Zirkuläre Wertschöpfung und Bilanzierung als Anlagevermögen

Neues Kreisarchiv in Viersen setzt Maßstäbe für die Zukunft

Der Kreis Viersen hat sein Archiv nach den Kriterien der zirkulären Wertschöpfung errichtet. Für die nachhaltige Bauweise der öffentlichen Hand gab es viel Aufmerksamkeit. Mindestens genauso interessant ist das Finanzmanagement, bei dem die Baumaterialien des Kreisarchivs mit einem Restwert eingehen.

1 Kreisarchiv Viersen

Französische Aktenführung im Standesamt, Gerichtsstätten und Galgen, Miss Germany bei der Freibaderöffnung: Das Archiv des Kreises Viersen steckt voller Überraschungen. Solche Fund­stücke, wie auch grundlegende Akten und Pläne, werden dort jetzt modern, sicher und dauerhaft aufbewahrt. In einem neuen Gebäude, das Historie und Moderne nachhaltig kombiniert und wegen seiner Bauweise nach den Kriterien der zirkulären Wertschöpfung bundesweite Aufmerksamkeit erlangt hat. Für seine Ressourcen- und Energieeffizienz wurde es beim Wettbewerb Klimaaktive Kommune 2022 des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) durch Bundesminister Robert Habeck ausgezeichnet. Die Begründung: Mit dem neuen Archiv habe der Kreis Viersen Maßstäbe gesetzt im Bereich klimafreundliches Bauen.

1.1 Die Projektidee: Zirkuläre Wertschöpfung

Zuvor war das Gedächtnis des Kreises in der ehemaligen kurkölnischen Landesburg in Kempen und verschiedenen Zweigstellen untergebracht. Es herrschte Platzmangel, es gab gravierende Mängel beim Brandschutz, die Burg war nur sehr schwer zugänglich. Mit einem Neubau wollte der Kreis der Bedeutung des Archivs für die Allgemeinheit gerecht werden. Das Gebäude, das die Zeugnisse der Vergangenheit sorgfältig aufbewahrt, soll auch sorgsam mit unserer Zukunft umgehen. Landrat Andreas Coenen überzeugte den Kreistag davon, das neue Gebäude nach den Kriterien der zirkulären Wertschöpfung zu errichten. Ausgangspunkt waren ein Vortrag zum Cradle-to-Cradle-Prinzip und ein Besuch im Stadthaus der niederländischen Grenzstadt Venlo, das nach diesem Prinzip gebaut wurde.

Entsprechend wurde die Ausschreibung für den Neubau vorbereitet. Dabei schaltete der Kreis auch das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW ein. „Die Viersener hatten eine Idee. Dafür brauchten sie qualifizierte Unterstützung“, so Reinhold Rünker vom Ministerium. Er holte die Stiftung re!source mit ins Boot: „re!source waren mit die Ersten, die die Notwendigkeit der Ressourcenwende und die Kreislaufwirtschaft am Bau thematisierten.“ So zog der Kreis re!source und Circular Building GmbH als Bauherrenberaterinnen hinzu. Mit deren Unterstützung wurde die Strategie entwickelt und wesent­liche Themen der Kreislauffähigkeit benannt und umgesetzt:

  • durchgängige Digitalisierung und zentrale Datenhaltung
  • Building Information Modeling (BIM) und Prozessoptimierungen
  • Gebäuderessourcenpass
  • Lebenszykluskonzept und Facilitymanagement bei Planungsbeginn
  • Auswahl und Einbindung leistungsfähiger Projektpartner
  • rechtssichere Ausschreibungen
  • Monitoring der Haustechnik
  • Entwicklung von Rückbaukonzepten
  • Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen

1.2 Planung des Architekten

Im Wettbewerbsverfahren setzte sich das Büro DGM Architekten aus Krefeld unter 19 eingereichten Arbeiten durch. Der Entwurf überzeugte das Preisgericht mit einem massiven, fensterlosen Magazinkubus (Bild 1), der an einen Berfes, einen für den Niederrhein typischen Wehrturm, erinnert. Für die Feldbrand-Ziegelfassade wurden rd. 60.000 alte Ziegelsteine aus einem Abrissgebäude wiederverwertet. Im Kubus wird das Archivgut auf vier Etagen sicher und geschützt vor Licht und Klimaschwankungen verwahrt (Bild 2). In einem transparenten, hellen Umringsgebäude aus Holzständerwerk finden sich Büros, Lesesaal sowie Vortrags- und Arbeitsräume.

Das Gebäude hat weder Öltank noch Gasanschluss; energetisch versorgt wird es mit einer Kombination aus Kraftdach – eine Zusammensetzung aus Solarabsorber und PV-Anlage –, Eisspeicher und Brunnenanlage. Das Regenwasser wird ebenfalls genutzt. Das gesamte Gebäude dient als Baustoffspeicher. „Die Pläne sind nicht nur architektonisch gut gelungen, sie entsprechen auch unserem hohen Nachhaltigkeitsanspruch der zirkulären Wertschöpfung“, so der Landrat. Das Archiv soll weniger Energie verbrauchen, als es erzeugt, und einen positiven ökologischen Fußabdruck hinterlassen.

1.3 Bauaufgabe Archiv

Ein Archiv zu bauen, ist nicht alltäglich und mit keiner anderen Bauaufgabe vergleichbar. Kontinuierliche Temperaturen, kon­stanter Feuchtigkeitsgehalt sowie schwere Lasten müssen bedacht werden. Zudem galt es, gute Arbeitsplätze zu schaffen, die Prozesse zu optimieren und die Wahrnehmung des Archivs in der Öffentlichkeit zu verbessern. Es wurde deshalb viel Holz verwendet, die Innenwände des Archivs wurden als Lehmtrockenbau errichtet. Für den rauen Gussasphaltboden wurde Recyclingmaterial eingesetzt.

Es galt, eine optimale Umgebung für die Archivalien und die Mitarbeiter zu schaffen, das Gebäude als zirkulär im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu errichten und dafür die BIM-Planungsweise zu nutzen. Alles Dinge, die insbesondere auf kommunaler Ebene noch am Anfang stehen. Vieles musste hier zum ersten Mal gemacht werden. Auch die Ausschreibung eines so speziellen Gebäudes war eine zusätzliche Herausforderung; die wenigen am Markt verfügbaren nachhaltigen Bauteile und Materialien mussten produktneutral angefragt werden. Des Weiteren haben die Coronapandemie, Lieferschwierigkeiten und Kostensteigerungen den gesamten Prozess beeinflusst.

1.4 Die Sicht der Archivnutzenden

Vieles ist einfacher geworden im neuen Kreisarchiv, so der Archivleiter. Ein großes Plus für die Arbeitsabläufe ist der großzügig dimensionierte Aufzug im Magazin ebenso wie die Laderampe, an der regensicher Anlieferungen mit einem Hubwagen ausgeladen werden können. Zur Nutzerzufriedenheit trage neben der Gebäudeatmosphäre und der größeren Zahl an elektronischen Arbeitsplätzen (Bild 3) auch bei, dass es einen Lesesaal sowie Arbeits- und Vortragsräume gibt, die von Gruppen, wie dem Viersener Heimatverein, genutzt werden können.

Bild 3 Arbeitsplätze im Kreisarchiv Viersen
Bild 3 Arbeitsplätze im Kreisarchiv Viersen
Quelle: Kreis Viersen, Benito Barajas

28.000 Archivkartons mussten umziehen, mehrere laufende Kilometer an Archiv- und Bibliotheksgut finden im neuen Gebäude ebenso ihren Platz wie Geräte aus der Restaurierungswerkstatt und für die Digitalisierung. Diese Dimension erforderte eine europaweite Ausschreibung mit dem entsprechenden Aufwand. Und es soll auf Jahrzehnte hinaus auch die künftigen Archivalien beherbergen können: Die Zuwachsfläche ist auf 30 Jahre hochgerechnet worden.

1.5 Wettbewerb Klimaaktive Kommune 2022

Beim Wettbewerb Klimaaktive Kommune 2022 des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) wurde der Kreis Viersen als eine von zehn Kommunen ausgezeichnet. Der Preis wurde in der Kategorie Ressourcen- und Energieeffizienz vergeben. Das zentrale Kreis­archiv kombiniere Historie und Moderne nachhaltig. Der Kreis Viersen habe Maßstäbe gesetzt im Bereich klimafreundliches Bauen. Mit dem Einsatz nachwachsender oder wiederverwerteter Baustoffe würden die baurechtlichen Anforderungen der Energieeffizienz von Neubauten um 45 % unterboten; das Gebäude komme ohne fossile Energieträger aus, heißt es in der Begründung. Der Neubau überzeuge durch seine optimale energetische Planung und Umsetzung nach den Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung. „Die ausgezeichneten Kommunen sind Vorbild dafür, wie mit Klimaschutz mehr Lebensqualität, gutes Zusammenleben und mehr regionale Wertschöpfung vor Ort erreicht werden können“, sagte Robert Habeck , Bundesminister für Wirtschaft und Klima, bei der Preisvergabe.

2 Wahl der Materialien

Beim Entwurf des Kreisarchivs musste darauf geachtet werden, dass verschiedene Baustoffe leicht voneinander trennbar sind, um einen Stoffkreislauf auch wirtschaftlich darstellen zu können. Dies führte zu klareren Zuweisungen der Materialen zur architektonischen Funktion sowie zu einer Reduzierung der Anzahl verschiedener verwendeter Materialen. Die Anforderungen einer zirku­lären Wertschöpfung prägen die Architektur und machen sie sichtbar.

Zum Einsatz kamen so viele Materialen wie möglich, die entweder für zirkuläre Wertschöpfung zertifiziert sind oder nachweislich den Anforderungen der zirkulären Wertschöpfung entsprechen (Bild 4). Die verwendeten Materialen sind gesundheitsförderlich, d. h. in jedem Fall chemisch unbedenklich, sowie nach Möglichkeit entnehmbar und ohne Qualitätsverluste wiederverwertbar.

Die verwendeten Materialien müssen in ihrer Zusammensetzung bekannt, verfolgbar und rückholfähig sein und dadurch einen nachweisbaren Restwert besitzen. Das neue Kreisarchiv ist so auch zu einem Speicher für Rohstoffe geworden. Das setzt eine intensive Planung bis ins Detail voraus. Die Planungs- und Ausführungsprozesse mussten optimal aufeinander abgestimmt werden. Die Bereitschaft, sich von der bekannten und routinierten Vorgehensweise zu lösen und neue Wege zu beschreiten, war eine Voraussetzung für den Erfolg des Projekts.

2.1 Betonfertigteile

Da das Archivgebäude in einem Wasserschutzgebiet errichtet werden sollte und die oberen Bodenschichten nicht tragfähig sind, mussten die Fundamente tief in den Boden einbinden. Um die Eingriffe in den Boden auf das Notwendigste zu begrenzen und zusätzlich Sicherheit bei Starkregenereignissen zu schaffen, liegt das Erdgeschoss etwa 1,00 m oberhalb der Erschließungsstraße und auf Ebene der höhergelegenen Hauptverkehrsachse.

Die tragenden Fertigbetonteile und deren Anschlusspunkte erforderten einen hohen Vorfertigungsgrad der tragenden Bauteile und eine Verbindung durch lösbare Anker (Bild 5).

2.2 Holzbaukonstruktion

Umringsbau des Erdgeschosses ist eine Holzbaukonstruktion (Bild 6), sie dient einerseits der Verringerung der Lasten und andererseits einer einfachen Demontierbarkeit. Die Holzkonstruktion muss während der gesamten Nutzungsdauer und bei Sanierungen bis zum Rückbau schadstofffrei unterhalten werden. Dies setzte eine langfristige und nachhaltige Pflege- und Unterhaltungsstrategie sowie deren Dokumentation voraus, die beim Kreisarchiv eingeführt wurde.

2.3 Fassade

Für die Fassade des Kreisarchivs kamen Ziegel mit kurzen Transportwegen zum Einsatz, die nach Rückbau der alten Spinnerei aus dem Nachbarort Mönchengladbach stammen. Sie verleihen der Fassade eine lebendige Struktur und dokumentieren die Leitidee der zirkulären Wertschöpfung (Bild 7).

2.4 Trockenbau

Für die nicht tragenden Innenwände kamen Lehmbauplatten und Lehmputz auf Aluminiumprofilen zum Einsatz (Bild 8). Der Lehm dient als Wärmedämmung und reguliert die Feuchtigkeit. Für das Kreisarchiv mit seiner Vielzahl an Dokumenten ist dies eine elementare Voraussetzung. Zudem ist der Lehm eine natürliche Ressource, die vom Niederrhein mit einer Distanz von ca. 70 km geliefert wurde. Das Recycling des Aluminiums in Schmelzwerken reduziert den Energiebedarf um 95 % gegenüber der Neugewinnung und Verarbeitung.

3 Vorbild für andere Kommunen

Nach der erfolgreichen Umsetzung des neuen Kreisarchivs setzt der Kreis Viersen jetzt auch bei weiteren Neubauprojekten auf das Prinzip zirkuläre Wertschöpfung. „Wir haben viel gelernt bei der Planung und beim Bau des Kreisarchivs“, so der Leiter des Gebäudemanagements, und diese Erfahrungen fließen in Zukunft in alle Bauvorhaben des Kreises ein. Das gilt nicht nur für die verwendeten Baustoffe, sondern auch für die Baumethoden.

3.1 Digitaler Zwilling

Derzeit befinden sich der Neubau des Straßenverkehrsamts und der Förderschule des Kreises in der entsprechenden Umsetzung. Bei diesen Projekten wird bereits von Beginn an auf Building Information Modeling (BIM) gesetzt. Diese Arbeitsmethode ist integraler Bestandteil des Planungsprozesses und ermöglicht eine zentrale Projektabwicklung über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks hinweg. Dabei wird ein Digitaler Zwilling erstellt; das virtuelle Gebäudedatenmodell bildet die Grundlage für die Rückbaufähigkeit und die Wieder- bzw. Weiterverwendung einzelner Bauelemente. Damit ist es möglich, den für die Zukunft geforderten Ressourcenpass für das Gebäude zu erstellen. Für diese digitale Methode setzt sich auch der Deutsche Städtetag ein [1]. Für Bruno Wesch , damaliger Leiter des Gebäudemanagements Kreis Viersen, war die Digitalisierung der Schlüssel: Ohne die umfassende Einführung wäre das Projekt Kreisarchiv gescheitert.

In Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro DT BAU – Büro für BIM & Digitale Transformation, unter Leitung von Jakob Przybylo, wurden in Kooperation mit Michael Mai (em. Professor für Informatik und Facilitymanagement an der HTW Berlin) die Bedarfe von Digitalisierung und BIM definiert und in Folge abgestimmt auf die Anforderungen des Projekts entwickelt. Die Digitalisierung ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Facility- und Immobilienmanagement. Es ist entscheidend, dass die digitalen Daten in den Phasen des Planens, Bauens und Betreibens übergangslos verfügbar sind.

3.2 Freiflächen- und Wassermanagement

Sämtliche Flächenkonzeptionen waren unter den Aspekten der Förderung von Klimaschutz, Biodiversität, Flexibilität, Erhöhung der Luftqualität, des Kleinklimamanagements sowie des nachhaltigen Wassermanagements und der Bürgernähe geplant. Eine möglichst effiziente Trink- und Regenwassernutzung wurde sichergestellt und die Versiegelung von Flächen so gering wie möglich gehalten. Die Belange der Wasserschutzzone III waren hierbei zu berücksichtigen. Eine Wassernutzung und entsprechende Systeme wurden im Sinne der zirkulären Wertschöpfung gestaltet, um entsprechend den anderen Elementen einen Nutzen zu bringen. Neben der Versickerung von Regenwasser und der natürlichen Kühlung des Mikroklimas durch die Verdunstung dienen die Außenanlagen auch den heimischen Kleintieren als Lebensraum (Bild 9).

4 Finanzmanagement: Materialien haben einen Restwert

Schon 2017 stellte der Landrat die Projektidee dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes NRW vor. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, wie der Wert eines nach den Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung errichteten Gebäudes sowie dessen Inneneinrichtung im Haushalt der Kommune abgebildet werden können. Es wurde angeregt, die Abschreibung lediglich bis zu einem definierten Restwert festzuschreiben, der dem Materialwert des Rohstoffspeichers entspricht. Diese Anregung führte zu einer Überarbeitung des Kommunalen Finanzmanagements der Bilanzierung von Vermögensgegenständen des Anlagevermögens durch das Land NRW.

4.1 Gebäude als Materialbank

Das Gebäude wurde als werthaltiges Rohstofflager geplant. Damit erhöht sich über die Standzeit der Restwert des Gebäudes, da Baumaterialien einem Preisanstieg aufgrund von wachsender Rohstoffverknappung unterliegen. Die verwendeten Materialien sind kreislauffähig, werden katastriert und sind rückholbar. Vo­raussetzung ist, dass durch innovative Verbindungstechniken eine sortenreine Trennbarkeit gegeben ist und die Stoffe keine Schadstoffe enthalten. Ein bei diesem Projekt erstmals eingeführter Ressourcenpass für das Gebäude dient als Inventarisierungsinstrument. Um die einzelnen Stofffraktionen in einem Kreislauf führen zu können, ist demnach eine strikte Trennung von biologischen und technischen Wertstoffen erforderlich. Die technischen Wertstoffe müssen für eine erneute Verwendung sortenrein zurückgewonnen werden.

Das Konzept erforderte es, die in Produkten enthaltenen Inhaltsstoffe und deren Spezifikationen zu dokumentieren und letztlich eine Wiederverwendung zu organisieren. Voraussetzung ist eine durchgängige Dokumentation über den gesamten Lebenszyklus mit den verknüpften Informationen, welche Baumaterialien bzw. Bauteile wann, wo und mit welchen Inhaltsstoffen verbaut wurden und wie diese zurückgebaut und separiert werden können.

4.2 Finanzmanagement mit Materialrestwerten

Grundsätzlich hat sich der Gesetzgeber mit der Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) im Jahr 2004 dazu entschieden, dass Städte und Gemeinden ihre Bücher nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen haben – wie dies auch in der Privatwirtschaft der Fall ist. Die zuvor für die Kommunen geltende kamerale Buchführung, die lediglich eine Einnahme- und Ausgaberechnung darstellte, wurde abgeschafft und durch eine an das Handelsgesetzbuch (HGB) angelehnte Buchführung ersetzt. Dies bedeutete, dass die Kommunen nun auch nicht zahlungswirksame Geschäftsvorfälle, wie z. B. die Zuführung zu Rückstellungen oder auch Abschreibungen für das Anlagevermögen, erfassen mussten.

In aller Regel werden Vermögensgegenstände über die vom Ministerium festgelegte Nutzungsdauer auf einen Erinnerungswert in Höhe von 0 bzw. 1 Euro abgeschrieben. So beträgt die Nutzungsdauer für Fahrzeuge z. B. fünf Jahre; für massiv errichtete Gebäude wird eine Bandbreite der Nutzungsdauer von 40 bis 80 Jahren angegeben. Am Ende der Nutzungsdauer steht jedoch nur noch der o. g. Erinnerungswert.

Dies soll sich nun durch eine Anpassung im NKF ändern: Die im Land Nordrhein-Westfalen regierungsbildenden Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen beantragen (s. DS 18/7189), für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen eine Aktivierung der jeweiligen Restwerte bei Vermögensgegenständen des Anlagevermögens, die nach den Kriterien der zirkulären Wertschöpfung/Cradle to Cradle errichtet worden sind, zu ermöglichen. Was heißt das nun? Es wird davon ausgegangen, dass derartige Vermögensgegenstände am Ende der Nutzungsdauer nicht lediglich einen Wert von 0 bzw. 1 Euro Erinnerungswert aufweisen, sondern – da es sich bei dem Gebäude letztlich auch um einen Wertstofflager handelt – einen Wert, der deutlich darüber liegt und als Restwert bezeichnet wird.

Für das Kreisarchiv wurde bspw. in Abstimmung mit den Hochbauern und Technikern ein Restwert in Höhe von 20 % der Anschaffungs- und Herstellungskosten (AHK) festgelegt. Die AHK werden somit nun nicht mehr über die Nutzungsdauer in voller Höhe abgeschrieben, sondern nur noch in Höhe von 80 %, sodass der Restwert in Höhe von 20 % dauerhaft als Vermögen in der Bilanz des Kreises ausgewiesen wird. Dies führt in der Gewinn- und Verlustrechnung des Kreises zu Minderaufwendungen, da anstatt 100 % der AHK nun nur noch 80 % der AHK abgeschrieben werden und sich somit ein Minderaufwand in Höhe von 20 % der AHK ergibt. Zum anderen wird dauerhaft ein Vermögen in Höhe von 20 % der AHK auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesen, wodurch verdeutlicht wird, dass das Gebäude auch nach Ablauf der Nutzungsdauer noch einen gewissen Wert aufweist.

Fazit: Die Möglichkeit, bei nachhaltig errichteten Vermögensgegenständen auf einen Restwert abzuschreiben, erleichtert es den Kommunen, den Haushaltsausgleich zu erreichen, da im Vergleich zur bisherigen Abschreibungsmethode Minderaufwendungen eintreten. Dies könnte letztlich auch ein Anreiz für die Kommunen sein, den Fokus zukünftig eher auf diesen Bereich zu legen. Schöner Nebeneffekt wäre, dass dadurch auch dem Klimaschutz Rechnung getragen wird.

Offen ist jedoch noch, wann das Gesetz entsprechend geändert wird. Bislang gibt es hierzu lediglich einen Erlass des Ministeriums vom 9. März 2023 [2]; eine Änderung der Verordnungen steht noch aus. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Änderung kurzfristig erfolgen wird. Und offen ist derzeit auch noch, auf wel che Art und Weise der Restwert zu ermitteln ist. Hier muss es sicherlich landesweite Vorgaben geben, um eine Vergleichbarkeit sicherzustellen.

5 Fazit

Das neue Kreisarchiv ist als Gedächtnisspeicher für den Kreis Viersen Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das Kreisarchiv ist eines der ersten kommunalen Gebäude in NRW, das nach den Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung geplant und gebaut wurde. Mit diesem Pilotprojekt kommt der Kreis Viersen seinen Nachhaltigkeitszielen ein Stück näher. Im Vergleich zu standardmäßigen Neubauten werden damit etwa 75 % der CO2-Emissionen vermieden. Das Kreisarchiv ist ein Leuchtturmprojekt, das andere Bauherren inspirieren möge, ebenfalls so nachhaltig zu bauen (Bild 10).

Der Kreis Viersen will weiterhin Vorreiter in Sachen zirkuläre Wertschöpfung sein. Es gibt immer wieder Vollbetonneubauten mit Verbundfassaden (z. B. auch neue kommunale Schulgebäude), die in Sachen CO2-Einsparung, gesunde Baumaterialien und Kreislaufwirtschaft aus heutiger Sicht nicht sinnvoll sind. Es bleibt zu hoffen, dass die große Verantwortung, die die Baubranche beim Thema Klimawandel trägt, bald von allen Beteiligten erkannt wird und auch deren Handeln zukünftig verändert.

Der Kreis Viersen hat mit diesem Projekt gezeigt, dass die Idee der zirkulären Wertschöpfung realisierbar ist und zahlreiche Vorteile mit sich bringt. Voraussetzung waren insbesondere die hervorragende Zusammenarbeit des Teams sowie die Bereitschaft und der Mut, das Projekt mit allen Konsequenzen umzusetzen. Kommu­nale Projekte mit zirkulärer Wertschöpfung müssen Standard werden.


Literatur

  1. von Lojewski, H. (2015) Kommunales Bauwesen – Voraussetzungen für ein kostengerechtes, termingetreues und effizientes Bauen in den Städten. Positionspapier des Deutschen Städtetags. Berlin, Köln: Deutscher Städtetag. https://www.staedtetag.de/files/dst/docs/Publikationen/Positionspapiere/Archiv/1512-positionspapier-kommunales-bauwesen.pdf
  2. Getzke, H. (2023) Neues Kommunales Finanzmanagement – ­Bilanzierung von Vermögensgegenständen des Anlagevermögens unter Berücksichtigung der zirkulären Wertschöpfung/cradle-to-cradle. Düsseldorf: MHKBD NRW.

Autor:innen

Dr. Andreas Coenen, andreas.coenen@kreis-viersen.de
Landrat Kreis Viersen
www.kreis-viersen.de

Annette von Hagel, vonhagel@re-source.com
Circular Building GmbH, Berlin
www.circular-eu.com

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