A4F konstruktiv

Was wirklich wichtig ist

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Was wirklich wichtig ist, lässt keine pauschale Antwort zu. Wichtig ist das, was die Zeit erfordert oder bereitet. Unsere Zeit ist geprägt von posthumanen Konflikten, globalisierten Problemen und erschöpften Narrativen.

Die Geschichte, welche die globale Ordnung der letzten Jahrhunderte dominiert hat, die der Moderne, des wissenschaftlichen Fortschritts, des wachsenden Wohlstands, der Mehrwertproduktion und des Triumphs der menschlichen Vernunft, hat ihr schon lange angekündigtes und nun unleugbares Plateau erreicht. Was die Marxsche Krisentheorie prognostiziert und der neoliberale Kapitalismus, sich ständig erneuernd, widerlegt hat, eröffnet ein neues Kapitel. Die weithin debattierte Abkehr vom Leitmodell der demokratisch-bürgerlichen Gesellschaft, von Bildung, Wohlstand, sozialem Aufstieg und gesellschaftlichem Fortschritt, deutet womöglich in der Tat auf eine resignative Verstimmung hin – nicht nur bei den offenkundig und zu Recht zornigen, frustrierten und verzweifelten Leuten der weniger Privilegierten, sondern auch in den Trends auf YouTube und Instagram lässt sich dies erahnen. Die Vanlifer der letzten Jahre kaufen inzwischen Häuser von Schweden bis Sizilien, renovieren diese von oben bis unten in eifriger Eigenleistung und das auf Teilzeitstellen- und Affiliate-Links-Einkommen. Keine fundamental andere Lebensform als der bürgerliche Einfamilienhausbau, der Eigentumswohnungskauf oder die gegengesellschaftlichen Ökodorf-Bewegungen. Doch das ­Narrativ ist ein etwas anderes. Die minimalistische Mit-Weniger-glücklich-sein-Mentalität scheint keinen proaktiven Gesellschaftsentwurf mehr zu enthalten. Der Individualismus hat sich durchgesetzt, eine gewisse Apathie könnte man diagnostizieren. „Keiner will mehr arbeiten, keiner mehr Verantwortung übernehmen“, schallt es aus allen Ecken. Doch das würde der Wahrheit nicht gerecht. Die Leute wissen, was ihnen wichtig ist: ein gutes Leben, Zeit für die schönen Dinge, persönliche Erfüllung. Auch soziale und ökologische Gerechtigkeit ist in vielen Kreisen, gerade bei den Jüngeren, wie die Wahlerfolge von Volt und Kleinparteien sowie der AfD zeigen, von Bedeutung. Diese erzählen ja immerhin auch eine Idee der besseren Welt. Nur eben nicht für alle. Die Erfolgsgeschichte der fortschreitenden Zivilisation verpasst es einfach, ihr Versprechen einzulösen, und grüne Transformationsentwürfe haben auch lange ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Dank der globalen Vernetzung lassen sich Missstände nicht mehr verschleiern, und das dogmatische Festhalten an Partikulartugenden ist nicht mehr glaubhaft propagierbar. Architektur hat ebenso wenig mehr eine Geschichte von Aufbruch und Neuanfang zu erzählen wie die harten Wissenschaften oder revolutionäre Ideologien. Jeder weiß oder ahnt inzwischen, dass nicht mehr, sondern weniger gemacht werden muss. Nicht Innovation ist mehr gefragt, ­sondern Integration. Doch wie immer darf es auch an fundiertem Optimismus nicht mangeln. Forschungsfelder, die ebenjene inte­grativen Ansätze fokussieren, wie die Earth System Sciences oder Kognitionswissenschaften, verbinden Erkenntnisse bewährter Disziplinen, um vorhandene Blindspots zu identifizieren und ganzheitliche Betrachtungen bereitzustellen. Diese ermöglichen, positive tipping points [1] in Aussicht zu stellen, ab welchen ebenjene exponentiellen Dynamiken, die die kaskadierenden Abwärtstrends in die Katastrophen vorantreiben, auch das Momentum aufbauen können, uns in eine lebenswerte Gegenwart zu katapultieren. Aber seien wir ehrlich zu uns selbst: Das wird unbequem und das muss es vielleicht auch sein.


Literatur

  1. Lenton, T. M. (2020) Tipping positive change. Philosophical Transactions of the Royal Society B 375, No. 1794, 20190123. https://doi.org/10.1098/rstb.2019.0123

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