Forschende erstellen Ranking der Ursachen für weltweiten Verlust der Artenvielfalt und Lebensräume
Die Umwandlung von naturnahen Wäldern und Grünland in landschaftliche Flächen ist hauptverantwortlich für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt. Die ausbeuterische Nutzung wild lebender Tiere und Pflanzen durch Fischerei, Holzeinschlag, Handel und Jagd ist zweitwichtigste Ursache, gefolgt von Umweltverschmutzung. Der Klimawandel ist bislang nur der viertstärkste Treiber. Dies zeigt eine internationale Studie unter der Leitung der Universidad Nacional de Córdoba (UNC) in Argentinien, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und des Natural History Museum London. Die in Science Advances veröffentlichte Studie macht deutlich, dass der Kampf gegen den Klimawandel allein nicht ausreicht, um den weiteren Verlust der biologischen Vielfalt zu verhindern.
Obwohl der Klimawandel wegen seiner tiefgreifenden Folgen für die Natur zu Recht hohe Aufmerksamkeit bekommt, ist er – zumindest momentan – nur die viertgrößte Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt an Land, gefolgt von der Invasion gebietsfremder Arten an fünfter Stelle. „Die vorliegende Studie, die während des COP27-Klimagipfels veröffentlicht wird, zeigt deutlich, dass die Bekämpfung des Klimawandels allein nicht ausreicht, um den weiteren Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen“, sagt Dr. Nicolas Titeux, einer der beiden Erstautoren. „Die für den Artenschwund verantwortlichen direkten Treiber sollten mit ähnlichem Ehrgeiz wie der Klimawandel ganzheitlich bekämpft werden.“ Titeux arbeitet derzeit am Luxembourg Institute of Science and Technology, hat aber einen Großteil der Studie am UFZ mit finanzieller Unterstützung von iDiv durchgeführt.
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Treibhausgase die Hauptursache für die Klimakrise sind, aber ebenso wichtig ist es, zu verstehen, was hinter dem enormen und schnellen Artenschwund steckt. 1 Mio. Tier- und Pflanzenarten sind – wenn wir nicht gegensteuern – in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht; die Ökosysteme weltweit verlieren an Qualität und können die für uns Menschen so wichtigen Ökosystemleistungen immer schlechter erbringen.
Die Autorinnen und Autoren der Studie unter der Leitung von Dr. Pedro Jaureguiberry von der UNC und Dr. Nicolas Titeux stellten zudem fest, dass der Klimawandel als direkter Treiber des Artenschwunds in den Ozeanen bereits an zweiter Stelle rangiert. Hier spielt die Ausbeutung der Fischbestände die größte Rolle. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch davon aus, dass die Bedeutung des Klimawandels für den Artenschwund und den Rückgang der Ökosystemleistungen auch an Land in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zunehmen wird.
Damit bestätigen und konkretisieren die Autorinnen und Autoren die Kernaussagen des Globalen Assessments, das der Weltbiodiversitätsrat IPBES bereits 2019 veröffentlicht hatte. „Die vorliegende Arbeit verdeutlicht, wie solide und differenziert die Hintergrundinformationen und Analysen des globalen Berichts von IPBES sind“, sagt Josef Settele von UFZ und iDiv sowie Ko-Vorsitzender des Globalen IPBES-Assessments. „Dies gilt nicht nur für die vorliegende Thematik der Treiber des Artenschwunds, sondern ist ein Indikator für die fundierte Arbeitsweise des Weltbiodiversitätsrats insgesamt.“
Bedarf an naturbasierten Lösungen
Auch dürfte die vorliegende Arbeit das Verständnis dafür, wie der Verlust der biologischen Vielfalt bekämpft werden kann, grundlegend verändern. Jaureguiberry: „Unsere Studie liefert umfassende und fundierte Informationen darüber, welche Faktoren die biologische Vielfalt auf verschiedenen Ebenen am meisten schädigen – regional wie global. Wir hoffen, dass diese Ergebnisse zu einem ganzheitlicheren Ansatz beitragen werden, um effizientere Maßnahmen zur Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt zu entwickeln.“ Titeux weist außerdem darauf hin, dass „die derzeitigen globalen Vereinbarungen wie das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) und das UN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (UNFCCC) sich zu sehr auf einzelne Faktoren konzentrieren und dabei Lösungen übersehen, die eng mit anderen Faktoren zusammenhängen“.
Professor Andy Purvis vom Naturhistorischen Museum in London, ebenso Mitautor der Studie, erklärt: „Der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt wurden bislang weitgehend getrennt voneinander betrachtet. Politische Maßnahmen berücksichtigen oft nicht das jeweils andere Problem. So werden z. B. Biokraftstoffe als eine Möglichkeit vorgeschlagen, die Klimaneutralität zu erreichen, damit verbundene Auswirkungen auf die Natur jedoch, z. B. durch die Ausweitung von Plantagen auf natürliche Wälder, nicht in die Betrachtungen einbezogen.“
Der Beitrag hebt auch einige naturbasierte Lösungen hervor, wie die großflächige Wiederherstellung naturnaher Wälder und den wirksamen Schutz von Feuchtgebieten an Küsten. Sie wirken sowohl dem Klimawandel als auch dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegen.
Jaureguiberry, P.; Titeux, N.; Wiemers, M.; Bowler, D. E.; Coscieme, L.; Golden, A. S.; Guerra, C. A.; Jacob, U.; Takahashi, Y.; Settele, J.; Díaz, S.; Molnár, Z.; Purvis, A. (2022) The direct drivers of recent global anthropogenic biodiversity loss. Science Advances 8, No. 45. 10.1126/sciadv.abm9982