StuttgarterNachhaltigkeits­stammtisch

Der nächste logische Schritt: Zirkuläres Bauen

Eine in den kommenden Jahren steil nach unten abfallende Kurve mit Netto-Null im Jahr 2050 – das zeigt die Grafik des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) mit dem Ziel, die globale Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Wo stehen wir als Tragwerksplaner auf diesem Pfad? Und wo stehen wir als Planungsteam gemeinsam mit Bauherren?

Ein wichtiges Entwurfskriterium für uns Tragwerksplaner, das bei vielen schon fest verankert ist, ist die Reduktion der mit der Herstellung des Tragwerks verbundenen Treibhausgasemissionen. Wir machen uns Gedanken: Wie planen wir materialeffizient? Wo können wir Bewehrung einsparen? Wo können wir auf große Spannweiten verzichten? Wie können CO 2 -ärmere Betone eingesetzt werden? Welche Bauteile können aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden? Welche Lastansätze sind für das jeweilige Projekt sinnvoll? Und wir sehen: Mit diesen Maßnahmen können wir gegenüber bisherigen Planungen zielführend die mit der Herstellung des Gebäudes verbundenen Treibhausgasemis­sionen reduzieren. Wie weit? Das ist zum einem abhängig vom Gebäudetyp: Ein Laborgebäude mit hohen Anforderungen an die Schwingungsanfälligkeit der Decken kann z. B. weniger gut optimiert werden als ein herkömmlicher Bürobau. Die Erfahrungen zeigen, dass mit diesen Maßnahmen durchschnittliche Reduktionen von etwa einem Drittel der herstellungsbedingten Treibhausgasemissionen der Tragstruktur gegenüber dem bisherigen Status quo möglich sind. So weit, so gut – doch damit folgen wir dem Pfad vermutlich nur ein Stück weit. Wie reduzieren wir weiter? Die Kernidee ist Urban Mining: Wir begreifen den Gebäudebestand als Rohstoffquelle oder idealerweise als Lager von Bauelementen, die wir in neuen Tragwerken einsetzen können. Auf diese Weise schonen wir Ressourcen und vermeiden Emissionen, die durch die Herstellung vollständig neuer Bauelemente entstehen würden. So ideal eine Weiternutzung des Bestandstragwerks im Ganzen ist, es wird auch zukünftig ein Rückbau von Tragwerken erfolgen. Hier möchten wir dazu auffordern, bei jedem Rückbau die Möglichkeit zu nutzen, Teile der Tragstruktur für eine Wiederverwendung zu sichern. Zum Beispiel kann für die Vielzahl der in Zukunft zurückzubauenden Betondecken eine direkte Wiederverwendung als neues Deckenelement erfolgen – eine mögliche Zerlegung über Sägeschnitte und ein Wiedereinbau, mit eventuell notwendigen zusätzlichen Trägern, wurde im Rahmen des letzten Live-Stammtischs vorgestellt und diskutiert. Als Tragwerksplaner möchten wir deshalb Bauherren ermutigen, solche zirkulären Lösungen bei uns nachzufragen und die Vorgaben des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ernst zu nehmen: Nach der Vermeidung von Abfall kommt in der Rangfolge direkt die Vorbereitung zur Wiederverwendung . Es darf also kein Rückbau erfolgen, bei dem nicht vorab eine Zerlegung des Tragwerks in zukünftige neue Bauelemente geplant ist. Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass bei der Planung eines Neubaus direkt der spätere Rückbau am Ende des Lebenszyklus mitgeplant werden muss. Dieser sollte einfach, sortenrein und schadstofffrei möglich sein. Als Tragwerksplaner ist es unsere Aufgabe, hierzu Lösungen zu entwickeln. Für die Umsetzung der Wiederverwendung von Bauteilen werden weitere Bauteilbörsen in ­Kooperation mit entsprechenden fachkundigen Materialprüfer:innen entstehen. In einem kreativen Planungsteam können wir, gemeinsam mit kooperativen Bauherren, das zirkuläre Bauen als Standardszenario implementieren – dazu wünschen wir uns eine Vorreiterrolle der öffentlichen Hand (Bild 1). Denn nur, indem wir zirkuläres Bauen mit materialeffizienter Planung verknüpfen, können wir nachhaltig bauen und die steile Kurve des IPCC nach unten mitgehen. Eine Motivation dafür ist hoffentlich: Bis zum Jahr 2030 ist eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um etwa 50 % im Vergleich zum Status quo des Jahres 2020 notwendig, um den Pfad zu verfolgen. Wir müssen und können also vollen Einsatz zeigen!


Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch

Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18.00 Uhr
Ort: online, MS-Teams
Kontakt: sustainability@knippershelbig.com


Autor:in

Emilia Fritsch, emilia.fritsch@kempenkrausekoeln.de
Kempen Krause Beratende Ingenieure, Köln
www.kempenkrause.de

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