Zukunftsfähige Gebäude: Klimaschutz und ­Gesundheit vereinen

Zu alt, zu teuer, zu klimaschädlich – die Kritik am Gebäudesektor ist groß. Angesichts wachsender Herausforderungen wird der Ruf nach zukunftsfähigen Gebäuden immer lauter. Aber was macht ein Gebäude zukunftsfähig?

Zukunftsfähige Gebäude sind gesunde Gebäude

Zunächst natürlich eine nachhaltige Bauweise, die Verringerung von Treibhausgasemissionen und ein reduzierter Energiebedarf während der Nutzungsphase. Die Klimaziele sind klar formuliert – und zukunftsfähige Gebäude spielen eine zentrale Rolle, um sie zu erreichen.

Zweitens werden die Anforderungen an die Resilienz von Gebäuden durch den voranschreitenden Klimawandel immer weiter steigen. Gebäude müssen sich zunehmend an veränderte Umwelt- und Nutzungsbedingungen anpassen können.

Dazu kommt ein dritter wichtiger Aspekt: Zukunftsfähige Gebäude fördern unsere Gesundheit. Wir verbringen bis zu 90 % unserer Zeit in Innenräumen – zu Hause, im Büro, in der Schule, häufig sogar in der Freizeit. Gebäude haben einen großen Einfluss auf unsere Gefühle, unsere Produktivität und unser allgemeines Wohlbefinden.

Zukunftsfähige Gebäude sind also nachhaltig, resilient und fördern die Gesundheit. Um sie zu verwirklichen, brauchen wir einen entsprechend integrativen Ansatz, der diese drei Ebenen mitei­nander verbindet und die Menschen in den Fokus rückt. Das Konzept des gesunden Gebäudes fasst diese ganzheitliche Betrachtungsweise treffend zusammen.

Menschen, Klima und Wirtschaft profitieren

Dieses holistische Verständnis gesunder Gebäude öffnet auch den Blick für die Potenziale, die damit verbunden sind. So wissen wir z. B., dass die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz durch eine bessere Versorgung mit Tageslicht um bis zu 18 % steigen kann. Jeder Prozentpunkt Leistungsfähigkeit wirkt sich wiederum positiv auf die Bruttowertschöpfung aus. Hochgerechnet könnte eine bessere Tageslichtsituation am Arbeitsplatz der europäischen Wirtschaft so zusätzliche Einnahmen von bis zu 40 Mrd. Euro einbringen. Die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit von Arbeitnehmer:innen sind hier noch gar nicht eingerechnet.

Durch verstärkte Investitionen in Sanierungsprogramme könnten außerdem nicht nur das Raumklima verbessert und Emissionen reduziert werden, sondern auch bis zu 130.000 Arbeitsplätze in Deutschland und bis zu 500.000 Arbeitsplätze in der EU geschaffen werden (Bild 1).

Allerdings ist der Gebäudebestand in Deutschland derzeit weit davon entfernt, diese Potenziale vollständig auszuschöpfen. Einer von drei Menschen lebt in Gebäuden, deren Innenraumluftqualität unter dem nationalen Standard liegt. Insgesamt 7,1 % empfinden ihr Zuhause als zu dunkel. Beim Klimaschutz verzeichnet der Gebäudebereich zuletzt zwar Fortschritte, er überschritt 2023 die im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegte zulässige Emissionsmenge dennoch um rd. 1,2 Mio. t. Auch das Thema Klimaanpassung gewinnt zunehmend an politischer Bedeutung, noch gibt es jedoch zu wenige konkrete Maßnahmen, die die Resilienz von Gebäuden fördern.

Wie kann ein ganzheitlicher Ansatz dabei helfen, Lösungen zu entwickeln?

Um unseren Gebäudebestand wirklich zukunftsfähig zu machen, müssen wir an zwei wesentlichen Punkten ansetzen: Zunächst müssen wir uns auf eine einheitliche Definition gesunder Gebäude verständigen. Ohne diese Grundlage können wir keine gezielten Maßnahmen anstoßen. Das im Juni 2024 vorgestellte Healthy Buildings Barometer liefert hierfür erstmals einen Vorschlag und definiert gesunde Gebäude anhand eines Frameworks aus fünf Dimensionen: Verbesserung der psychischen und physischen Gesundheit, Fokus auf menschliche Bedürfnisse, nachhaltiges Bauen und Bewirtschaften sowie Resilienz und Flexibilität und die Befähigung von Menschen durch Wissen (Bild 2). In der Praxis angewendet, kann dieses Framework Akteur:innen in Baubranche und Politik als Werkzeug dienen, z. B. als Leitfaden, der im Rahmen der Planung und Prüfung von Bau- und Sanierungsvorhaben genutzt werden kann, oder für die Analyse des Gebäudebestands einzelner Städte, Regionen oder Länder.

Darüber hinaus muss Gebäudepolitik relevante Parameter für Gesundheit und Resilienz integrieren. Auch wenn der Diskurs des letzten Jahres anderes vermuten lässt, sind die Voraussetzungen dafür tatsächlich vielversprechend. Mit der EU-Gebäuderichtlinie und dem Gebäudeenergiegesetz sind die Leitplanken auf europäischer und nationaler Ebene gesetzt. Gebäude stehen weit oben auf der politischen und öffentlichen Agenda. Wenn es uns jetzt gelingt, den bestehenden Diskurs zu Energieeffizienz um das Thema Gesundheit zu erweitern und Kriterien für gesunde Gebäude in Investitionsentscheidungen für Renovierungen und Neubau einzubeziehen, haben wir die Chance, mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen: die Dekarbonisierung des Gebäudebestands und die Realisierung zukunftsfähiger Gebäude, die die Gesundheit der Nutzer:innen schützen und fördern.

Vorschläge für einen kohärenten politischen Rahmen

Voraussetzung dafür ist ein kohärenter politischer Rahmen, der die Themen Klima, Nachhaltigkeit, Energie und Gesundheit ganzheitlich erfasst. Eine gute Gelegenheit, entsprechende Anpassungen umzusetzen, bietet z. B. die nächste Novelle des Gebäudeenergiegesetzes. Es bleibt nur zu hoffen, dass die zukünftige Regierung – in welcher Konstellation auch immer – nicht davor zurückschreckt, das berüchtigte Heizungsgesetz erneut anzugehen.

Einen weiteren Anlass, insbesondere in Bezug auf gesundheitsrelevante Parameter, bietet die Umsetzung der EU-Gebäude­richtlinie: Sie liefert erstmals eine klare Definition für gesundes Innenraumklima, die Faktoren wie Luftqualität, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Beleuchtung, Lärm und Raumgestaltung beinhaltet. Deutschland hat nun bis 2026 Zeit, diese Definition in nationale Gesetzgebung zu übertragen. Um adäquate Effekte zu erzielen, sollte diese Definition darüber hinaus auch als Orientierung für Beratung, Finanzierung, Baupläne und Sanierungskonzepte genutzt werden.

Gebäudepolitik sollte zudem mehr Fokus auf die Anpassungs­fähigkeit von Gebäuden an veränderte klimatische Bedingungen setzen und neben winterlichen Heizperioden auch Rahmenbedingungen für immer wärmer werdende Sommer gestalten. Zwei wichtige, aber in diesem Zusammenhang bislang unterschätzte Aspekte sind außenliegender Sonnenschutz und Gebäudeautomatisierung.

Gleichzeitig darf der Fokus auf Klimaschutz natürlich nicht verloren gehen. Negative Auswirkungen auf den Planeten zu minimieren, ist und bleibt eine der größten Aufgaben unserer Branche. Auch hier gibt es Bereiche, in denen die politischen Ziele nicht ambitioniert genug sind. Dazu gehört z. B. die Betrachtung von Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden oder der Schutz von Biodiversität.

Jetzt Weichen für zukunftsfähige Gebäude stellen

Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen unsere Branche gerade steht, mögen viele dieser Themen weit weg erscheinen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es wichtig ist, diese Diskussionen zu führen – und zwar jetzt. Wenn wir unseren Gebäudebestand für zukünftige Herausforderungen wappnen wollen, müssen wir die Weichen heute stellen.

Dieser Aufgabe können wir uns nur gemeinsam stellen: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft – innerhalb und außerhalb der Bauindustrie. Nur mit vereinten Kräften können wir das volle Potenzial gesunder Gebäude erschließen und einen positiven Beitrag für die Gesundheit der Menschen und des Planeten leisten.


Autor:in

Silke Stehr, pa.berlin@velux.com
VELUX Deutschland GmbH, Hamburg
www.velux.de

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