Innovation nicht zu Ende gedacht
Bis 2030 müssen die Treibhausgasemissionen weltweit halbiert sein. Das ist in ca. fünf Jahren. Dazu benötigen wir u. a. auch innovative Materialien, die deutlich weniger Ressourcen und CO2 verbrauchen, um diese Ziele im Bau- und Gebäudebereich erreichen zu können.
Eine sehr aktuelle Entwicklung und Innovation dazu ist Carbonbeton. Carbon an sich ist ein in der Herstellung sehr teures Material und wird aufgrund der Leichtigkeit v. a. in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt. Bei Beton im Hoch- und Tiefbau wird die Bewehrung aus Stahl durch Stäbe, Matten oder Vliese aus Carbon ersetzt. Ein Vorteil ist, dass Carbon korrosionsfrei ist und daher keine Mindestbetondeckung benötigt. Dadurch können wesentlich schlankere und leichtere Bauteile umgesetzt werden. Die TU Dresden hat in einem mehrjährigen Forschungsprojekt die Recyclingfähigkeit von Carbonbeton untersucht und bestätigt [1]. Allerdings besagen andere Untersuchungsergebnisse, dass die Carbonfasern nicht recyclingfähig sind und es schwierig sein wird, diese Fasern überhaupt entsorgen zu können, weil die Abfallfirmen sie nicht annehmen möchten. Damit wäre Carbonbeton ein Baustoff, der zum aktuellen Stand nicht kreislauffähig ist und damit schlechter zu bewerten wäre als andere Baustoffe wie z. B. nachwachsende Rohstoffe. Sogar der Bewehrungsstahl im Stahlbeton kann fast vollständig zu neuem Bewehrungsstahl rezykliert werden. Er weist eine gute Recyclingfähigkeit auf, obwohl wir aufgrund der hohen CO2-Emissionen, die durch die Herstellung von Zement und Stahl entstehen, möglichst sparsam Stahlbeton einsetzen sollten.
Mit Carbonbeton gibt es allerdings noch ein weiteres Problem. Eine Studie der Bundeswehr hat herausgefunden, dass Carbon im Brandfall mit sehr hohen Temperaturen lungengängige Fasern freisetzt [2]. Carbon kann, wie Asbest, in sehr kleine Fasern zerfallen und Krebs auslösen. Carbonstaub ist nachweislich gesundheitsschädlich. Für die Verarbeitung von Carbonbeton wurde deshalb die RAL RG 351 entwickelt, die für Carbonstäbe und Matten gilt. Die ersten Untersuchungen zu gesundheitlichen Folgen haben bis jetzt ergeben, dass von Carbonbeton keine Gefahr ausgeht, aber dies von Carbonstäben nicht ausgeschlossen werden kann [3]. Es gibt auch verschiedene Carbonfasern, die ein unterschiedliches Bruchverhalten haben und unter bestimmten Bedingungen die gefährlichen lungengängigen Fasern bilden können. Durch die bekannten Probleme mit Asbest wird die potenzielle Gefahr untersucht, aber zurzeit schreitet die Baubranche schneller mit dem Einsatz von Carbonbeton voran, ohne die Ergebnisse von Studien abzuwarten. Langzeitstudien werden auch noch viele Jahre auf sich warten lassen. Wenn es gut läuft, ist Carbonbeton eine Möglichkeit, Zement einzusparen. Wenn es schlecht läuft, ist Carbonbeton das Asbest der Zukunft und muss in vielen Jahren unter Gefahren (und auf Kosten der Gesundheit von Menschen) wieder ausgebaut werden. Schon jetzt gilt, dass Material mit Carbon nicht über den Restmüll entsorgt werden darf, da sich durch die Verbrennung in der Müllverbrennungsanlage die gefährlichen Fasern freisetzen können. Carbonbeton ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Innovation auch zu Ende gedacht werden muss. Für bestimmte Fälle lohnt sich vielleicht der teure Einsatz von Carbon, z. B. im Brückenbau. Aber im flächendeckenden Hochbau erfüllen andere Materialien die entscheidenden Kriterien wie Kreislauffähigkeit, Brand-, Wärme- und Schallschutz sowie Schadstofffreiheit wesentlich besser.
Zudem ist Carbonbeton einer der meist geförderten Baustoffe in der Bauforschung in Deutschland. Die Forschenden aus dem Bereich Carbonbeton haben ein Konzept für ein neues Bundesforschungszentrum für klimaneutrales und ressourceneffizientes Bauen – Living Art of Building (LAB) eingereicht und sollen mit insgesamt 68,6 Mio. Euro in den nächsten fünf Jahren vom Bund und zusätzlich mit bis zu 450 Mio. Euro vom Freistaat Sachsen gefördert werden [4]. Das sind wichtige Gelder für die nachhaltige Bauwende, die dann anderen Forschungsbereichen des nachhaltigen Bauens an Universitäten, Hochschulen und Instituten wahrscheinlich fehlen werden.
Wir wissen jetzt, dass die Zeiten, in denen Planende nur bis zur Fertigstellung des Gebäudes gedacht und geplant haben, mit dem Schwinden von endlichen Ressourcen vorbei sind. Wir müssen uns wohl überlegen, welche Baustoffe wir wie und wo einsetzen und schon beim Planen an einen zukünftigen Rückbau des Gebäudes und die Wiederverwendung von Bauteilen und das Recycling von Baustoffen denken. Damit später, wenn das Gebäude nicht mehr gebraucht wird, zumindest die verbauten Ressourcen so zurückgewonnen werden können, dass sie ohne großen technischen Aufwand aufbereitet und wieder eingesetzt werden. Das müsste das Ziel einer jeden nachhaltigen Innovation sein. Wir haben einfach zu wenig Zeit, um noch mal Wege einzuschlagen, die sich dann wieder als Fehler erweisen. Fördern wir doch lieber die Baustoffe, die in der Agrarwirtschaft bereits mitproduziert werden und immer noch zu Unrecht in der Öko-Nische sind. Diese Baustoffe sind nachweislich gut für den Hochbau geeignet, kostengünstig, wohngesund und kreislauffähig. Genau das, was wir für die Zukunft unserer und der nächsten Generation brauchen.
Literatur
- C³ [Hrsg.] Netzwerk für Carbonbeton [online]. Dresden: C³ – Carbon Concrete Composite e. V. https://carbon-concrete.org
- Eibl, S. (2017) Gesundheitsgefährdung durch lungengängige Kohlenstofffasern beim Abbrand von Carbonkunststoffen [online]. Wien: Universimed Cross Media Content GmbH. https://www.universimed.com/ch/article/pneumologie/gesundheitsgefaehrdung-durch-lungengaengige-kohlenstofffasern-beim-abbrand-von-carbonkunststoffen-2098532
- C³ [Hrsg.] Bauen neu denken [online]. Dresden: C³ – Carbon Concrete Composite e. V. https://www.bauen-neu-denken.de/vorhaben/v3-2-gesundheit-und-arbeitsschutz
- LAB Living Art of Building [Hrsg.] Es ist ein historischer Moment für die Zukunft des Bauens … [online]. Dresden: TU Dresden. https://living-art-of-building.org/historischer-moment