Da für den Ingenieurbau besondere Rahmenbedingungen gelten, ist eine eigene Herangehensweise zur Erhöhung der Nachhaltigkeit erforderlich. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) eine grundsätzliche Forschungsstrategie erarbeitet. Der vorliegende Beitrag richtet den Fokus auf das Arbeitsprogramm des im November 2024 gestarteten Forschungsprojekts Bilanzierung ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken der Straßen , ergänzt um erste Überlegungen zur Nachhaltigkeit bei Ausschreibung und Vergabe.
1 Nachhaltigkeit ist mehr als die Vermeidung von CO2
Häufig wird Nachhaltigkeit gleichgesetzt mit der Vermeidung von CO 2 . Dieser Ansatz greift jedoch deutlich zu kurz. Ansonsten ließen sich die mit dem Ingenieurbau verbundenen Treibhausgasimmissionen innerhalb kürzester Zeit auf null reduzieren. Man müsste lediglich sämtliche Bau- und Erhaltungsmaßnahmen einstellen und das Ziel wäre erreicht. Allerdings würde sich dann der Zustand der Bauwerke stetig verschlechtern und es gäbe zunehmend Einschränkungen bei der Nutzung. Da jedoch auch in Zukunft der Bedarf besteht, Flüsse, Täler und andere Verkehrswege schnell und sicher queren zu können, ergibt sich die Notwendigkeit, mehr zu beachten als allein die Reduktion von Treibhausgasemissionen.
2 Alleinstellungsmerkmale bei Ingenieurbauwerken
Es existieren bereits zahlreiche Studien und Beispiele, wie mit dem Thema Nachhaltigkeit im Bauwesen umgegangen werden kann. Diese lassen sich jedoch nicht ohne Weiteres auf den Ingenieurbau übertragen, da hier besondere Rahmenbedingungen gelten:
- Öffentliche Vergabe: Ingenieurbauwerke werden i. d. R. von der öffentlichen Hand vergeben, sodass ein Zertifizierungssystem lediglich begrenzt einsetzbar ist – stattdessen kann die Nachhaltigkeit direkt im Rahmen von Vergabekriterien berücksichtigt werden.
- Lebensdauer: Ingenieurbauwerke werden für eine gegenüber anderen Bauwerken vergleichsweise hohe Lebensdauer von ca. 80 Jahren konzipiert. (Wenn die in den 1960er- und 1970er-Jahren errichteten Straßenbrücken die geplante Lebensdauer nicht erreichen, liegt dies meist weniger an planerischen Defiziten, sondern v. a. an der extremen Zunahme des Straßengüterverkehrs, was seinerzeit nicht vorhersehbar war.)
- Verkehr: Sowohl Erhaltungsmaßnahmen als auch Ersatzneubau müssen in aller Regel unter möglichst uneingeschränkter Aufrechterhaltung des Verkehrs erfolgen.
Damit diese Merkmale gebührend Berücksichtigung finden, ist eine eigene Herangehensweise zur Erhöhung der Nachhaltigkeit für Ingenieurbauwerke erforderlich.
3 Forschungskonzept – Klimaneutrales und ressourcenschonendes Bauen und Betreiben von Ingenieurbauwerken
Die BASt hat eine grundsätzliche Strategie erarbeitet, welche Forschungsaktivitäten in welcher Reihenfolge in den kommenden Jahren durchgeführt werden sollten [1]. Dabei handelt es sich um eine agile Strategie, sodass auf aktuelle Erkenntnisse und Ergebnisse auch entsprechend reagiert werden kann. Es leitet sich ein Arbeitsprogramm ab, das sich von der Erstellung des Forschungskonzepts bis zur Entwicklung der Umsetzungsstrategie erstreckt (Bild 1).
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4 Projekt FE 15.723/2024/RRB: Bilanzierung ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken der Straßen
Die BASt hat im 4. Quartal 2024 ein großes Forschungsprojekt zu dieser Thematik vergeben. Im Rahmen dieses Projekts soll eine Vorgehensweise bzw. ein Werkzeug zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsbilanzierung bei Ingenieurbauwerken, insbesondere bei Brücken, der Bundesfernstraßen entwickelt werden [2].
Das Projekt teilt sich in mehrere Projektschritte auf (Bild 2): Auswahl der relevanten Indikatoren der Nachhaltigkeitsbilanzierung, Erstellung eines Tools zur Ermittlung der Indikatoren, die Zusam menführung der Indikatoren und Vorschläge zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsbilanzierung.
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Die Auswahl der relevanten Indikatoren erfolgt unter Abstimmung mit der Fachöffentlichkeit und strebt eine Fokussierung auf wenige signifikante Indikatoren an. Entscheidend bei der Auswahl der Faktoren sind die vorhandene Datengrundlage, die Berechnungsgrundlagen und der Impakt der Indikatoren zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsbilanz.
Das im Projekt zu entwickelnde Tool stellt eine Umsetzung der Ermittlung der Indikatoren dar, es soll die Verknüpfung zwischen den Datengrundlagen, Berechnungen und Indikatoren erstellt werden. Weiterhin soll das Tool sowohl die einzelnen Lebenszyklusphasen wie Planung, Bau, Betrieb und Rückbau als auch die verschiedenen ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekte betrachten. Als Grundlage für die Daten sind neben den bekannten Datenbanken wie ÖKOBAUDAT auch die Informationen zur Erhaltung der Ingenieurbauwerke, wie Erneuerungszyklen, und die Potenziale der Digitalisierung zu beachten. Beispielsweise können dreidimensionale Modelle genutzt werden, um Massen und Materialien exakt auszuwerten.
Im nächsten Schritt ist die Zusammenführung der Indikatoren zu beleuchten, hierbei können neben der Monetarisierung der Indikatoren auch qualitative Bewertungen herangezogen werden.
Der letzte Schritt ist die Umsetzung in die Praxis, hierbei sind unterschiedliche Vorgehensweisen denkbar:
- Die Einführung von zusätzlichen Nachweisen und Nachweisformaten, die im Rahmen der Planung erfüllt bzw. durchgeführt werden müssen. Diese zusätzlichen Nachweisformate für die Nachhaltigkeitsaspekte Ökologie, Ökonomie und Soziales sind in Analogie zu den Bemessungsnachweisen wie Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit etc. durchzuführen.
- Die Integration von Nachhaltigkeitsindikatoren in Vergabeverfahren; hierfür müssen Bewertungsmethoden definiert werden, auf deren Basis verschiedene Varianten bzw. Angebote vergleichend gegenübergestellt werden können.
- Die Schaffung von Anreizsystemen, die eine Förderung von technischen Innovationen ermöglichen.
- Die Anpassung von bestehenden Regelwerken oder die Erstellung neuer Regelwerke, sodass nachhaltigkeitsbezogene Aspekte stärker in den Prozessen der Planung und Ausführung sowie in der Nutzungsphase berücksichtigt werden.
Im Ergebnis soll das Projekt eine Umsetzung der Nachhaltigkeitsbilanzierung für Ingenieurbauwerke in Deutschland ermöglichen und dies anhand von praxisnahen Beispielen belegen. Dieses dient der Politik und der Forschung als Grundlage zur Umsetzung, damit die Nachhaltigkeitsziele in Deutschland auch für den Verkehrs- und Bausektor erreichbar werden.
5 Nachhaltigkeit bei Ausschreibung und Vergabe
Noch ist nicht abzusehen, in welcher Form das Thema Nachhaltigkeit bei der Ausschreibung und Vergabe zukünftiger Projekte einfließen wird. Die im Rahmen des vorgestellten Projekts zu erarbeitenden Werkzeuge sind grundsätzlich für verschiedene Ansätze geeignet. Die Bundesanstalt für Straßenwesen befürwortet einen Ansatz, der auf dem Prinzip von Nachweisverfahren basiert. Analog zu den üblichen Bemessungsnachweisen wie Tragfähigkeit, Gebrauchstauglichkeit oder Ermüdungssicherheit wären zusätzlich Nachhaltigkeitsnachweise zu führen, also unter Beachtung ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Aspekte. Während das FE-Projekt die Werkzeuge für die Bilanzierung liefert, liegt die Bewertung in den Händen der Politik, die schließlich über die Vorgaben mit den zu erreichenden Zielgrößen entscheidet.
6 Fazit
Das Thema Nachhaltigkeit ist inzwischen auch bei den Ingenieurbauwerken angekommen. Die BASt hat ein entsprechendes Forschungskonzept entwickelt und ist nun dabei, die einzelnen Bausteine mit Leben zu füllen. Das erste und grundlegende Projekt widmet sich der Nachhaltigkeitsbilanzierung von Straßenbrücken. Somit werden in absehbarer Zeit geeignete Werkzeuge für die Nachhaltigkeitsbilanzierung von Ingenieurbauten zur Verfügung stehen. Um diesen Weg erfolgreich beschreiten zu können, ist die BASt auf den Input von allen Beteiligten angewiesen und offen für Feedback und Anregungen.
Literatur
- Nieborowski, S.; Friedrich, H.; Anastassiadou, K.; Hindersmann, I.; Staub, S.; Kempkens, E. (2024) Forschungskonzept – Klimaneutrales und ressourcenschonendes Bauen und Betreiben von Ingenieurbauwerken . Internes Dokument.
- Zinke, T.; Hajdin, R.; König, M.; Müller, M. (2024) Bilanzierung ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Aspekte der Nachhaltigkeit von Ingenieurbauwerken der Straßen . Unveröffentlichtes Angebot zu FE 15.723/2024/RRB.
Autor:innen
Dr. Iris Hindersmann, hindersmann@bast.de
Dr. Kalliopi Anastassiadou, anastassiadou@bast.de
Dr. Heinz Friedrich, friedrich@bast.de
Dr. Carl Richter, richterc@bast.de
Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach
www.bast.de