Bauen ohne ­Bevormundung

Ein Plädoyer für mehr Realismus und Pragmatismus

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt nimmt dramatische Züge an. Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum wird für viele Teile der Bevölkerung zu einer enormen Herausforderung, da demografische Veränderungen und Zuwanderung den Bedarf an Wohnraum erheblich gesteigert haben. Rund 9,3 Mi o. Menschen leben in überbelegten Wohnungen und Branchenverbände berichten von bis zu 800.000 fehlenden Wohnungen. Und selbst dort, wo Wohnungen vorhanden sind, stiegen wegen fehlender energetischer Sanierungen und hoher Energiekosten die Nebenkosten in manchen Lagen höher als die Miete.

Gegen diesen Mangel hilft nur eines: die Sanierung des Bestands und allen voran der Bau neuer Wohnungen. Blickt man jedoch auf die Baugenehmigungen, so wurden im vergangenen Jahr nur 260.000 erteilt – fast ein Drittel weniger als 2021. Besonders besorgniserregend ist der drastische Rückgang bei den Wohnungsbauvorhaben privater Bauherren um rd. 42 % im Vergleich zum Vorjahr, denn zwei Drittel aller Wohnungen bundesweit werden von privaten Bauherren errichtet. Und dieser Rückgang hält an – und zwar seit 26 Monaten. Des Weiteren stellt die Bauflaute auch die nachhaltige Transformation des Gebäudebestands vor große Herausforderungen, wie der Rückgang der Sanierungen auf eine Rate von rd. 0,7 % und eine Leerstandsquote von weniger als 0,2 % in den sieben großen Städten Deutschlands zeigen.

Dass die Baubranche in dieser fundamentalen Krise steckt, hat vielfältige Gründe. Denn zahlreiche Bauherren können sich aufgrund der gestiegenen Baukosten und des fehlenden Eigenkapitals die Finanzierung für das Eigenheim schlicht nicht leisten, oder für viele rechnet es sich einfach nicht, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Kosten sind so hoch, dass die veranschlagten Mietpreise zur Deckung der hohen Baukosten für viele Mieter nicht leistbar wären. Die Politik kann hierbei zwar nicht alle Probleme lösen, sie kann aber durch geeignete Rahmenbedingungen den Bau von neuem Wohnraum und die Aktivierung von Bestandsbauten wieder attraktiver machen. Und dafür müssen wir Denkkorsette ablegen und einen Wandel von ideologisch geprägten Vorgaben hin zu mehr Pragmatismus und Realismus vollziehen. Und hierbei spielen aus meiner Sicht drei zentrale Stellschrauben eine entscheidende Rolle:

Erstens braucht es eine auskömmliche und verlässliche Förderpolitik, da nichts der Investitionsbereitschaft mehr schadet als ­unklare oder sich ständig ändernde Rahmenbedingungen. Die ­Bundesregierung sollte daher bspw. beim bestehenden Förderprogramm Klimafreundlicher Neubau die Mittel aufstocken, um einen abrupten Förderstopp wie im Dezember 2023 zu verhindern. Zudem sollten neben Zinsvergünstigungen auch Direktzuschüsse wieder erwogen werden, um die hohen Hürden des fehlenden Eigenkapitals zu überwinden.

Zweitens sollten steuerliche Anreize geschaffen werden. So könnte z. B. eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer für Bauleistungen gezielt die Baujunktur ankurbeln. Zusätzlich sollten Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer eingeführt und bei der Erbschaftsteuer erhöht werden. Dies würde die Bildung und auch den Erhalt von Wohneigentum erleichtern, da Erbschaften seit 2008 über alle Einkommensklassen hinweg an Bedeutung für die Wohneigentumsbildung gewonnen haben. Darüber wäre es eine Motivation für Eigentümer, wenn die Kosten für energetische Sanierungen in voller Höhe von der Erbschaftsteuer abzugsfähig wären, um eine zeitnahe und effektive energetische Modernisierung des Immobilienbestands zu fördern.

Drittens müssen die Baukosten gesenkt werden, denn zahlreiche Gesetze haben ein ökonomisch sinnvolles Maß an Regulierung überschritten. So verursachen die von der Ampelregierung eingeführten technischen Anforderungen, wie der beschlossene Effizienzhaus- (EH-) 40-Förderstandard für den Neubau, erhebliche finanzielle Mehrkosten, ohne einen signifikanten Mehrwert für das Klima zu bringen, wie auch die Studie von Prof. Dietmar Walberg belegt. Diese staatliche Kostenspirale muss daher aufgebrochen werden, da sie – wie wir auch derzeit in der Baubranche sehen können – zu weniger Neubau führt. Aus diesem Grund sollten wir aktiv zur Baukostensenkung beitragen, indem eine Rückkehr zum ökonomisch sowie ökologisch sinnvollen EH-55-Standard eingeläutet und dieser wieder förderfähig wird. Dieser Wandel muss sich darüber hinaus auch bei der Sanierung widerspiegeln, denn hierbei ist die Effizienzhausstufe 85 absolut ausreichend.

Um überdies die Baukosten abzusenken, sollten bauordnungsrechtliche Standards so weit wie möglich vereinfacht und auf die Gefahrenabwehr beschränkt werden. Die damit einhergehende Diskussion rund um den Gebäudetyp E ( e wie einfach oder experimentell ) geht in die richtige Richtung, doch der aktuelle Vorschlag der Bundesregierung wird nicht ansatzweise die erhoffte Erleichterung und Einsparung an Kosten bringen, da viele Fragen offenbleiben, mitunter von welchen bautechnischen Normungen nun abgewichen werden kann oder nicht.

Des Weiteren müssen wir im Sinne der Nachhaltigkeit und des bezahlbaren Bauens den Bereich der stofflichen Wiedernutzung noch stärker fördern und allen voran Hemmnisse abbauen. Das gilt mitunter für die mineralischen Baustoffe, auf die wir auch in Zukunft nicht verzichten können. Gerade deshalb ist es für Deutschland als rohstoffarmes Land wichtig, Primärrohstoffe durch Recycling-Baustoffe zu ersetzen, da mit Recycling-Baustoffen Baupreise gedämpft und zugleich Primärrohstoffe geschont werden können. Für mich ist daher klar: Abbruch ist kein Abfall, sondern verbauter Rohstoff. Und um diesen dem Stoffkreislauf wieder zuzuführen, brauchen wir ein Ende der Abfalleigenschaft – also Anforderungen mit Augenmaß und mehr Pragmatismus bei den stofflichen Grenzwerten sowie einfachere Genehmigungsverfahren für die Wiederaufbereitungsanlagen.

Zudem steht fest: Ohne zusätzliches Bauland gibt es kein bezahlbares Wohnen. Deshalb benötigen wir neben der Förderung der Bautätigkeit auch eine beschleunigte Schaffung von Baurecht. Und hierbei ist es entscheidend, dass insbesondere unsere Kommunen mehr planerischen und rechtlichen Spielraum erhalten. Die Bundesregierung hat daher die Novellierung des Baugesetzbuchs angekündigt und Anfang September beschlossen. Doch der nun vorliegende, als Bauturbo bekannte Paragraf 246e greift im Vergleich zum ehemals geltenden Paragrafen 13b zu kurz, um beschleunigt Bauland auszuweisen und um somit auf den Zuzug in Ballungszentren schnell reagieren zu können.

Kurzum: Wir brauchen Klarheit bei den Vorgaben, also keine gesetzliche Überforderung, sondern realistische Zielsetzungen, um ökologische, ökonomische und soziale Aspekte im Streben nach Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Zudem brauchen wir Klarheit bei der Finanzierung, d. h. eine verlässliche und auskömmliche Förderkulisse mit pragmatischen Anforderungen sowie kreative Ansätze im Steuerrecht. Und abschließend brauchen wir Klarheit bei der Umsetzung, denn Bauherren müssen wissen, ob die wirtschaftliche Machbarkeit gewährleistet ist.

Und deshalb muss die Politik den Bau von neuem Wohnraum und die Aktivierung des Bestands wieder zur obersten Priorität machen und jetzt entschlossene Maßnahmen ergreifen, um der Wohnungsnot und der sozialen Spaltung entgegenzuwirken und Deutschland aus der Wohnbaukrise zu führen. Also weniger Ideologie, mehr Pragmatismus. Denn in Zeiten, in denen schnell gehandelt werden muss, ist Pragmatismus entscheidend!


Autor:in

Michael Kießling, MdB michael.kiessling@bundestag.de
Deutscher Bundestag, Berlin
www. kiessling-michael.de

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