Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch

Berechnungstool zur überschlägigen Ökobilanzierung von Vorhang­fassaden

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Der ökologische Fußabdruck von Gebäuden beeinflusst zunehmend die Planungsentscheidungen bezüglich Bauweise und Materialwahl. Während die vergleichende Betrachtung unterschiedlicher Rohbauvarianten immer mehr zum Standard wird, steckt die lebensdauerbasierte Betrachtung von Fassadensystemen aufgrund der Vielzahl an Materialien, Komponenten und Produkten noch in den Anfängen. Der Trend zu mehr Nachhaltigkeit wird unterstützt durch regulatorische Anforderungen, Bildung und technologische Entwicklungen. Die größte Herausforderung besteht darin, das vorhandene Wissen und die theoretischen Möglichkeiten wirksam und mit angemessenem Aufwand in die Praxis umzusetzen. Um das Potenzial zur Einsparung von Treibhausgasen in Fassadensystemen zügig in Variantenstudien der frühen Planungsphasen zu erkennen und entsprechende Lösungsansätze zu forcieren, wurde ein benutzerfreundliches und intuitiv nutzbares Berechnungstool entwickelt.

Umweltproduktdeklarationen (EPD) und Ökodatenbanken spielen eine entscheidende Rolle, um Materialien und Produkte in Bezug auf ihre Umweltwirkungen zu vergleichen. Der Umgang mit Umweltdaten gestaltet sich jedoch nicht reibungsfrei. Es ist oftmals notwendig, diverse Datenbanken zu durchzusuchen, um alle in einer Vorhangfassade vorhandenen Elemente mit Umweltdaten zu versorgen. Einheitliche und vergleichbare Informationen zur Umweltwirkung von Bestandteilen einer Vorhangfassade sind teilweise schwer zu ermitteln oder fehlen, insbesondere bei komplexen Produkten wie Sonnenschutzsystemen. Viele EPDs von Fassadenprodukten erweisen sich als praxisuntauglich, da maßgebende Informationen zur plausiblen Anwendung fehlen. Beispielsweise fehlen bei Fensterelementen bauphysikalische ­Eigenschaften wie U-Wert, der genaue Glasaufbau oder Umrechnungs- bzw. Skalierungsmöglichkeiten, da oftmals keine Standardmaße vorliegen oder weitere wichtige Eigenschaften nicht mit der Praxisplanung übereinstimmen. Ein alternativer Ökobilanzierungsansatz ist es, sich von Produkt-EPDs zu entfernen und mit Datensätzen rein für Materialien zu arbeiten, jedoch ist die Mengenermittlung für alle Bestandteile eines Fassadensystems äußerst zeitintensiv und plausible Aussagen zu bauphysikalischen Eigenschaften sind kaum noch möglich. Zusätzlich hat die Überarbeitung der Norm zur Nachhaltigkeit von Bauwerken im Februar 2020 (DIN EN 15804+A2) neue Herausforderungen mit sich gebracht. EPDs, die nach der alten Norm (DIN EN 15804+A1) erstellt wurden, dürfen innerhalb einer Ökobilanzierung nicht mit den EPDs nach novellierter Norm gemischt werden, da den berücksichtigten Wirkungsindikatoren andere Berechnungsansätze zugrunde liegen. Diese Uneinheitlichkeit erschwert Ökobilanzierungen enorm.

Um dem Problem der Datenverfügbarkeit Abhilfe zu schaffen, wurde für das Berechnungstool eine eigene Datenbank entwickelt. Somit können alle relevanten Komponenten eines repräsentativen Ausschnitts einer Vorhangfassade modelliert und gezielt mit Umweltdaten versehen werden. Berücksichtigung finden die Lebenszyklusphasen Herstellung, Errichtung, Entsorgung sowie Recyclingpotenzial. Zusätzlich kann eine statische Vordimensionierung durchgeführt werden, um die Verformungen und Spannungen der Pfosten und Riegel zu begrenzen. Durch eine statisch wirtschaftliche Dimensionierung werden Material und letztendlich CO2-Emissionen eingespart.

Um in der frühen Planungsphase zeitnah erste Handlungsempfehlungen liefern sowie flexibel auf Planungsänderungen reagieren zu können, werden rechenzeitoptimierende Vereinfachungen der Fassadengeometrie, der Profilformen und der statischen Systeme vorgenommen. Die Visualisierung der generierten Elemente sowie die ökobilanzielle Kalkulation des Umweltindikators CO2-Äquivalente erfolgen dynamisch und in direkter Folge der Parametereingabe. Die Ergebnisse der Ökobilanz werden summiert und differenziert für die jeweiligen Elementgruppen der Fassade dargestellt. Somit können Aussagen zur Aufteilung des Treibhausgaspotenzials getroffen und gezielt Änderungen vorgenommen werden. Auf Basis der Auswertungsmöglichkeiten des Tools ist frühzeitig abschätzbar, welche Konstruktionsvarianten hinsichtlich einer Minimierung der resultierenden Treibhausgasmissionen Erfolg versprechend sind. Das Tool wird in Besprechungen eingesetzt, um in situ ein Gefühl für die Größenordnungen der gebundenen Emissionen zu bekommen und Einsparpotenziale visuell greifbar zu machen.


Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch

Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18.00 Uhr
Ort: online, MS-Teams
Kontakt: sustainability@knippershelbig.com


Autor:in

Dominik Misztal, dmisztal@bollinger-grohmann.de
Bollinger+Grohmann Consulting GmbH, Frankfurt am Main
www.bollinger-grohmann.com

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