Zeit für Klimaresilienz statt Klimaschutz?

Im vergangenen Jahr wurde vermutlich erstmals die 1,5-Grad-Erderwärmung überschritten und die Paris-Ziele rücken in immer weitere Ferne. Dass wir in Mitteleuropa daran auch künftig alleine wenig ändern können, lässt sich für die, die es einfach mögen, ob unseres geringen Anteils an den aktuellen Treibhausgasemissionen sehr eingängig vorrechnen, quasi mit einem Dreisatz. Dann wird es aber auch höchste Zeit, dass wir uns mit dem Unabänderlichen abfinden, unsere Kraft nicht weiter mit sinnlosem Klimaschutz vergeuden und uns einfach auf Klimaresilienz fokussieren, oder?

Vielleicht ist es doch nicht so einfach. Die Komplexität des Themas spiegelt sich bereits in den Begriffen wider. Klimaschutz meint insbesondere Maßnahmen zur Begrenzung der globalen Erwärmung, also v. a. zur Verringerung der durch menschliches Handeln verursachten Treibhausgasemissionen. Und Klimaresilienz zielt andererseits primär darauf ab, die Menschen vor den Auswirkungen des sich wandelnden Klimas zu schützen sowie Schäden möglichst zu vermeiden. Denn Extremwetterereignisse verursachen auch in Europa enorme Schäden, werden in Zukunft häufiger auftreten und zwingen uns zu Vorsorge und Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Darum muss auch die Anpassungsfähigkeit von Gebäuden und Bauwerken erhöht werden.

Die Vorstellung jedoch, wir bräuchten nur die Gebäude ein bisschen widerstandsfähiger zu machen und die Brücken etwas höher, ist zu einfach und wird weder den bereits einsetzenden Klimaänderungen noch den damit verbundenen globalen Herausforderungen gerecht. Höhere Durchschnittstemperaturen bedeuten eben nicht nur mehr Stürme, Hochwasser oder Hitzeperioden, sondern bspw. auch Verschiebung von Vegetationszonen mit oft nur abschätzbaren Folgen für die weltweite Nahrungsmittelversorgung oder die Bewohnbarkeit ganzer Regionen und Länder. Vielleicht kommen wir dabei in Mitteleuropa etwas glimpflicher davon als andere Regionen. Aber können wir uns auf Dauer massiveren globalen Negativentwicklungen wirklich entziehen? Werden entsprechende Veränderungen des Welthandels oder Flüchtlingsströme nicht ebenso Auswirkungen auf uns haben?

Die Vor­stellung, wir bräuchten nur Gebäude ein bisschen widerstandsfähiger und Brücken etwas höher machen, ist zu einfach

Klimagerechtes Bauen: Wege zur resilienten Architektur von morgen war das erste Leitthema der diesjährigen BAU Messe. Doch was bedeutet klimaresilientes oder – vielleicht umfassender formuliert – klimagerechtes Bauen für Infrastruktur, Gebäude und Quartiere? Wie müssen Bauwerke beschaffen sein, um dem Klimawandel und seinen direkten Folgen standhalten zu können? Sicher eine Frage für alle am Bau Beteiligten und nicht nur ein Thema für Gesetze und Richtlinien.

Und wie so oft sind ernsthafte und langfristig tragbare Antworten weder simpel noch schwarz-weiß ernsthaft denkbar; eine ganzheitliche Betrachtung klimagerechten Bauens ist naheliegend. Gemeint ist, unsere gebaute Umwelt so zu planen, zu bauen und zu betreiben, dass diese möglichst geringe negative Auswirkungen auf das Klima hat und gleichzeitig möglichst resilient gegenüber Klimaveränderungen ist. Also nicht Klimaresilienz statt Klimaschutz, sondern natürlich beides zusammen.

Dabei sind wir, anders als in populistischen Diskussionen gerne suggeriert, keineswegs führend in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit, eher vorderes Mittelfeld. Aber wir haben noch immer einen lösungsorientierten Ruf in der Welt sowie vielleicht auch die Fähigkeiten und damit auch den Hebel, doch den Unterschied ausmachen zu können mit Konzepten und Lösungen, die übertragbar und skalierbar sind. Und historisch gesehen gehören wir eben auch zu den in Summe maßgeblichen Emittenten. Werden wir doch unserer damit verbundenen Verantwortung gerecht und stellen uns proaktiv der komplexen Aufgabe klimagerechtes Bauen – mit Augenmaß und sozialer Verantwortung.

Bernhard Hauke
nbau Chefredakteur

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