Wechsel zur CO2-Lebenszyklusbilanz für technologieoffene und wirtschaftliche Lösungen bei Neubau und Bestandssanierung
Das Heizen in Deutschland muss nicht nur klimafreundlicher werden, sondern auch langfristig für alle bezahlbar bleiben. Bisher basiert die Wärmeversorgung der meisten Gebäude auf fossilen Brennstoffen. Dies verursacht einen sehr großen Teil unserer Treibhausgasemissionen. Der Preis pro ausgestoßener Tonne CO2 wird steigen – bei uns wie in vielen anderen Ländern der Welt. Deshalb sollten wir unsere Wärmeversorgung schnellstmöglich umstellen. Das ist das Ziel des in dieser Legislaturperiode novellierten Gebäudeenergiegesetzes (GEG).
Die Gas-Knappheit, in die wir durch den russischen Angriff auf die Ukraine gerieten, hat uns zusätzlich vor Augen geführt, wie wichtig es ist, uns von ausländischen Rohstoffen unabhängiger zu machen. Insofern ist das Ziel, CO2 in Gebäuden zu sparen, absolut richtig. Es sollte sich aber auch rechnen. Wer also Gesetze mit Folgekosten entwirft und Steuergeld in Förderprogramme verwandelt, sollte die wichtigsten Grundlagen der Ökonomie kennen. So gibt es das Phänomen des abnehmenden Grenzertrags, wonach höhere Investitionen ab einem bestimmten Punkt nicht mehr im gleichen Maße zu steigenden Erträgen führen.
Mit dem seit 1. Januar 2023 geltenden EH-55-Standard haben wir diesen Punkt des Grenzertrags beim Neubau von Gebäuden aus meiner Sicht erreicht. Schärfere Standards brächten nur noch einen vergleichsweise geringen Zuwachs an Energieeffizienz, führten aber zu einem deutlich höheren (Kosten-)Aufwand, z. B. infolge höherer Dämmung oder zusätzlicher Gebäudetechnik. Ein bisschen mehr Klimaschutz würde also sehr viel mehr kosten – sowohl für Eigentümerinnen als auch für Mieter. Deshalb haben wir von einer Erhöhung des Effizienzstandards auf EH 40 zum 1. Januar 2025 abgesehen.
Um bis 2045 klimaneutral zu werden, brauchen wir natürlich energieeffiziente Neubauten. Insofern war die Einführung des EH-55-Standards im Neubau ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Um innerhalb der nächsten 20 Jahre auf Netto-Null zu kommen, reichen effiziente Neubauten aber bei Weitem nicht aus. Sie machen nur einen kleinen Anteil des gesamten Gebäudebestands aus. Millionen Gebäude, die schon da sind, sollen ebenfalls klimaneutral werden. Da aber nicht alle dieser Bestandsgebäude energetisch saniert werden können, ist es umso wichtiger, die Energie- und Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen.
Bei der Sanierung von Bestandsgebäuden müssen wir uns auf Gebäude konzentrieren, die eine dauerhafte Nachnutzungsperspektive haben. Dazu gehören auch öffentliche Gebäude wie z. B. Schulen, die oft einen hohen Sanierungsstau und Energieverbrauch aufweisen. Den Gebäuden im Eigentum der öffentlichen Hand kommt eine besondere Vorbildfunktion zu.
Den gesetzlichen Rahmen für die Modernisierung des Heizens – inkl. Förderprogramme – hat die Bundesregierung mit der Novellierung des GEG und dem Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze (WPG) geschaffen. Beide Gesetze sind eng aufeinander abgestimmt: Erst planen die Kommunen, wie und mit welcher Technologie (z. B. Fernwärme, Geothermie …) die Wärmeversorgung im Gemeindegebiet zukünftig treibhausgasneutral werden soll. Nachdem die Kommune die Planung einschließlich der Festlegung der Wärmequelle beendet hat, also ab Mitte 2026 in größeren bzw. ab Mitte 2028 in kleineren Kommunen, gelten die neuen Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes zum erneuerbaren Heizen (mit Ausnahme von Neubaugebieten, die komplett aus dem Boden gestampft werden). Plant die Kommune in bestimmten Gebieten eine dezentrale Versorgung, können die Eigentümer für sich entscheiden, mit welcher Technologie (Wärmepumpe, Pellet …) das Gebäude in Zukunft geheizt wird. Das schafft für Bauherren und Eigentümer Planungs- und Investitionssicherheit bei der Entscheidung, auf welche klimafreundliche Wärmeversorgung sie umsteigen können.
Rund ein Drittel der Kommunen in Deutschland hat inzwischen mit der Erstellung eines Wärmeplans begonnen. Bei Neubauten werden mittlerweile schon in vier von fünf Wohngebäuden erneuerbare Energiequellen genutzt – insbesondere durch Wärmepumpen. Das ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll angesichts steigender CO2-Preise.
Vor diesem Hintergrund sind Forderungen nach einer kompletten Abschaffung des GEG, wie sie z. T. erhoben werden, ein Fehler. Die Abschaffung wäre nicht nur kontraproduktiv im Hinblick auf die Klimaziele im Gebäudebereich. Sie würde auch zu massiven Preissteigerungen für diejenigen führen, die weiterhin mit Öl oder Gas heizen. Denn der Preis des europäischen Emissionshandelssystems ETS für fossile Brennstoffe wird in den nächsten Jahren massiv steigen. Und sie dürfte auch am EU-Recht scheitern, da weite Teile des GEG bereits seit Jahren geltende Vorgaben der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) umsetzen. Zudem müssen in der nächsten Legislaturperiode die umfassenden Vorgaben der neuen EPBD umgesetzt werden. Eine Rolle rückwärts in der Klimapolitik wäre also weder ökonomisch sinnvoll noch machbar.
Das GEG sollte allerdings weiterentwickelt werden, damit es die besten Lösungen ermöglicht und keine unnötige Bürokratie schafft. In seiner jetzigen Form ist es an einigen Stellen zu kleinteilig, macht zu viele Detailvorgaben, die einfaches und kostengünstiges Bauen behindern. Auch bei den Pflichten gibt es Optimierungspotenzial. Das GEG muss hier praxistauglicher werden. Wir arbeiten u. a. an Vereinfachungen im Bereich des Nachweisverfahrens.
Wir werden beim Klimaschutz nur dann vorankommen, wenn alle Sektoren ihren Beitrag leisten. Doch selbst wenn es in Deutschland quasi von heute auf morgen nur noch E-Autos und saubere Fabriken gäbe, würde dies allein nicht ausreichen. Dafür ist der CO2-Abdruck des Bau- und Gebäudesektors einfach zu groß. Deshalb brauchen wir eine umfassende klimafreundliche Modernisierung unserer Wärmeversorgung. Dies ist zweifellos eine Generationenaufgabe. Umso mehr gilt: Je früher wir sie angehen, desto besser für die Zukunft. Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, v. a. wenn man bedenkt, dass eine Heizungsanlage durchaus 20 Jahre oder länger betrieben werden kann. Eine Heizung, die heute eingebaut wird, sollte nicht auf den Energieträgern von gestern beruhen. Um den Prozess des Flottentauschs im Heizungskeller sozial abzufedern, sind im GEG zahlreiche Übergangs- und Ausnahmeregelungen vorgesehen.
Wichtig ist, dass es zusätzlich zu den gesetzlichen Anforderungen eine passgenaue Förderung gibt. Nicht jeder kann die damit verbundenen Kosten allein schultern. Deshalb sollte die Sanierungsförderung stärker sozial ausgerichtet werden. Eigentümerinnen und Eigentümer mit geringen Einkommen und Rücklagen sind auf Fördermittel für den Einbau einer klimafreundlichen und langfristig bezahlbaren Heizung angewiesen. Im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) wurde bereits ein Bonus für untere Einkommensgruppen etabliert, sodass bei der Umstellung auf erneuerbare Wärmeversorgung bis zu 70 % der Kosten übernommen werden. Diesen Weg gilt es weiterzugehen – auch bei Vermietern.
Ein zentraler Punkt des GEG ist bereits jetzt Technologieoffenheit. Die Vorgabe zum Heizen mit erneuerbaren Energien ist bewusst so gestaltet, dass Praktikerinnen und Praktiker beim Planen und Bauen den Spielraum haben, den sie brauchen, um für den Einzelfall die beste Lösung zu finden. Oft werden das verschiedene Formen der Wärmepumpe sein – von der Luft-Wasser-Wärmepumpe über Sole-Wasser-Wärmepumpen bis hin zu Wärmepumpen-Hybridheizungen. In Städten oder dicht bebauten ländlichen Gemeinden werden Nah- und Fernwärmenetze genutzt werden, die mit Abwärme aus Industrie oder Rechenzentren oder mit Tiefengeothermie gefüttert werden können. Aber auch Biomasseheizkessel, Stromdirektheizungen oder Gas-Brennwertkessel mit 65 % Biomethan oder Wasserstoff sind z. B. zugelassen.
Technologieoffenheit braucht es aber nicht nur beim Heizen und Kühlen, sondern insgesamt beim Bauen und Sanieren. Unsere Philosophie sollte sein, das Ziel zu definieren, aber nicht den Weg dorthin vorzuschreiben. Das gilt für das einfache und experimentelle Bauen im Sinne des Gebäudetyps E ebenso wie für die CO2-Bilanz im Gebäudesektor.
Bisher konzentrieren wir uns zu sehr auf die Energieeffizienz und die CO2-Emissionen in der Betriebsphase. Sinnvoller ist es, die CO2-Emissionen im Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten – vom Bau über den Betrieb bis hin zur Rückführung der Baustoffe in den Materialkreislauf.
Der Wechsel zur Lebenszyklusbilanz dürfte technologisch und wirtschaftlich optimale Lösungen für Neubau und Bestandssanierung beflügeln, bewährten natürlichen Baumaterialien wie Holz und Lehm zu einer Renaissance verhelfen und die Dekarbonisierung von Beton und Stahl vorantreiben.
Mit dem Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) hat das Bundesbauministerium den Lebenszyklusansatz in seine Fördersystematik integriert. Ein neues Bundesforschungszentrum für klimaneutrales und ressourcenschonendes Bauen soll neue Lösungen entwickeln und die Umsetzung in die Praxis beschleunigen.
In den kommenden Jahren wird es darum gehen, den CO2-Ausstoß im Lebenszyklus zum wichtigsten Maßstab beim nachhaltigen Bauen zu machen. In diese Richtung zielt auch die EU-Gebäuderichtlinie. Sie sieht für Neubauten zukünftig vor, das Lebenszyklus-Treibhauspotenzial zu berechnen und offenzulegen.
Dabei kommt es nun darauf an, technologische Offenheit und wirtschaftliche Freiheit mit sozialer Verantwortung zu verbinden. Ohne bezahlbaren Klimaschutz ist alles nichts! Denn nur, wenn die Lasten des Klimaschutzes gerecht verteilt sind, wird er langfristig von der Mehrheit der Gesellschaft mitgetragen.
Autor:in
Klara Geywitz, oeffentlichkeitsarbeit@bmwsb.bund.de
Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Berlin
www.bmwsb.bund.de
Lesen Sie auch den Meinungsbeitrag „Ein digitales Heizungsregister für eine smarte Wärmewende” von Thomas Heilmann, Vorsitzender KlimaUnion e. V. (Berlin) und Mitglied des Deutschen Bundestages.
Eine Übersicht zur aktuellen Diskussion um Energieverbrauch, Treibhausgasemissionen und Lebenszyklusbetrachtung lesen Sie im Editorial „Treibhausgas oder Energie?” von Dr. Bernhard Hauke, Chefredakteur nbau.