Ökobilanzierung in der Tragwerksplanung

Entwurfstafeln

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, in der das Attitude Building Collective (ABC) die Entwurfstafeln zur Ökobilanzierung in der Tragwerksplanung vorstellt. Das Attitude Building Collective verfolgt das Ziel, alle Bauschaffenden für die Transformation im Bauwesen zu mobilisieren. Gemeinsam denken wir das Bauen neu und setzen Impulse, um eine sinnhafte und ganzheitlich nachhaltige Bauwirtschaft zu schaffen. Die Entwurfstafeln zur Ökobilanzierung sollen Tragwerksplanenden einen niederschwelligen Einstieg in die CO2-Bewertung ihrer Tragwerke ermöglichen. Damit soll eine Grundlage geschaffen werden, wodurch alle Tragwerksplanenden ihrer Verantwortung dem Klima gegenüber gerecht werden können. Die CO2-Bilanz soll zusätzlich zu Kosten und Bauteildimensionen als dritte Dimension der Entscheidungsfindung etabliert werden. Dieser Beitrag vermittelt Hintergründe zu Kapitel 5 – Tragsysteme. Das Kapitel ist auf den nachfolgenden Seiten abgedruckt.

5 Tragsysteme

Durchschnittlich 35 % der Treibhausgasemissionen des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes werden durch die Gebäudekon­struktion verursacht. Davon entfallen ca. 70 % auf die massehaltigen Baumaterialien der Tragkonstruktion.

Die konstruktionsbedingten Emissionen bei der Errichtung bzw. Rohstoffproduktion des Gebäudes fallen zum Zeitpunkt der Errichtung oder davor an. Weitere Emissionen durch Instandhaltung oder Modernisierung sowie energiebedingte Emissionen im Betrieb fallen deutlich später an. Derzeit ist es üblich, diese deutlich später anfallenden Emissionen unter den Datensätzen der heutigen Produktion zu ermitteln. Für die Energieversorgung mit Elektrizität z. B. stehen in der ÖKOBAUDAT Prognosedaten zur Verfügung, die in den nächsten 25 Jahren (der halbe Lebenszyklus eines Bürogebäudes) eine Reduzierung der CO2-Emissionen im Strommix um 40 % vorsehen. So können durch zukünftige Entwicklungen Emissionen im Betrieb eingespart werden. Bei der Gebäudekonstruktion müssen alle Potenziale schon in der Planung genutzt werden.

In der Tragwerksplanung zeigen sich deutliche Unterschiede in den konstruktionsbedingten Emissionen im Tragsystem. Der größte Anteil davon (70 %) wird durch die Deckenkonstruktion verursacht. Die Bauteile des vertikalen Lastabtrags, bspw. Stützen, spielen wiederum fast keine Rolle. Weitere flächige Bauteile, wie aussteifende Wände eines Gebäudekerns, sind ebenfalls nur von untergeordneter Bedeutung. In Gebäuden mit großen tragenden Wandflächen steigt dieser Anteil jedoch erheblich an. Weitere ca. 25 % entfallen auf die Gründung mit Sohlplatte. Dieser Anteil steigt bei Gebäuden mit Unterkellerung und entsprechend weniger Obergeschossen nochmal deutlich an. In Kapitel 5 – Tragsysteme der Entwurfstafel – Ökobilanzierung der Tragwerksplanung des Attitude Building Collective werden einfache Handreichungen für einen schnellen Überblick auf die Auswirkungen unterschiedlicher Deckensysteme gegeben. In zukünftigen Ausgaben der Entwurfstafeln werden die Auswirkungen unterschiedlicher Gründungssysteme aufgenommen.

5.1 GWP am Beispiel eines Bürogebäudes

Bereits in frühen Projektphasen ist der Tragwerksentwurf ein prägender Faktor für die klimaschädlichen Emissionen, die zu einem späteren Projektzeitpunkt durch das Bauwerk entstehen. Da in dieser frühen Projektphase viel Planungsspielraum mit entsprechenden Freiheiten, aber auch einer großen Vielfalt an Lösungen besteht, bietet ein Werkzeug zur raschen Bewertung der Konsequenzen von unterschiedlichen Tragwerksentwürfen einen großen Mehrwert.

Abb. 5.1 zeigt verschiedene Optimierungsmöglichkeiten von ­Deckentragwerken in Massivbauweise und deren Auswirkungen anhand eines Bürogebäudes auf. Somit lassen sich verschiedene Optimierungspfade quantitativ belegen und gegenüber anderen Planungsbeteiligten aufzeigen.

Zur Beurteilung des Einflusses verschiedener Parameter wurde ein Bürogebäude mit unterschiedlichen Tragwerksvarianten dimensioniert. Dabei wurden das Deckensystem, das Stützenraster, die angesetzte Nutzlast, die verwendete Betonklasse sowie die zugrunde liegende Begrenzung der Durchbiegungen als wesent­liche Parameter identifiziert. Ausgehend von einer Baseline, ­welche die Ökobilanzergebnisse des Bürogebäudes mit einer punktgestützten Flachdecke darstellt, können die Einflüsse bei Veränderung der einzelnen Parameter abgelesen werden.

Dadurch kann etwa gezeigt werden, welche Auswirkungen die Veränderungen des Deckensystems in Kombination mit einer Veränderung des Durchbiegungskriteriums auf die Ökobilanz des Beispielgebäudes haben kann. So lässt sich durch den Einsatz einer Hohlkörperdecke gegenüber einer Flachdecke der ökologische Fußabdruck um rd. 30 % reduzieren. Eine weitere Reduktion von knapp 10 % kann zusätzlich durch eine Verringerung des Durchbiegungskriteriums erreicht werden. Einen großen Einfluss hat auch die Wahl des Stützenrasters. So kann eine Erhöhung des Stützenrasters von 7 m auf 9 m – unter Beibehaltung des gleichen Deckensystems – den ökologischen Fußabdruck um knapp 30 % verschlechtern.

Um eine frühe grobe Abschätzung der grauen Emissionen für einen Erschließungs- und Aussteifungskern zu erhalten, ist es sinnvoll, einen Faktor zu generieren, welcher projekt- und gebäudeübergreifend anwendbar ist. Durch eine Untersuchung einiger Referenzprojekte mit Gebäudekernen (BGF ca. 40 m²) lässt sich ein Faktor von ca. 0,012 kg CO2-Äq/m² ermitteln (bei außenliegendem Gebäudekern). Der Faktor beschreibt einen Durchschnittswert, der je nach Betonfestigkeitsklasse und Bewehrungsgrad leicht variieren kann. Diese Unterschiede sind für die frühe Entwurfsphase jedoch marginal und für einen groben Richtwert nicht relevant.

5.1.1 Entstehung und Hintergrund

Die grafische Darstellung in Abb. 5.1 ist im Rahmen einer Reihe von Abschlussarbeiten, betreut durch die Hochschule Karlsruhe sowie die Ingenieurgruppe Bauen, entstanden. In der Aufgabenstellung wurde u. a. die grafische Darstellung der Ergebnisse als Kernaufgabe formuliert. Die Arbeiten orientieren sich an der zuvor entstandenen Parameterstudie des Buro Happold, veröffentlicht in Großbritannien durch das IStructE.

Die der Grafik zugrunde liegenden Berechnungen wurden unter Anwendung der Entwurfstafeln vom Attitude Building Collective in Anlehnung an die Bilanzierungsregeln des QNG mit nationalen Datensätzen aus der ÖKOBAUDAT durchgeführt. Der den Untersuchungen zugrunde liegende Bürogrundriss des bereits erwähnten Bürogebäudes wurde anhand von Grundrissanforderungen der DGNB für ein möglichst flexibel nutzbares Tragwerk entwickelt.

So wurde ein praxisnaher Gebäudegrundriss anhand der in Deutschland üblichen Bilanzierungsregeln untersucht, der auch als Benchmark für vergleichbare Gebäude herangezogen werden kann. Die dargestellten Ergebnisse wurden jeweils am Gesamtgebäude für die verschiedenen Deckenvarianten ermittelt.

5.2 GWP von gängigen Deckentypen

Diese Seite der Entwurfstafeln soll dazu dienen, eine schnelle Einschätzung von Treibhausgasemissionen (GWP-Werten) von in der Praxis üblichen Deckensystemen zu erhalten. Hierfür wurden Werkzeuge entwickelt, die Tragwerksplanenden in ähnlicher Form bereits aus anderen Nachschlagewerken, z. B. zur Schnittgrößenermittlung, bekannt sind.

Tab. 5 kann für die Abschätzung des GWPs für Zweifeldträger unter der Verwendung verschiedener Systeme genutzt werden:

  • Holz-Beton-Verbunddecke (HBV): Aufgrund normativer Regelungen wurden hier zwei Einfeldträger betrachtet.
  • Brettsperrholzdecke (BSP): Für die Dimensionierung wurde der Schwingungsnachweis nach Hamm/Richter geführt.
  • Stahlbeton: Da der Verformungsnachweis einen großen Einfluss auf die Bemessung hat, wurde hier zwischen einem Grenzwert der maximalen Verformung von l/250 und l/500 unterschieden. Dabei wurden jeweils die Effizienzpunkte A und B aus Abb. 5.3 als emissionsoptimierte Ausführungen einer Stahlbetondecke angegeben.

Unter der Auswahl der Spannweite zwischen 4 m und 12 m kann direkt der GWP-Wert des jeweiligen Systems in kg CO2-Äq/m2 abgelesen werden. Weitere Angaben zu statischem System, Materialien und Belastung sind oberhalb der Tabelle aufgeführt. Mit diesem Werkzeug kann speziell in frühen Planungsphasen, wenn grundlegende Entscheidungen zur Tragstruktur getroffen werden, effizient und anschaulich ein Vergleich verschiedener Systeme vorgenommen werden.

Darüber hinaus werden Faustformeln angegeben, mit denen eigens dimensionierte Decken (Holzbetonverbund, Brettsperrholz- und Stahlbetondecken) bilanziert werden können. Die Faustformel ermöglicht es unter der Eingabe der Deckenhöhe das GWP des Systems in kg CO2-Äq/m2 zu berechnen. Bei Systemen mit Stahlbeton ist zusätzlich der Faktor ö, welcher von der Betondruckfestigkeitsklasse abhängig ist, einzusetzen.

Abb. 5.3 zeigt die Treibhausgasemissionen einer einachsig spannenden Stahlbetondecke mit Spannweite l = 6 m für verschiedene Betondruckfestigkeitsklassen. Mit dieser Grafik soll die Auswirkung der Wahl einer geeigneten Betondruckfestigkeit auf die Ökobilanz verdeutlicht werden: Die Punkte A und B stellen die Effizienzpunkte für eine emissionsoptimierte Stahlbetondecke dar. Dabei wird deutlich, dass im Hinblick auf die Emissionen auf möglichst niedrige Betonfestigkeiten zurückgegriffen werden sollte. Der Emissionsanteil aus Beton (grau) und Bewehrung (grün) wird in der Grafik farblich hervorgehoben. Außerdem ist dargestellt, wann die Bewehrung aufgrund von Rissbreitenbeschränkung oder statischen Nachweisen maßgebend ist. Es wurde eine Verformungsberechnung im Zustand II unter Berücksichtigung von Kriechen und Schwinden durchgeführt. In den gelb hinterlegten Bereichen kann lediglich die Verformungsbegrenzung l/250 eingehalten werden, in allen anderen Bereichen wird l/500 unterschritten.

Es wird deutlich, dass die gängig eingesetzten Betondruckfestigkeitsklassen und Gebrauchstauglichkeitsanforderungen kritisch hinterfragt werden sollten, damit der Hochleistungswerkstoff Stahlbeton sinnvoll eingesetzt werden kann.

Im nächsten Beitrag gehen wir auf weitere Möglichkeiten ein, wie der Tragwerksentwurf nachhaltiger gestaltet werden kann. Dies beinhaltet eine Checkliste mit sowohl globalen als auch lokalen Entwurfsparametern. Die aktuelle Fassung der Entwurfstafel kann auf der Website des Attitude Building Collective kostenlos und frei heruntergeladen werden. Über konstruktive Kritik und Anregungen zu den Entwurfstafeln freuen wir uns sehr.

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Autor:innen

Till Walter
Katharina Wolgast
Benedikt Strahm
Simon Werner

review@attitudebuildingcollective.org

Attitude Building Collective

www.attitudebuildingcollective.org

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