„Der Bausektor hat einen großen Anteil an den CO 2 -Emissionen und wir sind uns unserer Verantwortung bewusst“

9 Fragen an Susanne Waitz, a|sh sander.hofrichter architekten

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Susanne Waitz ist Diplom-Architektin und seit 1997 bei a|sh sander.hofrichter architekten GmbH. Als Senior-Architektin verantwortet sie Projekte v. a. in den Leistungsphasen 3–5. Gemeinsam mit Jens Rieksmeier leitet sie die Projektgruppe Nachhaltigkeit und engagiert sich für zukunftsweisendes, innovatives und nachhaltiges Bauen. a|sh architekten ist ein inhabergeführtes Architekturbüro mit über 90-jähriger Tradition. Rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter planen und realisieren Krankenhäuser, Zentren für psychische Gesundheit, Gebäude für Bildung und Forschung und viele weitere Bauten, die für eine lebenswerte Gesellschaft von großer Bedeutung sind. Die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – sind wesentliche Bestandteile in der täglichen Arbeit bei a|sh.

1. Frau Waitz , mit der vorgehängten Holzfassade des Psychiatrie-Neubaus in Ingolstadt (Bild 1) hat Ihr Büro 2500 m³ Stahlbeton eingespart und damit eine CO 2 -Menge von 160 Erdumrundungen eines durchschnittlichen Pkws. Ist das schon Nachhaltigkeit?

Absolut! Das ist auf jeden Fall Nachhaltigkeit – schließlich gilt: Jedes eingesparte Quantum CO 2 ist wichtig und richtig und gut – und allemal nachhaltig. Deswegen bemüht sich a|sh in allen seinen Projekten und in allen Leistungsphasen darum, CO 2 einzusparen. Aber natürlich drehen wir auch an allen anderen möglichen Stellschrauben, um unsere Gebäude nachhaltig zu machen.

2. Nicht nur der Arzt, auch der Architekt kann den Heilungsprozess befördern; damit kommt er ja eventuell ganzheitlich verstandener Nachhaltigkeit sehr nahe. Wie stellt sich Ihnen das konkret dar?

Das stellt sich mir sehr konkret dar! Nachhaltigkeit zeichnet sich ja auch durch die Verwendung gesunder Baustoffe aus – und das ist ein Aspekt, der sich immer positiv auf Menschen auswirkt. Vor allem im Gesundheitsbau gestalten wir die Architektur wie die Innenarchitektur unter der Prämisse, dass sich Nutzer:innen wohl fühlen. Und ein solches positives Gefühl wirkt sich nun mal auch definitiv auf ihren Genesungszustand aus. Das habe ich schon ganz konkret erlebt. Beim Neubau der Palliativstation im Katholischen Klinikum Mainz hab’ ich ganz oft die Rückmeldung von Nutzer:innen erhalten, dass sie sich dort ausgesprochen wohl fühlen und deshalb gut entspannen können. Klar war das ein schönes und wertvolles Feedback. Wenn Nutzer:innen zufrieden sind, darf man das wohl auch nachhaltig nennen.

3. In dem Zusammenhang: Sie betonen die wichtige Bedeutung der Nutzer:innenbeteiligung schon in den frühesten Leistungsphasen. Wie führt die in Ihrer Planung auch zur Zufriedenheit der Nutzer:innen?

Das läuft so ab, dass wir die Nutzer:innen in den frühen Leistungsphasen integrieren, ­indem wir Workshops durchführen. Da gehen wir ganz gezielt mit ihnen ins Gespräch. Da werden Bedürfnisse ganz konkret besprochen und daraus ergibt sich das Gefühl eines gemeinsamen Ziels – es wird so also das gemeinsame Projekt von den künftigen Nutzer:innen und uns. Es ist ja so, dass eine Planung, die den Nutzer:innen von Architekt:innen übergestülpt wird, niemals nachhaltig sein kann, denn nur zufriedene Nutzer:innen leben in Räumen langfristig. Und schließlich: Wenn nach kurzer Zeit nicht umgebaut ­werden muss, ist das ja wohl auch nachhaltig zu nennen. Trotzdem versuchen wir aber natürlich, Raumkonzepte flexibel zu gestalten, sodass Um- oder Weiternutzungen mit wenig Aufwand umsetzbar sind.

Wenn Nutzer:innen zufrieden sind, darf man das auch nachhaltig nennen

4. Der Begriff der Nachhaltigkeit wird ja hierzulande dem Forstwirtschaftler Carl von Carlowitz zugeschrieben, der im 17. Jahrhundert schon betonte, Nachhaltigkeit sei kein forst-, sondern ein volkswirtschaftliches Thema. Sehen Sie in dieser Betrachtungsweise einen Zusammenhang zu Ihrer konkreten Nachhaltigkeitsarbeit?

Bild 2 Gesundheitszentrum Meisenheim  von Außen
Bild 2 Gesundheitszentrum Meisenheim
Quelle: Markus Bachmann, Samba

Wir betrachten es ganz klar als unsere Verantwortung, die Themen der Nachhaltigkeit im Hinblick auf den Einzelnen, aber auch auf die Gesellschaft zu behandeln und zu bewerten. Nachhaltigkeit sollte meiner Meinung nach nicht unbedingt im Kontext von Ökonomie gesehen werden. Doch sicherlich sind Gebäude, die nachhaltig im Sinne von flexibel und CO 2 -neutral sind, auch ökonomisch interessant. Denn Gebäude, die nicht wirtschaftlich betrieben werden können, erreichen nun mal im Mittel eine deutlich kürzere Lebens­dauer, da sie eher umgebaut oder früher wieder abgerissen werden.

5. Wenn Sie das gleichschenklige Dreieck der Nachhaltigkeit mit seinen drei Winkeln Ökologie, Ökonomie und Soziales betrachten, würden Sie diesen drei Säulen der Nachhaltigkeit (wenn sie nicht als Dreieck, sondern Tempel dargestellt wird …) gleiche statische Bedeutung beimessen – theoretisch wie in Ihrer praktischen Arbeit?

In der praktischen Arbeit und ebenso in unserem Gesellschaftssystem wird die Ökonomie zumeist an vorderster Stelle betrachtet. Soziale und ökologische Aspekte hingegen werden gern einer zu kurz gedachten Ökonomie untergeordnet. Aber langfristig und global betrachtet führt ein solches Ungleichgewicht zu kritischen Fehlentwicklungen mit fatalen Folgen. Sinnvoller wäre es sicher, allen drei Aspekten die gleiche Bedeutung beizumessen. Ein statisches System (oder ein Tempel) mit drei Säulen ist ein an sich eher instabiles System. Wenn eine der Säulen nicht mehr trägt, bricht das Gebäude unvermeidlich zusammen. Übertragen auf unsere Gesellschaft könnte man das auch folgendermaßen interpretieren: Schaffen wir es nicht, unsere ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen, werden wir nicht nur ganze Landstriche unbewohnbar machen, sondern das daraus resultierende soziale Ungleichgewicht und der bereits hohe Migrationsdruck werden weiter zunehmen. Daraus ergeben sich wiederum unabsehbare Folgen auch für unsere Wirtschaftssysteme. Die drei Säulen der Nachhaltigkeit sind also ganz untrennbar miteinander verbunden. Wenn wir dies anerkennen und die Aspekte gleichwertig betrachten, führt das unweigerlich zu nachhaltigem Handeln.

Bild 3 Heckscher Klinikum München von Außen
Bild 3 Heckscher Klinikum München – KJP Haar
Quelle: Florian Holzherr

6. Was bedeutet für Sie ganz konkret die Abwägung von Maß und Ziel in jedem Projekt?

Das Thema Nachhaltigkeit ist denkbar komplex und vielschichtig. Klar ist auch, dass nicht alle Aspekte in jedem Projekt immer gleichwertig umgesetzt werden können. Da gilt es genau abzuwägen, welcher oder welche Aspekte in jedem einzelnen Projekt sinnvoll sind. Und das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, bspw. von Gebäudeklassen, von Schallschutz- und Brandschutzanforderungen, aber auch von dem Bauherrn und dessen Bereitschaft und Offenheit dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber – um nur ein paar zu nennen. Gerade im Gesundheitsbau sind die Anforderungen sehr hoch – da gilt es, sie sensibel und nach Maß mit der Nachhaltigkeit zu verbinden, aber auch die Grenzen zu kennen. Und manchmal gibt es auch Projekte, da stimmt alles und dann freuen wir uns, ein Pilotprojekt entwickeln zu dürfen.

Neue Wege bedürfen eines gewissen Maßes an Mut – ­Pioniergeist gehört auch dazu

7. In unserem Vorgespräch beklagten Sie die technische Reglementierung, die dazu führe, dass Architekten gar nicht – auch im Sinne der Nachhaltigkeit – experimentieren können. Was muss sich da ändern?

Neue Wege bedürfen eines gewissen Maßes an Mut – der gute alte Pioniergeist gehört auch dazu, etwa beim Verwenden von neuen Materialien. Da fehlen momentan oft noch die Zulassungen oder auch Erfahrungswerte. Architekt:innen müssen immer nach den Regeln der Technik agieren – d. h., hier sind wir automatisch immer in der vollen Haftung – und daran muss sich was ändern, damit dieser Weg gegangen werden kann. Auch Zustimmungen im Einzelfall, wenn es an den entsprechenden Zulassungen hapert, sind oft eine große Hürde für Bauzeit und Kosten – auch dieses Procedere müsste vereinfacht werden.


Ausgewählte Referenzprojekte

Gesundheitszentrum Meisenheim

Das Gesundheitszentrum Glantal in Meisenheim sichert mit seinen 150 Betten die regionale Grundversorgung in den Fachgebieten Innere Medizin und Chirurgie. Es umfasst darüber hinaus ein neurologisches Angebot sowie Sprachheiltherapie für Kinder- und Jugendliche. 2016 erhielt das Projekt von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) das Zertifikat in Gold (Bild 2).

Heckscher Klinikum München – KJP Haar

Die Planungsgemeinschaft a|sh und H2M realisierte einen einfachen Baukörper, der mit Blickbezügen zum umliegenden Park und möglichst viel natürlichem Licht zur Heilung der jungen Patient:innen beitragen soll. Ausgezeichnet als Green Hospital be­inhaltet es eine effiziente und ressourcenschonende Gebäudetechnik wie z. B. Energieerzeugung über eine Holzpelletanlage oder Stromerzeugung über dachintegrierte Photovoltaik (Bild 3).

Lore-Lorentz-Schule Düsseldorf

Auf dem Gelände der Lore-Lorentz-Schule in Düsseldorf entstand ein dreigeschossiger, kompakter Neubau mit begrüntem Flachdach. Herzstück des modernen Berufskollegs mit beruflichem Gymnasium ist die helle Eingangshalle mit einer Sitztreppe, die den neuen gemeinschaftlichen Mittel- und Treffpunkt bildet. Das Glasdach mit PV-Anlage ist einer von vielen Nachhaltigkeitsaspekten bei diesem Projekt (Bild 4).


8. Welche Bedeutung messen Sie dem Thema Lifecycle bei – theoretisch, besonders aber praktisch?

Das LCA ist ein wichtiges Thema bei der Nachhaltigkeit. Es ist aber auch genauso vielschichtig. Zum einen können Materialien 1:1 wiederverwendet werden. Denken wir bspw. an aus- und wieder eingebaute Fenster – also da finden die Elemente ohne Down­cycling Wiederverwertung. Das ist bei Großprojekten, wie wir sie planen, zwar nicht unmöglich, aber doch eher schwierig, in die Realität umzusetzen. Doch bei kleinen und mittleren Projekten ist das durchaus ein Ansatz, wie die Kolleg:innen schon bewiesen haben. LCA heißt aber auch, dass ein Material verschiedene Produktleben haben kann und deshalb immer wieder weiterverwertet wird. Das lässt sich beim Holz sehr schön erläutern: vom Baum zum Rundholz – das erste Produktleben als Vollholz oder Furnierprodukte; ein zweites als spanbasierte Produkte weiter über faserbasierte Produkte bis hin zur energetischen Verwendung – also Verbrennung. Diese Kette gilt es in den Lebenszyklus eines Materials zu integrieren.

9. Sie prägten das Wort von der Ungeduld der Nachhaltigkeit . Können Sie das unseren Leser:innen ein wenig ausführen?

Damit möchte ich gerne nochmal auf Punkt 6 zurückkommen: die Dinge nach Maß und Ziel betrachten und verfolgen, nicht alles auf einmal realisieren wollen, sondern mit scharfem Menschenverstand bewerten und betrachten. Der Bausektor hat einen großen Anteil an den CO 2 -Emissionen und wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Deswegen sehen wir die neuen Aufgaben als Herausforderungen und erst mal nicht als Probleme. Herausforderungen, die eine ganze Architekt:innengeneration beschäftigen. Packen wir es an! Es ist auch eine große Chance, jetzt etwas zu verändern.

Frau Waitz , haben Sie Dank für dieses Interview.

Die Fragen stellte Burkhard Talebitari .


Susanne Waitz (geb. 28.10.1969) Dipl.-Ing. Architektin, a|sh; 1989–1997 Architekturstudium an der TH Karlsruhe; 1997 freie Mitarbeit Tobias Hook Architekt; seit 1997 a|sh sander.hofrichter architekten GmbH; seit 1999 Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg; seit 2024 Leitung Projektgruppe Nachhaltigkeit bei a|sh

www.a-sh.de

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