Im Gespräch mit Daniel Sieveke

Innovatives Bauen, Umbaukultur & Co.

Daniel Sieveke ist Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen. Bernhard Hauke hat mit Daniel Sieveke über innovatives Bauen und Umbaukultur, Wohnungsbau & Co. gesprochen.

Der Bau sorgt nach Jahren des Booms aktuell für eher weniger gute Schlagzeilen. Wie ist die Lage in Nordrhein-Westfalen?

Daniel Sieveke: Die Bauindustrie spielt in unserem Bundesland eine zentrale Rolle für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Einige große Bauträger sowie zahlreiche mittelständische und kleine Bau-, Baustoff- und Handwerksbetriebe sind in Nordrhein-Westfalen ansässig. Die aktuelle Baukrise trifft also gerade auch unser Bundesland. Dabei sind die ­Parameter zur Krise vielfältig: Lieferengpässe bei Baumaterialien, Preissteigerungen bei Rohstoffen und der Energieversorgung, Fachkräftemangel, Digitalisierungsstau, sanierungsbedürftige Infrastrukturen, Inflation, steigende Zinsen, Verunsicherungen und Zurückhaltung bei Investitionen. Zahlen des Bauindustrieverbands besagen, dass im ersten Halbjahr 2023 die Aufträge im Bau um knapp 10 % zurückgegangen sind, gemessen an den Zahlen des letzten Jahres. Dabei ist zu differenzieren zwischen dem Wohnungsneubau, der vor dem Wirtschaftshochbau und dem Straßenbau den stärksten Auftragsrückgang zu verzeichnen hat. Bei den Baugenehmigungen für den Wohnungsneubau liegen wir im Vergleich zum Vorjahr bei einem Minus von über 30 %. Man kann an den Zahlen die Verunsicherung ablesen. Um hier eine Bauwende ermöglichen zu können, setzt das Land Nordrhein-Westfalen verstärkt – und auch schon vor Beginn der weltweiten Krisenlagen – auf Innovationen im Bau, die Digitalisierung sowie das nachhaltige Bauen. Wir machen das in Nordrhein-Westfalen durch unsere vielfältigen Förderprogramme im öffentlich geförderten Wohnungsbau, beim experimentellen Wohnen, im Städtebau sowie beim innovativen Bauen. Um das Bauen kostengünstiger, schneller, einfacher und nachhaltiger zu machen, überprüfen und passen wir unsere Landesbauordnung an neue Gegebenheiten an; so auch mit der neuesten Bauordnung-Novelle, die am 1. Januar 2024 in Kraft treten wird.

Um eine Bauwende ermöglichen zu ­können, setzt Nord­rhein-Westfalen auf Innovationen im Bau, ­Digitalisierung und nachhaltiges Bauen

In Lünen entsteht das erste öffentlich geförderte Mehrfamilienhaus im 3D-Druckverfahren. Bauindustriepräsident Peter Hübner war zur BAU Messe im Frühjahr zurückhaltend zu 3D-Druck im Bauwesen. Was versprechen Sie sich davon in Sachen Nachhaltigkeit?

D. S.: Das Projekt in Lünen ist ein beispielhafter Schritt in Richtung der Integration moderner Technologien in unser Bauwesen. Wir leben in einer Zeit des rasanten technologischen Fortschritts, und es ist unsere Verantwortung, diesen Fortschritt sorgfältig zu evaluieren und zu prüfen, wo er am besten zum Wohle unserer Gemeinschaft eingesetzt werden kann. Mit dem ersten öffentlich geförderten Mehrfamilienhaus im 3D-Druckverfahren haben wir in Nordrhein-Westfalen bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen zusammengeführt. Erstmals wurde das innovative Bauverfahren mit den Bedingungen der öffentlichen Wohnraumförderung kombiniert. Im Ergebnis wird der Mietpreis bei maximal 6 Euro/m² liegen. Der 3D-Druck im Bauwesen bietet potenziell eine Reihe von Vorteilen, insbesondere in Bezug auf Effizienz und Ressourcennutzung. Es ist jedoch wichtig, daran zu erinnern, dass jede neue Technologie ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Ich respektiere die Meinung von Herrn Hübner und teile seine Auffassung, dass ein gründliches Verständnis und eine umfassende Bewertung notwendig sind. In Sachen Nachhaltigkeit verspreche ich mir von 3D-Druckverfahren im Bauwesen eine verringerte Verschwendung von Baustoffen, eine schnellere Bauzeit und die Möglichkeit, nachhaltigere und recycelbare Materialien zu verwenden. Innovatives Bauen ist ein spannendes Feld, das wir weiterhin beobachten und fördern werden, stets mit dem Ziel, das Beste für unsere Bürger und unsere Umwelt zu erreichen.

Mit BioBauDigital soll ebenso innovatives Bauen gefördert werden. Worum geht es da und welche nachhaltigen Innovationen unterstützen Sie noch?

Es ist unsere feste Überzeugung, dass der Bausektor eine Schlüsselrolle bei der Erreichung unserer Nachhaltigkeitsziele spielt

D. S.: BioBauDigital repräsentiert einen innovativen Ansatz im Bauwesen, der die Vorteile digitaler Technologien mit den Prinzipien des biobasierten Bauens kombiniert. Das zen­trale Konzept hinter BioBauDigital besteht darin, schnell wachsende Pflanzen wie Riesen-Chinaschilf und den Blauglockenbaum als Ausgangsstoffe für CO2-neutrale Baustoffe zu nutzen. Diese Pflanzen zeichnen sich durch ihre Resistenz gegenüber klimatischen Veränderungen aus und werden als vielversprechend für die Entwicklung von biobasierten, leichten und wärmedämmenden Werkstoffen betrachtet. Das Projekt durchläuft eine mehrstufige Entwicklung, beginnend mit der Erforschung der Materialeigenschaften des Riesen-Chinaschilfs und des Blauglockenbaums im Verbund. In einer späteren Phase sollen die entwickelten biobasierten Bau- und Dämmstoffe in einem Experimental- und Demonstrationsgebäude Anwendung finden. Dabei werden wichtige Leistungskennwerte wie Wärmedämmung und das Verhalten der Materialien im realen Einsatz mit Sensoren erfasst, analysiert und überprüft. Wenn das Projekt erfolgreich verläuft, könnten diese ressourcenschonenden, leichten Plattenwerkstoffe in der Bauindustrie eine vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Holzplatten bieten. Neben BioBauDigital unterstützen wir eine Vielzahl weiterer nachhaltiger Innovationen. Dazu gehören bspw. Projekte, die sich mit Ansätzen zur Wiederverwendung und Recycling von Baustoffen beschäftigen, und Initiativen, die auf den Einsatz lokaler Ressourcen und Materialien setzen. Es ist unsere feste Überzeugung, dass der Bausektor eine Schlüsselrolle bei der Erreichung unserer Nachhaltigkeitsziele spielt. Daher setzen wir uns dafür ein, die besten und innovativsten Ansätze zu fördern und zu unterstützen, um eine nachhaltige, resiliente und zukunftsfähige gebaute Umgebung zu schaffen.

Mit dem Programm Bau.Land.Partner. wird die Aktivierung von Brachflächen zu Bauflächen gefördert. Ist das ein Weg, um vom nach wie vor zu hohen Flächenverbrauch runterzukommen?

D. S.: Flächenverbrauch ist zunächst ein Indikator für durchaus positiv einzuschätzende siedlungsstrukturelle Entwicklungsprozesse, sei es für gewerblich-industriellen Flächenbedarf, sei es für Wohnungsbau und Erschließungsflächen. Es geht daher nicht generell darum, Flächenverbrauch und damit die entsprechenden Entwicklungen zu unterbinden, sondern darum, Freiflächen, die für landwirtschaftliche Nutzung oder für ökologische ­Bodenfunktionen wertvoll sind, als nicht bebaute Flächen zu erhalten. Es geht also um einen Ausgleich verschiedener Ansprüche an die nur begrenzt zur Verfügung stehende Ressource Boden. Die Aktivierung von Brachflächen bietet einen wesentlichen Ansatzpunkt, in diesem Sinne die Bebauung von Freiflächen zu minimieren. Es zeigt sich immer wieder, dass im Siedlungszusammenhang durchaus minder genutzte oder gar nicht mehr genutzte Bauflächen nicht mehr für den ursprünglichen Zweck benötigt werden. Das Spektrum reicht von Flächen ehemaliger militärischer Nutzungen über gewerblich-industrielle Brachflächen, verkehrlich nicht mehr erforderliche Flächen wie ehemalige Bahntrassen bis hin zu abgängigen Großimmobilien wie z. B. Kaufhäuser. Teilweise können aufstehende Gebäude umgenutzt werden, teilweise werden die Grundstücke komplett abgeräumt und stehen als aufbereitetes Bauland zur Verfügung. Da diese Flächen i. d. R. an städtebaulich integrierten Standorten anzutreffen sind, wird durch deren Nutzung auch der Flächenverbrauch für Erschließungsanlagen für periphere Standorte reduziert.

Mit dem Update der Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen zum kommenden Jahr wird nach Aussage Ihres Hauses die Umbaukultur gefördert, indem Abweichungen unter Umständen zugelassen werden. Was bedeutet das konkret?

D. S.: Dem Ziel der Förderung des Nachverdichtungspotenzials folgend sieht das Gesetz zur Zweiten Änderung der Landesbauordnung, welches der Landtag NRW am 26. Oktober 2023 verabschiedet hat und das zum 1. Januar 2024 in Kraft tritt, umfassende Erleichterungen bei der Zulassung von Abweichungen vor. Die Regelungen sind nun so gestaltet, dass Abweichungen von Vorschriften, z. B. des Brandschutzes oder für Einhaltung von Abstandsflächen, in Zukunft bei der nachhaltigen Modernisierung von Wohnraum oder bei Nutzungsänderungen von den Bauaufsichtsbehörden zuzulassen sind, wenn die Abweichung mit den öffentlichen und privaten Belangen vereinbar ist. Zuvor hatte die Bauaufsichtsbehörde hier einen Ermessensspielraum. Um nachhaltige Bauweisen zu ermöglichen, sollen nun auch Abweichungen für die praktische Erprobung neuer Bau- und Wohnformen möglich sein.

Oft wird auch eine bundeseinheitliche Umbauordnung gefordert. Was halten Sie davon?

D. S.: Die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Bauordnungsrechts obliegt – zu Recht – den Ländern. Das ist verfassungsrechtlich gesichert und auch so beizubehalten. Im Übrigen orientieren sich die bauordnungsrechtlichen Vorgaben nah an den Mustervorschriften der Bauministerkonferenz, insbesondere an der Musterbauordnung (MBO). Die dort gemeinsam mit 15 Bundesländern abgestimmten Vorschriften wurden in die Landesbauordnung größtenteils 1 : 1 umgesetzt. In der Bauministerkonferenz wird sich Nordrhein-Westfalen zudem fortwährend dafür einsetzen, die Mustervorschriften im Sinne von mehr Nachhaltigkeit beim Bauen weiterzuentwickeln. Für bundeseinheitliche Regelungen gibt es aus unserer Sicht somit auch kein Erfordernis.

In Gelsenkirchen werden 3000 Wohneinheiten einfacher Bauqualität zurückgebaut, keine 40 km entfernt in Düsseldorf fehlen mindestens so viele Wohnungen – und auch dort soll das Telekom-Hochhaus verschwinden. Wie sinnvoll ist die ganze Abreißerei, wo doch inzwischen bekannt ist, dass auch der ökologischste Ersatzneubau oft höhere Umweltwirkungen erzeugt als Ertüchtigung und Modernisierung des Bestands?

D. S.: Sie sprechen die Zukunftsvereinbarung an, die wir gemeinsam mit der Bundesbauministerin und der Stadt Gelsenkirchen geschlossen haben. Diese Vereinbarung ist bundesweit einmalig, weil es auch die Situation in Gelsenkirchen ist. Wir sprechen dort über einen verfestigten Leerstand von mehr als 9000 Wohnungen, viele davon in Problem­immobilien, die ganze Quartiere belasten. In der Tat wollen wir eine Marktbereinigung erreichen. Teil des Pakets sind aber auch der Qualitätsaustausch, eine Baulückeninitiative, Großmodernisierungen, die Stärkung der Umbaukultur, Aufwertungen des öffentlichen Raums oder Bastelhäuser für Selbstnutzer. Das Ziel ist, Gelsenkirchen attraktiver für seine Einwohner zu machen – für die alteingesessenen und für möglichst viele neue.

Die Wohnbauten des Living Lab Mönchengladbach sollen nach der seriellen Sanierung so viel Energie erzeugen, wie im Jahresdurchschnitt verbraucht wird. Ist das ein Konzept für NRW?

Wir sind stolz ­darauf, dass ­Nord­rhein-
Westfalen das Real­labor des ­seriellen ­Sanierens ist

D. S.: Wir sind stolz darauf, dass Nordrhein-Westfalen das Reallabor des seriellen Sanierens ist. Die mit Abstand meisten Pilotprojekte finden bei uns im Land statt. Mit Blick auf die Klimaziele müssen energetische Sanierungen in Zukunft viel schneller ablaufen und zu höheren energetischen Standards führen als in den vergangenen Jahrzehnten. Die serielle Sanierung ist dafür der erste wirklich vielversprechende Ansatz. Mit der Wohnraumförderung des Landes greifen wir das bereits auf: Wer die bilanzielle Eigenversorgung des Gebäudes schafft, kann mehr als die Hälfte aller anfallenden Sanierungskosten an die öffentliche Hand weiterreichen. Wichtig ist uns aber auch, dass hinterher nicht nur die energetischen Kennwerte und der Klimaschutz stimmen, sondern auch die Wohnqualität insgesamt gesteigert werden kann. Da fehlt es den seriellen Sanierungen manchmal noch an der Liebe zum Detail.

Inzwischen wird ja sinnvollerweise nicht mehr nur auf den Energiebedarf des Gebäudes geschaut, sondern eine Gesamtrechnung mit CO2 in der Bauphase und in der Betriebsphase gemacht. Spiegelt sich das schon in der Bauförderung wider?

D. S.: Mit einem Förderangebot für Netto-Null-Häuser haben wir in diesem Jahr einen Baustein in die Wohnraumförderung des Landes aufgenommen, der auf die energetische Eigenversorgung der Gebäude zielt: So viel Strom wie z. B. eine Wärmepumpe braucht, muss übers Jahr durch die Photovoltaikanlage wieder reinkommen. Das ist auch der Einstieg für eine CO2-basierte Bilanz. Nur: Die Ampelregierung hat eine entsprechende Umstellung des Gebäudeenergiegesetzes bislang versäumt. Daran sind wir auch mit unseren Förderprogrammen gebunden.

Bauen und Bauwerke habe einen oft unterschätzten Anteil an Emissionen, Abfall etc. Ein elementarer Schritt zur Lösung wäre der Übergang von einer linearen zur zirkulären Bauwirtschaft. Recycling und Wiederverwendung von Baustoffen bzw. Bauteilen oder die Umnutzung von Gebäuden scheitern aber oft am mangelnden Rechtsrahmen.

D. S.: Sofern der bauordnungsrechtliche Rechtsrahmen durch diese Frage adressiert wird, können hier gerade keine Mängel erkannt werden. Nicht nur in der Musterbauordnung, sondern auch in BauO NRW gibt es musterkonform ganz klare Anforderungen, die an Bauprodukte gestellt werden, um diese verwenden zu können und daraus sichere Bauwerke zu errichten, die ihrerseits Anforderungen an die Standsicherheit, den Brandschutz etc. erfüllen. Dieser Rechtsrahmen ist klar abgesteckt und gilt sowohl für solche Bauprodukte, die aus natürlichen Ressourcen hergestellt werden – hier denken wir z. B. an Gesteinskörnungen für die Herstellung von Beton, die durch Kiesgewinnung, also Abbau in einer Kiesgrube, gewonnen werden –, als auch für solche, die aus recyclierten Materialien produziert werden können – auch hier können wir wieder an Gesteinskörnungen für die Herstellung von Beton denken, die aber eben aus Abbruchmaterial gewonnen werden. Ein anderes Beispiel stellen auch recyclierte Autoreifen dar, die wir als schalldämmende Bauprodukte wiederfinden. Die Fragen, die es u. a. auch noch zu beantworten gilt, sind dann aus bauordnungsrechtlicher Sicht aber eher technischer Natur, also wie und mit welchen Verfahren kann festgestellt werden, welche Eigenschaften ein aus einem Bauwerk entnommenes Bauprodukt noch hat, nämlich nachdem es viele Jahre oder Jahrzehnte bereits genutzt, aber auch abgenutzt, verschlissen wurde. Sind alle Eigenschaften noch in dem Maße vorhanden, wie sie sich bauaufsichtlich für eine weitere Verwendung im konkreten Fall als erforderlich erweisen. Mit diesen Fragen befassen sich bereits Gremien der BMK und werden zusammen mit den technisch orientierten Gremien Lösungen für die anstehenden Fragen aufzeigen. Ähnlich wie bei einem Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ergeben sich aber auch solche Fragen, die im zivilen Bereich, also zivilen Baurecht liegen: Wer haftet für das gebrauchte Produkt. Hier gibt es in der Tat Bedarf für Antworten.

Würde sich in der dicht bebauten Rhein-Ruhr-Region nicht auch eine systematische Nutzung von vermeintlichem Bauschutt als Recyclinggestein bei der Betonherstellung anbieten?

Die systematische Weiternutzung von Baustoffen macht wirtschaftlich unabhängiger, reduziert Abfall, spart ­Ressourcen und ­mindert Umwelt­auswirkungen

D. S.: Die Nutzung von Recyclinggestein lohnt sich in der Rhein-Ruhr-Region – wie in jeder Region der Welt. Hat man früher von Bauschutt gesprochen, erkennt man heute immer mehr den Wert und die Möglichkeit der Wiederverwertung einmal eingebauter Baustoffe. Bauliche Anlagen, die bisher komplett abgeschrieben und kostenpflichtig entsorgt werden mussten, behalten als Materiallager einen Wert. Das Potenzial ist riesig: Laut Umweltbundesamt hat das gesamte in Deutschland verbaute Material ein Gewicht von 15 Mrd. t. Bau- und Abbruchabfälle machen mehr als die Hälfte des bundesweiten Abfallaufkommens aus [1]. In unserem Zukunftsvertrag, also dem Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen heißt es dazu: Wir werden das Baustoffrecycling als Teil der Kreislaufwirtschaft vorantreiben und Hemmnisse bei der Wiederverwendbarkeit von Abbruchmaterial konsequent beseitigen [2]. Die systematische Weiternutzung von Baustoffen macht wirtschaftlich unabhängiger von Materialzulieferungen, reduziert Abfall, spart Ressourcen und mindert Umweltauswirkungen. Die zirkuläre Wertschöpfung ist die Zukunft des Bauens und kann durch die Digitalisierung stark forciert werden. Zirkulär wirtschaftende Unternehmen werden mehr nachwachsende Rohstoffe oder Rezyklate einsetzen und kümmern sich auch um den späteren Verbleib ihrer Produkte.

Gibt es andere Landesinitiativen zum zirkulären Bauen?

D. S.: Die Kreislaufwirtschaft nimmt einen prominenten Raum in unserem Koalitionsvertrag ein. Immerhin 14-mal taucht dieses Stichwort dort auf. Das zeigt, dass wir die Zirkularität in allen Bereichen als ein wichtiges Handlungsfeld auf dem Weg zur Klimaneutralität sehen. Mit Bezug auf die Bauwirtschaft haben wir dort Folgendes formuliert: Wir wollen die Bauwirtschaft beim Strukturwandel zu nachhaltigerem Bauen und zur Kreislaufwirtschaft unterstützen. Dazu werden wir Technologien des handwerklichen und materialsparenden Bauens und den Einsatz erneuerbarer Baustoffe fördern und erforschen [2, Zeilen 5492–5495]. Und weiter: Gleichzeitig gilt es, mit den vorhandenen Ressourcen sparsamer umzugehen und diese auch im Bau wiederzuverwenden. Wir werden die Grundlagen dafür legen, dass die Kreislaufwirtschaft auch im Hochbau umgesetzt werden kann und rechtliche Hemmnisse und Hürden abgebaut werden. Wir werden die Bauvorschriften anpassen, um den Einsatz erneuerbarer und recycelter Baustoffe zu erleichtern und deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern [2, Zeilen 5508–5513]. In diesem Zusammenhang begrüße ich die im September vom Deutschen Institut für Normung vorgelegte neue DIN-Norm für zirkuläres Bauen. Sie hilft dabei, Bauprodukte zu identifizieren, die neu und dann immer wieder verwendet werden können [1]. Das Landeskreislaufwirtschaftsgesetz verpflichtet die öffentliche Hand, dass geeignete und qualitätsgesicherte rezyklierte Gesteinskörnungen insbesondere in Recyclingbeton gleichberechtigt mit Baustoffen eingesetzt werden können, die auf der Basis des Einsatzes von Primärrohstoffen hergestellt wurden [3]. Künftig können bei der Bewertung von Ausschreibungen im öffentlichen Bereich auch die Lebensdauer und die Nachhaltigkeit von Baustoffen über ihre ganze Lebensdauer in die Bewertung eines Angebots mit einfließen. Auch das Building Information Modeling (BIM) liefert einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Denn in diesem digitalisierten Planungsverfahren werden ebenfalls die verbauten Materialien dokumentiert. Die Eigenschaften jedes einzelnen Ziegels sind abrufbar. Man weiß, wie viel der Ziegel wiegt, woraus er besteht, wann und wo er hergestellt und wo und von wem er verbaut wurde. Mit unserem Building Information Competence Center (BIM-CC) schulen wir Architektinnen, Bauingenieure und Mitarbeiterinnen in den Kommunalverwaltungen bei der Einführung und Anwendung von BIM. Im Übrigen versetzt BIM uns in die Lage, künftig rein digitale Baugenehmigungsverfahren durchzuführen. Modellprojekte dazu gibt es schon. Wie überhaupt die Kommunen und die Unternehmen in NRW auf einem guten Weg sowohl in Richtung Digitalisierung als auch Kreislaufwirtschaft sind.

Das Eckmänneken in Warburg von 1471 ist das älteste datierte Fachwerkhaus des ­Landes. Aber es gibt keinen Lehrstuhl für Holzbau an den technischen Universitäten. Ist NRW ein Holzbauland?

Holz ist ein uralter Baustoff und doch absolut zeitgemäß

D. S.: Sie können an der Fachhochschule Aachen einen Bachelorstudiengang Holzingenieurwesen belegen. In Lemgo an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe kann man Holztechnik studieren. Zudem wird in allen Architektur- und Bauingenieurstudiengängen das Bauen mit Holz mehr oder weniger intensiv thematisiert. Grundsätzlich herrscht aber an unseren Universitäten und Hochschulen die Freiheit von Lehre und Forschung. Und ja, Nordrhein-Westfalen ist ein Holzbauland. Holz ist ein uralter Baustoff und doch absolut zeitgemäß. Bauen mit Holz ist natürlich und umweltfreundlich. Der Holzbau hat eine große ökologische und klimapolitische Bedeutung. Wir tun viel für die Förderung des Holzbaus:

  • 2019 haben wir die Landesinitiative Bauen mit Holz ins Leben gerufen. In der Expertenkommission dieser Initiative sitzen 17 Vertreterinnen und Vertreter aus der Bauwirtschaft, aus der Holzwirtschaft, von Planungs- und Bauverbänden – auch aus Österreich und den Niederlanden – zusammen. Die beraten uns, wie wir den Holzbau weiter voranbringen können.
  • Schon zweimal haben wir die Landesbauordnung angepasst, um noch mehr Holzbau zu ermöglichen. Jetzt können Bauten der Gebäudeklassen 1–5 und bis zu einer Höhe von 22 m aus Holz errichtet werden.
  • Öffentliche, landesfinanzierte Bauvorhaben mit Bauwerkskosten ab 15 Mio. Euro müssen zwingend einen Nachweis gemäß dem Bewertungssystem nachhaltiges Bauen (BNB) erbringen, was den Einsatz von Holz begünstigt.
  • Für Massivholz- und Hybridbauten haben wir ein attraktives Zusatz-Förderprogramm innerhalb der öffentlichen Wohnraumförderung aufgelegt. Auf diese Weise wurde seit 2020 der Bau von 1256 Mietwohnungen bezuschusst. In Würselen-Broichweiden wurde im letzten Jahr ein Landeswettbewerb ausgelobt, bei dem ein erheblicher Teil der Überbauung eines ehemaligen Industrieareals mit einem neuen Wohnquartier in Holzbauweise ausgeführt werden soll.

Der Neubau des LWL-Freilichtmuseums in Detmold nutzt Holz und insbesondere Stroh und Lehm. In Düsseldorf wird eine riesige Lärmschutzwand entlang der Bahntrasse möglicherweise in Lehmbauweise geplant. Wie regional muss das Bauen zukünftig sein und wie wird die Bauindustrie bei der notwendigen Transformation unterstützt?

D. S.: Je regionaler, desto besser. Jedenfalls fallen so am wenigsten Transportwege an – was dem Geldbeutel und dem Klima nutzt. In der Tat liegen Holz, Lehm und Stroh sozusagen vor unserer Haustüre. Schon seit über 2000 Jahren bauen die Menschen im Jemen sogar bis zu fünfstöckige Hochhäuser aus Lehm. Bei extrem hohen Außentemperaturen, wie sie eben in Wüstenstaaten herrschen, ist es in den hohen Wohntürmen angenehm kühl. Etwas jünger und näher sind uns Beispiele wie etwa der Umbau des alten Abgeordnetenhauses in Bonn, in dem heutzutage das Klimareferat der Vereinten Nationen sitzt und bei dem Lehm in Kombination mit Schilf verbaut wurde. Das Ecolut-Forum in Engelskirchen bei Köln wurde als Eichenholz des benachbarten Waldes in Kombination mit Lehm in nur 14-monatiger Bauzeit errichtet. Ein Ärztehaus in Waldbröl oder der denkmalgeschützte Tuppenhof in Kaarst zeigen, dass der Lehmbau tägliche Realität auch in unserem Bundesland ist. Kurz und gut: Biobasierte Baustoffe wie Holz, Lehm und Stroh sind auf dem Vormarsch. Das ist ökologisch sinnvoll und wird auch ökonomisch immer interessanter. Diese natürlichen Ressourcen liegen vor unserer Haustüre, wurden schon vor Hunderten von Jahren genutzt und haben eine hervorragende Umwelt- und Klimaschutzbilanz. Es gibt keinen Grund, warum den biobasierten Baustoffen nicht eine blendende Zukunft bevorstehen sollte.


Literatur

  1. Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen e.V. (2023) Mitteilungen – Bauen und Vergabe [online]. Düsseldorf: Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen e.V. https://www.kommunen.nrw/informationen/mitteilungen/datenbank/detailansicht/dokument/neue-din-norm-fuer-zirkulaeres-bauen-veroeffentlicht.html [Zugriff am: 30. Oktober 2023]
  2. CDU; Die Grünen (2022) Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen. Koalitionsvereinbarung von CDU und Grünen [online]. Berlin. https://www.cdu-nrw.de/sites / www.neu.cdu-nrw.de/files/zukunftsvertrag_cdu-grune.pdf
  3. Landes Kreislaufwirtschaftsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeskreislaufwirtschaftsgesetz LKrWG). § 2 Abs. 2.

Daniel Sieveke, geb. 1976, Sparkassen­betriebswirt; Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen von 2010 bis 2022; Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen seit 2022.

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