Müssen wir Nachhaltigkeit lernen?
Inspiriert durch einen Freund, der Maschinenbau studiert, wollen wir uns dieses Mal mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Lehre befassen. Unter seinen Kommilitonen brach kürzlich eine Diskussion aus – im Lehrplan wurde ein Fach zur Klimakrise und Nachhaltigkeit eingeführt und dafür die Stunden eines Grundlagenfachs reduziert. Die Studenten waren hier unterschiedlicher Meinung, ob das so wirklich sinnvoll ist.
Das hat uns zum Nachdenken angeregt, denn einerseits sind wir uns unserer Verantwortung als Bauschaffende bewusst, der Klimakrise mit innovativen, nachhaltigen Lösungen entgegenzutreten, andererseits empfinden wir eine solide Grundlagenausbildung junger Ingenieur:innen als Schlüssel für Qualität und Innovation.
Wir haben uns bei befreundeten Lehrenden und Studierenden umgehört. Auf die Frage, ob Themen der Nachhaltigkeit im Studiengang behandelt werden sollten, wurde durchweg mit Ja geantwortet. Bei fast allen ist dies aktuell auch schon der Fall, wobei das Ausmaß sehr unterschiedlich ist. Teilweise gibt es viele Vertiefungsmodule im Master bzw. ganze Masterprogramme, bei anderen wiederum nur einzelne Fächer im Bachelor. Trotzdem sieht man hier schon eine deutliche Veränderung im Vergleich zu unserer Studienzeit, denn da gab es in der Lehre noch kaum Angebote in diese Richtung. Auch fühlen sich die Befragten durch die Studiengänge größtenteils gut auf das spätere Berufsleben vorbereitet.
Eine Antwort finden wir besonders interessant. Es besteht eine „methodische Grundlagenausbildung, die Anwendung in allen späteren Bereichen des Ingenieurwesens erlaubt“. Ist es nicht genau das, was auch in den anderen Fächern des Ingenieurwesens gelehrt wird?
Ein Tragwerk wird nachhaltig, wenn das für die vorgesehene Nutzung effizienteste statische System mit dem richtigen Werkstoff in der minimal benötigten Menge kombiniert wird. Dafür ist es notwendig, zu wissen, welche Materialien es gibt und für welchen Einsatz diese besonders geeignet sind. Um die Werkstoffe nun nicht nur durch bekannte Eigenschaften wie z. B. Festigkeit und Dauerhaftigkeit zu bewerten, muss das Wissen über die Emissionen einzelner Werkstoffe vermittelt werden. Eine Vorlesung zur Ökobilanzierung ist hier sicher hilfreich, um die Emissionen ermitteln zu können. Im Grunde ist es aber eine Ergänzung der Werkstoffkunde um ein weiteres Kriterium, das in der Vergangenheit keine große Rolle gespielt hat.
Ähnlich ist es beim Thema der Rezyklierbarkeit einer Konstruktion. Auch hier ist es eine Ergänzung bestehender Fächer durch ein zusätzliches Entwurfskriterium – die bestmögliche Kombination zu finden, ist dann wieder Aufgabe der Ingenieur:in.
Um aber grundlegend den Impuls zu haben, beim Entwerfen und Konstruieren von Tragwerken auch wirklich die Nachhaltigkeit im Blick zu behalten und den Entwurf kritisch zu hinterfragen, ist wohl das Fach unseres Freunds fast am wichtigsten. Denn es zwingt alle Studierenden, sich einmal im Detail mit der Klimakrise zu beschäftigen. Wie viel man aus einer Vorlesung für sich verinnerlicht, war doch schon immer den Studierenden überlassen. Und damit wurde vermutlich genau das erreicht, was auch die Idee des Ganzen war – denn ein Fach über die Lebenszyklusanalyse hätte sicher zu weniger Diskussionen geführt.
Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch
Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18 Uhr
Ort: online, MS-Teams
Kontakt: sustainability@knippershelbig.com
Autor:innen
Marie Reichert, M.Sc., mreichert@bollinger-grohmann.de
Bollinger+Grohmann, Stuttgart
www.bollinger-grohmann.com
Kathrin Rauh, M.Sc.