Stuttgarter Nachhaltigkeits­stammtisch

Bauen im Bestand – lasst uns Brücken … ERHALTEN!

LASST UNS BRÜCKEN BAUEN stand im Februar 2022 in großen Lettern auf der gesperrten Brückentafel der Talbrücke Rahmede, die symbolisch für den oft zitierten Sanierungsstau von Infrastrukturbauwerken in Deutschland steht. Zwar erkannte man recht schnell, dass es sich bei der Kunstaktion um eine Friedensbotschaft handelte, als Brückenbauingenieur:in ist es jedoch gewiss nicht verwerflich, diesen Aufruf auch als Handlungsaufforderung an die Branche zu interpretieren, unserer Verantwortung zur Gewährleistung einer funktionierenden Infrastruktur durch uneingeschränkt betriebsfähige Bauwerke nachzukommen.

Bestens bekannt sind die wiederkehrenden Presseberichte und Bundestagsanfragen zum Zustand der Infrastrukturbauwerke in Deutschland. Mitunter verheerende Zeugnisse werden dem Brückenbestand der Bundesfernstraßen ausgestellt und besorgniserregende Zukunftsbilder gemalt. Nun gibt es daran zum Großteil nichts schönzureden. Zu stark ist der Schwerlastverkehr v. a. für Bauwerke der 1950er-, 60er- und 70er-Jahre gestiegen und zu lange wurde der sich verschlechternde Zustand verkannt. Mit dem zunehmenden Güterverkehr auf unseren Autobahnen und weiter steigenden Lkw-Achslasten ist zudem keine Entspannung in Sicht.

Und doch möchten wir nicht nur zurückblicken und schwarzmalen, sondern uns der Situation annehmen und agieren. Die Bundesregierung hat das konkrete Ziel erklärt, die Zahl der jährlichen Sanierungsobjekte bis 2026 auf 400 Brücken pro Jahr zu verdoppeln. Pro Arbeitstag sollen somit – rein im Bundesfernstraßennetz – durchschnittlich zwei Brücken erneuert, ertüchtigt oder instand gesetzt werden – ein ambitioniertes Vorhaben. Die erfolgreiche Umsetzung wird neben der ebenso populären Thematik langwieriger Genehmigungsprozesse, einer handlungsfähigen Autobahn GmbH des Bundes sowie beschränkten Kapazitäten bei den Baufirmen nicht zuletzt an uns Konstruktiven Ingenieurinnen und Ingenieuren hängen. Und gleichzeitig – oder gerade deshalb – müssen wir unserer Verantwortung für und unserem Anspruch an eine nachhaltige Planung gerecht werden! Wir haben es also selbst in der Hand, bei der Planung von Ingenieurbauwerken konsequent Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen und in deren Bewertung den gesamten Lebenszyklus zu betrachten.

Bauwerksprüfung an der Jagsttalbrücke Widdern
Quelle: Stefan Nübler
Bauwerksprüfung an der Jagsttalbrücke Widdern
Quelle: Stefan Nübler

Umso frustrierender sind Planungsaufgaben für Ersatzneubauten, die durch vorausschauendes Beobachten der Zustandsentwicklung und frühzeitiges Handeln vermeidbar gewesen wären. Wir müssen uns daher rechtzeitig, fokussiert und mit Weitblick ebenso dem langfristigen Erhalt der bestehenden und noch betriebsfähigen Brücken widmen! Denn was bringt es uns, die sinnbildliche Wasserlache trocknen zu wollen, den stetigen Wasserzufluss aber nicht zu unterbinden? Brücken zum richtigen Zeitpunkt im notwendigen und sinnvollen Maße instand zu setzen, verlängert deren Lebensdauer und Betriebsfähigkeit – vergleichbar mit dem Werkstattservice beim Auto. Es ist daher JETZT an der Zeit, die Mittelkürzungen in der Bauwerksunter- und -erhaltung der öffentlichen Baulastträger zu revidieren und diesen Bereichen mehr Wertigkeit und Wichtigkeit zu verleihen. Es ist JETZT an der Zeit, die turnusmäßigen Brückenkontrollen konsequent und auch im kommunalen Bereich durch zertifizierte Ingenieurinnen und Ingenieure der Bauwerksprüfung nach DIN 1076 des VFIB e.V. durchführen sowie Bauwerkszustände qualifiziert bewerten zu lassen. Und nicht zuletzt ist es JETZT an der Zeit, sich durch sachkundige Planer den Bauwerken zu widmen, die für eine wirkliche Verlängerung der Nutzungsdauer rechtzeitig einer grundhaften Instandsetzung zu unterziehen sind. Denn es ist JETZT an der Zeit, Brücken zu ERHALTEN und Lebenszyklen zu verlängern, um die bereits gebundenen Emissionen weiter zu nutzen und dem zitierten Sanierungsstau eingeschränkt betriebsfähiger Brücken den sinnbildlichen Zufluss zu schwächen. So kann auch der Ingenieurbau dazu beizutragen, Emissionen und Ressourcenverbrauch mittelfristig bestmöglich zu vermeiden, mindestens aber zu reduzieren.


Autor:in

Stefan Nübler, M.Sc. B.Eng, stefan.nuebler@lap-consult.com
Leonhardt, Andrä und Partner Beratende Ingenieure VBI AG, Stuttgart
Attitude Building Collective e.V.
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