Die Geschichte der Menschheit ist eng mit dem Bauwesen verknüpft, das die Grundbedürfnisse nach Schutz, Mobilität und Infrastruktur erfüllt. Seit vielen Jahrhunderten liefert das Bauwesen in einer sich technisch dynamisch entwickelnden Welt zuverlässig die grundlegende Infrastruktur und ermöglicht so Fortschritt. Im 20. Jahrhundert wurden Baustoffe und Bemessungs- und Konstruktionsweisen erheblich weiterentwickelt. Dabei konnten in Praxis und Forschung schnell große Fortschritte bspw. bei Stahl- und Spannbeton sowie unbewehrtem Beton erreicht werden. Vor dem Hintergrund der in den letzten Jahrzehnten geringen Rohstoffpreise verbunden mit steigenden Lohnkosten setzten sich zunehmend Bauweisen im Sinne einer einfachen, robusten und wirtschaftlichen Umsetzung durch. Die hiermit verbundenen Treibhausgasemissionen oder Ressourcenverbräuche fanden wenig Beachtung. Vielfach wurde systematisch zusätzliches Material eingesetzt, um den Aufwand für Planung und Bau zu reduzieren oder den Komfort zu erhöhen.
Das 21. Jahrhundert ist von globalen Krisen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit geprägt. Das Bauwesen trägt erheblich zur Umweltbelastung bei und muss dringend handeln. Schon vor über 50 Jahren forderte Olof Palme auf der ersten UN-Umweltkonferenz in Stockholm im Jahre 1972 Maßnahmen zur gerechteren Ressourcenverteilung und Einschränkung der Luxusproduktion. Obwohl das Bewusstsein für Umweltauswirkungen seitdem gewachsen ist, hat sich im Bauwesen wenig verändert. Erst in den letzten Jahren wurden verstärkt Maßnahmen zur Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels ergriffen, wie das deutsche Bundes-Klimaschutzgesetz von 2021, welches Klimaneutralität bis 2045 anstrebt. Die aktuellen Regulierungen erfordern eine drastische Veränderung im Bauwesen. Etablierte Bauweisen sowie Methoden der Projektabwicklungen müssen hinterfragt werden.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, aktuelle Herausforderungen fundiert zu analysieren, Lösungsansätze für zukünftige Bauweisen sowie eine ressourcenschonende Projektabwicklung zu entwickeln und auch umzusetzen. Insbesondere sind weiterhin eine kritische Bewertung und Weiterentwicklung der aktuellen Anreizsysteme erforderlich, denn diese haben entscheidenden Einfluss auf die gebaute Umwelt. Die Anreizsysteme bilden in diesem Sinne entsprechend Bild 1 die Brücke zwischen Herausforderung und Erreichung einer klimaneutralen Zukunft.
Dabei ist entscheidend, dass die vielen vorhandenen Lösungsansätze von den Baustoffen über den Entwurf und das Tragwerk bis hin zur ganzheitlich digitalen Wertschöpfungskette nur dann zur Praxisanwendung kommen, wenn geeignete Anreizsysteme hierzu motivieren. Bild 1 veranschaulicht dies und verdeutlicht gleichzeitig, dass die Brücke der Anreizsysteme noch im Bau ist, und zeigt exemplarisch einige Möglichkeiten auf: die CO2-Begrenzung, die CO2-Bepreisung oder das CO2-Budget [1]. Die Autoren möchten mit diesem Beitrag aufzeigen, welche entscheidende Rolle eine konsequente digitale Wertschöpfungskette hierbei hat und warum insbesondere ohne BIM in dieser Zeit des Wandels eine Reduzierung von Treibhausgasemissionen kaum möglich sein wird.
Obwohl es noch keine einheitlichen Vorgaben für klimaverträgliches Bauen gibt, setzen andere Länder und teilweise Bauvorhaben in Deutschland bereits Bewertungen von Klimaschutzmaßnahmen im Vergabeprozess um. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) stellte erst kürzlich Vorschläge vor [2], wie eine Bewertung der Reduzierung von Treibhausgasemissionen bei der Vergabe von Bauprojekten aussehen kann. Die Vorschläge bestehen darin, Anforderungen an die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und wie diese bei der Vergabe von Bauprojekten bewertet werden können festzulegen. Dies geschieht durch die Berechnung der Umweltauswirkungen eines Bauvorhabens über seinen gesamten Lebenszyklus. Dadurch entsteht eine Vergleichbarkeit zwischen den Bietern, die es ermöglicht, Unternehmen nach ihrer Innovationsfähigkeit und ihrem Streben nach Verringerung des Treibhauspotenzials auszuwählen. Insbesondere im Verkehrswegebau entstehen neue Anforderungen an eine einheitliche Bewertung und Bilanzierung, um die Wettbewerbsfähigkeit im Vergabeprozess sicherzustellen. Bei der Bewertung von Infrastrukturprojekten hinsichtlich ihres Treibhauspotenzials können verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, darunter Materialauswahl, Verwendung umweltfreundlicher Baustoffe, reduzierte Dimensionierung und effizienterer Geräteeinsatz.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einen Schattenpreis für Treibhausgasemissionen in den Vergabeprozess einzubeziehen, um Anreize für die Verringerung des Treibhauspotenzials zu schaffen [2]. Hier ist vorgesehen, dass der i. d. R. öffentliche Auftraggeber einen virtuellen Preis auf Treibhausgasemissionen festlegt, um innovativen Anbietern, die das entsprechende Bauvorhaben mit einem geringeren CO2-Budget, d. h. geringeren grauen Emissionen, umsetzen können, einen Wertungsvorteil zu gewähren. Bezüglich Bild 1 entspricht dieses Vorgehen dem Anreiz der CO2-Bepreisung.
Der Schattenpreis für Treibhausgasemissionen soll dabei höher sein als der Marktpreis, denn dieser bewirkt im Bauwesen aus wirtschaftlicher Sicht derzeit kaum ein Umdenken. In [1] wird die Preissensitivität anhand von Hochbaudecken untersucht, mit dem Ergebnis, dass für dieses Konstruktionselement erst ein Preis von über 300 Euro/t Treibhausgasemission einen signifikanten Einfluss haben würde. Es ist aus den laufenden Diskussionen erkennbar, dass es fundierter Sensitivitätsanalysen bedarf, um die für die jeweiligen Baukonstruktionen und Bauvorhaben ausreichend anreizenden Schattenpreise zu ermitteln.
Aufgrund der Relevanz der grauen Emissionen des Bauwesens hat auch der DAfStb, der Deutsche Ausschuss für Stahlbetonbau, im Juni 2023 eine neue Richtlinie Treibhausgasreduzierte Tragwerke aus Beton, Stahlbeton oder Spannbeton in der Entwurfsfassung herausgegeben. Diese regelt den notwendigen Treibhausgasreduktionspfad anhand von Referenzbauwerken aus dem Jahr 2020 und zukünftigen Treibhausgaspfaden und -klassen. Bezogen auf Bild 1 entspricht dies der Regelung eines CO2-Budgets.
Eine umfassende Ökobilanzierung über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks als Grundlage für den Schattenpreis erfordert ebenso wie die Berechnung der CO2-Budgets nach dem Richtlinienentwurf des DAfStb die Einbindung aller am Projekt beteiligten Partner und die Anwendung eines umfassenden Informationsmanagements für das Bauvorhaben, das auch als Building Information Modeling (BIM) bekannt ist. Über die Vorteile von BIM hinsichtlich der Einhaltung von Kosten, Qualität und Terminen hinaus wird der Nutzen gegenüber klimafreundlichem Bauen bei Betrachtung der einzelnen Lebenszyklusphasen deutlich. Durch die Gesamtbetrachtung des Lebenszyklus wird es möglich, Schnittstellen zu koordinieren und dadurch die Komplexität von Bauprojekten greifbar zu machen, Informationsverluste zu vermeiden sowie die Motivation für Innovation und neue Denkweisen zu fördern. Dies steigert die Effizienz mit gleichermaßen positivem Einfluss auf Kosten und Termine wie auch auf Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen. Zur Unterstützung der Bewertung der Ansätze für Nachhaltigkeit bei Bauprojekten dient BIM bei Simulationen und Visualisierung. Die Verwendung von BIM-Modellen unterstützt zudem die Erfassung des Treibhauspotenzials von der Planungsphase über die Realisierungsphase bis hin zu Betrieb, Erhaltung oder Umbau bzw. Abriss über alle Projektphasen hinweg. Ohne die Vorteile von BIM wird die Reduzierung von Treibhausgasemissionen während des Lebenszyklus einer Verkehrsinfrastruktur nur sehr aufwendig umsetzbar sein (Bild 2).
In der Planungsphase können sämtliche Informationen, die zur Berechnung der Klimafolgekosten von Bauprojekten und Treibhausgasemissionen benötigt werden, in den BIM-Modellen erfasst und vorgehalten werden. Dies ermöglicht eine umfassende und genaue Analyse der Umweltauswirkungen des Projekts über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg. Dadurch lassen sich Ökobilanzen ermitteln, die alle Lebenszyklusphasen betreffen und im weiteren Verlauf als Referenzwerte für die Einhaltung der Emissionen herangezogen werden können. Durch die Zusammenarbeit aller Projektbeteiligten mithilfe von BIM in den frühen Planungsphasen wird erheblich an Planungssicherheit gewonnen. Zudem ermöglicht dies eine umfassende Bewertung des Treibhauspotenzials. Des Weiteren eröffnet die Entwicklung von Varianten weitere Möglichkeiten zur Optimierung. Zum Beispiel können Variantenvergleiche für unterschiedliche Trassenführungen im Verkehrswegebau in kürzester Zeit und in Kombination mit generativen Designs sowie der Berücksichtigung von Zielparametern wie Schattenpreisen und Klimafolgekosten pro Tonne Treibhausgasemission bereits in der Entwicklungsphase simuliert werden – mit dem Ziel einer umweltfreundlichen Planung eines Bauprojekts sowie Einsparungen von Treibhausgasemissionen in den Lebenszyklusphasen. Dadurch können fundierte Entscheidungen in Bezug auf die nachhaltige Umsetzung und schlussendlich den Betrieb getroffen werden. Um das Bauvorhaben im weiteren Verlauf klimaschonend zu realisieren, ist ein genauer Blick auf die Genehmigungsprozesse erforderlich. Die Erstellung und Verwendung von BIM-Modellen bietet hier den Vorteil, dass Anpassungen und Änderungen im Genehmigungsprozess zeitnah vorgenommen werden können. Dies ermöglicht eine schnelle Bereitstellung und Aktualisierung der Planung und, falls notwendig, der Pläne für den Bauantrag. Auf diese Weise können Genehmigungsprozesse beschleunigt abgeschlossen und die Umsetzung von Bauprojekten nahtlos fortgesetzt werden. Die Nutzung von BIM-Modellen trägt somit maßgeblich dazu bei, Verzögerungen in den Genehmigungsphasen zu minimieren und die Effizienz im gesamten Bauprozess zu steigern.
Während der Realisierungsphase von Bauvorhaben sind weitere Potenziale vorhanden, die mit der Unterstützung von BIM bei der Erfassung des Treibhauspotenzials eine klimagerechte Abwicklung ermöglichen. Durch ein frühzeitiges Miteinbeziehen der Bauabläufe in die Planung im Sinne von integralen, kooperativen Planungsprozessen ergeben sich Möglichkeiten, Terminpläne mithilfe von BIM-Modellen zu erstellen und zu visualisieren, einzelne Schritte des Bauablaufs darzustellen und dadurch Anforderungen für die Bauausführung festzustellen. Erkennbar werden Aspekte der Baulogistikplanung wie bspw. Flächenmanagement in unterschiedlichen Bauphasen, notwendige Transporte und Transportwege im Bauablauf, Einsatz von Baumaschinen oder die Einflüsse auf die Umgebung und bereits vorhandene Infrastruktur. Materialanlieferungen können außerdem unter Berücksichtigung von Lean-Methoden so geplant werden, dass sie just in time erfolgen, um unnötige Hebebewegungen und Lagerkosten zu vermeiden. Diese Aspekte bieten Chancen und Optimierungspotenziale in Hinblick auf Treibhausgasemissionen. Flächen können je nach Bedarf in einzelnen Bauabschnitten optimal genutzt, Transportwege verkürzt und Baumaschinen zielgerichtet bereitgestellt und eingesetzt werden. Auf dieser Grundlage können im nächsten Schritt Baufortschrittskontrollen als Vergleiche mit BIM-Modellen und Status mit Bauteilen verknüpft werden, um das Bauvorhaben und die Einhaltung der zuvor geplanten Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen zu überwachen und diese wie geplant einzuhalten.
Nach Abschluss der Realisierung eines Bauprojekts bietet BIM die Möglichkeit, Daten für den Betrieb vorzuhalten. BIM ermöglicht im weiteren Lebenszyklus eine präzise Prognose, Erhaltungsmaßnahmen effizient und umweltfreundlich durchzuführen. Idealerweise sollten relevante Daten zu den Klimafolgekosten bereits während der Planungsphase erfasst worden sein. Dies gewährleistet, dass Bauprojekte von Anfang an klimafreundlich geplant und durchgeführt werden können, was einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Bauwesen leistet.
Die Verwendung von BIM ermöglicht somit eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur und trägt dazu bei, die Effizienz und Nachhaltigkeit im Bauwesen zu steigern. Diese Beispiele zeigen deutlich, wie BIM die Reduzierung von Treibhausgasemissionen unterstützen und weiterbringen kann. Die durchgehende Anwendung von BIM kann ein effektives Instrument zur Ermittlung von Treibhausgasemissionen und Klimafolgekosten sein und ist insbesondere geeignet, Treibhausgaspotenziale von Bauleistungen im Vergabeprozess sowie in der Ausführung zu bewerten und zu reduzieren.
Literatur
- Glock, C.; Dernbach, A.; Heckmann, M.; Hondl, T.; Kaufmann, F.; Schellen, M. (2023) Treibhausgas- und ressourcenreduzierter (Beton-)Bau – Herausforderungen, Lösungsansätz, Anreizsysteme. DBV-Heft 50 Nachhaltiges Bauen mit Beton, S. 26–66.
- Püstow, M.; Göhlert, T.; Gielen, J.; Tenner, J.; Pawelczyk, E. (2023) Klimaverträglich bauen mit einem Schattenpreis für CO2-Emissionen. Berlin: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V.
Autor:innen
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Glock,
Professor für Massivbau
christian.glock@rptu.de
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern Landau
https://rptu.de
Dipl.-Geol. Thomas Paetzold,
thomas.paetzold@wf-ib.de
Mitglied des Vorstandes
Thomas Tschickardt, M.Eng.,
thomas.tschickardt@wf-ib.de
Leiter BIM-Management
Wayss & Freytag Ingenieurbau AG
www.wf-ib.de