Weiterentwicklung und Ausblick

Entwurfstafeln

Dieser Beitrag ist der letzte einer Inforeihe, in der das Attitude Building Collective (ABC) die Entwurfstafeln zur Ökobilanzierung näher vorstellt. Mit den Beiträgen möchten wir Tragwerksplanenden einen niederschwelligen Einstieg in die Ökobilanzierung von Tragwerken ermöglichen und eine kurze Bedienungsanleitung für die Tafel an die Hand geben. Die vergangenen Beiträge haben in die grundlegende Terminologie der Ökobilanzierung eingeführt. Das Verständnis für den Lebenszyklus eines Bauwerks von der Herstellung (A1–A3) und der Errichtung (A4–A5) über den Betrieb (B1–B8) bis zur Entsorgung (C1–C4) sowie den daraus resultierenden Gutschriften (D) wurde geschärft. Die Bilanzierung des Global Warming Potentials (GWP) wurde schrittweise und detailliert mit den Besonderheiten in den einzelnen Phasen, den Systemgrenzen und den verschiedenen Datentypen vorgestellt. Die verschiedenen Baustoffe und ihre unterschiedlichen Einflussfaktoren wurden zur Reduktion von Emissionen an den drei Grundsätzen „ Materialeinsatz minimieren – Kreislauffähigkeit planen – Produktauswahl bedenken“ erläutert. Es wurde deutlich, dass wir durch die Wahl des richtigen Tragwerkssystems einen großen Hebel zur Reduktion von Emissionen haben. Schließlich wurde die Bedeutung von materialgerechten Tragwerkskonzepten und globalen Entwurfsparametern in frühen Projektphasen sowie deren enormer Einfluss auf die konstruktionsbedingten Emissionen des späteren Bauwerks beleuchtet.

9 Weiterentwicklung – Mauerwerksbau

Im dritten Beitrag sind wir bereits auf die materialspezifischen Besonderheiten des Beton-, Stahl- und Holzbaus eingegangen und haben eine Erweiterung um den Mauerwerksbau in Aussicht gestellt. Dieser liegt nun in der aktuellen Version von Oktober 2024 vor und wird nachfolgend näher vorgestellt. Der Anteil des Mauerwerksbaus liegt in Deutschland im Wohnungsbau bei rd. 70 %, welcher wiederum 36 % des Gesamtumsatzes im Bauhauptgewerbe im Jahr 2023 ausmachte. Wir sprechen also von einer Bauweise, die auf der einen Seite einen enormen prozentualen Hebel und große Qualitäten im zirkulären Bauen gegenüber monolithischen Bauweisen besitzt. Auf der anderen Seite bringt der Mauerwerksbau aufgrund der vielfältigen Stein- und Mörtelarten eine große Heterogenität mit sich. Gleichzeitig sind die Experten für den Mauerwerksbau rar und im Vergleich zu anderen Baustoffen ist der Anteil von Mauerwerksthemen in Ausbildung und Forschung übersichtlich.

Ein wichtiger Grundsatz bei der Ökobilanzierung von Mauerwerk ist, diese immer auf das funktionale Äquivalent m 2 Wandfläche zu beziehen. Ein rein massenbezogener Vergleich in [kg] oder [m 3 ] ist nicht zielführend und verfälscht die Ergebnisse, da sich die Dichten und Baustoffeigenschaften der einzelnen Steinarten stark unterscheiden und dies direkte Auswirkungen auf die Auslegung der Wandstärken infolge der Schall- und Brandschutzanforderungen sowie der erforderlichen Dämmstoffdicke bei Außenwänden hat. In der Tafel geben wir einen Einblick in die Herstellung der einzelnen Steinarten und die dazu korrelierenden Emissionen. Dieses Wissen schafft ein Bewusstsein für die produktbezogene Erzeugung von Emissionen und ermöglicht damit eine reflektierte Materialwahl.

Die Steinarten sind in der Tafel absteigend nach dem Grad ihrer Häufigkeit sortiert. Den größten Anteil machen die Ziegel aus, gefolgt von Porenbeton und Kalksandstein mit einem kumulierten Anteil von insgesamt 96 % am aktuellen Mauerwerksbau. Den geringsten Anteil, dafür aber das größte Potenzial besitzen die Lehmsteine. Mit der Veröffentlichung der neuen Norm für tragendes Lehmsteinmauerwerk im Sommer 2023 und der Revision der Normengeneration im Lehmbau im März dieses Jahres gelangt ein Baustoff zurück ins Bewusstsein der Baukultur, der lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Durch die erwartete Aufnahme der Normen als Technische Baubestimmung in die MVV TB zum Jahreswechsel wird aus technischer Sicht die Grundlage für eine Breitenanwendung des tragenden Lehmbaus für bis zu viergeschossige Gebäude geschaffen.

Das enorme Potenzial von Lehmsteinen kann Bild 1 entnommen werden. Die Größe der Emissionen hängt beim Lehmstein maßgeblich von der Art der Trocknung ab. Findet die Trocknung heute im industriellen Maßstab oft noch auf Grundlage von Erdgas statt, ergeben sich erhebliche Reduktionen um den Faktor 4 durch die Anwendung von Biogas. Forschungen des Clay Expert Center (CLAYX) der MFPA Weimar zeigen die Potenziale von Mikrowellentrocknern für eine CO 2 -neutrale Fertigung der Lehmsteine im industriellen Maßstab durch den Betrieb der Trockner mit Strom aus Erzeugung erneuerbarer Energiequellen. Damit bildet Lehm perspektivisch einen ersten Baustein für die CO 2 -Neutralität im Wohnungsbau für den Klimaschutzplan 2050.

Bild 1 Grafik Treibhauspotenzial
Bild 1 Treibhauspotenzial (GWP) – Herstellung (Module A1–A3 der Ökobilanzierung)
Quelle: ÖKOBAUDAT

10 Ausblick

Knapp ein Jahr ist es her, dass wir die Entwurfstafeln zur Öko­bilanzierung in der Tragwerksplanung auf dem 5. Symposium für ­Ingenieurbaukunst vorgestellt und veröffentlicht haben. Nach zahlreichen Vorträgen in den Kammern und verschiedenen Ingenieurbüros, der Integration in den Lehrplan mehrerer Universitäten und nach über 2500 Downloads auf unserer Website haben sich die Tafeln etabliert und dienen heute Bauingenieur:innen in der alltäglichen Projektarbeit als kompaktes Nachschlagewerk. Dank Ihrer Spendenbereitschaft und Unterstützung konnte eine kleine Auflage gedruckt und Studierenden zur Verfügung gestellt werden.

Ein Thema wie die Ökobilanzierung, welches sonst ganze Fachbücher füllt, kann auf 13 Seiten keinen Anspruch auf Vollständigkeit beanspruchen. Wir beschränken uns bewusst nur auf das GWP und ausgewählte Lebenszyklusphasen, um den Praktiker:innen eine direkte und einfache Anwendung zu ermöglichen. Mit einer zunehmenden Akzeptanz und Wissensbreite in der Allgemeinheit steht die Tafel mit ihren Parametern unter diesem Ziel auf einem stetigen Prüfstand.

Aktuell erörtern wir, welche weiteren Bauweisen und Bestandteile einer näheren Betrachtung unterzogen werden sollten. Einen wahrlich grundlegenden Bereich stellt hierbei die bisher nicht betrachtete Geotechnik dar. Aufgrund der verbauten Massen und hohen Relevanz für die aufgehenden Bauteile möchten wir dem Thema Baugrund und Gründungen besondere Aufmerksamkeit schenken und suchen hierfür nach tatkräftiger Unterstützung fachspezifisch Mitwirkender.

Konkrete Konzepte bestehen wiederum bereits für den Bereich Brückenbau. Eine Arbeitsgruppe hat in den letzten Monaten ein konkludentes Konzept entwickelt, um den bearbeitenden Ingenieur:innen wie Bauherr:innen in dieser Sparte des Konstruktiven Ingenieurbaus für die vielen anstehenden Bestands- und Neubaumaßnahmen ein umfassendes Begleitdokument zur Bewertung ökologischer Auswirkungen im Entscheidungsprozess während der einzelnen Planungsphasen zur Verfügung zu stellen. Auch hier befinden wir uns im Bearbeitungsprozess und freuen uns über neue motivierte Gesichter, die ihren Teil zum Gelingen eines alltagstauglichen Nachschlagewerks beitragen möchten.

Da sich das Format der kurzen und übersichtlichen Tafel in der Praxis so großer Zustimmung erfreut, arbeiten wir an weiteren Applikationen abseits der Ökobilanzierung. Zirkuläres Bauen findet zunehmend seinen Platz in der Planungslandschaft. Der Lehm als wichtiger geogener Grundbaustoff für das zirkuläre Bauen und dessen Potenzial wurden im Rahmen des Beitrags bereits angerissen. Das Thema verlangt durch seine Wichtigkeit und Komplexität in Hinblick auf die Bestandserfassung und Wiederverwendung von Elementen eine umfangreichere Betrachtung. Eine Arbeitsgruppe hat die Thematik zuletzt aufgegriffen und eine neue Entwurfstafel zum Stand der Technik mit den Begrifflichkeiten, den materialspezifischen Besonderheiten sowie der Anpassung der Bemessungskonzepte angestoßen.

Die Redaktion all dieser Projekte erfolgt als Open-Source-Prozess unabhängig und büroübergreifend. Um dies zu erreichen, haben wir eine flexible und interdisziplinäre sowie sich bestärkende ­Organisationsstruktur geschaffen, die enthusiastischen Bauschaffenden die Möglichkeit zur Mitgestaltung bietet. Gemeinsam bauen wir ein Netzwerk auf, das Wissen schafft, sammelt, weiterentwickelt und für alle leicht zugänglich macht. Bei uns finden Expert:innen und motivierte Einsteiger:innen zusammen. Für die erste Tafel waren dies knapp 20 Menschen. Wir alle lernen mit- und voneinander. Das Endergebnis lebt von der Fachexpertise bis zum Layout von der Unterstützung jeder oder jedes Einzelnen.

Die Entwicklung des vergangenen Jahres seit der Veröffentlichung und das wertvolle Feedback, was uns in dieser Zeit erreicht hat, soll Zuversicht schenken und zeigen, dass der Wille zur Veränderung und zur Transformation vorhanden ist. Wir laden alle herzlich ein, ein Teil der kommenden Projekte und dieser Transformation zu werden.

Die aktuelle Fassung der Entwurfstafeln kann auf der Website des Attitude Building Collective kostenlos und frei verfügbar heruntergeladen werden. Sie haben die Tafeln erfolgreich in einem Projekt angewendet, Interesse an einem Workshop oder Anregungen und konstruktive Kritik zu den Inhalten? Dann schreiben Sie uns gern: review @attitudebuildingcollective.org .


Autor:innen

Stefan Nübler
Oliver André Wege
review@attitudebuildingcollective.org
Attitude Building Collective
www.attitudebuildingcollective.org

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