Not in my Heizungskeller?

Wie mehr Dialog die Transformation beschleunigt

Die Klimaziele stehen fest: in Paris, in Brüssel und in Berlin. Maximal 2 °C Erderwärmung und treibhausgasneutral bis 2045, 65 % Erneuerbare beim Heizen ab 2024 – verpflichtend allerdings nur dort, wo neu gebaut wird – mehr möchte die Regierung den Menschen erst einmal nicht zumuten. Doch liegt es wirklich nur an der unwilligen Bevölkerung, dass die Trans­formation nicht so schnell vorangeht wie gewünscht?

Die Bundesregierung bekräftigt ihr Ziel, ab 2024 jährlich 500.000 Wärmepumpen in Deutschland zu installieren. Ein Blick auf die Absatzzahlen des Bundesverbands der Deutschen Heizungsindustrie jedoch zeigt, dass der Boom bei fossilen Heizsystemen – insbesondere bei Ölheizungen – sowohl im vergangenen Jahr (2023) als auch in diesem Jahr anhält. Die von der Politik verabschiedeten Maßnahmen zum Gebäudeenergiegesetz und zur CO 2 -Bepreisung sowie die begleitende medial aufgeheizte Debatte haben zur Verunsicherung und einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung geführt. Die Klimaschutzambitionen der Regierung münden also nicht im gewünschten Verbraucherverhalten – zumindest nicht im angestrebten Umfang.

Austausch mit Zivilgesellschaft als Chance für wissenschaftsbasierte Politikberatung

Um die Chance zur Verständigung und Weiterentwicklung von politischen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft zu nutzen, sucht das Kopernikus-Projekt Ariadne den Dialog zur Energiewende. Es geht gezielt auf Entscheidungs- und Umsetzungspro­bleme ein und sucht die Debatte mit Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Um die Wirkung von Politikinstrumenten besser zu verstehen und gesellschaftlich tragfähige Strategien zu entwickeln, werden wissenschaftliche Lösungsoptionen in verschiedenen Dialogansätzen reflektiert. Eine davon ist die Bürgerdeliberation mit zufällig ausgewählten Personen aus ganz Deutschland. Deliberation bedeutet Beratung oder Abwägung und beschreibt einen dialogischen Prozess, in dem Menschen unter fairen, gleichberechtigten Bedingungen zusammenkommen, ihre unterschiedlichen Sichtweisen und Argumente austauschen, beraten und voneinander lernen. Gemeinsame Entscheidungen sollen nicht auf Mehrheitsentscheidungen beruhen, sondern auf überzeugenden Argumenten, die in einem Verständigungsprozess erörtert werden. Angedockt an politikberatende Forschungsprozesse können deliberative Bürgerdialogformate zu einem gemeinsamen Lernprozess beitragen, in dem das Alltags- und Erfahrungswissen der Menschen in den Forschungsprozess integriert wird.

Die Klimaschutz­ambitionen der ­Regierung münden nicht im gewünschten Verbraucher­verhalten

Der moderierte Austausch über die Ausgestaltung der Energiewende trägt dazu bei, widerstreitende Interessen und Wertvorstellungen transparent zu machen und kommunikative Fallstricke zu identifizieren. Dieses neue Wissen kann Eingang in politische Entscheidungsprozesse finden und dazu führen, dass weniger umstrittene Maßnahmen beschlossen werden, da sie von vornherein Chancen für den Ausgleich von Interessen adressieren – sowohl kommunikativ als auch bspw. durch Vorschläge für Ausnahmeregelungen oder ergänzende Förderprogramme. Ein solcher Deliberationsprozess hätte sicherlich auch für mehr Sachlichkeit und Klarheit in der Heizungsdebatte gesorgt, da er den Gesetzgebungsprozess von Anfang an auf eine breitere Wissensbasis gestellt hätte. Je unmittelbarer Menschen in ihrem Alltag von der Transformation betroffen sind und je heterogener das Meinungsspektrum ist, desto eher kann ein Deliberationsprozess für Verständigung und eine gut informierte Politik sorgen.

Dabei sind Bürgerdialogformate weder Wundermittel zur Lösung aller Fragen der Transformation noch sind sie voraussetzungslos. Wichtig ist zum ersten der Auswahlprozess der Teilnehmenden: Für eine gelingende Deliberation ist Perspektivenvielfalt ein hohes Gut. Ein zufallsbasierter Auswahlprozess erfolgt zumeist über Meldedaten oder Telefonnummern. Anschließend werden aus dem Pool an Rückmeldungen die finalen Teilnehmenden nach bestimmten Kriterien ausgewählt: Alter, Bildungsstufe, Geschlecht oder Größe des Wohnorts. Um jedoch unterschiedliche Betroffenheiten und Einstellungen abzubilden, können diese Kriterien erweitert werden, z. B. durch kurze Befragungen zum Thema der anstehenden Deliberation. Des Weiteren erfordern Organisation, Moderation und Dokumentation der einzelnen Bürgerbeteiligungsformate konzeptionelle Vorüberlegungen und eine professionelle Durchführung. Es muss eine verständliche und sachliche Wissensvermittlung ermöglicht werden. Visuelle, kommunikative Elemente wie Broschüren, Grafiken oder kurze Filme sind hierbei von Vorteil, gerade wenn es um komplexere Sachverhalte geht. Schließlich braucht es eine gute Einbettung der Deliberation in den Forschungsprozess sowie ein entsprechendes Erwartungsmanagement an die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger: Es muss klar sein, wie die Ergebnisse in den Forschungsprozess einfließen.

Für eine gelingende Deliberation ist ­Perspektivenvielfalt ein hohes Gut

Konkrete Erfahrungswerte aus dem Wärmewende-Dialog

Die Erfahrungen aus dem Kopernikus-Projekt Ariadne zeigen, dass unter Beachtung dieser Voraussetzung Bürgerdeliberationsformate an der Schnittstelle Wissenschaft–Politik–Gesellschaft eine Chance darstellen, Politikmaßnahmen vorausschauend und auf einer breiten Basis von Perspektiven zu gestalten, das gegenseitige Vertrauen und auch das Selbstvertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu stärken sowie konstruktive Aushandlungsprozesse trotz divergierender Sichtweisen aktiv zu unterstützen. All dies sind bedeutende Ankerpunkte der Demokratie und Wege, um auf Politikverdrossenheit und Populismus zu reagieren, da Menschen unabhängig von ihrer Parteiaffinität miteinander ins Gespräch kommen. Aktuelle Umfragen im Rahmen des Bürgerrats Ernährung im Wandel belegen, dass nur eine Minderheit mit der Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert, zufrieden ist und eine Mehrheit sich mehr Beteiligung, bspw. in Form von Bürgerräten, wünscht [1].

Auch die diesjährige Ariadne -Bürgerkonferenz mit 150 zufällig ausgewählten Menschen zur Verkehrswende, Wärmewende und Finanzierung von Klimaschutz zeigte, wie wichtig der Bevölkerung der Austausch ist. Auf der zweitägigen Konferenz in Fulda haben die Teilnehmenden politische Handlungsalternativen und deren Auswirkungen bewertet (Bild 1). Im Themenplenum Wärmewende waren 50 Personen aus ganz Deutschland vertreten. Um die direkte Betroffenheit abzubilden, wurden schwerpunktmäßig Immobilienbesitzende rekrutiert (72 %). Aber auch einige Mietende waren mit dabei, um ihre Per­spektiven sowie den Austausch mit den Eigentümerinnen und Eigentümern abzubilden.

Im Fokus der Session zur Wärmewende standen das Gebäudeenergiegesetz, Erfahrungen und Bewertung der Fördermöglichkeiten für Heizungstausch und Sanierungsmaßnahmen, die CO 2 -Bepreisung und das Kostenaufteilungsgesetz. Die Teilnehmenden diskutierten in Kleingruppen sowohl auf Basis ihrer eigenen Erfahrungen als auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Wärmewende auf spezifische Gruppen (z. B. Mietende oder einkommensschwache Haushalte) und bewerteten die politischen Rahmenbedingungen. Die breite Diskussion zum Gebäudeenergiegesetz im letzten Jahr hat viele Menschen bewegt und es entstand der Eindruck, dass der gesellschaftliche Austausch über die Sorgen und Ängste der Bevölkerung während des Gesetzgebungsprozesses zu kurz gekommen ist. Eigentümerinnen und Eigentümer, Vermietende und Mietende stehen vor diversen Herausforderungen und verfügen über unterschiedliche Ressourcen, um in der Wärmewende aktiv zu werden.

Bürokratiehindernisse und finanzielle Belastungen als Stolpersteine

Dabei stellen die hohen Investitionskosten die größte Herausforderung beim Heizungstausch und der energetischen Sanierung dar – trotz verschiedener Fördermöglichkeiten. Zwar wurden mit dem Heizungsgesetz nachträglich umfangreiche finanzielle Hilfen aufgesetzt, diese reichen aber nach Ansicht der Teilnehmenden der Bürgerkonferenz nicht, um tatsächlich den gewünschten Effekt zu erzielen. So wurde z. B. argumentiert, dass Fördermöglichkeiten für ältere Bevölkerungsgruppen fehlen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass in Deutschland ca. 6 Mio. Hausbesitzende älter als 50 Jahre und ca. 5,5 Mio. älter als 60 Jahre sind [2]. Das entspricht fast der Hälfte aller Eigenheimbesitzer in Deutschland. Da viele ältere Menschen keine Rücklagen für Sanierungsmaßnahmen gebildet haben und die Rente i. d. R. für die monatlichen Lebenshaltungskosten aufgebraucht wird, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie diese Bevölkerungsgruppe die Wärmewende im Eigenheim umsetzen soll. So gaben auch laut einer repräsentativen Befragung der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen Menschen über 60 Jahre an, dass hohe Kosten und das eigene Alter die größten Herausforderungen für Sanierungsmaßnahmen im eigenen Haus sind [3].

Zweitens bestehen große Unsicherheiten, ob die zur Verfügung stehenden Fördermittel ausreichen, welche Beratungsangebote es gibt, welche technischen Optionen in den Gebäuden umgesetzt werden können und wie das Handwerk angesichts des Fachkräftemangels für die Umsetzung effizient organisiert werden kann. Für den Einzelnen ist es schwierig, all diese Faktoren zu überblicken und die bürokratischen Anforderungen der Förderprogramme zu erfüllen. Dies bestätigt auch die Befragung der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen: So fehlt es an guten Beratungs- und Planungsangeboten (30 %), es gibt zu viele Ansprechpartner (z. B. Berater, Fördermittelgeber, Planer) (29 %) und für Privatpersonen entsteht ein hoher persönlicher Zeit- und Energieaufwand (24 %) [3]. Drittens ist aber auch festzuhalten, dass den Teilnehmenden die Komplexität zwischen individuellen Herausforderungen beim Heizungstausch und bürokratischem Aufwand im Laufe der Deliberation selbst bewusst wurde: „Mehr Gerechtigkeit im Einzelfall schafft auch komplizierte Regelungen und damit mehr Bürokratie“, wie es eine Person formulierte. Dennoch sollten Förderprogramme so einfach und unkompliziert wie möglich gestaltet sein und die Kommunikation zur Wärmewende transparenter werden.

Insgesamt fehlt ein positives Klima­narrativ der Wärmewende, das die ­Chance für ein ­klimafreundliches Leben darstellt

Aufseiten der Mietenden wurde kritisch angemerkt, dass sie häufig sowohl einen geringeren Handlungsspielraum als auch weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung haben, sodass die Verbrauchsänderung als einzige Handlungsoption für ihre individuelle Umsetzung der Wärmewende bleibt. Laut dem Ariadne Wohn- und Wärmepanel 2022 liegt die Mieterquote in Deutschland bei 49 % und damit im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch [4]. Im Wohnsegment nimmt der Anteil der Mieterhaushalte mit steigendem Einkommen ab, während der Anteil der Wohnungs- und Hausbesitzenden in hohen Einkommensgruppen signifikant ansteigt. Auch in Bezug auf die CO 2 -Bepreisung und das CO 2 -Kostenaufteilungsgesetz wurden Zweifel geäußert, ob Mietende tatsächlich davon profitieren. Zwar finden sie den Ansatz einer gerechten Aufteilung der Kosten vor dem Hintergrund des geringen Handlungsspielraums der Mietenden gut, jedoch sind viele Aspekte für einzelne Mietende schwer nachvollziehbar. Obwohl es dem Vermietenden rechtlich nicht gestattet ist, die CO 2 -Kosten auf den Mietenden umzulegen, wird die Gefahr gesehen, dass Vermietende Möglichkeiten finden, die Kosten anderweitig zu verrechnen (z. B. versteckt in den Betriebskosten). Da Betriebskostenabrechnungen oft intransparent sind, sehen die Mietenden in dem Gesetz keinen verlässlichen Schutz und befürchten eher, dass neue Konflikte entstehen.

Positive Erzählung der Transformation notwendig

Insgesamt fehlt ein positives Klimanarrativ der Wärmewende, das stärker die Chance für ein gutes, klimafreundliches Leben darstellt. Viele Bürgerinnen und Bürger haben Sorge in Bezug auf die Verlässlichkeit der Politik. So wurde die Ausgestaltung des Gebäude energiegesetzes von vielen Teilnehmenden intensiv diskutiert, die grundsätzliche Notwendigkeit der Wärmewende aber kaum infrage gestellt. Es ist von zentraler Bedeutung, den gesellschaftlichen Diskurs zur Wärmewende durch verschiedene Formate auf nationaler und lokaler Ebene aufzufangen, um die Perspektive der Bevölkerung besser in politische Maßnahmen zu integrieren, Sorgen ernst zu nehmen und Chancen einer gemeinsamen Gestaltung der Transformation zu ermöglichen. Damit untrennbar verbunden ist zwangsläufig die Diskussion um bezahlbaren und klimafreundlichen Wohnraum – für Jung und Alt, in Stadt und Land. Dies kann ein Beitrag sein, der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken.


Literatur

  1. Bürgerrat (2024) Bürgergutachten zu Ernährung übergeben [online]. Berlin: Mehr Demokratie e. V. https://www.buergerrat.de/aktuelles/buergergutachten-zu-­ernaehrung-uebergeben
  2. Statista (2024) Wohnsituation in der Bevölkerung in Deutschland nach Altersgruppen im Jahr 2023 [online]. Hamburg: Statista GmbH. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/273824/umfrage/wohnsituation-der-bevoelkerung-in-deutschland-nach-­altersgruppen
  3. Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Institut für Management und Innovation (2023) Wärmewende – Energetische Sanierungen im Wohngebäudebestand fördern durch Aktivieren, Informieren und Unterstützen der Eigentümerinnen und Eigen­tümer .
  4. Frondel, M.; Gerster, A.; Kaestner, K.; Pahle, M.; Schwarz, A.; Singhal, P.; Sommer, S. (2022) Das Wärme- und Wohnen-Panel zur Analyse des Wärmesektors: Ergebnisse der ersten Erhebung aus dem Jahr 2021 . Zeitschrift für Energiewirtschaft 46, S. 175–193. https://doi.org /10.1007/s12398-022-00328-1

Autor:innen

Katja Treichel-Grass, Treichel-Grass@mcc-berlin.net
Leitung Bürgerdeliberation

Dr. Julia Epp, Epp@mcc-berlin.net
Policy Unit

Kopernikus-Projekt Ariadne, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) gGmbH
www.ariadneprojekt.de


Katja Treichel-Grass ist Policy Analystin am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und leitet dort die Bürgerdeliberation im Kopernikus-Projekt Ariadne . Ariadne gestaltet einen zielgerichteten Lernprozess mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um tragfähige Optionen zur Gestaltung der Energiewende in Deutschland zu erarbeiten. Das Projekt geht speziell auf Entscheidungsprobleme der Politik ein, stößt aber auch Debatten an mit Politik, Stakeholdern sowie Bürgerinnen und Bürgern. Bevor sie ans MCC kam, arbeitete sie als Projektleiterin an der Humboldt-Viadrina Governance Platform ebenfalls an der Schnittstelle Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im Bereich Energiewende. Katja Treichel-Grass besitzt ein Diplom in Politikwissenschaft der Universität Potsdam.

Dr. Julia Epp ist Policy Analystin in der Policy Unit des Mercator Research Insti­tute on Global Commons and Climate Change. Dort unterstützt sie im Kopernikus-Projekt Ariadne die Forschungs­arbeiten zur Bürgerdeliberation und zur Wärmewende. Davor arbeitete Julia Epp am Potsdam-­Institut für Klimafolgenforschung und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung in Projekten zu Bürgerenergie, Energiekonflikten, Wasserstoff und Verkehrswende. Zudem promovierte sie an der Technischen Universität Berlin zur Sektorkopplung auf der Insel Rügen.

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