Wie weiter mit (Um)bauen und Klimaschutz?
Der Bau-, Immobilien- und Infrastruktursektor ist bei Themen wie Klimaschutz, Ressourcenverbrauch oder Abfallaufkommen maßgebend, das wissen wir heute. Gleichzeitig gilt Mangel an bezahlbarem Wohnraum als drängendes soziales Problem und die bröckelnde Infrastruktur, allen voran die vielen maroden Brücken, behindert zunehmend unsere Mobilität wie unsere Wirtschaft. Im Bundestagswahlkampf standen weder Bauen noch Klima im Fokus. Wie kann es jetzt also weitergehen mit (Um)bauen und Klimaschutz? Was können Planer und Bauindustrie leisten? Was sollte die Politik jetzt tun? nbau Chefredakteur Dr. Bernhard Hauke hat mit Prof. Elisabeth Broermann und Andrea Bitter von Architects for Future Deutschland e. V. und dem Hauptgeschäftsführer der Bauindustrie Tim-Oliver Müller gesprochen.
Warum wird weder in der Gesellschaft noch bei den meisten Klimaaktivisten so richtig wahrgenommen, wie wichtig der Bausektor für Klima, Ressourcen oder Abfall ist?
Elisabeth Broermann: Viele Dinge, die sonst thematisiert werden, sind individueller. Wie esse ich? Wie reise ich? Das können wir unmittelbar selbst bestimmen. Beim Bauen sind die notwendigen Entscheidungen oft eher politischer Natur und es gibt nicht den direkten Zugang für jede:n. Auch wird oft beim Stichwort Nachhaltiges Bauen nur die Energieeffizienz im Betrieb betrachtet. Wenn wir aber die grauen Emissionen und den Lebenszyklus zusammen betrachten, dann sehen wir den großen Hebel der Branche: weniger abreißen und neu bauen, mehr im Bestand um- und weiterbauen.
Tim-Oliver Müller: Ich glaube, einerseits ist der Druck noch nicht so hoch, dass sich die Gesellschaft mit dem Thema Klimaschutz beim Bauen und Betreiben wirklich auseinandersetzt. Für viele scheint das Thema weit weg. Straßen, Bürgersteige, Häuser: Alle nutzen die Produkte, die wir bauen, jeden Tag – aber wer hat im Alltag schon einen Bezug zum aktiven Bauen? Oder friert gern, um etwas Energie einzusparen? Und es gibt diese Polarisation wie beim Bündnis bezahlbarer Wohnraum. Jeder hält seine Monstranz, sein Thema hoch, es gibt nur schwarz oder weiß, keiner gibt nach und am Ende bewegt sich wenig.
E. B.: Dass da noch viel mehr dahintersteckt und die Hebel für Klima oder Ressourcen ganz andere sind, das ist wenig bekannt und vielleicht nicht genug erläutert. Die 11 Hebel zur Vereinheitlichung der Landesbauordnungen für sicheres und bezahlbares Bauen [1] der Bauindustrie können wir als A4F mittragen, aber alles reduziert sich auf Baukosten und Bürokratieabbau – Klima und Ressourcen spielen da leider kaum eine Rolle.
T.-O. M.: Der Fokus lag auf den Themen Neubau und Kostensenkung. Andere Vorschläge wie CO2-Schattenpreis, Weiterentwicklung des GEG zu einem Gebäudeemissionsgesetz oder der dänische Ansatz mit degressivem CO2-Grenzwert pro Quadratmeter will momentan keiner in der politischen Debatte hören. Das ist schade. Also haben wir die aktuellen Pain Points in den Blick genommen. Am Ende kriegen wir hoffentlich trotzdem unseren Dreiklang für mehr Klimaeffizienz im Gebäudebereich aus Gebäudehülle, Technik und Energiequelle ebenso gelöst wie die Fortschreibung des GEG in Richtung EU-Gebäuderichtlinie mit pragmatischer Energie- und CO2-Bilanzierung als Steuerungsgröße.
Mit dem Sondervermögen gibt es nun Aufmerksamkeit für Infrastruktur. Welche Rolle spielen da Klimaschutz oder Ressourcen im Kontext Bauen?
T.-O. M.:Nach der Einigung mit den Grünen heißt es nun Sondervermögen für Infrastruktur und Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 – und 100 Mrd. davon gehen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Näheres soll später ein Bundesgesetz regeln, aber energetische Gebäudesanierung, Netzausbau für Strom, Erzeugungs- und Speicherkapazitäten für erneuerbare Energie, Energieeffizienz, Innovation sind sicher Punkte. Unser CO2-Schattenpreis geht aber leider zu sehr ins Detail für solche Politikrunden.
Andrea Bitter: Mich stört immer dieses Extra für das Klima. Klimaschutz und Klimafolgenanpassung müssen als Entscheidungsgröße in alle Investitionen einfließen. Wir müssen aufhören, Kosten gegen Klimaschutz aufzurechnen. Wir hören so oft, dass die Bauwirtschaft nicht wolle, was wir Architects for Future fordern. Wir werden gegeneinander ausgespielt, dabei hat Bauen für die Menschen und gleichzeitig für den Klimaschutz so viele Multi-Benefits. Wir haben riesige Aufgaben vor uns. Klimaschutz und Klimaresilienz bewahren unsere Lebensgrundlagen; der Bausektor ist für beides maßgeblich. Darum werden diese auch Innovationsschub und Investitionsgröße für die nächsten Jahrzehnte sein.
T.-O. M.:Ja, wie gesagt, es drückt noch nicht genug. Wir haben, nach einer internen Umfrage, bisher leider nur wenige Erfahrungen mit dem CO2-Schattenpreis gemacht, und das vorrangig im Straßenbau. Und dann auch nur, weil es von uns, der Bauindustrie angestoßen wurde. Mit dem Resultat, dass ein Verfahren eingesetzt worden wäre, das mit einer erdgasbasierten Asphaltproduktion etwa 40 % CO2 eingespart hätte. Das wäre dann aber etwa 1,5 % teurer geworden – und wurde deshalb nicht umgesetzt. Die Pflicht zur CO2-Reduktion gibt es jedoch seit Jahren gemäß § 13 Klimaschutzgesetz, der nachhaltige und klimagerechte Beschaffung fordert. Nur gibt es bisher keine Instrumente zur Umsetzung. Wir hätten uns deshalb gefreut, wenn es ins Vergabetransformationspaket der letzten Bundesregierung reingekommen wäre. Stattdessen reden alle von Nachhaltigkeit, wodurch aber viele Punkte im Sinne des Klimaschutzes verwässert werden, wenn wir bspw. Fahrradstellplätze gegen CO2-Reduktion kompensieren können. Das hilft uns nicht.
E. B.: Wichtiger Punkt, den wir auch immer gerne betonen: Klimaschutz ist längst Gesetz, auch von Union und SPD beschlossen. Wir brechen es nur die ganze Zeit. Und da passiert zu wenig. Im Hebelpapier [1] der Bauindustrie wird auch zu Recht darauf verwiesen, dass in den Bauordnungen steht: Umwelt, Leib und Leben sind zu schützen.
A4F und Bauindustrie stimmen überein, dass wir klimagerecht bauen können und wollen, aber die rechtlichen Rahmenbedingungen, wie bspw. ein angemessener CO2-Schattenpreis, hinken hinterher.
A. B.: Im Hochbau ist der CO2-Schattenpreis vielleicht weniger wichtig, weil nachhaltig inzwischen nicht mehr automatisch teurer ist. Oft ist es aber qualitativ besser, und so werden Äpfel mit Birnen verglichen. Wenn v. a. im Straßenbau oder bei anderen Infrastrukturen neue Verfahren oder Materialien eingesetzt werden, braucht es einen Anschub, bis es zum neuen Normal wird. Der CO2-Schattenpreis hilft, dass diese Dinge von der öffentlichen Hand beauftragt werden dürfen und es nicht immer nur um den Euro günstiger geht. Es wäre doch unsinnig, wenn wir alternativ für Klimafolgekosten sehr viel mehr Steuergelder aufwenden.
T.-O. M.:Wir sollten nicht zwischen Hochbau und Verkehr unterscheiden, auch wenn manche sagen, die Anwendung des Schattenpreises im Hochbau sei zu komplex. Erstens hilft es aber alles nichts und zweitens ist es gar nicht kompliziert, da CO2-Mengen bspw. aus Baustoffen durch europäisch vorgegebene EPDs simpel ermittelt werden können. Und wieso fangen wir nicht einfach mal an? Wenn viele Baustoffe künftig über den Emissionshandel bepreist werden, braucht es doch ein Instrument für die Vergabe, damit höhere Preise durch einen Wertungsvorteil aufgrund geringerer CO2-Werte wettbewerbsfähig gehalten werden. Diesen Anreiz brauchen wir im Hochbau wie im Verkehrsbau, bei der öffentlichen Hand genauso wie bei privaten Bauvorhaben.
Ist der Bauindustrie der CO2-Schattenpreis lieber als das dänische Modell mit den degressiven CO2-Grenzwerten?
T.-O. M.:Das ist nicht substitutiv, sondern additiv zu sehen, genauso wie mit den Zertifikaten. Die CO2-Grenzwerte wären Mindestanforderungen, der CO2-Schattenpreis ermöglicht Transparenz und Wettbewerb. Zusätzlich DGNB Gold oder andere Siegel zu erreichen ist gut, aber das primäre Ziel bis 2045 muss doch die Klimaneutralität sein. Das DGNB-Zertifikat, das ja über den Klimaschutz hinausgeht, wäre dann ein bestimmter, breiterer Weg, auch die Klimaziele zu erreichen. Aber ich möchte von einem Benchmark ausgehend auch ein Optimierungsziel haben.
A. B.: Degressive CO2-Grenzwerte sind Anforderungen der EU-Gebäuderichtlinie. Ökobilanzierung und CO2-Reduktionspfade müssen wir bis 2026 in deutsches Recht überführen. Ewige Diskussionen wie bei der GEG-Novelle können wir uns damit sparen, möglichst rasch gemeinsam unkomplizierte Lösungen umsetzen und ein erneutes Bürokratiemonster vermeiden.
Inzwischen gibt es wohl Einigkeit, die Energieeffizienz durch eine CO2-Lebenszyklusbilanz zu ergänzen [2].
A. B.: Ja, zum Glück. Es macht Sinn, graue Emissionen zu berücksichtigen. Nur diskutieren wir schon wieder im Detail, ob wir das nur für den Neubau wollen oder auch im Bestand und was wir alles reinrechnen etc. – und ins Tun kommen wir wieder nicht. In Deutschland ist es doch oft so, dass wir erst alles ganz genau wissen müssen und bis auf die zweite Nachkommastelle rechnen, damit es auch ganz sicher passt und wir es vorher 27-mal ausprobieren. Hier ist alles Wichtige da: Legt endlich los!
T.-O. M.: Der CO2-Fokus beim Neubau ist unstrittig. Sobald wir zu Sanierung und Bauen im Bestand kommen, meinen jedoch Teile der Industrie, dass der Fuel Switch zwar die einfachste Möglichkeit wäre, CO2 einzusparen, am Ende aber zu einer Energieverschwendung führe, da zu viel Strom oder Wärme über die ungedämmte Gebäudehülle verloren ginge. Das ist weitgehend richtig, aber gerade deshalb muss doch der bereits erwähnte Dreiklang aus Hülle, Technik und Energiequelle mit einem zusätzlichen Fokus auf CO2 im Mittelpunkt stehen und nicht ausschließlich Energieeffizienz.
A. B.: Ja, das ist eine riesige Diskussion im Moment. Es sollten zuerst Ökobilanz (LCA) und Lebenszykluskosten (LCC) betrachtet werden, sodass auch Betriebsenergie und -kosten im Blick sind. Dann müssen wir der Wissenschaft einfach mal glauben, welches Effizienzhaus, z. B. 100, 85 oder 70, optimal ist. Natürlich können wir nicht einfach Wärmepumpen einbauen und sagen, die Energiemenge ist egal, weil sie erneuerbar ist. Das Fraunhofer ISE in Freiburg macht gerade eine Studie, in der die verschiedenen Szenarien durchgespielt werden: Am Ende brauchen wir sowohl effizientere Hüllen mit möglichst fossilfreier, regional nachwachsender Dämmung als auch erneuerbare Energie einschließlich der Netze und Speicher. Das ist nicht schwarz-weiß, sondern irgendwo dazwischen. Klar ist aber, dass bei der CO2-Bilanz Bestand grundsätzlich viel besser ist als Neubau, weil die graue Energie schon da ist.
T.-O. M.:Das ist der Dissens, den wir gerade versuchen, mit einem vernünftigen Mittelweg aufzulösen. Am besten wäre eine einfache Formel als Richtschnur, auch für die Weiterentwicklung des GEG. Aktuell machen wir noch Energieeffizienz und Heizungsumstellung de facto parallel, aber nur beim seriellen Sanieren funktioniert das bisher als Business Case.
A. B.: Bauen ist extrem komplex, wir haben einen riesigen Gebäudebestand und es gibt nicht die eine Universallösung, davon müssen wir uns verabschieden.
Nur das Ziel festzulegen und unterschiedliche Wege dahin zuzulassen, statt genau zu beschreiben, was getan werden muss, ist inzwischen Konsens?
E. B.: Und dafür muss bei Planenden und Ausführenden diese Wissenslücke für die Transformation des Bestands geschlossen werden, Arbeitsweise, Methoden und Materialwahl müssen anders werden. Dafür bedarf es Anreiz und Unterstützung beim Wissenserwerb und der Umsetzung in der Praxis.
A. B.: Für jedes Gebäude alles neu zu berechnen, muss nicht sein. Wir können Beispiellösungen zur Verfügung stellen oder einfache Möglichkeiten vorgeben, z. B. Wärmepumpen für die Erfüllung der 65%-Erneuerbare-Energien-Regel des GEG. Das kann dann einfach so oder so ähnlich übernommen werden. Und gleichzeitig sollte aber auch selbst gerechnet werden dürfen, solange das vereinbarte Ziel erreicht wird.
Beim Wohnen gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie viele neue Wohnungen wir wirklich brachen und v. a., wo die entstehen sollen. Da gibt es zum einen diese Studie [3], wir könnten 1 Mio. Wohnungen durch Aufstockungen gewinnen. Andere sagen, wir könnten ganz viel an Bestand umnutzen. Aufstocken und Umnutzen bedienen sich bestehender Infrastruktur, versiegeln keine neuen Flächen und haben zumindest teilweise über die vorhandene graue Energie einen Emissionsvorteil. Ist da Neubau aus Klimasicht nicht kontraproduktiv? Olaf Scholz sprach hingegen öfter von den großen, neuen Stadtteilen auf der grünen Wiese. Brauchen wir die?
E. B.: Nein, neue Stadtviertel brauchen wir zumindest nicht in solchen Dimensionen. Und je mehr wir versiegeln, umso mehr zersiedeln wir unsere Landschaft und umso mehr Infrastruktur müssen wir zur Erschließung zusätzlich bauen. Es gibt also viele Gründe, erst mal die vorhandenen Potenziale im Bestand zu nutzen. Dafür muss das Bauen im Bestand wesentlich unkomplizierter und einfacher werden. Im Moment sind unsere Baugesetze sehr auf das Bauen auf der grünen Wiese ausgerichtet. Im Hebelpapier [1] der Bauindustrie gibt es den Punkt Bauen im Bestand erleichtern. Und A4F ist schon 2021 mit der Umbauordnung an die Politik herangetreten mit Themen wie Bestandsschutz oder einfacherer Aufstockung. Dafür braucht es einheitliche Regelungen in den Ländern, die Bauordnung muss zur Umbauordnung werden. Und oft fehlt auch nicht Wohnraum per se, sondern bezahlbarer Wohnraum. Die Hebel liegen dabei oft auch jenseits des Bauens, wenn Wohnungen aus der sozialen Preisbindung rausfallen, Mietpreisbremsen erst mal probiert werden könnten etc. Wie schafft da die Bauwirtschaft den Switch, die Ressourcen gezielt für Sanierung und Ausbau im Bestand einzusetzen und weniger für Neubausiedlungen zu verschwenden?
T.-O. M.: Aufstockung und Nachverdichtung sind auch nicht die Universallösung, wenn wir bezahlbar denken. Aufstockung ist oft die teuerste Art des Neubaus. Wenn wir damit über die Hochhausgrenze gehen, dann braucht es neue Fluchtwege, dazu oft eine Strangsanierung; das werden dann nicht die gewünschten 12 Euro/m² Netto-Kaltmiete. Klar, es gibt tolle Dachmodule, die man manchmal oben draufsetzen kann. Aber Nachverdichtung im Hinterhof ist ebenfalls klassischer Neubau, damit versiegeln wir auch zusätzlich.
E. B.: Über den Supermarktparkplatz oder den eingeschossigen Supermarkt könnte schon gebaut werden.
T.-O. M.: Da müsste man erst mal schauen, ob die statischen Voraussetzungen für eine Aufstockung überhaupt gegeben sind. Ich bin gar nicht dagegen, aber es ist technisch nicht einfach und noch viel weniger kostengünstig.
E. B.: Für den Neubau auf der grünen Wiese muss ja auch eine Infrastruktur geschaffen werden – Straßen, öffentliche Verkehrsmittel, Versorgungsleitungen usw. Das ist ebenso ein nicht unerheblicher Aufwand. Und für das Bezahlbare sind die Hebel auch an einer anderen Stelle. Das Geld, das wir da jetzt in den Neubau buttern, gehört eher in die weiterlaufende Preisbindung, sodass niemand Bedürftiges deshalb umziehen muss. Und Spekulation mit Leerstand und den Bodenpreisen heizen Abriss und teuren Neubau an. Das ist ein weites Feld, das lösen wir nicht einfach mit Neubau auf der grünen Wiese.
T.-O. M.: Ja, ich möchte auch nur ein bisschen Wasser in den Wein gießen. Allein in Berlin gibt es 24 potenzielle Stadtquartiere, da gibt es Bauland und Infrastruktur, da könnte sofort gebaut werden, aber viele Menschen sind dagegen – das ist enormer Sprengstoff. In einer wachsenden Stadt wie Berlin müssen wir vielleicht erst mal gesellschaftlich akzeptieren, dass wir 75.000 Menschen pro Jahr zusätzlich nicht nur mit Aufstockung und Nachverdichtung unterbringen können, sondern auch Neubau benötigen. Auch bei Tauschbörsen werden mehr große als kleine Wohnungen gesucht, was zudem aus verschiedenen Gründen nicht wirklich gut läuft. Mein Lieblingsbeispiel ist aber, aus alten Karstadt-Gebäuden Wohnraum zu machen. Die wären aber so riesig, da gäbe es komplett innenliegende Wohnungen oder, wenn diese Gebäude umgebaut würden und Lichthöfe entstehen, dann ist das wieder enorm teuer. Außerdem sind solche Gebäude oft in Premiumlagen, da klappt das kaum mit Sozialwohnungen. Aktuell wird Wohnungsbau zu 85 % durch privates Kapital finanziert, da muss man sich auch mit der Marktrealität beschäftigen.
E. B.: Liegt da nicht der Fehler? Darf Wohnen überhaupt dem Markt unterworfen sein? Ist Wohnen nicht eigentlich ein Grundrecht, für das gerade im bezahlbaren Bereich der Staat mit verantwortlich sein sollte? Es war sicher ein Fehler, dass sich der Staat hier so weit zurückgezogen hat.
T.-O. M.: Ja, aber das ist vergossene Milch.
E. B.: Karstadt ist ein Sonderthema. Aber die Wohnungen, die aus der Preisbindung fallen, könnten verlängert werden und es gibt genügend Büro- und Gewerbegebäude, die sehr einfach und kostengünstig zu neuem Wohnraum umgebaut werden können. Am Ende muss es eine sinnvolle und effektive Mischung sein zwischen Umbau und Neubau, aber bitte immer zuerst ein gutes Abwägen für den Erhalt.
Stellt sich die Bauindustrie perspektivisch auf mehr Bestandsbau ein?
T.-O. M.: Das hängt von den entsprechenden am Markt verfügbaren Aufträgen ab, aber wir sehen das Potenzial.
Wieweit sollte der Staat sich wieder im Wohnungsmarkt engagieren?
T.-O. M.: Das ist ein bisschen eine philosophische Diskussion: privat vor Staat oder andersherum? Weder ist der Staat der bessere Unternehmer, noch hat der Markt allein die gesellschaftliche Verantwortung im Blick. Der größte staatliche Hebel sind vielleicht günstige KfW-Zinsen; entsprechende Programme mit einer Zinsvergünstigung auf rd. 1 % kosten Geld, aber dann ginge es los mit Wohnungsbau. Natürlich kann der Staat auch Wohnungsbestände zurückkaufen. Das hilft den wenigen, die da wohnen. Aber so entsteht keine einzige neue Wohnung und der Bestandserhalt muss auch finanziell eingeplant werden. In den wachsenden urbanen Zentren brauchen wir dann eher die angesprochene Mischung einschließlich Umbau und Aufstockung, aber auch Neubau.
A. B.: Wenn der günstige KfW-Kredit dafür verwendet wird, die teilweise exorbitanten Grundstückspreise zu bezahlen, dann ist noch nichts erreicht. Das Problem für bezahlbare Wohnungen, v. a. im Neubau, ist oft der Bodenpreis. Gleichzeitig besitzen die Städte zu wenig Grundstücke. Hier müssten wir eher über Bodenpolitik als über zinsverbilligte Kredite nachdenken. Das ist auch ein sozialer Diskurs.
T.-O. M.: Wir können uns auch Erbbaurecht und ähnliche Modelle vorstellen. Da bin ich absolut bei Ihnen. Ich wollte nur sagen, wir müssen genau gucken, wofür wir unser Geld ausgeben und dass wir nicht zu einseitig diskutieren.
A. B.: Es gibt Stimmen, dass wegen der hohen Renditen zwischen 60 und 140 Mrd. Euro zu viel im Bausektor investiert werden und auch dies die Preise treibe. Das erschreckt mich als Architektin. Hier sollten wir vielleicht auch über Suffizienz reden. Wir sind inzwischen bei knapp 50 m² Wohnraum pro Person. Wenn ältere Menschen alleine in einer Vierzimmerwohnung leben und nicht in eine Zweizimmerwohnung umziehen können, weil sie dafür mehr zahlen würden, dann stimmt doch etwas nicht.
Inzwischen gibt es Modelle wie in Potsdam, da ist die Zweizimmerwohnung günstiger als vier Zimmer.
A. B.: Genau, aber das geht auch nur mit Querfinanzierung und finanzieller Unterstützung, am Ende mit Steuergeld. Aber wir müssen auf jeden Fall auch mehr mit Tauschmodellen und rechtlichen Möglichkeiten auf Wohnungswechsel setzen. Es gibt Familien, die wohnen im Altbau auf 80 m² und andere im Passivhaus auf 200 m². Das ist dann auch nicht klimagerecht oder nachhaltig.
Suffizienz ist ein großer Hebel, aber zurück zum Bauen. Es gibt bereits einiges an klimafreundlichen Baustoffen und Bauweisen wie CO2-reduzierte Zemente oder Stähle, eine Norm für Lehmsteinmauerwerk, strohgedämmten Geschosswohnungsbau in Holzbauweise oder zahlreiche innovative Deckensysteme, aber in Summe hat sich bei den CO2-Emissionen im Bauwesen bisher noch nicht so viel getan. Wie kriegen wir das mehr in die Breite?
A. B.: Da müssen wir Ökobilanzen rechnen und den CO2-Preis mitberücksichtigen, um diese Dinge zu fördern. Und es muss das entsprechende Wissen weiterverbreitet werden. Gipskartonplatte, Metallständer und Vinylboden – die meisten denken doch, das sei die Auswahl, die zur Verfügung steht. Also muss, um die Bekanntheit zu erhöhen, in einer Förderrichtlinie vielleicht auch die Lehmbauplatte stehen. Die gehört dann auch in die Baumärkte, damit wirklich alle informiert sind und darauf zugreifen können.
T.-O. M.: Ich schaue auch gerne auf die Marktgängigkeit, auf Zulassungsverfahren, Bauartenzulassungen oder werkstofffreie Ausschreibungen. Und bei den Einfamilienhäusern ist das auch noch etwas anderes als bei den Großprojekten der Bauindustrie. Da brauchen wir Massenproduktion und industrielle Herangehensweise. Das ist für uns am Ende der Hebel für die Bezahlbarkeit auch für Unikate, die wir ja meist noch herstellen.
CO2-reduzierte Zemente oder Stähle gibt es ja bereits, nur kosten die meist 5 Euro mehr.
T.-O. M.: Am Ende läuft es immer auf die Kosten hinaus, auf einen Preiswettbewerb. Also sind wir wieder beim eingangs diskutierten Schattenpreis als Lösung.
A. B.: Mit verbindlichen CO2-Grenzwerten müsste jeder eine LCA rechnen und letztlich solche Produkte einsetzen, die dann mit steigender Nachfrage auch besser lieferbar würden. Wir brauchen einen Anschub, bis es läuft.
Da sind wir wieder bei den gesetzlichen Instrumenten: CO2-Schattenpreis und degressive CO2-Grenzwerte.
E. B.: Ja, genau, und entsprechende Förderung, z. B. mit einer Mehrwertsteuererleichterung. Es gibt sicherlich viele mögliche Hebel, um das zu befördern.
A. B.: Das grüne Produkt kostet auch mehr, weil der CO2-Preis nicht eingerechnet ist, der laut Umweltbundesamt eigentlich bei 800 Euro/t liegen müsste, wenn wir die Existenzrechte der zukünftigen Generationen mit unseren heutigen gleichsetzen. Und weitere Umweltfolgekosten jenseits von CO2 gibt es ja auch noch. Wir sind einfach nicht ehrlich und bürden das zukünftigen Generationen auf.
Bis 2013 hatten wir bereits ein Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Muss nicht Klimaschutz überall dabei sein?
T.-O. M.: Wir haben ein Ministerium für Bauen und Klimaschutz gefordert, weil das aus Gebäudeperspektive gesehen zusammen gedacht werden muss und da die größten CO2-Hebel zu finden sind. Und ein Ministerium für Infrastruktur und Mobilität sollte es auch geben. Es wird aber wohl doch ein gemeinsames Ministerium für Bauen und Verkehr geben und Klimaschutz kommt zu Umwelt. Bei Letzterem bin ich skeptisch.
A. B.: Ich kann nicht sagen, welche Ministerien sinnvoll wären. Wir müssen anfangen, anders zu denken. Klimaschutz gehört in alle Bereiche. Das Problem sehe ich v. a. darin, dass in der Struktur der Ministerien immer noch zu sehr in Silos gedacht wird. In der Wirtschaft wird längst in Projekten und nicht Abteilungen gearbeitet. Komplexe Probleme in zusammenhängenden Bereichen erfordern vernetztes Agieren für gesamtgesellschaftliche Ziele.
T.-O. M.: Wir haben leider auch immer wieder erlebt, dass die verschiedenen Ressorts nicht nur nebeneinander existieren, sondern die Dinge am Ende teilweise ganz anders sehen. Wenn immer nur durch die absolute Bau-Brille geguckt wird und nicht auch vor- und nachgelagerte Lebensphasen eines Bauwerks einbezogen werden, dann werden wir der Komplexität des Bauens nicht gerecht und kommen auch nicht wirklich zu klimafreundlichen und bezahlbaren Lösungen. Und dann kommt es zu einer gefühlten Spaltung der Gesellschaft.
Heute aber lautet die Kernbotschaft, dass es zwischen der Bauindustrie und Architects for Future bei der großen Linie viel Übereinstimmung gibt. Das ist mehr als nur positiv.
A. B.: Wir werden uns in Detailfragen bestimmt streiten, aber das gemeinsame Ziel liegt auf dem Tisch.
T.-O. M.: Genau.
Wunderbar. Danke für das Gespräch.

Quelle: Julia Romeiss
Architects for Future Deutschland e. V. ist Teil des For-Future-Netzwerks, das die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele, die Wahrung der planetaren Grenzen und der Generationengerechtigkeit fordert. Die Mitglieder der Bewegung setzen sich ehrenamtlich für die ökologische, klima- und sozialgerechte Bauwende ein.
Literatur
[1] BAUINDUSTRIE [Hrsg.] (2025) 11 Hebel zur Vereinheitlichung der Landesbauordnungen für sicheres und bezahlbares Bauen. Berlin: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. https://www.bauindustrie.de/fileadmin/bauindustrie.de/Media/Veroeffentlichungen/PosPap_11-Hebel_final.pdf
[2] Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor (2024) Manifest für einen Kurswechsel in der Klimapolitik für den Gebäudesektor. https://www.initiativepraxispfad.de/wp-content/uploads/2024/12/manifest-wissenschaftler.pdf
[3] Tichelmann, U.; Groß, K. (2016) Deutschland-Studie 2015 – Wohnraumpotentiale durch Aufstockungen. Technische Universität Darmstadt; ISP Eduard Pestel Institut für Systemforschung e. V., Hannover. https://www.twe.architektur.tu-darmstadt.de/media/twe/publikationen_13/Deutschlandstudie2015_ohne_best_practice_beispiele.pdf