Bauen mit genormten Lehmbaustoffen

Ein Beitrag zum nachhaltigen Bauen

Das Bauen mit Lehm hat auch dank der Normung die industrielle Dimension erreicht. Sowohl der Vorfertigungsgrad als auch die Verarbeitbarkeit der Lehmbaustoffe auf der Baustelle sind vergleichbar mit konventionellen Bauprodukten.

1 Bauen mit Lehm und Lehmbaustoffe

Die bauphysikalischen Eigenschaften des Lehms gewinnen beim zukunftsfähigen Bauen immer größere Bedeutung. Sie ermög­lichen dem Planenden einen Lowtech-Ansatz mit Highend-Produkten. Lehmbaustoffe sind energiearm in der Herstellung, lagern CO2 über Pflanzenfaseranteile ein, sind kreislauffähig, bringen thermische Speichermasse in Gebäude und ermöglichen sowohl ein gutes Raumklima als auch einen sommerlichen Wärmeschutz mit weniger Technik (Bild 1). Hinzu kommt die Feuchteabsorptionsfähigkeit des Lehms, die für den Feuchteausgleich sorgt.

2 Rechtlicher Rahmen

Obwohl die Materialität bzw. die Auseinandersetzung mit der Materialwahl für ein zukunftsfähiges und kreislaufgerechtes Planen/Bauen/Sanieren wesentlich ist, wird die sich damit beschäftigende Rechtsmaterie stiefmütterlich behandelt. Die wesentlichen Regelungen sind dem im Bauordnungsrecht der Länder geregelten Bauproduktenrecht zu entnehmen. Unterschieden wird dort zwischen der Verwendbarkeit von Bauprodukten und der Anwendbarkeit von Bauarten (vgl. zur Begrifflichkeit § 2 Abs. 10 und 11 MBO). Weil die Regelung von technischen Bestimmungen im gesetzlichen Rahmen zu detailliert wäre, werden diese in Technischen Baubestimmungen hinsichtlich produktspezifischer Anforderungen an bauliche Anlagen die Standsicherheit, Brandschutz, Gesundheits- und Umweltschutz, Schallschutz und Wärmeschutz betreffend konkretisiert. Das DIBt veröffentlicht die M VVTB. Diese wird von den Ländern als Verwaltungsvorschrift ins Landesrecht umgesetzt. Der Einfachheit halber werden hier die MBO (Musterbauordnung) und M VVTB (Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen) in Bezug genommen. Beide Muster sind Grundlage für die Landesbauordnungen und die in den Ländern als Verwaltungsvorschrift ergehenden Technischen Baubestimmungen.

Der Einsatz von Bauprodukten in baulichen Anlagen ist erlaubt, wenn Technische Baubestimmungen bestehen, anerkannte Regeln der Technik vorhanden sind oder eine unwesentliche Abweichung von einer eingeführten technischen Regel vorliegt (§§ 16a, 17 MBO). Sofern Bauprodukte/Bauarten nicht oder nicht vollständig hinsichtlich der Bauwerkssicherheit in Normen geregelt sind – genauer: es weder eine anerkannte Regel der Technik noch Technische Baubestimmungen gibt bzw. von einer bestehenden wesentlich abgewichen wird –, sind sie bzw. eine bautechnische Anforderung ungeregelt. Insoweit wird ein Verwendbarkeits- bzw. Anwendbarkeitsnachweis erforderlich. Aus bauordnungsrechtlicher Sicht untergeordnet und daher ungeregelt sind bspw. Lehmanstriche. Umgangssprachlich werden die Nachweise sehr ungenau als Zulassung (abZ, abP, ZiE, aBG, vBG) bezeichnet. Sie sind rechtzeitig vor der Ausführung einer Baumaßnahme bei der zuständigen Behörde zu beantragen. Diesen Schritt scheuen Planende und Bauunternehmen noch immer zu oft, weil es zeit- und kostenintensiv sein kann. Stattdessen wird auf bekannte Bauprodukte und Bauweisen zurückgegriffen, die sich in den geregelten Strukturen etabliert haben und gleichzeitig für Dilemmata am Bau wie die fehlende Kreislauffähigkeit oder die Energieintensität und damit die hohen Emissionen mit verantwortlich sind.

3 Normen

Lehmbaustoffe haben sich in die bestehende Regelungssystematik integriert. Sie sind ausweislich der darzustellenden Normen geregelt, sodass sie grundsätzlich verwendbar sind. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob alle Anforderungen des Bauordnungsrechts eingehalten sind. Seit der ersten Veröffentlichung der Produktnormen, die auf Grundlage der Lehmbauregeln erarbeitet wurden, ist über ein Jahrzehnt vergangen. Inzwischen liegen sie in dritter Generation aktualisiert vor und haben sich in der Praxis bewährt. Sowohl die Begriffe als auch Übereinstimmungs- und Konformitätsnachweise sind in DIN 18942-1 und DIN 18942-100 formuliert. Dabei regeln die Normen die möglichen Ausgangsstoffe, um die Kreislauffähigkeit des Baustoffs zu erhalten. Neben der energiearmen Herstellung enthalten Lehmbauprodukte CO2-speichernde Pflanzenfaseranteile. Für alle Produktnormen gilt, dass Lehm gemäß DIN 4102-4 (Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen) als nicht brennbar (A1) klassifiziert ist. Ausweislich der folgenden Produktnormen (DIN 18945–DIN 18948) gelten die aus Lehm hergestellten Produkte daher auch dann als nicht brennbar (A1), wenn der Anteil pflanzlicher Zuschläge weniger als 1 % Masseanteil beträgt. Wenn der Masseanteil an pflanzlichen Zuschlägen allerdings höher ist als 1 %, ist die Brandklasse entsprechend DIN EN 13501-1 zu bestimmen. Darüber hinaus gibt es eine Bemessungsnorm für Lehmsteinmauerwerk DIN 18940:2023. Eine solche für Stampflehm ist im Rahmen eines Forschungsvorhabens an der Bundesanstalt für Materialfragen (BAM) in Erarbeitung.

3.1 Lehmsteine DIN 18945:2024

Die Norm über Lehmsteine (kurz LS) legt Anforderungen, Prüfung und Kennzeichnung für im Werk hergestellte Lehmsteine für tragendes und nichttragendes Mauerwerk fest. Ausweislich des Anwendungsbereichs werden Lehmsteine vorwiegend bei Außen- und Innenwänden sowie für Ausfachungen bei historischem Fachwerk verwendet. Gelistet sind verschiedene Formate einschließlich Sonderformate. Es werden bereits großformatige Planblöcke hergestellt, die die Größe bis 16DF haben und insofern ein wirtschaftliches Mauern ermöglichen werden (Bild 2).

Die Norm legt hierfür – wie bei anderen Wandbaustoffen auch – Anwendungsklassen Ia, Ib, II, III fest und regelt die technischen Eigenschaften wie Steinrohdichte, Druckfestigkeit, Verhalten unter Feuchte- und Frosteinwirkung, Wasserdampfdiffusionswiderstand, Wärmeleitfähigkeit, Brandverhalten. Zusätzlich wurde die DIN 18942-100 erarbeitet, welche Regelungen zu Art, Umfang und Häufigkeit von Maßnahmen im Rahmen der werkeigenen Produktionskontrolle und einer ggf. vorgeschriebenen Fremdüberwachung durch eine unabhängige Stelle enthält. Sofern Lehmsteine in tragenden Konstruktionen verwendet werden, erfolgt die Bemessung nach DIN 18940:2023-06. Diese basiert auf dem Teilsicherheitskonzept der Eurocodes und orientiert sich insofern an dem bekannten und bewährten Verfahren des herkömmlichen Mauerwerks. Tragendes Bauen bis Gebäudeklasse 4 – also 13 m Höhe – ist möglich. Da dem Lehm häufig die für die Kreislauffähigkeit positive Eigenschaft der Wasserlöslichkeit zugutegehalten wird, regelt die Norm auch den Umgang, u. a. den konstruktiven Schutz gegen Wasser, die Anwendung nur außerhalb von Hochwasser- und/oder Überschwemmungsgebieten, Havarie- und Witterungsschutz in der Bauphase etc. Ebenfalls geregelt sind die Feuerwiderstandsklassen REI 30 und REI 60, wenn erforderliche Mindestdicken des Mauerwerks eingehalten sind. Baustoffe für tragendes Lehmsteinmauerwerk nach diesem Dokument sind Lehmsteine nach DIN 18945 (Bild 3) und Lehmmauermörtel nach DIN 18946.

3.2 Lehmmauermörtel DIN 18946:2024

DIN 18946:2024 legt die Anforderungen, Prüfungen und Kennzeichnungen für im Werk hergestellte Lehmmauermörtel (Lehmwerkmörtel) zur Herstellung von tragendem und nichttragendem Lehmsteinmauerwerk nach DIN 18940 fest. Geregelt sind Eigenschaften wie Rohdichte, Trocknungsschwindmaß, Festigkeit, Druckfestigkeit, Haftscherfestigkeit, Wasserdampfdiffusionswiderstand, Wärmeleitfähigkeit und Brandverhalten. Ausweislich DIN 18940:2023 ist für tragendes Lehmsteinmauerwerk Lehmmauermörtel nach DIN 18946 zu verwenden. Eine neuere Entwicklung, die daher auch noch nicht normiert ist, ist der Lehm­dünnbettmörtel, der das Mauern beschleunigen soll. Der Verwendbarkeitsnachweis für den Lehmdünnbettmörtel für das Lehmsteinmauerwerk ist seitens der Hersteller beantragt und derzeit in Bearbeitung.

3.3 Lehmputzmörtel DIN 18947:2024

Lehmputze sind aktuell die am häufigsten verwendeten Lehmbauprodukte. Sie werden in Büro- oder Wohnräumen im Innenbereich verwendet (Bild 4). Sie tragen über ihre hervorragenden bauphysikalischen Eigenschaften, wie die Feuchte- und Geruchsabsorption, nicht nur zur Steigerung des Wohlbefindens bei, sondern sind auch ästhetische Gestaltungsmittel. Bei der Wahl des Lehmputzes sollte auf die Festigkeitsklasse geachtet werden. Es wird die Festigkeitsklasse 2 empfohlen. Lehmputze sind auch für Wandflächen in häuslichen Küchen und Bädern der Wassereinwirkungsklasse W0-I nach DIN 18534-1 geeignet, sofern die Bereiche ohne zu erwartende Spritzwassereinwirkung sind. Hier verhindern Lehmputze aufgrund ihrer Feuchteabsorptionsfähigkeit das Beschlagen von Fenstern oder Spiegel. Im Spritzwasserbereich sollte Lehmputz hingegen nicht verwendet werden. In ­Bereichen höherer Wassereinwirkungsklassen wie direkte Dusch- und Wannenbereiche sind Lehmputze nicht geeignet.

Anders als bei konventionellen Putzen gibt es den Lehmputzmörtel in zwei Lieferformen: trocken und erdfeucht. Bei der erdfeuchten Lieferform entfällt die Trocknungsenergie. Der Feuchtegehalt des Baustoffs entspricht dem erdfeucht gewonnenen Lehmaushub.

3.4 Lehmplatten DIN 18948:2024

Die DIN 18948:2024 legt Anforderungen, Einsatzbereiche, Leistungsmerkmale, Prüfung und Kennzeichnung für im Werk hergestellte Lehmplatten (kurz LP), die in Bauwerken verwendet werden, fest. Die Norm regelt zwei Arten der Lehmplatten – Typ A für Beplankungen und Typ B für Bekleidungen, die der Hersteller deklarieren muss. Die Norm regelt mechanische Eigenschaften wie z. B. Oberflächenzugfestigkeit oder Biegezugfestigkeit sowie bauphysikalische Eigenschaften wie z. B. Wärmespeicherkapazität. Unterschieden wird zwischen Leichtlehmplatten, die eine Rohdichte bis zu 1200 kg/m³ haben, und schweren Lehmplatten mit einer Rohdichte über 1200 kg/m³ mit entsprechenden bauphysikalischen Eigenschaften (Bild 5). Gerade schwere Lehmplatten punkten beim Schallschutz: einschalige Holzständer-Trennwände mit Lehmplatten konnten bis zu 56 dB, zweischalige Trennwände bis zu 65 dB nachweisen. Zur Regelung des Feuerwiderstands hinsichtlich verschiedener allgemeingültiger Konstruktionen braucht es noch Prüfungen. Ausgewählte Hersteller haben für verschiedene Konstruktionen im Rahmen von Brandschutz-Versuchsanordnungen Feuerwiderstandsdauern bis zu EI 120 geprüft. Bauvorhaben, in denen Lehmplatten in allen Gebäudeklassen für die Beplankung verwendet werden, sind keine Leuchtturmprojekte, sondern mehrfach auch bei öffentlichen Gebäuden wie dem ­UN-Klimasekretariat in Bonn (https://rkw.plus/de/projekt/un-klimasekretariat/#) oder dem Erweiterungsbau des BMEL in Berlin realisiert.

4 Lehmbaukonstruktionen und Innovationen

Nicht unerwähnt bleiben sollen Konstruktionen mit Lehm wie Flächenheiz- und -kühlsysteme sowohl für die Decke als auch für Wände, die mit einem sog. Niedertemperatursystem (z. B. Wärmepumpe) funktionieren und die Energieeffizienz steigern (Bild 6).

Zwei Personen vernauen Klimaelemente zum Heizen und Kühlen an der Decke
Bild 6 Verbau Klimaelemente zum Heizen und Kühlen an der Decke der Vinothek Weingut Familie Sauer
Quelle: WEM GmbH, Lars Behrendt

Auch die Entwicklung von Holz-Lehm-Hybridkonstruktionen als Geschossdecken, die im Holzbau für die ergänzende thermische Speichermasse sowie den Brand- und Schallschutz sorgen, steht im Zeichen eines heute schon zukunftsfähigen Bauens. Hergestellt werden diese sowohl aus Lehmsteinen (Deckeneinhängeziegel aus Lehmstein) oder gegossen mit Fließlehm (Bild 7).

5 Bauen mit Lehm – jetzt!

Lehmbaustoffe bieten einige Lösungen, die die Baustoffindustrie für die vielen Herausforderungen beim Bauen und Sanieren bereithält. Sowohl die Normen als auch die weiteren Entwicklungen in der Industrie zeigen, dass das Bauen mit Lehm längst nicht mehr experimentell ist. Lehmbaustoffe sind energiearm in der Herstellung. Sie werden nicht gebrannt und haben daher einen geringen CO2-Fußabdruck. Zudem sind sie – nach Norm hergestellt – unbegrenzt kreislauffähig und deutschlandweit verfügbar, sodass sie sofort einsatzbereit sind.


Ergänzende Literatur

  • Röhlen, U.; Ziegert, C. (2020) Lehmbau-Praxis – Planung und Ausführung. 3. Aufl. Berlin: Bauwerk Verlag.
  • Trummer, J. (2024) Deckenelemente aus Holz und Lehm. Detail 5, S. 14 ff.
  • Willenbrock, H. (2024) Die Materialfrage – Interview mit Thomas Auer. brandeins 05, S. 38 ff.
  • Pawlitschko, R. (2023) Wie der Lehmbau massentauglich wird. Detail 11, S. 94 ff.

Autor:in

RAin Dr. Ipek Ölcüm, i.oelcuem@iv-lehm.de
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht,
Geschäftsführerin des Industrieverbands Lehmbaustoffe e. V., Berlin
www.iv-lehm.de

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