Erwiderung auf den Beitrag von Anne-Caroline Erbstößer – Mehr Klimaschutz für den Euro
Nach Lektüre des Beitrags Mehr Klimaschutz für den Euro in der nbau. Nachhaltig Bauen [1] musste ich einmal tief durchatmen. Gerade zuvor las ich auf Zeit online (20. Juni 2024) einen Beitrag über die wegen des Klimawandels immer weiter ansteigende globale Mitteltemperatur, die „seit über zwölf Monaten“ Werte schreibe, wie sie „noch nie seit Aufzeichnungsbeginn gemessen wurden“. Der Juli 2023 war gar „der heißeste seit 120.000 Jahren“, heißt es. Im Anschluss dann lese ich im Beitrag von Anne-Caroline Erbstößer, wie wir eine Unmenge neuer Wohnungen bauen sollten und zugleich die Anforderungen an Klimaschutz und Nachhaltigkeit erfüllen können. Wie passt das zusammen?
Der Forderung der Autorin, die Referentin für Nachhaltigkeit beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie ist, schließe ich mich grundsätzlich und mit voller Überzeugung an: Mehr Klimaschutz für den Euro! Bitte ja und unbedingt konsequent. Doch lese ich den Beitrag so, dass sie sich dabei im Wesentlichen auf den Neubau (eines errechneten Bedarfs von 700.000 Wohnungen) bezieht. Wenn es aber wirklich um den maximalen Klimaschutznutzen für jeden Euro geht, sollte der Fokus nicht auf den Neubau gerichtet sein, sondern erst einmal auf das Ausnutzen aller Möglichkeiten, mit dem vorhandenen Gebäudebestand die anstehenden Probleme zu lösen.
Dem Impuls, neu zu bauen, wenn es auf dem Markt gefühlt eng wird, unterliegen wir seit Generationen. Das hat dazu geführt, dass die Wohnfläche pro Kopf auf fast 48m2 gestiegen ist und dass ein weiteres Wachstum auf 53m2 bis zum Jahr 2050 prognostiziert wird. Wenn wir diese Entwicklung nicht stoppen, werden jedes Jahr über 200.000 Wohneinheiten nur gebaut werden, damit der Flächenverbrauch pro Kopf weiterwachsen kann! Welch Irrsinn.
Die Autorin verweist darauf, über welche weiteren miteinzubeziehenden Faktoren sie einen nachhaltigen Wohnungsbau versteht. Was sind jedoch nachhaltige Wohnungen? Nach meinem Verständnis wird jedes noch so nachhaltig gebaute Gebäude die CO2 -Emissionen unweigerlich erhöhen, die schon seit Langem überschrittenen Grenzen verletzen und die bereits beschädigte Natur und Ökosysteme nur weiter schwächen. Die Ressourcenverbräuche und CO2-Emissionen für jegliche Bautätigkeiten fallen nämlich jetzt an – zu einem Zeitpunkt, an dem jede weitere Belastung des Klimas die kommenden Generationen beschäftigen wird! Da helfen auch die noch so tollen Lebenszyklusbetrachtungen, die Gebäuden nur über einen 50-jährigen Betrieb zu Klimaneutralität verhelfen, nicht weiter.
Wirklich nachhaltig und sehr ökonomisch wäre es, den Wohnflächenverbrauch zu senken. Wenn es gelänge, durch Umbau und Umorganisation des Bestands die Wohnfläche auf das vom Umweltbundesamt klimapolitisch verträgliche Maß von 41m2 pro Kopf zu organisieren, würden über 7 Mio. Wohnungen frei – die nicht zusätzlich gebaut und betrieben werden müssten. Und die im Lande dringend notwendigen Bauwirtschaftskapazitäten könnten für zweierlei eingesetzt werden:
Zum einen für die energetische Sanierung (um von einer Sanierungsrate von 1 % endlich zu den erforderlichen 4 % zu kommen). Und zum anderen für den Bestandsumbau, entsprechend dem dringenden Bedarf an Zweizimmerwohnungen für die Mehrheit der Einpersonenhaushalte in den Ballungsräumen. In Köln bspw. stehen den 51 % vorhandenen Singlehaushalten nur 25 % Wohneinheiten als Ein- bis Zweizimmerwohnung zur Verfügung. Notgedrungen werden also die weiteren 28 % der Dreizimmerwohnungen auch von dieser Zielgruppe nachgefragt und belegt.
Parallel könnten mit Fördermitteln etwa all die unterstützt werden, die nachweislich flächensparsam wohnen – ähnlich wie dies bspw. Zürich mit einer Mindestbelegungsregelung für städtische Wohnungen bereits erfolgreich vormacht. Bewohner:innen in zu groß gewordenen Einfamilienhäusern könnte man entweder al tengerechte Appartements in ihrem Quartier anbieten oder Umbaumaßnahmen zur Teilung des vertrauten Hauses fördern. Oder man könnte Anreize zum Umzug in eine kleinere Wohnung schaffen. Hierzulande geht die städtische Wohnungsbaugesellschaft ProPotsdam mit sehr gutem Beispiel voran: Allen, die ihre Wohnfläche verkleinern wollen, bietet sie eine verminderte Miete in der kleineren Wohnung und finanzielle Hilfe beim Umzug. Ein sowohl sehr wirtschaftlicher wie auch schneller Weg zu freiem Wohnraum.
Die oben beschriebenen Umstände und Einwände und die Notwendigkeit, sich nicht mehr auf den Neubau zu fokussieren, ist allerdings hinreichend bekannt. Alle, die sich schon lange und intensiv mit nachhaltigem Bauen und Klimaschutz beschäftigen, kommen zu keinen anderen Schlussfolgerungen:
Wirklich nachhaltiges Handeln ist das, was sofort CO2 reduziert und nicht weiter erhöht.
Warum trotzdem große Teile der Bauwirtschaft und Politik so blind scheinen, ist mir nicht verständlich. Ein Umlenken des Kurses vom Neubau Richtung Umorganisation und Neuverteilung des Bestands würde nicht nur tatsächlich Mehr Klimaschutz für den Euro bedeuten, sondern könnte ebenso zur Verringerung der Wohnkosten und für Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen. Zumal die Wohnzufriedenheit allen Untersuchungen zufolge nicht mit dem Wohnflächenwachstum gestiegen ist. Was also hindert uns?
Literatur
- Erbstößer, A.-C. (2024) Mehr Klimaschutz für den Euro. nbau. Nachhaltig Bauen 3, H. 3, S. 6–9. https://www.nbau.org/2024/06/19/mehr-klimaschutz-fuer-den-euro
Autor:in
Arne Steffen, a.steffen@werkum.de
werk.um architekten, Darmstadt
www.werkum.de