicherheit. Was mir viel mehr Sorgen macht, sind die vielfältigen Asymmetrien in den Bevölkerungen. Extremer Reichtum und massenweise Armut, oftmals knapp vor dem Hungertod stehend. Massenweise Flucht. Komplett überalterte Gesellschaften ohne eine Jugend, welche die Finanzierung der Alten oder deren Pflege übernimmt. Oder Gesellschaften, die nahezu nur aus Jugendlichen bestehen und in denen ältere Erfahrungs- und Wissensträger nicht in hinreichender Zahl vorhanden sind. Diese und ähnliche Probleme haben das Potenzial, die labile Stabilität unserer Weltgesellschaft zum Kippen zu bringen.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin a. D., IBU-Präsidentin
Wie gelingt es uns, Solar – und Windenergie mit dem Denkmalschutz in Übereinstimmung zu bringen?
W. S.: Ich votiere dafür, denkmalgeschützte Gebäude prinzipiell nicht mit PV-Anlagen oder Anlagen zur Gewinnung von Energie aus Wind auszustatten. Warum? Wir würden diesen Gebäuden damit einen erheblichen Teil dessen nehmen, weswegen wir sie zu Denkmälern erhoben haben.
Nach meinem Dafürhalten ist es nicht erforderlich, jedes einzelne Gebäude mit PV- oder Windkraftanlagen auszustatten. Die Summe aller Dach- und Fassadenflächen unserer Gebäude ist zu klein, um den Bedarf der Gebäude zu decken. Wir müssen deshalb das Prinzip einer Systemgrenze um jedes einzelne Gebäude herum aufheben zugunsten einer Systemgrenze um Gebäudeagglomerationen, also um Quartiere, Stadtviertel, ganze Städte oder Regionen. Diese neuen Einheiten müssen innerhalb ihrer Systemgrenzen die gesamtgesellschaftliche Forderung nach Emissionsfreiheit im Betrieb und nach einer sehr limitierten Zufuhr an Elektrizität von außen erfüllen. Die limitierte Stromzufuhr von außen spiegelt die Tatsache wider, dass wir vorerst nicht in der Lage sein werden, den gesamten Strombedarf (und unsere Zukunft sind elektrische Häuser und Städte) von außen, also bspw. aus Strom-auf-See, zu decken. Es handelt sich hierbei also nicht um ein Preis-, sondern um ein Verfügbarkeitsproblem. Die Erzeugung von Strom und Wärme innerhalb der neuen, jetzt erweiterten Systemgrenzen muss neben den Dach- und Fassadenflächen nicht denkmalgeschützter Häuser auch auf Industriegebäuden und Einrichtungen der Infrastruktur, also entlang von Straßen und Bahntrassen, ggf. komplettiert durch Agri-PV erfolgen. Die neuen Einheiten als jeweils Ganzes erfüllen die Forderung nach weitestgehender elektrischer und wärmetechnischer Autarkie. Bei den Gebäuden innerhalb dieser Einheiten kommt das Prinzip der Schwesterlichkeit, das wir schon 2014 mit unserem Experimentalgebäude B10 in der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung eingeführt haben, zur Anwendung. Mit diesem Experiment konnten wir zeigen, dass alte und/oder denkmalgeschützte und neue Häuser zusammen betrachtet werden können und müssen, denn: Nicht alle Gebäude können die gesamtgesellschaftlichen Vorgaben nach Energieeffizienz und Energieproduktion gleichermaßen erfüllen. Manche sind dafür besser geeignet, z. B. weil sie stärker in der Sonne stehen und so mehr Energie gewinnen können. Andere sollte man so stehen lassen, wie sie sind. Wichtig ist, die Gebäude zum Teil eines vernetzten Energiemanagements im Quartier oder einer Stadt werden zu lassen, nach dem Motto: Wir lösen das Energieproblem und das Emissionsproblem gemeinsam – und nicht jeder für sich.
Nora Giuliana Iannone, Architektin
Wie können wir hinsichtlich der aktuellen Rohstoffverknappung ab sofort und nachhaltig mit weniger Material für mehr Menschen bauen? Welche politischen Stellschrauben und Verantwortungspositionen müssten sich ändern und wie kann jede und jeder von uns mitwirken? Und wie können wir Bauprozesse durch kollektiven Wissensaustausch langfristig besser machen?
W. S.: Den Baustoffkonsum einzudämmen bedeutet zunächst, die Notwendigkeit einer Baumaßnahme strenger zu hinterfragen. Danach ist zu klären, ob man diesen baulichen Bedarf durch Umnutzung oder durch Umbau befriedigen kann oder ob ein Neubau erforderlich ist. Bei Umbau- wie Neubaumaßnahmen gilt es, auf der Betrachtungsebene der tragenden Bauteile, also vom Primärtragwerk bis hin zum Geländer auf der Dachterrasse, Leichtbau umzusetzen. Leichtbau entsteht, wenn bestehende Konstruktionsprinzipien beibehalten, die Bauteile jedoch besser ausdimensioniert werden oder wenn neue Konstruktionsprinzipien wie der Gradientenbeton umgesetzt werden. Auf der Betrachtungsebene der Werkstoffe gilt es, den Umstieg von der derzeit nahezu ausschließlichen Verwendung von Primärbaustoffen hin zu einer Kombination von Primär- und Sekundärbaustoffen, also Rezyklaten durchzusetzen. Die Zusammensetzung der Baustoffpalette wird sich verändern. Neue Baustoffe wie Lehm oder Naturstein oder die unterschiedlichen Rezyklate werden hinzukommen. Und die Gewichtung der einzelnen Baustoffe auf der Palette wird sich ändern. Holz, Lehm und Rezyklate werden wichtiger werden, andere werden zurücktreten.
Ein wesentlicher Punkt, der bei der Diskussion der Rohstoffverknappung oft außer Acht gelassen wird, ist die Absenkung von Standards. Im Straßenbau oder beim Bau von Bahntrassen kann man enorme Mengen an Erdbewegungen, Tunneln und Brücken (und damit Energie und transportbedingten Emissionen) einsparen, wenn man die Entwurfsgeschwindigkeit absenkt. Im Hochbau müssen wir, neben anderen, insbesondere den Schall- wie den Brandschutz diskutieren. Wenn sich eine Gesellschaft einen bestimmten Komfort- oder Sicherheitsstandard nicht mehr leisten kann, sei es finanziell oder im Sinn der Verfügbarkeit von Ressourcen, dann können wir diesen Standard auch nicht einfordern. Also: Nicht fordern, was möglich ist, sondern umsetzen, was angesichts der Gesamtumstände angemessen ist.
Nur durch kollektiven Wissensaustausch können wir unsere Art zu bauen verbessern. Die Bereitschaft, über Disziplinen- und Gewerkegrenzen hinweg zu denken und zu handeln, ist zentrale Voraussetzung für das Gelingen der großen Transformation, vor der wir alle stehen. Denn: Jede und jeder von uns kann nicht nur mitwirken, sondern muss es tun. Die Verantwortung für den Wandel liegt nicht bei anderen, sondern bei uns selbst. Wir haben schon viel Wissen darüber, wie wir mit weniger Material für mehr Menschen emissionsfrei bauen können (der Leichtbau hat nicht nur in Stuttgart eine sehr lange Tradition) – dieses Wissen aber auch tatsächlich zeitnah anwenden zu können, erfordert mehr als nur ein Umdenken bei den Planenden. Es erfordert eine andere Art des Umgangs aller miteinander und mit der Natur.
Klimawandel, Bauwende & Innovation
Dr. Christine Lemaitre, geschäftsführende Vorständin DGNB
Die Themen des nachhaltigen Bauens sind so aktuell wie nie. Es scheint bei vielen Akteuren aber doch eher um das aufklärerische Senden zu gehen als um die kritische Reflektion des eigenen beruflichen Handelns und Wirkens. Was müssen Planungsbüros heute tun, um glaubhaft zu sein und ihren aktiven Beitrag zur Senkung der CO2-Emissionen, zum Schutz der Ressourcen und dem Erhalt bzw. der Regeneration der Biodiversität zu leisten?
W. S.: Ich glaube nicht, dass es irgendjemandem zusteht, vielen der um Fortschritte im nachhaltigen Bauen bemühten Akteure pauschal zu unterstellen, dass sie ihr eigenes Handeln und Wirken nicht kritisch reflektieren würden. Ich finde das nicht gut und ich sehe das ganz anders: Viele meiner Bekannten, Kolleginnen und Kollegen in der Politik, der Industrie, den Behörden und den Planungsbüros bis hin zu den Bauherren bemühen sich ernsthaft und ehrlich um ein Verstehen, um Lösungen, um Veränderungen. Sicherlich manchmal aus unterschiedlichen Beweggründen, aber das ist doch in Ordnung, solange alle dasselbe Ziel anstreben. Und ist es nicht auch so, dass wir bei einer ganzen Reihe von Fragen noch keine vollständig konsistenten Antworten haben? Das sind zumindest meine Wahrnehmungen.
Zur Frage: Natürlich können und müssen Planungsbüros schon heute einen aktiven Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Sie tun dies auf zwei Ebenen: durch die Ideen, Mittel und Methoden, die sie in ihr tägliches planerisches Handeln einbringen, um das Bauschaffen nachhaltig, d. h. zukunftsfähig zu machen, und durch das, wie sie ihr eigenes Leben gestalten, also weitestgehender Verzicht auf Flugreisen, Umstieg auf ÖPNV und Elektromobilität, sorgsamer Umgang mit Essen, fleischarme Ernährung, Abfallminimierung etc. pp. Das sind viele kleine Schritte, die in der Summe einen Unterschied machen. Hinzu kommen wichtige nicht materielle Komponenten der Nachhaltigkeit, wie die voraussetzungslose Wertschätzung des anderen als eines Menschen von gleicher Würde und die Nächstenliebe. Womit wir wieder beim Anfang meiner Antwort wären.
Jens Bredehorn, vrame
Eine nachhaltige Planung und Umsetzung von Bauprojekten ist entscheidend, um die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu minimieren und eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen zu garantieren. Durch die Digitalisierung der Bauindustrie kann die Nachhaltigkeit signifikant erhöht werden, da die Effekte auf die Umwelt und die Gesellschaft frühzeitig bewertet und optimiert werden können. Die Digitalisierung bietet einzigartige Möglichkeiten, um nachhaltiges Bauen und den darauffolgenden Betrieb von Gebäuden zu optimieren. Durch den Einsatz digitaler Methoden, Technologien und Lösungen kann eine bessere Überwachung und Steuerung von Ressourcenverbrauch, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit im Betrieb erreicht werden, was letztendlich zu einer Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks beiträgt.
W. S.: Ich stimme Ihnen zu: Eine durchgehende Digitalisierung entlang der ganzen Wertschöpfungskette des Bauwesens ist Voraussetzung und zugleich Hilfsmittel für eine bessere Steuerung des Ressourcenverbrauchs und der Emissionen unserer gebauten Umwelt – über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Dies erleichtert auch die dezentrale Gewinnung, Speicherung und Verteilung von Energie aus nachhaltigen Quellen. Neben der Digitalisierung aufseiten der Planenden und Bauenden kann und sollte es aber auch eine Digitalisierung aufseiten der Nutzenden geben. Selbstlernende prädiktive Gebäudeautomationssysteme können z. B. einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Verbrauch von Heizenergie in Bestandsgebäuden zeitnah und drastisch zu senken – ohne dass hierfür umfangreiche Sanierungsarbeiten vorgenommen werden müssten.
Wir müssen gleichzeitig sehen, dass das Gros des zukünftigen Bauvolumens in den Ländern des globalen Südens und dort, häufig genug, im Rahmen von Selbst- und Nachbarschaftshilfe stattfinden wird. Auch hier müssen zunächst die Prinzipien des nachhaltigen Bauens verankert werden, nicht in Form von Belehrungen durch uns, sondern durch gemeinsame Entwicklung und Erkenntnis. Das wird sehr schwer werden. Ob und wann dann die Digitalisierung in das dortige Bauschaffen Einzug halten wird? Ich weiß nicht, wie schnell das gehen kann. Vielleicht schaffen wir ja auch ein Leapfrogging und damit das Überspringen bestimmter Technologiephasen.
Martin Pauli, Arup
Bei gleichbleibender Bauaktivität müssten wir die Gesamt-CO2-Bilanz von Gebäuden um ca. 95 % reduzieren, um bis 2050 konsistent mit dem 1,5-Grad-Ziel zu sein – derzeit erscheint dieses Ziel unerreichbar?!
W. S.: Das 1,5-Grad-Ziel ist nicht mehr erreichbar. Selbst wenn wir hier in unserem globalen Norden sofort jedwede bauliche Aktivität einstellen würden, ist es nicht mehr erreichbar. Ich selbst gehe von mehr als 2 °C im Jahr 2050 aus. Wie wir wissen, wird die überwiegende Menge an Emissionen zukünftig in anderen Ländern entstehen, sei es aus einem Nachholbedarf der Menschen im globalen Süden heraus, sei es infolge des Zuwachses der Weltbevölkerung oder durch Migrationen. Wir benötigen also weltweite Lösungen. In Deutschland müssen wir die Emissionen durch das Bauwesen, die durch Herstellung, Betrieb und Rückbau entstehen, konsequent entlang der Vorgaben des Klimaschutzgesetzes reduzieren. Gleichzeitig müssen wir Bewusstseinsbildung und Wissen um die Fakten und Methoden exportieren, auf allen möglichen Kanälen.
Wir müssen das nicht mehr zu vermeidende Überschreiten der 1,5- bzw. der 2-Grad-Marke durch massive CO2-Entnahme baldmöglichst zurückfahren. Nach meinem Dafürhalten geht dies derzeit nur mit massivem Aufwuchs von Wäldern und dem Anlegen von Wiesen und Feuchtgebieten. Die technischen Ansätze einer Extraktion von CO2 aus der Atmosphäre sind zu langsam und zu teuer in ihrer Umsetzung.
Simon Dilhas, Geschäftsführer und Gründer abstract ag
Was halten Sie von der Theorie von Ken Morse, dass Innovation aus Erfindung und Kommerzialisierung besteht, und könnte es sein, dass der fehlende notwendige Wandel in der Bauindustrie seine Wurzeln darin hat, dass wir gut beim Erfinden sind, aber bei der Kommerzialisierung aufgrund der Beschaffungspraxis und der damit verbundenen Geschäftsmodelle von Planern und Bauunternehmen scheitern?
W. S.: Ich würde sagen: Innovation entsteht aus Erfindung und Umsetzung des zuvor nicht Gekannten in faktisches Tun. Ich ersetze also die bei uns häufig negativ konnotierte Kommerzialisierung durch Umsetzung, was den Lösungsraum um das nicht kommerzielle Handeln erweitert. Im Prinzip aber haben Sie Recht: Innovationen in das Bauschaffen einzubringen ist unendlich schwierig. Ein Haupthindernis ist der gesamtgesellschaftliche Trend zur Vollkaskoexistenz, also dem Streben nach totaler Absicherung gegen alles möglicherweise Nichtperfekte, mithin auch alles Menschliche. Das zweite Hindernis besteht im gesamtgesellschaftlichen Suchen nach Rechtssicherheit in allen Lebenslagen. Die beiden Trends sind verwandt. Der Letztere wird von einer geradezu kafkaesken Produktion von Gesetzen, Normen, Richtlinien u. a. beschleunigt. Das resultierende, weder verständliche noch memorierbare Gespinst an Texten wird anschließend von vielen Vertretern der Jurisprudenz, Gutachtern, Mediatoren und anderen vorzüglich bewirtschaftet. Auf der Strecke bleibt die Innovation, denn diese löst sich schon vom Wortsinn her vom Tradierten, Bekannten, Sicheren ab. Was wir benötigen, ist die Rückkehr zur Vernunft. Zu einem Handeln, das von Menschen verantwortet wird, die bestimmte Überlegungen zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht haben. Wir müssen zugeben und zulassen, dass menschliches Handeln fehlerbehaftet ist. Eine fehlerfreie Welt ist keine Menschenwelt mehr.
Ein weiterer Aspekt ist die Forderung nach der sog. Wirtschaftlichkeit. Gemeint ist hier, häufig genug, die Gewinnmaximierung. Ich glaube, dass wir von dieser zum allgegenwärtigen Prinzip erhobenen Forderung bald Abschied nehmen werden, denn eine Einbettung menschlichen Handelns in die mit dem Erhalt der Natur verbundenen Prinzipien wird einen Zielkonflikt hervorbringen: entweder Maximierung des Profits oder Erhalt der Natur. Beides zusammen geht nicht. Man erinnere sich nur daran, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt und damit der Stolz vieler Menschen eigentlich negativ ist – würde man nur die Umweltschäden mit berücksichtigen, die wir mit unserem Tun hervorrufen.
Prof. Heiko Diestel, Emeritus TU Berlin
Das Versiegeln Vegetation tragender Zonen fördert die Erwärmung durch Annullierung der Verdunstungskühlung, führt zu Verzerrungen des Wasserhaushalts und vernichtet Möglichkeiten zur Nahrungsmittelproduktion. Maßnahmen wie Fassaden- und Dachbegrünungen oder Urban Farming finden derzeit sehr kleinräumig statt. Deren positive Wirkung erstreckt sich auf überschaubare Entfernungen. Aber Wasser- und Temperaturregime der kontinentalen Flächen müssen sowohl kleinteilig als auch integral betrachtet werden. Sind gebaute und bewohnte Terrassensysteme, auf deren waagerechten Flächen Landwirtschaft stattfindet, ein Weg, um Siedlungen bei Erhalt der unversiegelten Gesamtfläche auf der Erde zu bauen?
W. S.: Gebaute und bewohnte Terrassensysteme, auf deren waagerechten Flächen Landwirtschaft stattfindet, sind eine sehr schöne Idee. Ich befürchte aber, dass der Mehraufwand zur Abtragung der Erdauflast, der zusätzlichen Wasserlast, der Lasten der Geräte, die zu einer Bewirtschaftung nötig sind, zu signifikanten Mehrkosten führen. Ich würde vom Zweifachen ausgehen. Ich plädiere deshalb für eine siedlungs- und stadtnahe Landwirtschaft. Gebäude sollten eine einfache, nicht landwirtschaftlich genutzte Begrünung haben. Saisonales Grün, denn wir benötigen Verschattung und Verdunstungskühlung nur im Sommer. Im Winter ist jede solare Wärmeeinheit willkommen, die durch die Fassade absorbiert werden kann.
Zukünftig werden wir Regenwasser auch mit der Fassade aufnehmen, speichern und bei Bedarf für Bewässerung oder Verdunstungskühlung wieder abgeben. Wir unterziehen ein solches Fassadensystem gerade einem wissenschaftlich begleiteten Praxistext – mit sehr positiven Zwischenergebnissen.
Dachflächen mit Retentionsqualität, entweder auf dem Dach oder unmittelbar am Gebäude, sind ein weiteres Muss. Wir sollten auch an Technologien für Dachflächen arbeiten, die im Sommer solarreflektiv sind und im Winter Wärme absorbieren.
Architects for Future
Da Sie angekündigt haben, im Alter radikal zu werden: Welche Ihrer Projekte sehen Sie im Rückblick kritisch und welche Verantwortung haben Architekt:innen aktuell bei der Auswahl ihrer Projekte, damit sie angemessen agieren angesichts von gesellschaftlich notwendiger Transformation in der Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätskrise?
W. S.: Ich will jetzt keine Bauherrschaft durch eine nachträgliche Herabstufung ihrer Gebäude traurig machen. Rückblickend finde ich aber auch nur einige wenige Projekte, die ich heute anders konzipieren würde. Es sind allesamt solche, bei denen ich nur für das Engineering verantwortlich zeichnete. Es ist mir bei diesen Projekten entweder nicht gelungen, meine Überzeugungen durchzusetzen, oder ich war, als Ingenieur, einfach noch nicht gut genug. Dort, wo ich sowohl als Architekt wie als Ingenieur verantwortlich zeichne, habe ich nichts zurückzunehmen. Ganz im Gegenteil.
Ihre Frage nach der verantworteten Projektauswahl möchte ich so beantworten: Ich selbst habe bestimmte Arten von Projekten aus Prinzip nicht gemacht. Beispielsweise Anlagen für das Militär. Bei den Projekten, die ich geplant habe, war es für mich immer wichtig, einen Bauherren zu haben, der meine Überzeugungen nach einem, in meinem Sinn, verantwortbaren und verantworteten Bauen mitträgt. Alles andere macht keinen Sinn. Man darf den Planungsauftrag in so einem Fall nicht annehmen. Heute finde ich immer mehr Bauherren, denen eine sparsame Verwendung von Ressourcen, die Minimierung der Emissionen und eine Einbettung in die Natur sehr wichtig sind. Es ist eine Freude, die Dinge zusammen mit diesen Menschen voranzubringen. Die jüngere Generation von Architekten und Architektinnen wird, so sehe ich das, zunehmend mehr auf solche Bauherren treffen.