U-Halle Mannheim: offene Architektur

Von monofunktional zum Multitalent

Die U-Halle in Mannheim, ein ehemaliges Distributionszentrum der amerikanischen Streitkräfte, ist ein typisches Beispiel für ein aus der Nutzung gefallenes Profangebäude, dessen Schicksal üblicherweise der Abriss ist. Die Stadt Mannheim hat die Ausrichtung der Bundesgartenschau 2023 zum Anlass genommen, einen anderen Weg zu gehen. Sie hat damit durch Weiternutzung der Bausubstanz einen städtebaulichen Katalysator für zukünftige Entwicklungen, unter Erhalt der im Bauwerk gebundenen sog. grauen Energie sowie von Identität und den atmosphärischen Werten, gewonnen.

Die Bühne dieser Transformation bilden die ehemaligen Spinelli Barracks, ein Kasernengelände, das heute Mannheims zweitgrößte Konversionsfläche ist und noch bis 2014 von den amerikanischen Streitkräften genutzt wurde. Zusammen mit dem Luisenpark war es vom 14. April bis zum 8. Oktober 2023 Ort der Bundesgartenschau mit den vier Leitthemen Klima, Energie, Umwelt und Nahrungssicherung. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit wurde die U-Halle als Hauptgebäude der BUGA reaktiviert und in einer ersten Phase zu einem prägnanten und charaktervollen Ort für Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Gastronomieflächen umgebaut (Bild 1). So konnten einerseits Neubauten für die temporäre BUGA-Ausstellung vermieden und andererseits Impulse für ein zeitgemäßes und spannendes Nachnutzungskonzept durch Kultur- und Freizeitnutzungen gesetzt werden.

1 Bestand als Ressource

Das schlichte Bauwerk besteht aus einem Nord- und Südflügel mit einem beachtlichen Umgriff von ca. 700 m und einer Breite von jeweils ca. 27 m (Bild 2). Zum Zeitpunkt des Planungswettbewerbs im Sommer 2020 standen viele Nutzungen, z. B. Art und Umfang von Gastronomie und Ausstellungen, noch nicht fest, bauliche Gutachten fehlten gänzlich. Dementsprechend wurde ein anpassbares Gebäudekonzept vorgeschlagen, für dessen prozesshafte Planung und Umsetzung einfache Regeln entwickelt wurden.

Die Faszination und das Potenzial der U-Halle sind in den Möglichkeitsangeboten zu sehen, die in ihrem neutralen, repetitiven, sich beinahe endlos wiederholenden System aus Stützen und Trägern denkbar sind. Die Halle stellt Ankerpunkte für zukünftige Nutzungen und mögliche bauliche Veränderungen zur Verfügung. Nach außen wirkt sie allerdings monoton und maßstabslos. In Relation zur großen Grundfläche ist ihre Höhe, versehen mit nur einem Oberlichtband und nur wenigen verbindenden Öffnungen oder Sichtbeziehungen zum Freiraum, relativ gering.

Durch das Begreifen, Planen und Bespielen in der Veränderung ist ein Bauwerk entstanden, das so im Neubau kaum vorstellbar gewesen wäre. Seine graue, soziale, atmosphärische und ökonomische Energie wird durch im Folgenden beschriebene Maßnahmen fortlaufend in die Zukunft geführt.

2 Frischluftkorridor

Zusammen mit den bereits abgerissenen ehemaligen Kasernengebäuden auf dem Spinelli-Areal wirkte die U-Halle jahrzehntelang als klimaökologische Blockade einer wichtigen städtischen Kaltluftschneise Mannheims. In Planungsvarianten wurden daher verschiedene Perforationen untersucht, um die Durchströmung des Geländes wieder herzustellen (Bild 3) und insbesondere im Sommer einen Beitrag gegen die Überhitzung der Innenstadt zu leisten.

Im Ergebnis wurden die Dächer und Wände der Halle in einer wechselnden Folge aus unterschiedlich breiten Bereichen von 21.000 m2 auf rd. 13.000 m2 zurückgebaut und das Raumprogramm auf neun verbleibende Abschnitte verteilt. Das Tragwerk blieb erhalten. Es überspannt die freigelegten sechs neuen Höfe nun wie eine große Pergola (Bilder 4, 5). Durch die segmentweise Öffnung haben sich neue Durchlässigkeiten, Zwischenräume und Mikroklimata herausgebildet.

Die Linearität der U-Halle wurde zugunsten einer komplexeren, quartiersartigen Konfiguration aufgelöst; Synergien zwischen den neu geplanten Nutzungen und Überlagerungen, zwischen Innen- und Außenräumen wurden hergestellt und erlebbar gemacht. Wegeverbindungen, Sichtachsen und vielfältige Raumbezüge fügen neue räumliche Qualitäten in die vormals monotone Halle ein. Der partielle Rückbau von versiegelten Flächen und die Begrünung und Berankung der neuen Höfe sind zudem ein positiver Beitrag zur Klimaanpassung und zur Stärkung von Biodiversität.

3 Umbauprinzipien – Regeln als Werkzeuge für Anpassungen im Planungsprozess

Als Umbaukonzept wurden anstelle eines fertigen Entwurfs Rückbau- und Organisationsprinzipien (Bilder 6, 7) aufgestellt, die die monofunktionale Lagerhalle in ein dauerhaft wandelbares Multitalent, auch für bisher noch unbekannte Nutzungen, umfunktionierten. Hierbei bildeten architektonische Regeln Werkzeuge für Anpassungen im Planungsprozess und in weiteren Nutzungszyklen, die nach dem Ende der BUGA zur Anwendung kommen. Eine zentrale Rolle dabei spielen die neuen, reversiblen Giebelwände an den Schnittstellen, die mit transparenten Fassaden die Zugänglichkeit und Belichtung der Halle ermöglichen.

Grundrissökonomisch wurden sämtliche Nebenräume raumsparend in Funktionsslots zusammengefasst, um großflächige und offen bespielbare Hallen zu erreichen. Eine parcoursartige Durchwegung und freie Möblierung der Innen- und Außenräume sowie ein linearer Schnellweg wurden etabliert. Die verbleibenden offenen Tragstrukturen wurden als vielfältig bespielbare Flächen, z. B. für Begrünungen, definiert.

In einer Anfangsphase wurden zahlreiche Varianten mit den zukünftigen Nutzer:innen durchgespielt, durchgerechnet und ausgehend vom Wettbewerbsbeitrag sukzessive zum finalen Layout für die BUGA optimiert.

Durch die Anwendung der (oben beschriebenen) Maßnahmen wurde die ehemals monofunktionale U-Halle zu einer partizipativen Struktur, die in Abstimmung mit den Nutzer:innen entwickelt und entlang klimaökologisch notwendiger Durchlässigkeit durchgeführt wurde. Die prozesshafte Vorgehensweise in der architek tonischen Umsetzung wurde spezifisch aus den Bedingungen des Bestands entwickelt.

4 Prototyp

Aufgrund fehlender Bestandsunterlagen wurde im ersten Schritt zunächst nur ein begrenzter Hallenabschnitt rückgebaut. An diesem Prototyp (Bild 8) wurde das Rückbaukonzept erprobt und optimiert, um Potenziale des Erhalts und der Weiternutzung zu erkennen: Einbauten wurden entfernt, Dachpaneele abgehoben und Seitenwände kontrolliert abgebrochen. Das schrittweise Vorgehen bei der Freilegung der Tragkonstruktion diente dem Kenntnisgewinn über Gründung, Wandaufbauten und Tragwerk. Darüber hinaus wurden Fügungen untersucht und Eigenschaften der vorhandenen Materialien sowie deren Fähigkeit zur schadlosen Rückbaubarkeit und Wiederverwendung analysiert. Das hierbei gewonnene Wissen konnte in Folge auf die Gesamtmaßnahme übertragen werden.

5 PV-Anlage

Auf den Dächern der U-Halle wurde mit einer Fläche von ca. 6500 m² eine der größten PV-Anlagen der Stadt Mannheim mit einer Leistung von rd. 1 MW errichtet und ein wertvoller Beitrag zur Erreichung der Klimaziele geschaffen. Ihr Energiegewinn überschreitet den Verbrauch an Fernwärme sowie den Strombedarf der Halle. Durch die Erträge konnte eine Seilbahn, die während der BUGA das Spinelli-Gelände mit dem Luisenpark verband, au­tark betrieben werden. Nach Ablauf der Gartenschau wurde die Seilbahn recycelt, d. h. demontiert und an anderer Stelle wieder in Betrieb genommen.

Die Photovoltaikanlage wurde als erster Schritt eines nachhaltigen Energieversorgungskonzepts konzipiert; folgende Schritte werden im Zusammenhang mit der weiteren Nutzung der Halle zur spannenden Aufgabe. Während der BUGA 2023 konnten bereits insgesamt ca. 500 t CO2-Emissionen eingespart werden – nun steht der Solarstrom für Strom- und Heizungsbedarfe aller künftigen, ganzjährigen Nutzungen zur Verfügung.

In der ersten Phase blieb die U-Halle hauptsächlich ungeheizt, verfügte aber bereits über einen Fernwärmeanschluss (Leistung 130 kW) für die Gastronomie und nachfolgende Nutzungen. Die temporäre Nutzung erlaubt, dass die Halle – bis auf den dauerhaft verbleibenden Gastronomiebereich – weder beheizt noch gekühlt werden muss. Die neu geschaffenen Türöffnungen in den Außenwänden und die öffenbaren Oberlichtbänder gewährleisten die Erschließung und sorgen für eine natürliche Belüftung.

6 Ertüchtigung des Bestands: Statik

Das heterogene Tragwerk der Halle spiegelt die Veränderungen der jüngeren deutschen Geschichte wider. Ein Teilabschnitt stammt noch von der deutschen Wehrmacht. Sie hatte ab 1938 auf dem Gelände eine sog. Pionierkaserne errichtet und in Betrieb genommen. Die US-Armee, die die Militärfläche nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm, baute weiter und bildete in diesem Zuge die U-Form aus, um sie für eine zweiseitige Be- und Entladung für in den zentralen Hof einfahrende Güterzüge zu befähigen.

Durch die unterschiedlichen Baujahre der einzelnen Hallenteile können insgesamt drei Tragwerkstypen im Bestand unterschieden werden: Ein erster Abschnitt besteht aus Stahlbetonrahmen im Südflügel, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden sind. Der zweite und dritte Abschnitt bestehen aus Stahlfachwerkbindern mit einem Achsabstand von 6,0 m bzw. 4,2 m, wobei die Stützen in Hallenquerrichtung eingespannt sind. Während im zweiten Abschnitt die Dachlasten über Stahlbetonstützen abgetragen werden, sind im dritten Gebäudeabschnitt Stahlstützen vorhanden. Die verwendeten Stahlbauprofile wurden schon bauzeitlich verzinkt und besitzen einen heute noch ausreichenden Korrosionsschutz.

Das markante, versetzte Pultdach der Halle wurde Mitte der 1980er-Jahre errichtet und mit einem seitlichen Oberlicht verse hen. Alle Außenwände wurden in der ursprünglichen Stahlbetonstruktur oder den späteren Stahlstützen als ausgefachte Mauerwerkswände ausgeführt. Beim Rückbau wurden die Ausfachungen der Außenwände teilweise abgebrochen. Die gesamte Primärkonstruktion blieb nahezu vollständig erhalten. Die bestehende Hallenstruktur ist robust und für zukünftige Transformationen gut geeignet.

7 Befähigung zum Wandel

Die baulichen Eingriffe in das Tragwerk wurden auf ein statisch erforderliches Minimum begrenzt und nur punktuell vorgenommen. Durch die in Teilbereichen geöffneten Wand- und Dachflächen blieb die Tragstruktur der Stahlfachwerkbinder und der Stützen sichtbar erhalten.

Im Vorfeld wurde die Eignung der Stahlkonstruktion im Hinblick auf Schweißverbindungen untersucht. Während Schweißverbindungen bei den Fachwerkbindern möglich waren, schieden diese bei den bestehenden Stützen aus. Insgesamt wurden daher alle Verstärkungen über Schraubverbindungen an die bestehende Stahlkonstruktion angeschlossen. Das erleichtert einen späteren Rückbau und die Wiederverwendung.

Das Entfernen der gemauerten Ausfachungen der Stützen in der Fassade und der Rückbau von Dachelementen führten zu einzelnen Hallen, deren Giebelwände jetzt einer Windbeanspruchung ausgesetzt sind. Dadurch wurde eine Anpassung der Längsaussteifung erforderlich. In regelmäßigen Abständen blieben Wandfelder als aussteifende Scheiben erhalten und wurden durch Vertikalverbände an die Stahlstützen angeschlossen. Dazu wurden diagonal angeordnete Flachstähle montiert, die eingebaut wurden, ehe die zur Öffnung vorgesehenen Wände abgebrochen wurden. Da in Teilbereichen keine ausreichende Kopplung der einzelnen Stützen vorhanden war, wurde in diesen Bereichen zusätzlich ein Ringanker eingebaut.

Die Hallenbereiche mit großformatigen Wandöffnungen erfahren durch die inneren Windeinwirkungen einen neuen Lastfall, wodurch sich die Zug- und Druckeinwirkungen auf die Binderkon­struktion ändern. Der Zuggurt wird zum Druckgurt und umgekehrt. Aufgrund der nach oben gerichteten Windeinwirkungen wurde es erforderlich, einzelne Fachwerkdiagonalen für die auftretenden Druckkräfte durch L-Winkel zu verstärken und die Untergurte zu koppeln.

Die verzinkten Fachwerkbinder in den geschlossenen Hallenbereichen haben eine ausreichende Tragfähigkeit, um auch die zusätzliche Belastung infolge der PV-Anlage aufnehmen zu können. Die Photovoltaikmodule wurden dachparallel auf jenen Hallenabschnitten montiert, die ausreichend Platz boten, um eine zusammenhängende, infrastrukturell sinnvolle Fläche zu ermöglichen. Dort wurden die in die Jahre gekommenen Sandwichpaneele erneuert, um sicherzugehen, dass künftig keine Sanierungsmaßnahmen anstehen.

Durch gezielten Rückbau und die Ergänzung neuer Elemente wurde eine robuste Grundstruktur herausgearbeitet, die ein großes Potenzial für zukünftige Anpassungen bereitstellt.

8 Entwässerung der Außenflächen: ­Pfützen-Mapping

Der Innenhof der U-Halle und die freigelegten Außenflächen dienen als Retentionsflächen für anfallendes Niederschlagswasser. In den geöffneten Hallenbereichen wurden dazu die ehemals als Innenböden ohne Gefälle ausgebildeten Bodenplatten in Teilbereichen aufgeschnitten, mit Erde gefüllt und bepflanzt, um Niederschlagswasser direkt abzuführen. Die Aussparungen wurden in vorgefundenen Senken positioniert, die zuvor an Regentagen über ein Pfützen-Mapping (Bild 9) identifiziert und kartiert wurden.

Die herausgeschnittenen Betonplatten sowie die zurückgebauten Außen- und Innenwände dienten auf dem BUGA-Gelände als Beeteinfassung oder als Schüttung für die Modellierung der angrenzenden Grünflächen und bilden seither ein neues Habitat für ca. 10.000 umgesiedelte Mauereidechsen, die vorher in und um die U-Halle gelebt haben.

9 Neue Giebelwände und Zugänge

Als Lagerhalle war das Bauwerk lediglich mit einem Oberlichtband und Schiebetoren, ohne verbindende Öffnungen oder Sichtbeziehungen zum Freiraum, ausgestattet. Um neue, mit Tageslicht versorgte Nutzungen mit eigenen Zugänglichkeiten aufnehmen zu können, wurden gezielte Änderungen in den Quer- und Längsfassaden notwendig.

An den Schnittstellen zu den neuen Höfen ergab sich die Chance, über neue Giebelwände eine großflächige Belichtung in die Hallen zu bringen. Dazu wurden einerseits bestehende interne Brandwände freigelegt und als raumbildende Wände oder als Aneignungsflächen in die jeweiligen Nutzungseinheiten integriert (Bilder 10, 11). Sie wurden mit vorhandenen Materialen aus dem Rückbau, wie Glasbausteinen, Profilgläsern oder Dachpaneelen, bekleidet. Andererseits wurden neue, reversible, versetzbare Wände eingebracht, die sowohl dauerhaft als auch temporär nur für die BUGA ausgebildet wurden.

Als weitere Elemente wurden zusätzliche Belichtungs- und Eingangselemente überall dort in die Längswände des Bestands gesetzt, wo sie benötigt wurden. Auch sie basieren auf reversiblen Holzkonstruktionen und Beplankungen, die über lösbare Steckverbindungen zusammengefügt sind. Die einst dunkle Lagerhalle gewinnt dadurch an Filigranität, Luft- und Lichtdurchlässigkeit.

10 Zirkuläre Entwurfsstrategien

Die U-Halle ist das bislang größte Beispiel eines nach Prinzipien des zirkulären Bauens transformierten Gebäudes in öffentlicher Hand. Beim Umbau konnten über den erhaltenen Bestand hinaus vielerorts vorhandene Bauteile gesichert und unverändert wiederverwendet oder ergänzend zur Ertüchtigung von Bauteilen eingesetzt werden (Bild 12). Alle Umbauten wurden weitestgehend mit lösbaren Verbindungen ausgeführt. Bauliche Änderungen können auf diese Weise nach Ablauf ihres Lebenszyklus sortenrein zurückgebaut und wiederverwendet werden.

Neben den demontierten Dachpaneelen, die als Wandverkleidung für neu entstehende Außenwände genutzt wurden, und ­vielen anderen Bauteilen wurden auch Bestandsfenster aus abgebrochenen Hallenteilen mit Motoren versehen und als Rauchwärmeabzüge verbaut; des Weiteren wurden Türen oder Sanitärgegenstände an anderen Stellen wiederverwendet.

Transportwege, auch von wiederverwendeten Bauteilen, wurden reduziert. So haben z. B. Polycarbonat-Stegplatten, die bei der Sanierung der Gewächshäuser im Luisenpark anfielen, einen Transportweg von nur knapp 3 km zurückgelegt und wurden als raum abschließende Fassaden an den neuen Giebelwänden eingesetzt. Diese bestehen entweder aus einer temporären Mischkonstruktion aus gemieteten Baugerüsten mit einer Holzunterkonstruktion, die mit Klemmleisten befestigt wird, oder aus modularen Holzrahmenbauwänden, die für eine Nutzungsdauer über die BUGA hinaus konzipiert wurden. Auch sie können mittels geschraubter und gut sicht- und lösbarer Verbindungen (Bild 12) demontiert und für spätere Nutzungen an anderer Stelle in der Halle wieder montiert werden. Teilbereiche wurden nach Ablauf der BUGA demontiert und am KIT in Karlsruhe weiterverwendet.

Die Zirkularität bekommt über den materiellen Aspekt hinaus so auch einen partizipativen Aspekt: durch Zerlegen und Wiederaufbau können Bauteile direkt vor Ort dazu verwendet werden, neue Raumzusammenhänge für spätere Nutzungen herzustellen. Durch einfache handgerechte Konstruktionen und Elementierungen kann der Um- und Weiterbau durch die Nutzer:innen selbst erfolgen. Sie bringen individuelle Perspektiven ein und werden zu Akteuren der Transformation.

Die Liste der weiterverwendeten Elemente aus dem Rückbau ist lang (s. Bild 13). Auf diese Weise konnten ca. 95 % der Bauteile und Materialien, die beim Hallenumbau anfielen, wieder eingesetzt werden. Der Mehraufwand für die Handarbeit, die ein Rückbau an vielen Stellen erforderte, betrug nur etwa 10–15 %. Er wurde durch die kostenfreie Verfügbarkeit der entsprechenden Materialien allerdings mehr als ausgeglichen. Die U-Halle konnte dabei ein letztes Mal ihrer Rolle als Distributionszentrum gerecht werden: ihr Angebot an leeren Flächen verringerte den Logistikaufwand für die Zwischenlagerung der gebrauchten Bauteile deutlich. Ein Mehraufwand in der Planung wird im Vergleich zu einem konventionellen Neubau dementsprechend nicht gesehen. Der Kostenrahmen konnte insgesamt eingehalten werden.

11 Brandschutz

Aus brandschutztechnischer Sicht bestand die Herausforderung in der Nutzungsänderung von einer Lager- zu einer Veranstaltungshalle mit vielen unterschiedlichen Themen- und Nutzungsbereichen und teils hohen Personenzahlen. Darüber hinaus war die Umsetzung der Maßnahmen im Sinne des nachhaltigen Bauens v. a. in Bezug auf die vorhandenen Materialien ein Novum. Dazu bedurfte es einer engen Abstimmung mit den Behörden von Kompensationsmaßnahmen über Abschätzungen der Personenrisiken bis hin zu Untersuchungen von Brandszenarien. 

Viele der potenziell neu einzusetzenden Materialien, wie bspw. Holzkonstruktionen, Kunststoffe etc., sind brennbar. Das bestehende ungeschützte Stahltragwerk wurde als F0 bewertet, erfüllt also keinen Feuerwiderstand. Beschichtungen, um einen Feuerwiderstand zu erreichen, sollten nicht angebracht werden. Es wurden Photovoltaikanlagen auf brennbaren Isopaneelen errichtet, da nur so eine Montage in geringer Bauzeit und ohne zusätzliche Abdichtungsmaßnahmen möglich wurde. 

Neben der Anwendung der Landesbauordnung von Baden-Württemberg wurde für die Gestaltung der Rettungswege und der Rauchableitungen die Versammlungsstättenverordnung angesetzt. Zur Abschätzung des Brandverhaltens aufgrund der vielen brennbaren Materialien, deren Verwendung den Vorgaben der Versammlungsstättenverordnung entgegenwirken, wurde eine Brandlastberechnung in Anlehnung an Kapitel 7 der Industriebaurichtlinie für einen Abschnitt durchgeführt. Diese Berechnung ergab, dass die rechnerisch erforderliche Feuerwiderstandsdauer durch Interpolationen der Zuluftflächen in Abhängigkeit von den Rauch- und Wärmeabzugsflächen sowie den tatsächlichen Brandlasten unter 15 min liegt. Entsprechend diesen Ergebnissen wurden große Zuluft-, Rauch- und Wärmeabzugsflächen in die Gebäudehüllen integriert.

Im Rahmen der Brandschutzkonzepterstellung wurden die folgenden wesentlichen Punkte untersucht und bewertet:

Die erforderlichen Fluchtwege wurden aufgrund der genannten Personenzahlen im Abgleich mit den Forderungen der Versammlungsstättenverordnung – und einer teilweisen Reduzierung durch den Nutzer in Abstimmung mit der Bauaufsicht – für alle begehbaren Flächen (um Beete, Einbauten, Ausstellungsobjekte etc.) eruiert. 

Die Brandlasten am Gebäude wurden unter Berücksichtigung weiterer Brandlasten, die durch den Nutzer eingebracht wurden, ermittelt.

Die Brandlastberechnung und die Ermittlung der erforderlichen Feuerwiderstandsdauer erfolgten unter Ansatz von Zu- und Abluftflächen sowie Wärmeabzugsflächen, die über die abschmelzbaren Öffnungen in den Dächern und im Bereich der großen Öffnungen vorhanden sind. Die Ergebnisse sind in die Gebäudehülle eingearbeitet. 

Die Berechnung der erforderlichen Feuerwiderstandsdauer ergab, dass eine Sprinkleranlage nicht erforderlich ist.

Ein positiver Faktor in der Konzepterstellung war die Zustimmung zur Errichtung einer Brandmeldeanlage, die eine frühzeitige Alarmierung ermöglicht. Ebenfalls einbezogen werden konnte die Tatsache, dass das Gebäude durch die Feuerwehr gut anfahrbar ist und die Ausgänge aus den architektonisch übersichtlichen Strukturen des Innenbereichs in den Wegen des Außenbereichs und den Bezugsflächen zum Gelände ihre Fortsetzung finden – das hätte einen (schlussendlich nicht erforderlichen) Einsatz der Rettungskräfte zusätzlich positiv unterstützt. Des Weiteren wurde durch die Betreiber ausreichend Personal eingesetzt, das im Falle einer Alarmierung der Rettungskräfte eine schnelle Entfluchtung der Halle sicherstellen bzw. Vorarbeiten hätte leisten können.

Die eingesetzten baulichen und anlagentechnischen Einrichtungen waren aus Sicht des Brandschutzes verhältnismäßig im Bezug auf das Tragwerk ohne Feuerwiderstand.

12 Fazit

Der zirkuläre Umbau der U-Halle zeigt anschaulich, wie eine einstige Lagerhalle durch gezielte Eingriffe in ein komplexes Ausstellungsgebäude mit Innen- und Außenflächen überführt und weitergenutzt werden kann – ohne das vorhandene Gebäude abzubrechen und durch einen Neubau zu ersetzen und mit deutlich minimiertem Müllaufkommen, einem geringen CO2-Fußabdruck und geringen grauen Emissionen.

Statt eines fertigen Entwurfs wurde ein zirkuläres Umbau- und Organisationsprinzip für die Transformation entwickelt und die einst monofunktionale Lagerhalle in ein multifunktionales, nachhaltig und partizipativ veränderbares Gebäude umgewandelt und fit für weitere Lebenszyklen gemacht (Bild 14). Es wurde die Grundlage geschaffen, dass sich die U-Halle in weiteren Nutzungszyklen an noch nicht bekannte Bedarfe der Mannheimer:innen anpassen kann.

Erwähnenswert ist der Mut der auftraggebenden Stadt Mannheim, vertreten durch die Bundesgartenschau Mannheim 2023 gGmbH, die trotz überschaubaren Budgets die Herausforderung der Bestandsnutzung angenommen hat. Nur gemeinschaftlich und in vielfältiger Zusammenarbeit vieler Expert:innen konnte ein Prototyp einer Architekturproduktion geschaffen und zur Diskussion gestellt werden, der nicht mehr dem Prinzip der Expansion folgt, sondern der alles, was bereits da ist (physisch, sozial, klimatisch etc.), als Ausgangspunkt und v. a. als Chance eines veränderten Bauens, Planens und Nutzens begreift.

Es ist eine bundesweite und internationale Referenz für die Weiternutzung von Bauwerken als Grundstock jedweder Nachhaltigkeit sowie ein Beitrag zu einer zeitgemäßen neuen Umbaukultur entstanden.


Projektdaten

  • Bauherr: Bundesgartenschau Mannheim 2023 gGmbH
  • Architekt: Hütten & Paläste, Schönert Grau Architekten Part mbB
  • Team: Franziska Heidecker, Friedemann Duffek, Luise Leon Elbern, Philipp Eckel, Christian Geyer, Sophia Albrecht, Sebastian Hoepner, Linus Werner, Anna Kuretzky, Jochen Schumacher, Ludwig Niebuhr, Nanni Grau, Frank Schönert
  • Weiteres Planungsteam:
    • Tragwerksplanung: EFG Beratende Ingenieure GmbH, Fuldabrück/Heidelberg
    • Haustechnik: SBI GmbH, Walldorf
    • Brandschutz: Stümpert-Strunk GmbH, Ludwigshafen
    • Entwässerungskonzept: Ramboll Studio Dreiseitl, Überlingen
  • Geländestandort: Spinelli – Bks 1536, 68259 Mannheim
  • Nutzungsart Phase 1: Ausstellung, Veranstaltung, Gastronomie, Rundfunkstudio (BUGA 2023)
  • BGF = 8693 m2 + 12.255 m2 = 20.948 m2 = 6 Freiflächen + 9 Hallen
  • NF = 8577 m2 + 10.655 m2 = 19.232 m2 = 6 Freiflächen + 9 Hallen
  • Zeitpunkt Inbetriebnahme: 04/2023

Autor:innen

Frank Schönert, f.schoenert@huettenundpalaeste.de

Prof. Nanni Grau, n.grau@huettenundpalaeste.de
Hütten & Paläste, TU-Berlin, IAS
www.huettenundpalaeste.de

Dr. Matthias Ernst, matthias.ernst@efg-ing.de
EFG Beratende Ingenieure GmbH, Fuldabrück/Heidelberg
www.efg-ing.de

Beate Kleber, Beate.Kleber@stuempert-strunk.de
Ingenieurbüro Stümpert-Strunk, Ludwigshafen
www.stuempert-strunk.de

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