Die Zementwende – Gegenwart statt Zukunft

Die Baustoffindustrie ist eine Branche, in der man einen langen Atem braucht. Veränderungen benötigen Zeit, neue Produkte müssen entwickelt, zugelassen und von der im Kern konservativen Bauindustrie angenommen werden. Die größten Herausforderungen, denen sich die Hersteller mineralischer Baustoffe auf Zementbasis stellen müssen, sind die Dekarbonisierung der Produktion von Zementklinker und die Forcierung der Kreislauffähigkeit der Produkte. Auf beiden Feldern entsteht manchmal der Eindruck, dass zwar große Ziele für die Zukunft formuliert werden, sich aber in der Gegenwart noch nichts tut. Als CEO eines der führenden Baustoffhersteller Deutschlands kann ich klar sagen: Dieser Eindruck täuscht gewaltig!

Ich möchte daher nicht nur über die großen Pläne und Investitionen berichten, die wir in unseren Zementwerken tätigen, um das unvermeidbar entstehende CO 2 aufzufangen und weiter zu nutzen (Carbon Capture and Utilization – CCU). Unser größtes Zementwerk in Lägerdorf (Schleswig-Holstein) soll Ende dieses Jahrzehnts in Betrieb gehen (Bild 1). Hier möchte ich den Blick darauf richten, was wir heute bereits erreicht haben.

Innovatives Duo: Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft

Viele Hersteller bieten bereits klimaschonende Zemente an. Beispielsweise reduziert unsere ECOPlanet-Serie mit ca. 260–290 kg CO 2 eq/t den CO 2 -Fußabdruck gegenüber einem Standardzement (553 kg CO 2 eq/t) um über 50 %. Die wichtigsten Schlüssel sind dabei die Substitution fossiler Brennstoffe sowie optimierte Rezepturen. Hier wird der Zementklinker durch Ersatzstoffe ersetzt, bspw. durch Hüttensand, ein Nebenprodukt der Stahlherstellung. Und die Nachfrage ist groß: Der Marktanteil von ECOPlanet-Zementen wächst rasant. Von 2021 bis 2023 stieg ihr Anteil an unserem Verkaufsvolumen in Deutschland von 2,9 % auf 16,9 %. Diese Zahlen spiegeln die wachsende Bedeutung von Klimafreundlichkeit seitens Investoren und Bauherren wider. Den gleichen Trend sehen wir beim Beton. Hier heißt unsere klimafreundliche Serie ECOPact. Ihr Anteil am Verkaufsvolumen wuchs von 2021 bis 2023 sogar von 1,4 % auf 16,3 %.

Neben der Dekarbonisierung unserer Produkte steht die Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt unserer Unternehmensphilosophie. Baustoffe sollten niemals zu Abfall werden und die wichtigsten Rohstoffquellen der Zukunft nicht mehr ausschließlich Sand-, Kiesgruben und Steinbrüche sein, sondern die Bestandsbauten in den Städten. Auch hier sind bereits heute Lösungen verfügbar. Wir setzen auf die ECOCycle-Plattform für zirkuläres Bauen. Damit werden aus wertvollen Abbruchmaterialien wieder hochwertige Baustoffe. Die Technologie kommt bereits seit Längerem im Bereich Gesteinskörnungen zum Einsatz. Und im September 2024 haben wir auch die Anwendungszulassung für den ersten Zement mit einem Anteil an hochwertigem rezykliertem Bau- und Abbruchmaterial vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) erhalten. Der Recyclinganteil im Zement beträgt bis zu 20 %. Damit reizt der Zement die Möglichkeiten der neuen Norm DIN EN 197-6 aus und schont durch die Wiederverwertung natürliche Ressourcen wie Kalkstein oder Kreide. In ihrer Performance unterscheiden sich mit R-Zement (Bild 2) hergestellte Betone nicht von herkömmlichen Betonen.

Oft unterschätzt: Transparenz

Eine wichtige Voraussetzung für Nachhaltigkeit im Bau ist Transparenz. EPD steht für Environmental Product Declarations, auf deutsch Umweltproduktdeklarationen. Sie sind eine nach internationalen Standards definierte und durch unabhängige Prüfer verifizierte Berechnung der CO 2 -Emissionen, des Energiebedarfs, des Abfallaufkommens und weiterer Indikatoren bei der Produktion, Verwendung und Entsorgung von Bauprodukten und -materialien. EPDs geben so eine quantifizierte Auskunft über die Umweltauswirkungen in Gebäude-Ökobilanzen und bilden für Planer, Architekten und weitere Fachleute die Grundlage, um Gebäude ganzheitlich planen und bewerten zu können.

Wir bieten als erster Baustoffhersteller in Europa seit 2023 für alle Zemente sowie ECOPact-Betone produktspezifische EPDs an. Und zwar auf Abruf und mit einem kontinuierlichen Verfahren zu deren Aktualisierung durch Climate Earth, den Anbieter der EPD-Software [1]. Damit entsprechen die EPDs den tatsächlichen Umweltauswirkungen der individuell eingesetzten Zemente und ­Betone im Gebäude-Lebenszyklus. So entsteht Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Bauweisen und Produkten.

Lösungen liefern

Im Zuge der komplexeren Anforderungen an Baustoffe und -produkte transformieren sich Baustofflieferanten zu Systemanbietern und entwickeln neue innovative Produkte. Eine herausragende Lösung, die viele innovative Ansätze vereint, sind unsere CPC-Betonelemente, die zudem unser Motto Mit weniger Material besser bauen verkörpern (Bild 3).

Die CPC-Platten werden mit einer 1 mm dünnen, vorgespannten Carbonbewehrung ohne Stahl hergestellt und sind daher korrosionsfrei. Carbon, das extrem zugfest und rostfrei ist, ermöglicht tragfähige, aber sehr dünne Betonplatten, die drei- bis viermal leichter sind als herkömmliche Stahlbetonplatten. Die Vorspannung hält die Platten auch unter Belastung rissfrei. Der verwendete Beton mit einem klinkerreduzierten Zement ist äußerst widerstandsfähig gegen Frost, Tausalz und Verschleiß. Allein die außergewöhnlich hohe geprüfte Nutzungsdauer von 100 Jahren steht für größte Nachhaltigkeit. Außerdem ermöglicht CPC eine Materialeinsparung von bis zu 80 % und reduziert den CO 2 -Fußabdruck in Summe um bis zu 60 % gegenüber vergleichbaren Stahlbetonbauweisen. Damit nicht genug: CPC-Elemente sind gut rückbaubar und separierbar und damit wiederverwendbar, bevor ein Recycling als letzte Option in Betracht kommt. Ihr Umwelteinfluss ist ebenfalls durch EPDs produktspezifisch dargelegt.

Alles, was ich beschrieben habe, ist bereits heute Realität. In Summe ist es gelungen, einen Markt für klimafreundliche Baustoffe zu entwickeln, Produkte zu etablieren, Transparenz zu schaffen und Bewusstsein zu schärfen. All das ist wichtig, damit grüne Produkte und Gebäude noch stärker nachgefragt werden. Wir sind überzeugt, dass es gar keinen anderen Weg geben kann. Und deshalb werden wir Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft weiter dynamisch vorantreiben – nicht erst in ferner Zukunft!


Literatur

  1. Peters, H.; Scharpf, M. (2023) Konkrete, projektbezogene Ökobilanzen als Planungs- und Entscheidungsinstrument .
    nbau . Nachhaltig Bauen 2, H. 5, S. 34–39. www.nbau.org/2023/10/18/konkrete-projektbezogene-oekobilanzen-als-planungs-und-entscheidungsinstrument

Autor:in

Thorsten Hahn, thorsten.hahn@holcim.com
CEO Holcim Deutschland, Hamburg
www.holcim.de

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