Wie durch ganzheitliche Konzepte mehr nachhaltige Wohnungen gebaut werden können
Die Aufgabenstellung ist herausfordernd: Einerseits gibt es einen immensen Bedarf an Wohnungen, andererseits soll das Bauen die Anforderungen von Nachhaltigkeit und Klimaschutz erfüllen – im Neubau wie im Bestand. Angesichts des Umfangs und der Dringlichkeit der Aufgabe gilt es dabei mehr als zuvor, mit jedem eingesetzten Euro den höchstmöglichen Effekt zu erzielen, sowohl im Hinblick auf private Finanzierung wie auch auf öffentliche Fördergelder.
Aus Perspektive der BAUINDUSTRIE lässt sich dies nur durch ganzheitliche Konzepte lösen. Ein mutiger Schritt über die Grenzen herkömmlicher Silos hinaus ist gefragt: im Zusammenspiel aller Beteiligten, über Gebäudegrenzen hinweg, über alle Lebenszyklusphasen – und schlussendlich auch durch eine über starre Sektorengrenze hinausgehende umfassende Betrachtung und Bilanzierung.
Aus der Politik kommen positive Signale: Die fachliche Expertise der BAUINDUSTRIE und der befreundeten Fachwelt wurde gehört. Die derzeitigen Überarbeitungsvorschläge für das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und das Klimaschutzgesetz (KSG) eröffnen endlich die erforderlichen Handlungsfenster für eine systemische Herangehensweise. Flexibilisierung, Technologieoffenheit und Wirtschaftlichkeit sind hierbei die Faktoren, durch deren Zusammenwirken für jedes Gebäude ein optimiertes Ergebnis erreicht werden kann. Nicht zuletzt wegen eines Zuwanderungssaldos von 1,46 Mio. Menschen allein im Jahr 2022 und eines errechneten Neubaubedarfs von mindestens 700.000 Wohnungen ist es an der Zeit, die Lösungsansätze für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe noch einmal neu zu diskutieren (Bild 1).
Es gilt nun, die Rahmenbedingungen konsequent in Richtung Marktanreizung weiterzuentwickeln und mit einer entsprechenden – gleichermaßen systemischen, flexiblen und technologieoffenen – Förderkulisse zu unterlegen. Mit Blick auf die am Bau unerlässliche langfristige Planungssicherheit sind Rahmen- und Förderbedingungen unbedingt verlässlich und müssen über Legislaturperioden hinaus vereinbart werden.
1 Vom Silo zum System
Die Sektorenaufteilung des Klimaschutzgesetzes 2019 war aus der Perspektive der BAUINDUSTRIE nicht sehr hilfreich, da die Bau- und Immobilienbranche in mehreren Sektoren verortet wird. So wird der Betrieb von Bauwerken – je nach Erzeugungsort der genutzten Energie – teilweise dem Sektor Gebäude, teilweise dem Sektor Energie zugeordnet, wobei die Abgrenzung unscharf bleibt. Die Produktion von Baumaterialien hingegen fällt in die Sektoren Industrie und Landwirtschaft, ihr Transport wiederum in den Sektor Verkehr. Anstelle des intendierten Maximalanreizes in allen Bereichen drohen diese sektoren- und jahresscharfen Minderungsvorgaben zu starren Handlungskorsetts zu führen und schlimmstenfalls Verschiebebahnhöfe zu schaffen. Viele intelligente Lösungswege werden dadurch eher blockiert als gefördert. Die BAUINDUSTRIE hat dieses Silodenken von Beginn an hinterfragt und begrüßt ausdrücklich, dass die aktuelle Novelle des KSG als Rahmen für alle Klimaschutzaktivitäten nun deutlich mehr Spielraum sowohl in den Abrechnungszeiträumen als auch zwischen den Sektoren eröffnet. Eine weitere wichtige Grundlage schafft die geplante künftige Verzahnung des GEG mit der kommunalen Wärmeplanung.
Denn: In der wirtschaftlichen Realität der Bau- und Immobilienbranche wird auf Bauwerksebene gehandelt – also muss hier bilanziert und entsprechend angereizt werden. Dabei sind jene Schnittstellen besonders sorgfältig zu behandeln, an denen durch systemische Bilanzierung und technologieoffene Anreize Synergien gehoben werden können.
1.1 Energieeffiziente Gebäude
Vollständige Klimakonzepte für Gebäude bestehen aus einem technischen Dreiklang von Gebäudehülle, Haustechnik und Energie- bzw. Wärmelieferung
Vollständige Klimakonzepte für Gebäude bestehen aus einem technischen Dreiklang von Gebäudehülle, Haustechnik und Energie- bzw. Wärmelieferung (Bild 2). Für jeden dieser Bereiche gibt es einen wirtschaftlichen Grenznutzen, der bspw. im Neubaubereich spätestens bei der Effizienzklasse EH 55 erreicht und bei EH 40 deutlich überschritten wird: Je höher die Effizienzklasse, desto ungünstiger wird das Verhältnis zu jedem eingesetzten Euro [1, S. 29]. Im Bereich von EH 40 wird die CO2-Einsparung je eingesetztem Euro exponentiell geringer, sodass (Förder-)Gelder an anderer Stelle wesentlich effektiver eingesetzt werden sollten. Der optimale Dreiklang für jedes Gebäude kann somit nur in der Gesamtschau ermittelt werden. Dies gilt insbesondere für individuelle Sanierungsfahrpläne, die von den zur Verfügung stehenden Energie- und Wärmequellen abhängig sind. Starre Vorgaben, etwa für die Gebäudehülle in aktuellen Förderprogrammen in Form von EH 40 (Anm.: im Neubau mit einer zusätzlichen Zertifizierung nach QNG [2]), wirken am Ende v. a. kostentreibend und führen somit zu einer Zurückhaltung bei privaten und öffentlichen Investoren. Mehr noch: Die zunehmende Anhebung des Effizienzhausstandards hat absurde Auswirkungen, die nicht nur Einzelmaßnahmen durch starre Vorgaben vermehrt in die Unwirtschaftlichkeit rutschen lassen, sondern mitunter kontraproduktive Auswirkungen haben.
So werden Gebäude außen mit zu dichten Schichten erdölbasierter Dämmungen beklebt und innen mit reparaturanfälliger und schnell veralteter Haustechnik für eine Zwangslüftung ausgestattet. Klar definierte Ziele fehlen, und die Effekte von Einzelmaßnahmen zahlen nicht auf das Gesamtergebnis ein.
1.2 Quartiers- und Portfolioansatz
Am Beispiel von Quartieren wird deutlich, wie die gemeinsame und sektorenübergreifende Optimierung von Gebäuden echte Chancen für eine Minderung von Emissionen eröffnet. Quartiersumfassende Wärme- und Energiekonzepte bieten enorme, bisher zu wenig genutzte Potenziale. Gemeinsamen Contracting-Lösungen im Quartier, im Zusammenhang mit lebenszyklusübergreifenden Refinanzierungsmodellen, sollte daher unbedingt der Weg geebnet werden. Größere Projektzuschnitte sind durch finanzielle Anreize und erweiterte Möglichkeiten der gegenseitigen Anrechenbarkeit von Zielwerten in der Bilanzierung zu fördern – über Bauwerksgrenzen hinweg – sowohl im Quartier als auch im Portfolio. Eine derartige integrierte Herangehensweise würde großes Potenzial für systemische Geschäftsmodelle und für die seriellen bzw. industriellen Neubau- und Sanierungsvorhaben eröffnen sowie deutlich bessere Voraussetzungen für eine Skalierbarkeit und eine günstigere Kostenverteilung schaffen.
Gebäudeübergreifende Konzepte eröffnen zudem die Chance, städtebauliche Fehler der Vergangenheit zu heilen und dabei gleichzeitig eine Emissionsverringerung zu erzielen. Durch höhere Verdichtung im Bestandsbau, z. B. durch Lückenschluss oder Aufstockung, kann enorm CO2 gespart werden. Denn funktionierende und kompakte städtische Strukturen bedeuten auch weniger oder kürzere Neuerschließungen für Nah- und Fernwärmenetze sowie reduzierten Verkehr in der Umgebung.
1.3 Klimafreundlicher Baustoffeinsatz
Emissionen durch Bautätigkeiten bzw. deren Reduzierung enden nicht an Bauwerksgrenzen. Über ein Fünftel aller im Hochbausegment anfallenden Emissionen entsteht bei der Herstellung von Baumaterialien und -produkten und fällt somit bilanzierungstechnisch im Sektor Industrie an. Hier gilt es, durch optimierte Planung und Beschaffung die richtigen Entscheidungen für den Einsatz von Material und Energie zu treffen und dabei Wechselwirkungen und Synergien über den Lebenszyklus maximal zu berücksichtigen (Bild 3). Kurze Transportwege oder auch die Lebensdauerverlängerung und Wieder- und Weiterverwendungsmöglichkeiten von Bauteilen können hierbei starke Faktoren sein, die durch eine abgrenzende Betrachtung ausgeschlossen würden. Die ganzheitliche Betrachtung aller Lebensphasen, insbesondere die der Herstellung eines Bauwerks einschließlich der damit verbundenen grauen Energien, helfen bei der Justierung an den richtigen Stellschrauben. Die Wahl klimafreundlicher Baustoffe, die durch materialschonende Herstellung oder eine trennfähige Konstruktion eine Wieder- oder Weiterverwendung ermöglichen, führt hin zu der Implementierung eines wirklichen Kreislaufs von Baustoffen und Bauteilen.
2 CO2-Reduktion als Fördermaßstab
Klimaschutz wird durch die Reduktion von CO2-Emissionen erreicht. Nur tatsächlich erzielte CO2-Reduktion kann daher als Bewertungsmaßstab gelten. Die Bewertung wiederum kann nur sinnvoll in der ganzheitlichen Gesamtschau erfolgen, damit alle Interdependenzen und Synergien berücksichtigt werden können. Die Lebenszyklusanalyse ist somit gleichzeitig das geeignete Instrument, um die Effizienz und Effektivität von Maßnahmen messbar wie auch optimierbar zu machen. Die bisherige Methode der Bilanzierung von Ausschnitten und Teilgrößen, wie z. B. der Primärenergie und deren Allokation, ist nicht zielführend. Eine Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks bietet Chancen für die Optimierung der CO2-Emissionen, die auf viele Sektorenziele einzahlen kann.
Es muss nicht von Beginn an die 100%-Lösung sein!
Wie im Papier der BAUINDUSTRIE zur Ökobilanzierung [3] dargelegt, stehen bereits gute Werkzeuge für die Lebenszyklusanalyse zur Verfügung. Sie sind jedoch nicht vollständig und lassen v. a. für die Phase der Herstellung eines Bauwerks restliche Unklarheiten und Interpretationsspielraum. Damit ist eine Vergleichbarkeit der Bilanzierungen erschwert. Die gezielte Weiterentwicklung der Instrumente zur Lebenszyklusanalyse ist daher unbedingt schnell voranzutreiben, flankiert von einer durchgängigen und einheitlichen Datengrundlage, bei der auch und gerade innovative Baustoffe berücksichtigt werden. Wichtig ist außerdem, die Ansätze zur Ökobilanzierung zu nutzen, selbst wenn sie noch nicht zu 100 % ausgereift sind, und dadurch das Lernen von Auftraggebern und Auftragnehmern zu fördern. Selbst wenn zunächst nur 20–40 % der Emissionen erfasst werden, ist dies ein wichtiger Anfang, auf den die Projektbeteiligten gemeinsam aufbauen können. Es muss nicht von Beginn an die 100%-Lösung sein!
Die gesetzliche Verbindlichkeit der Klimaziele macht es zwingend erforderlich, den Einsatz öffentlicher Gelder an der Prämisse eingesparter CO2-Reduktionen zu bemessen. Die Förderkulisse muss dieser Logik folgen, Emissionseinsparung honorieren und CO2-Bilanzierung somit zur Grundlage für eine Einstufung der Förderfähigkeit machen. Weder dürfen Förderprogramme dabei Einzeltechnologien oder Baustoffe, losgelöst von einer Betrachtung im Gesamtzusammenhang, favorisieren, noch dürfen sie nach dem Zuschnitt willkürlich festgelegter Wirtschaftssektoren ausgerichtet werden.
Alle Anreize müssen überdies auf eine umfassende Marktentwicklung ausgerichtet werden und die Angebotsseite umfassen. Auf Basis von systemischen Betrachtungen müssen die entsprechenden technischen Lösungen ebenso angereizt und gefördert werden wie die dazugehörigen innovativen Geschäftsmodelle. Nur so kann eine Marktdurchdringung erreicht werden, die zur erforderlichen flächendeckenden Umsetzung und schlussendlich aufgrund von Skaleneffekten auch zu kostengünstigen Angeboten führen wird (Bild 4). Durch Vereinfachung und Klarheit in der flankierenden Regulatorik wird die Grundlage für einen Innovationsschub gelegt: Maßstab und Ziel sollte einzig die CO2-Reduktion sein.
3 Handlungsspielraum nutzen, Verantwortung stärken
Im Zusammenwirken von überarbeitetem GEG und KSG tun sich nun neue Handlungsspielräume auf
Im Zusammenwirken von überarbeitetem GEG und KSG tun sich nun neue Handlungsspielräume auf, die genutzt werden sollten. Dass der klimafreundliche Umbau des Gebäudesektors auf die Grundlage kommunaler Wärmeplanungen gestellt werden soll, ist in technischer Hinsicht unerlässlich. Die Planungen sollten zukünftig unbedingt auch die Strom- und Kälteversorgung einbeziehen und damit perspektivisch zu einer Energieraumplanung entwickelt werden. Sobald diese Planung als Faktor vollumfänglich berücksichtigt werden kann, können individuelle Sanierungsfahrpläne für Gebäude zuverlässig auf das jeweilige Optimum an Emissionsminderung ausgerichtet werden.
Das neue KSG kann dafür den notwendigen Spielraum bieten, indem nicht mehr über jahres- und sektorenscharfe Emissionen berichtet und diese ggf. umgehend sanktioniert werden, sondern nun eine gemeinsame Betrachtung über mehrere Jahre den Besonderheiten der jeweiligen Sektoren besser gerecht werden kann. Den langfristigen Investitionszyklen in Bauwerke einerseits und dem damit gleichzeitig entstehenden, besonders ausgeprägten Bedarf an langfristiger Planungssicherheit andererseits kann so deutlich besser Rechnung getragen werden.
Auch die enormen finanziellen Belastungen, die auf Mieter und Hausbesitzer von energetisch schlecht oder unsanierten Gebäuden zukommen, z. B. durch Sanierungsauflagen oder hohe Betriebskosten, können entschärft werden. Denn die Kopplung des GEG mit der kommunalen Wärmeplanung macht den Weg frei für mehr effiziente sektorübergreifende Lösungen und weniger aufwendige Einzelmaßnahmen am Gebäude. Gleichzeitig gilt für die Kommunen, dass die anfangs hohen Investitionen in ein erneuerbares Wärmenetz langfristig deutlich bessere Planungssicherheit bieten als zeitlich unbefristete individuelle Wohn- oder Energiegeldzuschüsse (Subjektförderung) an die Bewohner teuer sanierter Wohnungen.
Von hoher Wichtigkeit ist es nun, diese Erkenntnisse auch im Rahmen der EU-Gesetzgebung umzusetzen. So müssen bspw. die Sanierungsquoten in der neuen Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie (EPBD) unbedingt flexibel und sozialverträglich ausgestaltet werden. Der neue Effizienzhausstandard muss dringend auf eine Lebenszyklusbilanzierung von Emissionen mit CO2 als Wertungskriterium ausgerichtet werden. Die Regelungen und Anreize für verantwortungsvolle und v. a. nachhaltige Investitionen gilt es heute in nachhaltige Bahnen zu lenken, damit jeder Euro gezielt und sektorenübergreifend dort eingesetzt werden kann, wo er den größten Effekt für den Klimaschutz bewirkt. Dabei würden Sanierungspflichten und starre Quoten kontraproduktiv wirken und müssen durch flexible Querschnittsquoten über den Gesamtbestand ersetzt werden. Nur so sind soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit zu erreichen.
Durch systemisches Denken und intelligente und sektorübergreifende Planung können wir Zeit und Geld effektiver einsetzen und damit im Wohnungsbau mehr Klimaschutz pro investierten Euro bekommen.
Literatur
- Lüling, C.; Mrzigod, A.; Weidner, S. (2023) Einbeziehung der CO2-Amortisationsdauern von Energieeffizienzmaßnahmen in die Hamburger Machbarkeitsstudie. Abschlussbericht Projekt 222113. Werner Sobek AG, Stuttgart.
- Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen [Hrsg.] Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude QNG [online]. Berlin: BMWSB. https://www.nachhaltigesbauen.de/austausch/beg
- Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. [Hrsg.] (2023) Position Ökobilanzierung von Bauwerken [online]. Berlin: Die BAUINDISTRIE. https://www.bauindustrie.de/fileadmin/bauindustrie.de/Media/Veroeffentlichungen/PosPap_OEkobilanzierung_von_Bauwerken_final.pdf
Anne-Caroline Erbstößer, Dipl.-Ing. Innenarchitektur und Architektur UdK Berlin, 1997–2000 Projektleitung Weltkulturerbe Wittenberg, 2000–2010 Gutachterin für Immobilien, 2001–2014 Dozentin Facility Management u. historische Baukonstruktionen, 2013–2022 wissenschaftliche Mitarbeiterin Technologiestiftung Berlin, seit 2022 Referentin für Nachhaltigkeit Hauptverband der Deutschen Bauindustrie