Nachhaltigkeit im Bauwesen

Eine ganzheitliche Betrachtung

Die Baubranche verursacht hohe CO2-Emissionen, ein hohes Abfallaufkommen und einen hohen Flächenverbrauch. Es bieten sich aber auch Möglichkeiten für mehr Ressourcen- und Energieeffizienz. Diese Chancen liegen u. a. im zirkulären und klimaneutralen Bauen. Dabei sollte die komplette Lieferkette bis zur Entsorgung bzw. bis zum Rückbau eines Gebäudes mit berücksichtigt werden.

1 Einleitung

Eine Umsetzung von Nachhaltigkeit im Bauwesen hat viele Facetten, wird aber oft lediglich mit einer Reduktion von CO2-Emissionen verbunden. Diese sind auch sehr relevant, denn die Baubranche ist für ca. 40 % der globalen CO2-Emissionen verantwortlich (World Green Building Council [1]), jedoch gibt es weitere nachhaltigkeitsrelevante Herausforderungen, die ebenfalls bei einer ganzheitlichen Betrachtung zu berücksichtigen sind. Die Baubranche ist bspw. laut Statistischem Bundesamt [2] der größte Müllproduzent in Deutschland, denn Bau- und Abbruchabfälle machen über die Hälfte der jährlichen Abfallmenge aus. Der Deutsche Städtetag kommt zudem in seiner Handreichung Nachhaltiges und suffizientes Bauen in den Städten [3] zu dem Ergebnis, dass Neubauten für rd. 70 % des jährlichen Flächenverbrauchs verantwortlich sind.

Die Baubranche ­gehört zum wichtigsten Wirtschaftszweig, wenn es um die Erreichung der Klimaziele geht

Neben diesen Herausforderungen gibt es jedoch Lösungen, die in diesem Essay aufgezeigt werden. Laut World Green Building Council [1] hat der Gebäudesektor eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise, denn ein nachhaltiges Bauen sei eine kosteneffiziente Möglichkeit und stelle einen wesentlichen Hebel zur Eindämmung des Klimawandels dar. Damit gehört die Baubranche zum wichtigsten Wirtschaftszweig, wenn es um die Erreichung der Klimaziele geht. Klimaneutrales und zirkuläres Bauen ist bereits heute möglich. Auch das Sanieren bestehender Bauten ist wichtig. Für eine Dekarbonisierung im Gebäudebereich gibt es bereits einige vielversprechende Ansätze. Weitere Potenziale liegen bei den eingesetzten Baumaterialien, betreffen aber auch die komplette Lieferkette.

Eine ganzheitliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeit ist zudem für eine Energiewende unabdingbar. Schon bei der Planung von Bauten sollte auf Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit geachtet werden. Doch was heißt der Begriff Nachhaltigkeit? Dies soll im folgenden Abschnitt erläutert werden.

2 Was heißt Nachhaltigkeit?

Es gibt für den Begriff Nachhaltigkeit im deutschen Sprachraum keine allgemeingültige Definition. Die bis heute am häufigsten zitierte Definition ist die aus dem sog. Brundtland-Report (Barbian [4], S. 7), worin unter Nachhaltigkeit eine Entwicklung verstanden wird, die „den Bedürfnissen der heutigen Generationen entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“ (Hauff [5], S. XV).

Das Konzept der Nachhaltigkeit (Bild 1) berücksichtigt hierbei fünf Kernelemente (Mensch, Umweltschutz, Generationengerechtigkeit, Ganzheitlichkeit, Langfristigkeit) und baut auf den drei Säulen Ökologie, Soziales und Ökonomie auf. Mittlerweile hat sich die Sichtweise auf das Drei-Säulen-Konzept geändert. Viele Unternehmen sehen die Notwendigkeit, den Umweltschutz über alle anderen Ziele zu stellen. Seit etwa zehn Jahren hat sich daher das sog. Vorrangmodell (auch Nested Circles oder Nested Dependencies) gebildet. In diesem Ansatz sind wirtschaftliche Aktivitäten von der Gesellschaft (soziale Ziele) und von der Umwelt (ökologische Ziele) abhängig (Senge et al. [6]).

Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen auf einer Generalversammlung die Agenda 2030 (auch: SDGs, Sustainable Development Goals, 17 Ziele, Nachhaltigkeitsziele) beschlossen (Bild 2). 193 Länder bekannten sich zu den 17 Zielen mit den 169 Unterzielen und haben seitdem nationale Entwicklungspläne erstellt. Die Agenda 2030 gilt für alle Länder der Welt und soll bis zum Jahr 2030 umgesetzt werden. Darin sind die sog. fünf Ps (People, Planet, Prosperity, Peace, Partnerships) enthalten.

Mittlerweile besteht ein Konsens, dass die Erfüllung aller 17 Nachhaltigkeitsziele notwendig ist, um eine Nachhaltigkeit auf allen Ebenen zu erreichen. Die Umsetzung aller Ziele ist sicherlich sehr ambitioniert, aber letztendlich kommt hiermit die Ganzheitlichkeit der Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung zum Ausdruck und sollte von allen Branchen – so auch von der Braubranche – umgesetzt werden. Es geht sicherlich auch nicht darum, alle Ziele auf einmal umzusetzen. Eine Fokussierung auf für die Baubranche wesentliche Ziele ist ausreichend.

Betrachtet man die Herausforderungen CO2-Emissionen, Abfallaufkommen und Flächenverbrauch, so gehören zu den wesentlichen Zielen:

  1. SDG 7: Bezahlbare und saubere Energie
  2. SDG 12: Nachhaltiger Konsum und Produktion
  3. SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz
  4. SDG 15: Leben an Land

Auch wenn die 17 Ziele bereits im Jahr 2015 beschlossen wurden, so sind diese nach wie vor wenig bekannt. Viele dieser Ziele beziehen sich explizit auf unsere Natur und zeigen die Notwendigkeit einer intakten Umwelt für das Überleben der Menschheit. Vor allem der Boden als wichtigste lebenspendende Grundlage für den Anbau von Lebensmitteln, aber auch als Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, braucht unseren besonderen Schutz, daher sollte der hohe Flächenverbrauch in der Baubranche reduziert werden.

Auch wenn die Zerstörung der Umwelt und eine damit verursachte Klimaveränderung bereits fortgeschritten ist, so sind mehr denn je Unternehmen sensibilisiert und die Möglichkeiten gerade im Bausektor sind gegeben, um eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit zu erreichen.

Diese Transformation betrifft die komplette Lieferkette der eingesetzten Baumaterialien (von Entstehung und Abbau über Verarbeitung und Einsatz in Bauten bis zur Entsorgung der Materialien). Die eingesetzten Baustoffe sollten nachhaltig sein. Was man darunter versteht, wird im folgenden Abschnitt erläutert.

3 Nachhaltige Baustoffe

Die Komplexität der Umsetzung von Nachhaltigkeit im Bauwesen spiegelt sich ebenfalls bei den Baustoffen wider. Im Folgenden werden einige Beispiele aufgeführt, um zu zeigen, wie vielseitig dieses Thema ist.

Eine Nachhaltigkeit lässt sich durch die Verwendung von natürlichen Materialien realisieren. Hier unterscheidet man zwischen nachwachsenden und endlichen Rohstoffen. Bei den endlichen natürlichen Baustoffen sind Natursteine wie Basalt, Marmor, Ziegel, Granit, Sandstein, Schiefer, Travertin und Kalkmauersteine zu nennen [7]. Auch Lehm kommt bspw. im Hausbau zum Einsatz.

Zu den nachwachsenden Baustoffen gehören Tierhaare wie Schurwolle, welche wie Hanf oder Holzfasern als Baustoff u. a. in der Wärmedämmung von Häusern verwendet werden. Auch beim Einsatz von Farben und Lacken können viele natürliche Materialien wie pflanzliche Farbpigmente, Baumharze, Wachse, Öle oder Fette eingesetzt werden. Weitere nachwachsende Baustoffe sind außerdem Pappe, Stroh, Bambus und generell alle Pflanzen. Im Speziellen sind dies Pflanzen für Fassaden- oder Dachbegrünungen. Ganz wichtig ist hier gerade in Zeiten des Klimawandels die temperaturregulierende Wirkung von Pflanzen. Bei der Verwendung ist allerdings ebenfalls auf eine Nachhaltigkeit zu achten. Das bedeutet, dass pestizidfreie Pflanzen bevorzugt, Pflanzen aus Monokulturen vermieden sowie regionale, klimaangepasste und trockenresistente Pflanzen eingesetzt werden sollten. Bei der Pflege der Pflanzen sollte auf eine Insektenfreundlichkeit geachtet werden. Dies heißt, dass die Pflanzenpflege ohne Kunstdünger oder chemische Schädlingsbekämpfung erfolgen sollte.

Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von regionalen Baustoffen. Die Regionalität führt dazu, dass wegen der kurzen Transportwege enorme CO2-Emissionen eingespart werden können. In der Regel erfolgt die Distribution von Baumaterialien über den Lkw-Transport, der sich bei regionalen Baustoffen verkürzt. Da über die Transportwege CO2-Emissionen entstehen, sollte beim Bauen – wenn möglich – auf regionale und kreislauffähige Rohstoffe zurückgegriffen werden. Beim Versenden von Materialien führen eine klimafreundliche Lieferung und umweltfreundliche Verpackungen zu mehr Nachhaltigkeit. Es sollte zudem darauf geachtet werden, dass die eingesetzten Materialien umweltfreundlich entsorgt werden können.

Der Baustoff Beton steht in der Kritik, daher wird derzeit nach nachhaltigen Alternativen gesucht. Diese befinden sich jedoch noch im Forschungsstadium oder in der frühen Einsatzphase. Hanfbeton besteht z. B. aus Hanffasern, die mit Kalk gemischt werden. Dieser wird als Putz, Wandverkleidung, Estrich und für Bedachungen eingesetzt. Hanfbeton ist leichter als Beton und Hanf wächst schnell nach.

Eine weitere Betonalternative ist Neolith. Dieses ist mit der NASA entwickelt worden und soll zu 100 % aus natürlichen Materialien bestehen. Es ist beständig gegenüber Temperaturveränderungen und schmutzabweisend. Weiterhin wird die Innenluft von Gebäuden von feinen Partikeln und anderen Schadstoffen gereinigt. Neolith sorgt für eine zusätz­liche Wärmedämmung, was zu einer Energieeinsparung führt.

Auch das Bauen mit dem schnell wachsenden Pilz Myzel stellt eine Alternative zu Beton dar. Der Rohstoff Myzelium wird mit Holzspänen, Getreidehalmen oder anderen Abfällen vermischt und als Mauerziegel für Fassaden verwendet. Allerdings gibt es hierzu noch kaum Erfahrungswerte und es bleibt abzuwarten, inwiefern sich diese Art von Bauen auch tatsächlich auf den Märkten durchsetzen wird.

4 Nachhaltigkeit im Bauwesen – einige Umsetzungsmöglichkeiten

Eine Nachhaltigkeit im Bauwesen lässt sich umsetzen, wenn man sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (s. Bild 2) orientiert bzw. sich auf die vier ­wesentlichen Ziele konzentriert (Maßnahmen zum Klimaschutz, Energieeffizienz, Kreislauffähigkeit, Bodenschutz), um die Herausforderungen im Bauwesen (hoher CO2-, Rohstoff- und Flächenverbrauch) zu meistern.

Daher liegt der Schwerpunkt in den folgenden Abschnitten auf den Themen Zirkularität, Energieeffizienz und Gebäudebegrünungen. Alle drei haben einen enormen Hebel zur Senkung der CO2-Emissionen und zur Einsparung von Rohstoffen im Bauwesen.

4.1 Kreislaufwirtschaft zur Ressourcenschonung – Zirkuläres Bauen

Zirkuläres Bauen bedeutet das Schaffen von geschlossenen Kreisläufen bei den Materialien in der Bauwirtschaft.

Würden wir das ­Recycling auf 15 % nahezu verdoppeln, könnten bis zu 40 % der globalen Treib­hausgasemissionen reduziert werden

Laut Circle Economy [8] ist die Welt nur zu 7,2 % zirkulär. Das bedeutet, dass mehr als 90 % der Materialien entweder verschwendet werden, verloren gehen oder nicht wiederverwendet werden. Würden wir das Recycling auf 15 % nahezu verdoppeln, könnten bis zu 40 % der globalen Treibhausgasemissionen reduziert werden. Strategien der Kreislaufwirtschaft sind damit essenziell, um die Klimakrise einzudämmen. Die jährlichen CO2-Emissionen, die mit der Herstellung neuer Produkte aus Primärrohstoffen verbunden sind, können durch die Anwendung von Kreislaufwirtschaftsstrategien vermieden werden.

Eine Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft hat zudem weitere positive Effekte für den Umwelt- und Klimaschutz. Einerseits kommt es zu einer Reduktion des Abbaus von Rohstoffen, andererseits zu einer Reduzierung des Abfallaufkommens. Die Voraussetzungen für Zirkularität im Bausektor sind gegeben, wenn man bei der Planung von Bauten bereits auf die Recyclingfähigkeit der Baumaterialien achtet und sich die Frage stellt, was mit den Materialien am Ende des Gebrauchszyklus geschieht. Es gibt bereits Bauten, bei denen recycelte Baumaterialien eingesetzt wurden. Dies können z. B. alte Dachziegel oder alte Mauersteine sein.

Bei der Kreislauffähigkeit gibt es viele verschiedene Aspekte, die in Bild 3 dargestellt sind. Hier ist zu erkennen, dass eine Kreislaufwirtschaft auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette ansetzt.

Bild 3 Kreislaufwirtschaft entlang der Wertschöpfung (von linear zu zirkulär)

Quelle: eco2050 Institut für Nachhaltigkeit (2024)
Bild 3 Kreislaufwirtschaft entlang der Wertschöpfung (von linear zu zirkulär)
Quelle: eco2050 Institut für Nachhaltigkeit (2024)

Man unterscheidet verschiedene Ansätze der Kreislaufwirtschaft. Verzicht und Reparatur stehen an erster Stelle und setzen beim Konsumenten an, gefolgt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung (Re-Use). Bei der Wiederverwendung werden Güter bzw. deren Bestandteile so aufbereitet, dass sie für den gleichen Zweck erneut eingesetzt werden können. Weitere Strategien betreffen den Produzenten. Dies sind Re-Manufacturing und Re-Furbishing (Überholung und Instandsetzung von Produkten zum Zweck der Wiederverwendung und -vermarktung). Dabei werden Teile eines Gebäudes in ein neues eingesetzt. Dies ist ebenfalls die dahinterstehende Philosophie beim modularen Bauen, bei dem gleiche Bauteile auch in anderen Gebäuden oder in anderen Bereichen des Gebäudes zum Einsatz kommen können. Von Vorteil sind auch wenige unterschiedliche Materialien und der Einsatz von standardisierten Komponenten. Dazu müssen allerdings alle eingesetzten Baustoffe komplett rezyklierbar, qualitativ hochwertig bzw. langlebig sein.

Design-to-Recycle ist ein Ansatz, der geschlossene Kreisläufe und unendliche Nutzungszyklen für Dinge schaffen möchte. Diese Initiative startete vor ca. 25 Jahren in Washington (USA) im ISRI (Institute of Scrap Recycling Industries). Design-to-Repair setzt ­ebenfalls beim Produzenten an und konzentriert sich auf eine Reparierfähigkeit der eingesetzten Bauteile.

Die letzte Kreislaufwirtschaftsstufe bildet das Recycling. Unter Recycling wird die stoffliche Wiederverwertung und Verarbeitung zu einem rezyklierten Rohstoff bzw. zu Rohstoffen mit einem hohen Recyclinganteil verstanden. Bereits viele Stoffe wie Papier, Glas, Metalle, Plastik können rezykliert werden. Recycling hat zwei positive Effekte: Die Menge an Müll, die sonst deponiert wird, und auch die Menge an Rohstoffen aus der Erde werden reduziert. Damit lassen sich viele Mengen an Energie und CO2 einsparen.

4.2 Energieeffizienz im Gebäudebereich

Eine Energiewende kann nur gelingen, wenn auch der Bausektor entsprechende Maßnahmen berücksichtigt

Eine Energiewende kann nur gelingen, wenn auch der Bausektor entsprechende Maßnahmen in Richtung Energieeffizienz, speziell in der Nutzungsphase des Gebäudes, berücksichtigt. Der Einsatz von erneuerbaren Energien und eine nachhaltige Energieversorgung bieten einige Chancen. Noch befinden sich die hier aufgezeigten Lösungen in der frühen Phase. Es bleibt auch aus Kostengründen abzuwarten, welche technischen Lösungen für den Strom- und Wärmebereich sich etablieren werden.

Ein erfolgreiches Beispiel einer Dekarbonisierung eines Bestandsgebäudes stellt eine Augsburger Wohnanlage aus den 1970er-Jahren dar, bei der über 70 % der ursprünglichen CO2-Emissionen eingespart werden konnten. Dies gelang durch die Installation von PV-Modulen auf den Dächern, eine im Keller installierte Elektrolyse und Power-to-Gas-Anlage, ein Blockheizkraftwerk (BHKW) und eine Wärmepumpe (WP). Die Realisierung erfolgte durch die Stadtwerke in Augsburg (SWA) [9]. Bei dieser Lösung befinden sich viele Stoffe im Kreislauf. Vor allem CO2, welches bei der Verbrennung von Gas im BHKW entsteht, wird direkt in der Power-to-Gas-Anlage verwendet, um sich mit dem in der Elektrolyse gewonnenen Wasserstoff zu verbinden. Somit wird kein CO2 in die Atmosphäre emittiert.

In Bild 4 wird dieses Prinzip durch eine Power-to-Wasserstoff- und Power-to-Gas-Anlage im Quartier veranschaulicht. Hier wird die Prozessabwärme zusätzlich genutzt, was zu einer weiteren Steigerung der Energieeffizienz führt. Der Wasserstoff wird in einer Elektrolyse durch erneuerbaren Strom gewonnen.

Die dargestellte Quartierslösung umfasst sechs wesentliche Schritte (PV auf Dächern, Elektrolyse und Methanisierung im Keller, CO2– und Sauerstoffspeicher im Garten und im Gasnetz, BHKW, BZ, WP). Die grundlegende Idee dahinter ist, dass die Lösung in einem Quartier (Stadtteil, Dorf oder andere in sich abgrenzbare Besiedlung) in sich geschlossen funktionieren kann. Vor allem wäre dies eine praktikable Lösung in Bestandsgebäuden. Mit dem Gas werden über Brennstoffzellen (BZ) oder über vorhandene Blockheizkraftwerke (BHKW) Wärme und Strom bereitgestellt. Insbesondere die höhere Wärmenachfrage im Winter bei gleichzeitig geringerer Methanproduktion aus Sonnenenergie erfordert eine zeitlich entkoppelte Nutzung des im Sommer erzeugten Methans. Durch eine räumliche Nähe von Bereitstellungs- und Nutzungsanlage können frei werdender Sauerstoff, evtl. frei werdendes CO2 und frei werdende Abwärme gespeichert und zeitversetzt eingesetzt werden. Zur weiteren Wärmegewinnung im Winter nutzen die Wärmepumpen (WP) die Umgebungswärme als Wärmequelle. Das aus dem BHKW frei werdende Wasser wird dem Elektrolyseur zugeführt. Die bei der Elektrolyse und der Methanisierung frei werdende Wärme könnte im Wärmenetz genutzt werden.

Es gibt im Gebäudebereich noch eine weitere Möglichkeit zum nachhaltigen Heizen, nämlich über Serverheizungen. Hier befinden wir uns allerdings noch in einer frühen Umsetzungsphase, wobei die Potenziale enorm sind, denn es gibt genügend Rechenzentren. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland etwa 3000 Rechenzentren und ca. 47.000 kleinere IT-Installationen. Zusammen kommen die Rechenzentren in Deutschland auf eine IT-Anschlussleistung von ca. 2300 MW [11]. Diese Energie bleibt derzeit größtenteils ungenutzt, könnte aber in Fernwärmenetze eingespeist werden und zur klimaneutralen Wärmeversorgung der Kommunen beitragen.

Bisher gibt es nur wenige Anbieter weltweit. Die französische Firma Qarnot bietet eine Lösung mit Cloud-Computing über eine verteilte Infrastruktur an. Das Schweizer IWB ist ein Unternehmen für Energie, Wasser und Telekommunikation. Dieses betreibt zusammen mit IT-Partnern eine Pilotanlage. Das System produziert Wärme zur Gebäudeheizung und eine Versorgung mit Warmwasser. Das deutsche Unternehmen Cloud & Heat in Dresden ist ein Anbieter cloudbasierter Rechenleistungen, deren Abwärme zum Heizen von Gebäuden und zum Erwärmen von Wasser genutzt wird. Cloud & Heat bietet Privathaushalten die Möglichkeit, sich Serverschränke ins Haus zu stellen, um die Abwärme der Server für die Warmwasserversorgung zu nutzen. Es gibt mehr als 100 Serverheizungen von Cloud & Heat in Deutschland.

4.3 Gebäudebegrünungen

Jede Art von Begrünung bringt laut Studien eine deutliche Temperaturregulierung, v. a. in heißen Sommern (Brune et al. [12]). Gerade in Städten, die deutliche Temperaturunterschiede zum Umland aufweisen, haben Begrünungen ein hohes Potenzial, sei es durch Dach- oder Fassadenbegrünungen. Eine Begrünung wirkt sowohl im Sommer als auch im Winter temperaturausgleichend. Sie wirkt wie ein natürlicher Kältespeicher, dient als Staubpartikelfilter und spendet saubere und feuchte Luft. Außerdem wird die Biodiversität gefördert.

Um vollversiegelte Flächen für Parkplätze zu vermeiden, ist die Verwendung von Rasengittersteinen oder von gerastertem Beton mit Gras eine Alternative. Dies spart nicht nur Beton ein, sondern der Boden weist eine verbesserte Absorption und Entwässerung von Regenwasser auf. Der Deutsche Städtetag [3] empfiehlt zudem zur Vermeidung eines hohen Flächenverbrauchs eine bessere Nutzung der bestehenden Gebäude, Flächen und Infrastrukturen, anstatt neue Flächen zu versiegeln.

Gerade in Anbetracht des hohen Artensterbens auf der Welt, was auch unter der Biodiversitätskrise verstanden wird und seit ca. zehn Jahren zunehmend die notwendige Aufmerksamkeit bekommt, gewinnt die Artenvielfalt und deren Berücksichtigung im Bauwesen ebenfalls an Bedeutung. Bereits im Jahr 2009 hat Johan Rockström [13], damals am Stockholm Resilience Center, auf diese Krise aufmerksam gemacht. Sie stellt die relevanteste Krise von allen neun damals ermittelten planetaren Grenzen dar. Die neun Grenzen sind:

  1. Biodiversität
  2. Biogeochemische Kreisläufe
  3. Landnutzungsänderung
  4. Klimawandel
  5. Versauerung der Ozeane
  6. Süßwasserverbrauch
  7. Ozonabbau in der Stratosphäre
  8. Neue gefährliche Substanzen
  9. Atmosphärischer Aerosolgehalt

In Anbetracht des
hohen Artensterbens
gewinnt die Artenvielfalt
und deren
Berücksichtigung
im
Bauwesen an Bedeutung

Das Konzept der Planetaren Grenzen wurde 2015 und 2023 aktualisiert. Mittlerweile sind sechs der Grenzen (u. a. Biodiversität, Landnutzungsänderung, Klimawandel) bereits überschritten (Stockholm Resilience Centre [14]).

5 Was gibt es sonst noch für Möglichkeiten für ein nachhaltiges Bauen?

Nachhaltigkeit im Bauwesen ist sehr vielschichtig. Neben Kreislaufwirtschaft, Energie­effizienz und Begrünungen gibt es noch weitere Möglichkeiten, die hier erwähnt werden sollen.

Im Bauwesen gibt es z. B. einige nachhaltige Siegel und Zertifizierungen. Bei Holz und Holzprodukten gibt es die Siegel FSC, PEFC und Holz von Hier. Das FSC-Siegel berücksichtigt ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. Produkte, die das FSC-100%-­Label tragen, müssen vollständig aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern kommen. PEFC trägt zu ökologischen Verbesserungen beim Anbau und beim Handel von Holz bei. Es berücksichtigt auch soziale Aspekte. Holz von Hier gilt als ein sehr gutes Siegel, weil es neben ökologischen und sozialen Aspekten auch noch die Regionalität mit einschließt. Es können Möbel und Inneneinrichtungen, Holz und Holzprodukte jeglicher Art, Holzbauten, Terrassen, Balkone, Fassaden, Bauholz, Hobelwaren, Massivplatten, Treppen sowie Parkett zertifiziert werden.

Ein weiteres Siegel im Bauwesen stellt C2C (Cradle to Cradle – von der Wiege zur Wiege) dar. Cradle to Cradle ist eine von Braungart und McDonough im Jahr 2002 entwickelte Kreislaufphilosophie, die ein hergestelltes Gut bereits bei der Produktion derart konzipiert, dass dieses am Ende der Lebensdauer komplett wiederverwendet werden kann [15].

Cradle to Cradle besteht aus fünf Grundsätzen:

  1. Verwendung von ökologisch unbedenklichen, gesunden Inhaltsstoffen
  2. Materialwiederverwertung wie Recycling oder Kompostierung 
  3. Nutzung von erneuerbaren Energien
  4. Effektive Nutzung von Wasser und Verbesserung der Wasserqualität
  5. Förderung von Strategien für soziale Verantwortung

Auch die DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen) bietet Zertifizierungen im Bauwesen an. Beispielsweise sind die Kriterien für die Zertifizierung nachhaltiger Quartiere folgendermaßen:

  1. Ökologische Qualität 20 %
  2. Ökonomische Qualität 20 %
  3. Soziokulturelle und funktionale Qualität 20 %
  4. Technische Qualität 20 %
  5. Prozessqualität 20 %

Je nach Quartierstyp fällt die Gewichtung der einzelnen Kriterien unterschiedlich aus. Wenn alle Baubereiche den Kriterien genügen, dann erhält das Projekt ein Zertifikat bzw. Vorzertifikat in Platin, Gold oder Silber [16].

Neben allen Nachhaltigkeitsanstrengungen muss ebenfalls bedacht werden, dass die Unterstützung durch digitale Systeme unabdingbar ist, um eine Energie- und Rohstoffeffizienz im Bauwesen zu erzielen. Hier kommen z. B. Digitale Zwillinge eines Gebäudes sowie digitale Materialdatenbanken zur Erfassung der verbauten Stoffe infrage. Schon bei der Planung eines Gebäudes am Rechner sollte auf Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit geachtet werden.

6 Fazit

Der Bausektor hat mit ca. 40 % einen vergleichsweise hohen Anteil an den globalen CO2-Emissionen. Um die Erderwärmung (spätestens) bis 2050 idealerweise auf 1,5 °C zu begrenzen, sollte der Anteil der vom Menschen verursachten Treibhausgase in der Atmosphäre sehr stark reduziert werden. Die Baubranche hat zudem ein hohes Abfallaufkommen und einen hohen Flächenverbrauch. Aus diesen Gründen befindet sich derzeit die Bauindustrie in einer Phase der Transformation. Neben Kosten und Qualität spielt auch die Nachhaltigkeit mehr und mehr eine Rolle.

Für den Bausektor ergeben sich CO2-Reduktionspotenziale, die bei den Materialien liegen, aber auch die komplette Lieferkette betreffen. Kreislauffähigkeit sowie Langlebigkeit und ob die Materialien modular und beliebig austauschbar sind, stellen ebenfalls wichtige Punkte dar.

Es gibt bereits einige gute Möglichkeiten, um auf natürliche Baustoffe zurückzugreifen. Unter den natürlichen Baustoffen wird zwischen nachwachsenden und endlichen Baustoffen unterschieden. Da viele CO2-Emissionen über die Lieferwege entstehen, sollte auf regionale Rohstoffe zurückgegriffen werden. Auch bei der Herstellung sind ein geringer Energieaufwand und verminderte Umwelteinflüsse ein Wettbewerbsfaktor.

Prinzipiell sollte bei den eingesetzten Baustoffen auf qualitativ hochwertige Materialien geachtet werden. Nachhaltige Siegel und Zertifizierungen können hier bei der Auswahl unterstützen.

Es bleibt abzuwarten, inwiefern in den nächsten Jahren im Bauwesen eine Transformation gelingt, die merklich zu einer Eindämmung der CO2-Emissionen beiträgt sowie zu mehr Ressourcen- und Energieeffizienz führt. Durch Nutzung erneuerbarer Energien und eine nachhaltige Energieversorgung in Gebäuden bieten sich Chancen. Prinzipien der Kreislaufwirtschaft sollten noch stärker umgesetzt und integriert sowie digitale Lösungen zur Erzielung der Nachhaltigkeit eingesetzt werden.


Literatur

  1. World Green Building Council (2019) Bringing embodied carbon upfront [online]. London: World Green Building Council. https://worldgbc.s3.eu-west-2.amazonaws.com/wp-content/uploads/2022/09/22123951/WorldGBC_Bringing_Embodied_Carbon_Upfront.pdf html [Zugriff am: 2. Februar 2024]
  2. Statistisches Bundesamt (2023) Abfallaufkommen im Jahr 2021 um 0,6 % niedriger als im Vorjahr [online]. Pressemitteilung Nr. 213. Wiesbaden: Destatis. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_213_321.html [Zugriff am: 4. Februar 2024]
  3. Deutscher Städtetag (2021) Nachhaltiges und suffizientes Bauen in den Städten [online]. Berlin, Köln: Deutscher Städtetag. https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Publikationen/Weitere-Publikationen/2021/handreichung-nachhaltiges-suffizientes-bauen.pdf [Zugriff am: 3. Februar 2024]
  4. Barbian, D. (2001) Ökonomie und Sustainable Development – Entwicklung eines Ansatzes zur Umsetzung von Nachhaltigkeit. Aachen: Shaker.
  5. Hauff, V. (1987) Unsere gemeinsame Zukunft – Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven: Eggenkamp.
  6. Senge, P. M. et al. (2011) Die notwendige Revolution – Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen. Heidelberg: Carl-Auer.
  7. Concular GmbH (2024) Nachhaltige Baustoffe [online]. Berlin: Concular GmbH. https://restado.de/material/nachhaltige-baustoffe [Zugriff am: 4. Februar 2024]
  8. Circle Economy (2023) The circularity gap report 2023 [online]. Amsterdam: Circle Economy Foundation. https://www.circularity-gap.world/2023 [Zugriff am: 4. Februar 2024]
  9. SWA (2019) Power-to-Gas-Anlage: wegweisendes Projekt zur Energiewende [online]. Augsburg: Stadtwerke Augsburg. https://www.sw-augsburg.de/magazin/detail/power-to-gas-anlageinaugsburgeinbeitragzurenergiewende [Zugriff am: 8. Januar 2024]
  10. Barbian, D.; Spiegel, G. (2022) CO2 als Rohstoff zur Nutzung in zirkulären Prozessen in: Jeschke, B. G.; Heupel, T. [Hrsg.] Bioökonomie. FOM-Edition. Wiesbaden: Springer Gabler, S. 177–199.
  11. Bitkom (2023) Deutsche Rechenzentren wachsen weiter und werden effizienter [online]. Presseinformation. Berlin: Bitkom e. V. https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Deutsche-Rechenzentren-Wachstum-Effizienz [Zugriff am: 4. Februar 2024]
  12. Brune, M.; Bender, S.; Groth, M. (2017) Gebäudebegrünung und Klimawandel – Anpassung an die Folgen des Klimawandels durch klimawandeltaugliche Begrünung. Report 30. Hamburg: Climate Service Center Germany.
  13. Rockström, J.; Steffen, W.; Noone, K. et al. (2009) A safe operating space for humanity. Nature 461, pp. 472–475.
  14. Stockholm Resilience Centre (2023) Planetary Boundaries [online]. Stockholm: Stockholms Universitet. https://www.stockholmresilience.org/research/planetary-boundaries.html [Zugriff am: 4. Februar 2024]
  15. Braungart, M.; McDonough, W. (2012) Einfach intelligent produzieren – Cradle to Cradle: Die Natur zeigt, wie wir die Dinge besser machen können. Berlin: Verlag Taschenbuch.
  16. DGNB (2024) Das DGNB System für Quartiere – Nachhaltige Quartiere planen und zertifizieren [online]. Stuttgart: DGNB GmbH. https://www.dgnb.de/de/zertifizierung/quartiere [Zugriff am: 4. Februar 2024]

Dr. Dina Barbian, 1989–1993 Studium Wirtschaftsingenieurwesen TU Kaiserslautern und Uni Paderborn, 1994–1996 upt GmbH Umweltmanagement, 1996–2000 Promotion in Nachhaltigkeitsökonomie TU Kaiserslautern, 1998–2021 Senior Research Associate Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik FAU Erlangen-Nürnberg, seit 2012 Gründerin und GF eco2050 Institut für Nachhaltigkeit Nürnberg

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