Das dringend notwendige Umdenken in der Bau- und Immobilienbranche ist in aller Munde. Es hat sich gar der Begriff der Bauwende dafür etabliert. Wir brauchen eine Richtungsänderung, aber die große Frage ist wohin – und wer muss alles wenden?! Aber mal ehrlich, eigentlich ist das alles nichts Neues und es geht doch gerade um eine Abkehr von dem ständig Neuen!
Leider wird die notwendige Bauwende von mehr oder weniger bekannten und teilweise selbst ernannten Expert:innen nun als die große Neuigkeit verkauft und man übertrifft sich mit Empörung und Pauschal-Weisheiten. Wir haben doch aber in den letzten Jahrzehnten eines gelernt: Wenn es eine pauschale Aussage im Bauen gibt, dann, dass es falsch ist, zu pauschalieren. Es ist falsch, Maßnahmen zu definieren, zu fordern und zu fördern, ohne die Projektspezifika zu kennen oder gar zu berücksichtigen. Hätten wir nicht so gnadenlos pauschaliert, dann hätten wir viele unserer heutigen Probleme vermeiden können. Dass der Bausektor eines der zentralen Handlungsfelder für CO2-Vermeidung und Klimaadaption ist, das ist unbestritten. Nicht zuletzt wurde dies durch den ersten buildings day im Rahmen der Weltklimakonferenz 2015 in Paris auch schon international manifestiert – also bereits vor sieben Jahren! Dass Bauen uns alle angeht, da dieser Sektor wie kein anderer unsere Lebensqualität definiert, ist ebenso wenig überraschend. Genauso wenig kann es doch nicht im Ernst eine neue Erkenntnis sein, wie viel Material, Energie und Abfall mit der Baubranche verbunden ist. Da muss man doch nur mit offenen Augen durch unsere Städte fahren, um die Materialmengen zu sehen, die in der Welt stehen. Materialmassen, die gemäß unserer linearen Wirtschaftsdenke – die so lange nur auf Wachstum, auf Neues, auf Innovation getrimmt wurde – natürlich nicht unter dem Aspekt der Rückbau- und Recyclingfähigkeit gebaut wurden. Überrascht uns das wirklich? Ist es wichtig, die genaue Kenntnis darüber zu haben, ob die Baubranche für 40 oder 50 % der weltweiten Emissionen verantwortlich ist? Machen diese 10 % einen Unterschied bei einer Dimension an CO2, die für uns alle doch nicht erfassbar ist? Wären 30, 20 oder auch 10 % nicht auch schon zu viel? Ist die Zahl also wirklich entscheidend, um jetzt endlich mal ins Handeln zu kommen? Dass die Erfüllung der Klimaziele und die Frage, wie das genau gehen kann, sowie die verbundenen Kosten eine entsprechend soziale Sprengkraft beinhalten, ist sicher eine der zentralen Herausforderungen. Die neue Bundesregierung quittiert die gesellschaftliche Relevanz mit einem eigenen Ministerium.
Die Frage nach dem Warum und nach dem Ob stellt sich schon lange nicht mehr, dafür immer vehementer die Frage nach dem Wie.
Die Frage nach dem Warum und nach dem Ob stellt sich also schon lange nicht mehr, dafür immer vehementer die Frage nach dem Wie. Zahlreiche Expert:innen bereichern den Diskurs häufig v. a. mit Nebelkerzen und Wortblasen. Dies führt dazu, dass ein Schleier der zunehmenden Komplexität über das Thema gelegt wird und die Umsetzungsdynamik verloren geht. Nahezu jährlich werden neue Schlagworte groß, die die Komplexität vermeintlich verschlimmern und bereits umgesetzte Beispiele in der öffentlichen Diskussion untergehen lassen, da sie schon wieder nicht umfassend genug erscheinen. Oder noch schlimmer: Es werden altbekannte und wohl eher vergessene Entwurfsprinzipien und Materialien als Neuheit deklariert. Das führt wiederum dazu, dass der Dschungel an Themen noch viel größer wird. Wirklich hilfreich wäre ein strukturiertes, systematisches Vorgehen. Das würde jedoch eine Einordnung und Ehrlichkeit mit sich bringen, die den gewünschten Sensationscharakter und die vermeintliche Expertise relativieren könnte. Verschlimmert wird es durch Lobbyisten, die suggerieren, dass ein Weiter so, aber nachhaltig durch innovativ und digital, funktionieren kann. Wenn wir es ernst meinen, dann sollten wir den Menschen nicht suggerieren, dass sich nichts ändern wird.
Die Aufgabe ist in der Tat gewaltig. Noch nie hat die gebaute Umwelt, ohne Zerstörung durch Krieg oder Umweltschäden, eine derart schnelle Transformation vor sich gehabt. Trotz allem lässt sich aber feststellen, dass wir schon viel Wissen haben und es Lösungen gibt. Aber eben nicht die eine pauschale Lösung für alle Probleme, wie es sich nicht nur die Politik häufig wünscht.
Architekt:innen und Ingenieur:innen müssen ehrlich und pragmatisch aufzeigen, was zu tun ist, und den Diskurs und auch die kritische Reflektion der kursierenden einfachen Antworten anstoßen. Trotz der Tatsache, dass Holz Kohlenstoff bindet – zumindest entspricht dies dem Stand der Wissenschaft –, werden wir uns nicht mit Holz aus der Klimakrise bauen können. Eine Kreislaufwirtschaft reduziert kurzfristig keine CO2-Emissionen. Natürlich geht es primär um Emissionen und nicht um Energie, aber auch eine emissionsfreie Energieerzeugung verbraucht Ressourcen (nicht zuletzt Fläche). Die Begrünung an die Gebäude zu erzwingen, ist ebenso teilweise eher Nachhaltigkeitsdekoration und weniger ein Beitrag zur Klimaadaption. Genauso wenig löst das Konzept der Schwammstadt nicht das jahrzehntelange Wassermissmanagement in unseren Städten. Der Glaube, dass eine energetische Sanierung der Hälfte des Bestands bis 2030 funktionieren kann und die Emissionen des Bestands signifikant reduziert, ist aus unterschiedlichen Gründen naiv und würde ganz nebenbei zu einer Vernichtung von Baukultur führen.
Man fragt sich,
wieso die Bundesrepublik Maßnahmen fördert und nicht das Ergebnis.
Die zentrale Herausforderung der Industrienationen ist der Umgang mit dem Gebäudebestand. Die Tatsache, dass die Förderung der Bundesregierung für energieeffizientes Bauen kurzfristig eingestellt werden musste, zeigt einmal mehr den Irrweg, den man seit vielen Jahren beschritten hat, indem die Effizienz als einzige Maßnahme gesetzlich wie fördertechnisch im Fokus stand. Die Berechnung wiederum bezieht sich auf wenige vorkonfektionierte Maßnahmen. Man fragt sich, wieso die Bundesrepublik Maßnahmen fördert und nicht das Ergebnis. Nebenbei hat die Diskussion um die Förderung aber doch auch gezeigt, dass die Forderung nach Veränderung, Transformation oder gar Disruption, die uns von so vielen Vortragsbühnen entgegenschallt, und die resultierende Zustimmung des Publikums doch wohl bei vielen eher eine theoretische Denkaufgabe war. Denn der Aufschrei, der durch die Branche zog, als die Neubauförderung Nachhaltigkeitsaspekte und die Lebenszyklusbetrachtung eingefordert hat, war ja genau das Gegenteil von dem, was man doch eigentlich von vielen Akteuren und Organisationen erwartet hätte.
Wir sollten aufhören zu behaupten, dass es einfache Antworten gibt und v. a. sollten wir aufhören zu behaupten, dass es eine Antwort gibt oder eine neue Antwort braucht. Vielmehr ist ein Potpourri an Antworten vonnöten und bei vielen auch ein konsequentes Rückbesinnen auf Entwurfs- und Bauprinzipien, die sich über viele Jahrzehnte bewährt hatten und dann in kurzer Zeit durch technische Lösungen ausgetauscht wurden. Der Alnatura Campus in Darmstadt ist ein Beispiel, bei dem man sich auf alte Entwurfsprinzipien und Materialien fokussiert hat (Bild 1). Lüftet man den Schleier der Komplexität und versucht die Ansätze zu deklinieren, dann stellt man fest, dass es bezüglich der Nutzung von Gebäuden drei Stellschrauben gibt:
- Konsequente Reduzierung des Bedarfs an Energie durch passive Maßnahmen – dabei ist in Anbetracht des Klimawandels der sommerliche Wärmeschutz ebenfalls zu berücksichtigen
- Nutzung erneuerbarer Energiequellen in der Energieversorgung
- Nutzerverhalten einbeziehen, zum Mitmachen aktivieren (Suffizienz)
Grundsätzlich brauchen wir die Umstellung auf CO2 als Zielgröße in der Planung, der Entscheidungsfindung, der Gesetzgebung wie auch in den Förderprogrammen. In der Schweiz wird dies seit vielen Jahren erfolgreich umgesetzt. Es gilt, die Reduzierung der CO2-Emissionen zu fördern. Des Weiteren müssen wir die Themen doch endlich ganzheitlich anschauen und denken. Wir können auf der einen Seite nicht Klimaziele verfehlen und auf der anderen Seite pauschal den Neubau von 400.000 Wohnungen als Ziel einführen. Bauen ist komplexer. So besteht bspw. nicht nur bei modernen Bürogebäuden der sog. Performance Gap. Je nach Studie beträgt dieser zwischen 30 und 70 %. Das heißt, die modernen Bürogebäude brauchen für den Betrieb deutlich mehr Energie als notwendig. Immer mehr Gebäude werden mit viel Energieaufwand klimatisiert, ohne dass sich eine Nutzerzufriedenheit einstellt und ohne dass versucht wurde, über passive Strategien wie externen Sonnenschutz, Reduktion der Fensterflächen etc. eine Überhitzung zu vermeiden. Noch immer gibt es den Glauben an technische Lösungen. Dass dieser am Ziel vorbeigeht, zeigen wir in einer Studie über zwölf Schulen (Messungen und Umfragen). Die Schule von Theodor Fischer von 1898 hat nicht nur eine sehr gute Aufenthaltsqualität. Auch die Nutzerzufriedenheit ist im Vergleich zu modernen Gebäuden mit aufwendiger technischer Gebäudeausrüstung höher. Anstatt in Technik die Lösung für alle Probleme zu sehen, sollten wir die wirklich großen Hebel im Bestand anschauen. Zahlreiche Gebäude haben noch eine Einscheiben- oder Zweischeibenverglasung ohne Beschichtung. Ganz zu schweigen von den Millionen Gebäuden, die nur von einer Person bewohnt werden. Die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Wir aasen mit Energie, als ob es kein Morgen gäbe.
Wir aasen mit Energie, als ob es kein Morgen gäbe. Hier brauchen wir ein konsequentes Umdenken. Die Energiesparinitiative von Minister Habeck ist nur zu begrüßen; dass es hierfür den Konflikt braucht, ist mehr als tragisch! Wir müssen auch lieb gewordene Standards hinterfragen. Winterliche Raumtemperaturen von 22 bis 24°C im Wohnungsbau sind nicht nur unnötig, sondern führen auch zu trockener Luft, was wiederum die Gefahr einer Ansteckung mit Infektionskrankheiten erhöht. Noch immer gibt es Firmen mit einer Kleiderordnung, die eine Klimatisierung notwendig macht. Das ist nicht mehr zeitgemäß!
Hinsichtlich der grauen Energie brauchen wir klare Zielgrößen für die CO2-Emissionen der eingesetzten Bauprodukte in Neubau wie Sanierung. Das QNG-Siegel im Neubaubereich ist hierfür ein sinnvoller Einstieg: das Ziel des klimaneutralen Betriebs für alle Gebäude mit einem klaren Klimaschutzfahrplan und einer Verpflichtung zu Transparenz in Form eines konsequenten Monitorings aller geförderten Gebäude in Deutschland. Nur durch diese Transparenz werden wir wirtschaftlich wie auch planerisch in der Lage sein, die richtigen Lösungen zu identifizieren und den Fokus auf die Gebäude mit dem größten Potenzial zu legen. Das schafft Akzeptanz bei den Menschen, und v. a. kommen wir so den Klimaschutzzielen systematisch und am schnellsten näher.
Wir müssen jetzt sehr schnell ins Doing kommen, es gibt keine Ausreden mehr. Hierfür brauchen wir aber endlich das nötige Selbstbewusstsein der Baubranche, denn nicht jeder Trend macht im Bauen 1:1 Sinn. Digitalisierung ist bspw. ein Mittel zum Zweck und darf nicht zum Selbstzweck werden. Auch die Frage des zirkulären Bauens müssen wir ehrlich betrachten. Ein Gebäude ist keine Waschmaschine, und Kreislaufwirtschaft darf hier nicht zu kurzen Nutzungsdauern einladen. Allein die langen Nutzungsdauern und großen Materialmengen bedingen, dass wir im Sinne des Klimaschutzes für viel längere Nutzungsdauern von Materialien, Bauteilen und Bauprodukten und nicht zuletzt von Gebäuden sorgen müssen. Transportemissionen müssen ebenso in die Überlegungen eingehen wie die ehrliche Betrachtung der heutigen Stoffströme. Natürlich braucht es immer auch Leuchtturmprojekte und Forschung. Oftmals sollten wir aber alle erst mal Zeit investieren und recherchieren, was schon alles Gutes gebaut und erforscht wurde. Nur wenn wir endlich systematisch anfangen auf guten Beispielen und Prinzipen aufzubauen, werden wir die notwendige Umsetzungsgeschwindigkeit und v. a. die Skalierung realisieren können. Wir wissen schon sehr viel und neue Erkenntnisse müssen dieses Wissen verbessern und die Umsetzung für alle verbessern – und zwar JETZT!
Dr. Christine Lemaitre
DGNB Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, Stuttgart
Prof. Thomas Auer
Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart
TUM – Technische Universität München