CO2-effiziente Konstruktionen

Wie wir es gemeinsam schaffen

Warum gestaltet sich die Umsetzung von CO2-effizienten Konstruktionen eigentlich so schwierig? Die technische Machbarkeit für CO2-effizientes Bauen ist längst gegeben, doch in einem Großteil der realisierten Bauprojekte, insbesondere in Bezug auf die Kon-
struktion, wird diesem Aspekt noch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Darüber hinaus bietet die derzeitige Planungs- und Baupraxis wenig Spielraum für eine ganzheitliche Betrachtung möglicher Optimierungsansätze. Eine durch ein Planungsteam innerhalb eines Projektes gemeinsame und gemeinschaftliche Umsetzung der Strategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz stellt einen vielversprechenden Lösungsansatz dar. Dieser Essay hat das Ziel, aufzuzeigen, wie wir gemeinsam diese Prinzipien in die Breite tragen und in die praktische Anwendung in der Planung integrieren können.

Der große Hebel der Baubranche

Die Bedrohung durch den Klimawandel ist unbestreitbar und das der Menschheit verbleibende CO2-Budget ist bei gleichbleibenden Emissionen bereits in sieben Jahren erschöpft. Die Bauwirtschaft und der Gebäudebetrieb sind für circa 30–40 % der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. In Deutschland werden 90 % der mineralischen Ressourcen für den Gebäudebau genutzt und in diesem Sektor fallen auch 50 % des Müllaufkommens an. Insgesamt fließt über ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs in den Bau- und Betriebssektor unserer Gebäude. Die Umweltwirkung und der Ressourcenverbrauch der Baubranche sind enorm und müssen in den nächsten Jahren minimiert werden. Die Baubranche spielt in der Bewältigung der Klimakrise eine entscheidende Rolle und muss ihren großen Hebel für einen positiven Beitrag nutzen.

Hürden für CO2-effizientes Bauen in der
Planungspraxis

Die genannten Zahlen können nicht oft genug wiederholt und betont werden. Denn obwohl sie mittlerweile in Fachkreisen bekannt sind und diskutiert werden, wird CO2-effizientes Bauen in der Dringlichkeit der täglichen Arbeit noch zu sehr vernachlässigt. Das Warten auf CO2-neutrale Rohstoffproduktion und Energieerzeugung ist definitiv keine Lösung.

Festgefahrene Projektabläufe, lineare Leistungsphasen und vertragliche Verpflichtungen führen oft dazu, dass sich Planungsbeteiligte ausschließlich auf eine stringente und kollisionsfreie Abwicklung ihres eigenen Gewerks fokussieren. Eine Symbiose von verschiedenen Gewerken ist unattraktiv, da diese oft mit erhöhten Risiken und Abhängigkeiten verbunden ist. Ein Beispiel hierfür ist die oft bevorzugte Flachdecke im Vergleich zur abstimmungsintensiveren, aber auch materialeffizienteren Rippendecke. Darüber hinaus vermeiden Planungsbeteiligte aufgrund von vertraglichen Konsequenzen üblicherweise, Fehler einzugestehen oder aufwendigere und zeitintensivere Lösungen vorzuschlagen. Solange diese Form der Projektabwicklung existiert, wird jeglicher Raum für Innovationen genommen und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, gehemmt.

Effizienz

„Die Effizienz-Strategie zielt darauf ab, eine ökonomische Leistung mit geringstmöglichem Einsatz an Material und Energie zu erstellen, indem das Input-Output-Verhältnis verbessert wird.“ [1] Bezogen auf das Tragwerk kann man sich hier eine Formoptimierung vorstellen. Ein Beispiel hierfür ist eine Formoptimierung einer Betondecke, siehe Bild 1. Die Forschenden der ETH Zürich haben sich dafür historischer Bauprinzipien bedient und diese mit den neuen Möglichkeiten des 3D-Drucks kombiniert und zeigen, wie eine mögliche Weiterentwicklung einer Betondecke aussehen kann. Heute werden zum Teil Hohlkörperdecken eingesetzt, um die Effizienz von Stahlbetonflachdecken zu steigern.

Konsistenz

„Die Konsistenz-Strategie erstreckt sich vor allem auf die Erschließung von neuen Technologien, deren Stoffströme ‚konsistenter‘ mit natürlichen Prozessen sind.“ [1] Die Versuche, die Emissionen bei der Zement-
herstellung zu reduzieren, sind sicherlich das prominenteste Beispiel einer Konsistenz-Strategie in der Bauwirtschaft.
Ein weiteres Beispiel ist der vermehrte Einsatz von Laubhölzern in tragenden Konstruktionen.

Suffizienz

„Die Suffizienz-Strategie setzt auf Bewusstseinswandel und Lebensstile, die dem Prinzip der ökologischeren Bedürfnisbefriedigung folgen, aber auch Genügsamkeit und Selbstbegrenzung sowie andere Maßstäbe an Lebensqualität und Sinn des Lebens umfassen.“ [1] Somit kann die Suffizienz als eine Reduktion des Bedarfs verstanden werden. Ein anschauliches Beispiel ist die Reduktion des Pro-Kopf-Flächenbedarfs durch gemeinschaftliches Wohnen. „In einer klassischen Wohngemeinschaft werden Küche und Bad gemeinsam genutzt, wodurch sich ein Pro-Kopf-Flächenbedarf von ca. 30 m² (statt dem Durchschnitt von ca. 45 m²) ergibt.“ [2]

Rebound-Effekt
Aufgrund der Gefahr eines direkten Rebound-Effekts bei durch Konsistenz und Effizienz vermiedenen Emissionen sollten nachhaltige Lösungen niemals ohne die Berücksichtigung von Suffizienz erarbeitet werden. So hat sich der Wohnraum pro Person von 35 Quadratmetern 1991 bis 2021 auf fast 48 Quadratmeter entwickelt. Man kann also davon ausgehen, dass jegliche Emissionsminderungen (bisher rein energetische Betrachtung im Gebäudebetrieb), hervorgerufen durch Konsistenz- und Effizienz-Strategien, von zusätzlicher Nachfrage aufgehoben wurden.

Besonders die Integration der zusätzlichen Dimension Ressourcenschonung in die Planung ist durch die Trennung der Fachdisziplinen eine große Herausforderung, da gerade hier erhebliche Wechselwirkungen (zwischen den Aufgabengebieten einzelner Planungsbeteiligter) zu beachten sind. Auch Zertifizierungssysteme wie DGNB oder das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude – QNG schaffen derzeit noch keine besonderen Anreize bei den Planungsbeteiligten, eine CO2-effiziente Konstruktion zu entwerfen. Neben wenig ambitionierten Grenzwerten ist das Zusammenführen der konstruktions- und betriebsbedingten Emissionen in die Gesamtbilanz mittels Life Cycle Assessment zwar richtig und wichtig, führt aber zu einem fehlenden Verständnis und zu fehlender Verantwortung der einzelnen Fachplanungen hinsichtlich ihres eigenen Anteils.

1 Formoptimierte Betondecke
© ETH Zürich

Ein weiterer Aspekt ist, dass die Ausbildung oder das Studium Bauschaffender zu sehr auf die heute üblichen Bauweisen ausgerichtet war und immer noch ist, Baumaterialien oft losgelöst voneinander unterrichtet und oft nicht die nötigen Kompetenzen für ressourcenschonende und effiziente Tragwerke vermittelt werden. Auch die Modulhandbücher im Bauingenieurwesen-Studium vernachlässigen oft diese Aspekte und schulen eher ein Anwenden von Normen auf definierte Probleme als die kritische Diskussion der fächer- und materialübergreifenden Herangehensweise im Tragwerksentwurf. Absolvent:innen sind somit fachlich oft nicht ausreichend auf die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen vorbereitet, die für nachhaltige Bauweisen notwendig ist.

Selbstwirksame Lösungsansätze in der Planung

Für eine zügige und wirkungsvolle Transformation der Baubranche ist eine Veränderung auf allen Ebenen – Planung, Industrie und Politik – erforderlich. Aktuell existiert bereits eine Bandbreite an Lösungsansätzen. Hier wird der Fokus auf den Faktor Selbstwirksamkeit in der Planung gelegt und Lösungen werden vorschlagen, die Tragwerksplanende in ihrer täglichen Arbeit tatsächlich sofort umsetzen oder zumindest anstoßen können.

Für Bauprojekte ist ein neues, gemeinsames Zielverständnis Priorisierung der CO2-Reduktion der Konstruktion erforderlich. Diese kann nur in einem offenen und integralen Planungsansatz erreicht werden. Idealerweise arbeiten Expert:innen aus verschiedenen Fachbereichen gemeinsam in einem kollaborativen Prozess an einer komplexen Aufgabe. Ein diverses und interdisziplinäres Team ist der Schlüssel zu Kreativität und Innovation. Neue Vertragsstrukturen, beispielsweise Mehrparteienverträge, sind notwendig, um einen gemeinschaftlichen Projekterfolg auch angemessen zu honorieren [3]. Der Umgang miteinander und die gegenseitige Wertschätzung sowie ein Verständnis für die Denkweisen der jeweils anderen Fachdisziplinen sind ebenfalls elementar für den Projekterfolg. Fehler sollten als Chance für neue Ideen begriffen werden. Ein verändertes Verständnis von Projekterfolg kann auch bedeuten, dass bereits erarbeitete Ergebnisse verworfen werden, um am Ende eine ganzheitlich sinnvolle Lösung umzusetzen.

Eine Einbindung der Tragwerksplanung in sehr frühe Projektphasen, Machbarkeitsstudien und Wettbewerbe ermöglicht es, material- und konstruktionsbedingte Aspekte direkt in erste Entwurfskonzepte einfließen zu lassen. Dies erfordert jedoch von Tragwerksplanenden ein aktives Mitwirken in der Gestaltung und das Einbringen eigener Ideen. Auch das Hinzuziehen von ausführenden Firmen als Partner bereits in frühen Planungsphasen kann dazu beitragen, gemeinsam eine sinnvolle, wirtschaftlich umsetzbare und ressourceneffiziente Konstruktion zu entwickeln.

Neben der Anpassung von Planungsprozessen und Projektstrukturen ist es erforderlich, die Beteiligten zu ermutigen, eine verantwortungsbewusste und kritische Rolle einzunehmen. Durch eine geeignete Ausbildung und das Schaffen von unterstützenden Netzwerken zum Austausch wird die Fachkenntnis vertieft. Universitäten, Hochschulen, Kammern, Verbände oder Vereine sollten in Rückkopplung mit der Praxis entsprechende Module ausarbeiten und diese in Lehrpläne oder Fortbildungen integrieren. Nur so werden die Voraussetzungen geschaffen, um in Projekten auch moralische Fragen wie zum Beispiel die Optionen, nicht zu bauen, umzubauen oder neu zu bauen, ergebnisoffen zu diskutieren.

Aus dem Wunsch nach Vernetzung und einem interdisziplinären und büroübergreifenden Austausch ist mit dem Attitude Building Collective (ABC) ein Baukollektiv aus jungen Ingenieur:innen, Architekt:innen und Forscher:innen entstanden. Es möchte Bauschaffende mobilisieren, um die Transformation zu einer umweltgerechten und zukunftsfähigen Baubranche voranzutreiben. Im Kollektiv besteht die Freiheit, kreative Lösungen ohne die wirtschaftlichen und zeitlichen Zwänge des Projektgeschäfts im Planungsbüro zu durchdenken. Know-how kann gemeinschaftlich entwickelt und geteilt werden. Das individuelle Verantwortungsbewusstsein und die Identifikation für den Beruf werden gestärkt. Dies erzeugt Inspiration und Motivation, Stolz auf den Beruf und das eigene Wirken und leistet somit einen Beitrag zu einem grundsätzlichen Mentalitätswandel.

ABC-Entwurfstafeln als Arbeitshilfe für die Planung von CO2-effizienten Konstruktionen

Das Attitude Building Collective hat auf der Grundlage der Perspektive seiner Mitglieder und den übergreifenden Erfahrungen aus verschiedenen Planungsbüros mit den ABC-Entwurfstafeln einen praxisorientierten Planungsleitfaden als Arbeitshilfe zum Thema CO2-effiziente Konstruktionen für Tragwerksplaner:innen entwickelt.

2 ABC-Vereinsgründung
© Philipp Kalkbrenner – ABC

Die Nutzung solcher Arbeitshilfen, die kompaktes Wissen und vorab berechnete tabellarische Werte zum schnellen Nachschlagen liefern, ist in der Planung bereits sehr etabliert. Die bekanntesten Beispiele sind die Schneider Bautabellen oder auch die Bemessungstafeln des Softwareherstellers MB Baustatik. Durch die Möglichkeit einer breiten Anwendung und den niedrigschwelligen Einstieg in das Thema Ressourceneffiziente Konstruktion bergen die ABC-Entwurfstafeln das Potenzial, die Bewertung der CO2-Effizienz beim alltäglichen Tragwerksentwurf zu etablieren und somit einen großen Hebeleffekt zu erzielen. Die eingangs beschriebenen Strategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz werden praktisch anwendbar dargestellt und mit Beispielen unterstützt. So können Tragwerksplanende in der täglichen Projektarbeit ins Handeln kommen und selbstwirksam einen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten.

Wir sind fest davon überzeugt, dass wir durch das gemeinschaftliche Arbeiten und den Einsatz intelligenter Lösungen in der Lage sind, CO2-effiziente Konstruktionen flächendeckend umzusetzen. Diese Überzeugung treibt uns täglich an und wir hoffen, dass dieser Essay dazu beiträgt, auch Sie als Lesende dazu zu motivieren, sich dieser Aufgabe anzunehmen.

4 ABC-Entwurfstafeln
© Attitude Building Collective
  • Grundlagen einer Ökobilanzierung
  • Berechnung von tragwerksbezogenen
  • CO2-Emissionen
  • Materialspezifische Hinweise beim Tragwerksentwurf
  • Deckensysteme im Vergleich
  • Checkliste Tragwerksentwurf
  • Überzeugungsargumente für Bauherr:innen

Die Entwurfstafeln sind als frei zugängliches Dokument unter dem folgenden Link abrufbar: attitudebuildingcollective.org


Literatur

  1. Siegfried Behrendt, Edgar Göll, Friederike Korte (2018): Effizienz, Konsistenz, Suffizienz – Strategieanalytische Betrachtung für eine Green Economy, IZT Berlin
  2. https://www.byak.de/ben-blog/detailseite/beitrag/2019/09/30/102019-suffiziente-gebaeude.html (abgerufen: 09.04.2023)
  3. https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/downloads/Webs/BMWSB/DE/veroeffentlichungen/bauen/kurzdarstellung-mehrparteienvertraege.pdf__blob=publicationFile&v=6 (abgerufen: 09.04.2023)

Autor:innen

Angela Feldmann
Hendrik Behrens
Till Walter
www.attitudebuildingcollective.org


Dieser Beitrag ist in Ingenieurbaukunst 2024: Made in Germany (Verlag Ernst & Sohn) erschienen.

Den Beitrag „Grenzzustände: Wertefundament für eine Ingenieurkultur im Wandel” des Baukollektivs Attitude Building Collective (ABC) lesen Sie auch in der aktuellen Ingenieurbaukunst 2025: Made in Germany.

Jobs

ähnliche Beiträge

Nachhaltigkeitsmanagement im Bauwesen

Zweitägiger Sprint-Workshop im März.

BDB | 5NB Fortbildungsreihe

Online-Fortbildungsveranstaltung für jeden der 5 BDB Nachhaltigkeitsbausteine.

Umbau der Stahlindustrie zu grünem Stahl

Podcast mit Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer von der Uni Kassel.