Nachhaltiges Bauen für die Verkehrsinfrastruktur
Damit wir zukünftig Verkehrsinfrastruktur nachhaltig bauen können, bedarf es einer ganzheitlichen Planung, in der die zu verursachenden Treibhausgasemissionen im Gesamtlebenszyklus als integrale Anforderung berücksichtigt werden und als Entscheidungsgrundlage dienen. In diesem Aufsatz werden die Auswirkungen der Verkehrsinfrastruktur genauer angeschaut und betrachtet, in welchen Bereichen Planer einen positiven Einfluss auf die Emissionen nehmen können.
1 Akuter Handlungsbedarf
1.1 Planetare Grenzen
Der aktuelle Zustand unseres Planeten verschlechtert sich zusehends, wie das Modell der planetaren Grenzen eindringlich vor Augen führt. Dieses wurde im Jahr 2009 etabliert und danach mehrmals erweitert. Es dient als Indikator für die Stabilität und Resilienz unserer Erdsysteme. Dabei werden neun Bereiche unterschieden, bspw. Klimawandel und Biodiversität. Für jeden Bereich wird eine nachhaltige planetare Grenze dem aktuellen Zustand gegenübergestellt. Innerhalb der planetaren Grenzen, die die Randbedingungen seit der letzten Eiszeit vor ca. 10.000 Jahren reflektieren, können wir Menschen gut und sicher leben. Bei einer Überschreitung gerät das Gleichgewicht nicht plötzlich, aber stetig in Ungleichgewicht mit letztlich katastrophalen Folgen.
Im Jahr 2009 waren drei von neun planetaren Grenzen überschritten. Im Jahr 2023 sind es bereits sechs (Bild 1), d. h., die Widerstandskraft der Erde schwindet und die Erdsysteme werden zunehmend anfällig für unumkehrbare Störungen.
1.2 Klimawandel und politische Ziele
Der Klimawandel ist die Folge des enormen Kohlendioxidausstoßes seit dem Beginn der industriellen Zeit. Momentan beträgt die Durchschnittstemperatur global ca. 1,1 °C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Eine drastische Reduktion der Treibhausgasemissionen ist erforderlich, um die potenziell irreversiblen Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern und die 1,5-Grad-Grenze vom Pariser Abkommen COP21 einzuhalten. Aktuell haben wir eine 66%ige Wahrscheinlichkeit, diesen Wert in den kommenden vier Jahren zu überschreiten [1].
Basierend auf dem Pariser Abkommen wurden für die EU und im Nachgang für Deutschland konkrete Maßnahmen vereinbart und gesetzlich festgelegt (Bild 2). Deutschland hat sich bspw. verpflichtet, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Da Verkehrsinfrastruktur fast ausnahmslos in öffentlicher Hand ist, gilt das auch für den Bau, Unterhalt und Betrieb von Straße, Schiene und Wasserwegen.
2 Nachhaltigkeit in der Verkehrsinfrastruktur
2.1 Zielsetzung und Projektphasen
Das Ziel einer Nachhaltigkeitsbetrachtung ist, die Auswirkungen von Bautätigkeiten beurteilen zu können und informierte Entscheidungen zu treffen. Je nach Projektphase liegen die Schwerpunkte auf unterschiedlichen Aspekten. Grundsätzlich gilt, dass sich in früheren Projektphasen mehr beeinflussen lässt als später, daher beginnt die Ablaufpyramide von unten (Bild 3).
Die Bedarfsplanung steht ganz am Beginn einer Baumaßnahme im Verkehrswegebau. Hier wird ermittelt, welche Bau-, Ausbau- oder Instandsetzungsmaßnahmen erforderlich werden. Dabei wird i. d. R. geklärt, welche Auswirkungen diese Einzelmaßnahmen auf die Verkehrsströme haben, z. B. ob durch einen Autobahnausbau mehr Verkehr generiert und damit die eigentlich beabsichtigte Stauverminderung konterkariert wird. Der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) in Deutschland ist ein Beispiel für eine strategische Planung, bei der Nachhaltigkeitsauswirkungen systematisch bewertet werden. Im Umweltbericht zum Bundesverkehrswegeplan [2] wird erläutert, wie Nachhaltigkeitsaspekte betrachtet werden und in die Bewertung eingehen. Da in der Bedarfsplanung grundsätzlich entschieden wird, welche Verkehrswege neu oder ausgebaut werden, liegt hier der größte Hebel für eine nachhaltige Planung. Die Bedarfsplanung kann umgangssprachlich auch als HOAI-Phase 0 bezeichnet werden.
Im nächsten Schritt erfolgt die Trassenfindung der zuvor vereinbarten Maßnahmen. Hier wird zunächst eine Vielzahl von Varianten und Untervarianten entwickelt und diese werden hinsichtlich ihrer verkehrlichen Wirkung, Kosten und Nachhaltigkeit bewertet. Es ergeben sich häufig signifikante Unterschiede zwischen den Varianten, v. a., wenn Siedlungen betroffen sind, Schutzgebiete beeinflusst oder größere Ingenieurbauwerke erforderlich werden. In der Vergangenheit lag der Fokus der Nachhaltigkeitsbetrachtung in den örtlichen landschaftsplanerischen Auswirkungen, also der Zerstörung oder negativen Beeinflussung von Biotopen, Habitaten, dem Hochwasser-, Lärm- oder Grundwasserschutz. Erst seit 2023 ist auch für die Trassenfindung explizit die Klimawirkung der Varianten zu ermitteln und gegenüberzustellen [3]. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr gibt vor, dass die Treibhausgasemissionen der Trassenvarianten zu eruieren sind und über den aktuellen CO2-Preis in die Kostenschätzung einfließen sollen. Hierzu gehören nicht nur die Auswirkungen der verbauten Stoffe wie z. B. Asphalt, Schienen, Brücken oder Tunnel, sondern auch die Klimawirkung aus dem Flächenverbrauch und Emissionen aus dem Lebenszyklus. Ähnlich der Bedarfsplanung werden auch hier noch sehr grundsätzliche Entscheidungen getroffen, da Varianten mit völlig unterschiedlicher Umweltwirkung gegenübergestellt werden. Die Abwägung der einzelnen Aspekte ist jedoch nicht ohne Weiteres möglich. Wenn bspw. eine Entscheidung Brücke vs. Tunnel getroffen werden muss, ist Erstere zwar hinsichtlich Klimawirkung um Längen besser, hat jedoch andererseits Nachteile hinsichtlich Lärmschutz sowie Flora – Fauna – Habitat. Diese Planungsphase der Trassenfindung entspricht in Deutschland der HOAI LPH 1+2 im Leistungsbild Objektplanung Verkehrsanlagen.
Die Planung des Verkehrswegs und der Ingenieurbauwerke beginnt i. d. R. nach der Festlegung der Trasse und dem Abschluss der Planfeststellung. Hier sind bereits viele grundsätzliche Entscheidungen getroffen worden. Im Zentrum der Betrachtung stehen nun die Materialwahl und das Bauverfahren. Hier schlägt auch die Stunde des Konstruktiven Ingenieurbaus – es sind nachhaltige Varianten zu entwickeln und einander gegenüberzustellen. Hinsichtlich der Werkstoffe spielt nicht nur deren Energieverbrauch in der Herstellung, sondern auch die Recyclingquote eine ganz entscheidende Rolle, bspw. bei Baustahl oder Asphalt. Da die allermeisten Bauprojekte im Bestand erfolgen, entstehen hier auch verkehrliche Auswirkungen durch Streckensperrung, Geschwindigkeitsreduzierung, Spurverschwenkung u. dgl. Beide Anteile, die graue Energie (Embodied Carbon) und die verkehrliche Auswirkung, ergeben zusammen die Treibhausgasemissionen der Maßnahme. Hierzu gehört auch die Verwertung von Baustoffen, z. B. aus dem Rückbau von Ingenieurbauwerken oder dem Erdbau. In den folgenden Abschnitten dieses Beitrags wird diese Phase näher betrachtet. Diese Stufe Planung entspricht der LPH 3–5 Objektplanung Verkehrsanlagen einerseits und der LPH 1–3 Objektplanung Ingenieurbauwerke andererseits.
Zu guter Letzt kann auch beim Bau die Nachhaltigkeit des Vorhabens beeinflusst werden, der Hebel ist hier jedoch ungleich geringer, da die meisten Entscheidungen bereits getroffen sind. Konkret sind hier die Auswirkungen aus dem Baumaschineneinsatz und Planungsanpassungen im Zuge der Ausführungsplanung zu nennen. Neben dem Energieverbrauch der Geräte geht es hier auch um Schallemissionen und Erschütterungen sowie die Beeinträchtigung von Naturräumen. Die Bauphase entspricht der HOAI LPH 4–9 Objektplanung Ingenieurbauwerke.
2.2 Aspekte der Nachhaltigkeitsbetrachtung
Die Nachhaltigkeit einer Baumaßnahme ergibt im Gesamtbild mehrere Aspekte (Bild 4). Die CO2-Bilanz spielt eine ganz herausragende Rolle wegen der globalen Auswirkungen des Klimawandels und steht daher meist im Mittelpunkt einer Nachhaltigkeitsbetrachtung. Jedoch gehören auch weitere Aspekte zu einer vollständigen Analyse und sollten in der Gesamtschau mit der Klimawirkung betrachtet und gegeneinander abgewogen werden.
Die CO2-Bilanz beschreibt die Treibhausgasemission bzw. Klimawirkung einer Baumaßnahme als Summe der grauen Energie und der verkehrlichen Wirkung. Hierauf wird im nächsten Abschnitt detailliert eingegangen.
Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft bedeutet, dass Weiter-, Wiederverwendung oder Ertüchtigung bestehender Bauwerke stets der Vorzug gegenüber einem Ersatzneubau gegeben werden sollte. Dieses Paradigma ist keine neue Erfindung – in der Vergangenheit war es gängige Praxis, da Materialien teuer und Arbeit vergleichsweise günstig war. Hier geht es gewissermaßen um eine Rückbesinnung auf alte Stärken. Optimalerweise werden Baumaßnahmen durch eine bessere Nutzung bestehender Infrastruktur vermieden, wie z. B. durch intelligente Verkehrssteuerung (ITS) oder den Einsatz von Sensoren (Structural Health Monitoring). Falls dies nicht möglich ist, wäre als zweitbeste Möglichkeit die Wiederverwendung oder Verstärkung bestehender Bauwerke zu bevorzugen. Ein typischer Anwendungsfall ist die Verstärkung einer bestehenden Brücke statt eines Ersatzneubaus. Nur wenn es sich nicht vermeiden lässt, sollte der Neubau gewählt werden. Dann gilt es, diesen so klimaneutral wie möglich zu planen.
Vergleicht man hier verschiedene EU-Staaten, erkennt man schnell, das aktuell äußerst unterschiedliche Akzente gesetzt werden – während z. B. in den Niederlanden die Ertüchtigung und der Erhalt im Mittelpunkt stehen, ist dies in Deutschland aktuell nicht gewünscht. Man muss eingestehen, dass häufig ohne Not Brücken vollständig rückgebaut und ersetzt werden, was hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Baumaßnahme katastrophal ist. Etwas besser ist in Deutschland die Situation im Erdbau, wo durch die Ersatzbaustoffverordnung nun ein Paradigmenwechsel erkennbar wird. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist hier eine Verwertung von Ersatzbaustoffen möglichst innerhalb der gleichen Maßnahme zu bevorzugen [4]. Durch ein Bodenmanagementkonzept können unnötiger Transport und eine potenzielle Gewässerverschmutzung verhindert werden.
Die Belange der Artenvielfalt und Gesellschaft werden im Rahmen eines landschaftspflegerischen Begleitplans bzw. eines Lärmschutzgutachtens erörtert und es werden Handlungsempfehlungen entwickelt. Dies ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Trassenfindung und wird im Zuge der Planfeststellung zwischen den Beteiligten abgestimmt. Es geht hier v. a. um lokale Betroffenheiten wie die Notwendigkeit von Lärmschutzwänden, den Erwerb privater Grundstücke oder umweltfachliche Aspekte. Es muss abgewogen werden, ob die negativen Auswirkungen der Maßnahme überhaupt durch den verkehrlichen Nutzen dieser zu rechtfertigen sind – und wenn ja, bei welcher Variante insgesamt die geringsten Betroffenheiten entstehen und wie die entstehenden Auswirkungen kompensiert werden können.
Eine Planung für Klimaresilienz bedeutet, dass der bereits eingetretene und der voraussichtlich noch zu erwartende Klimawandel in der Planung berücksichtigt werden. Das BMDV-Expertennetzwerk Klimawandelfolgen und Anpassung beschäftigt sich z. B. seit 2016 mit der Prognose der Auswirkungen des Klimawandels und möglichen Anpassungsstrategien: Wie können wir Extremwetterbedingungen oder dem Meeresspiegelanstieg begegnen und in unsere Planungen einfließen lassen?
3 CO2-Emissionen im Gesamtlebenszyklus
3.1 Überblick
Die Ökobilanz ist eine Berechnungsmethode zur Bewertung der Umweltauswirkungen bspw. der Treibhausgasemissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks. Dieser Lebenszyklus erstreckt sich von der Herstellung der Baumaterialien und des Bauwerks auf der Baustelle über die Nutzungsphase bis zum Rückbau und zur Weiterverwendung der einzelnen Bauteile und Materialien. Diese einzelnen Phasen werden mit Modul A, B, C, D bezeichnet (Bild 5).
In Modul A werden die Emissionen betrachtet, die sich aus der Herstellungsphase von Baumaterialien und Bauteilen (A1–A3) und aus der Bauphase auf der Baustelle (A4–A5) ergeben. Diese Emissionen werden im Englischen als Upfront Carbon bezeichnet.
Dem Modul B werden die Emissionen zugeordnet, die sich aus der Nutzungsphase ergeben, bspw. Instandhaltung, Reparaturen und Ersatz. Im Modul B werden zwei Arten der Emissionen unterschieden: betriebsbedingte Emissionen und Nutzeremissionen. Die betriebsbedingten Emissionen aus der Nutzungsphase (Modul B), die im Englischen als Operational Carbon bezeichnet werden, ergeben sich aus dem Energie- und Wasserverbrauch und der Bewirtschaftung von Betriebsabfällen während des Betriebs, bspw. aus der Straßenbeleuchtung, dem Betrieb von Entwässerungspumpen oder der Entsorgung von Abfällen aus Kläranlagen. Die Nutzeremissionen aus der Nutzungsphase (Modul B9) beinhalten die Emissionen, die sich aus der Nutzung von Infrastruktur ergeben, bspw. von Fahrzeugen, Zügen und Flugzeugen. Insbesondere ist ein Anteil an diesen Emissionen mit dem Bau bzw. Umbau verknüpft.
Das Modul C deckt die Emissionen ab, die sich aus dem Rückbau und der Entsorgung ergeben.
Die Emissionen im Gesamtlebenszyklus, im Englischen als Whole Life Carbon bezeichnet, umfassen alle oben erwähnten Emissionen A–C.
Zusätzlich gibt es noch das Modul D. Im Modul D wird das Potenzial für Wiederverwendung und Recycling separat betrachtet, aber i. d. R. nicht zusammen mit den übrigen Modulen verrechnet. Dieses Potenzial ist jedoch zur Schaffung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen durch die Wiederverwendung von Bauwerken, Bauelementen und Baumaterialien am Ende des Lebenszyklus von großer Bedeutung. Man muss hier klären, ob der Recyclinganteil bereits in A1 berücksichtigt wurde, was bspw. bei Baustahl der Fall ist. Dann kann dieser Anteil nicht nochmals in D abgezogen werden.
Planer von Infrastrukturbauwerken haben eher die Kontrolle über die konstruktions- und die betriebsbedingten Emissionen als über die Nutzeremissionen, die sie aber dennoch beeinflussen können.
3.2 Upfront Carbon aus den Modulen A1–A5
Die Emissionen davon ergeben sich aus Gewinnung, Herstellung, Transport und Verarbeitung von Baumaterialien. Die Emissionen aus den Modulen A1–A5 sollten einen großen Teil zur Auswahl der Vorzugsvariante für ein Brückenbauprojekt beitragen, da die Emissionen durch verschiedene Bauweisen, unterschiedliche Konstruktionssysteme und die damit verbundenen Erdarbeiten erheblich beeinflusst werden.
Die Emissionen des Straßen- oder Schienenoberbaus sollten nicht vernachlässigt werden. Laut einer Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2008 [5] betrugen die Emissionen in Bezug auf den Bau und Unterhalt der Straßenverkehrsinfrastruktur 14,8 Mio. t. 14,2 Mio. t davon, d. h. 96 %, sind mit Materialien, Transport und Energie verbunden. Für 66 % davon ist Asphalt bzw. Straßenbelag verantwortlich.
Es folgen danach die Emissionen von Transport und Energie, die in den Modulen A4, A5 entstehen. Dieser Anteil betrug 18 %. Die Bauprozesse, der Maschineneinsatz und deren Effizienz haben Einfluss auf die Emissionen, die während der Einrichtungsphase auf der Baustelle freigesetzt werden. Ein gutes Beispiel sind Erdarbeiten, da die mit dem Aushub, dem Transport und der Aufschüttung verbundenen Emissionen einen wichtigen Bestandteil der Gesamtemissionen darstellen. In der Vorplanungsphase stellt sich die Herausforderung, dass keine ausreichend genauen Einschätzungen der Bauweisen im bauwerksbezogenen Variantenvergleich zur Verfügung stehen, um die konstruktionsbedingten Emissionen zu ermitteln.
3.3 Verkehrsbedingte Emissionen während der Bauzeit
Der Bau einer Verkehrsanlage erfordert eine sorgfältige Planung und die Berücksichtigung mehrerer Schlüsselfaktoren. Typische durchzuführende Maßnahmen während der Bauphase wie Sperrungen einer Autobahn oder Schienenstrecke, Umleitungen, Einrichtung einer Stop-and-Go-Fahrweise werden ergriffen, um motorisierten Verkehr auf andere Bauwerke oder Strecken umzuleiten und den Verkehr aufrechtzuerhalten.
Diese Maßnahmen bringen jedoch Verkehrsbeeinträchtigungen sowie Veränderungen des Verkehrsflusses und die damit verbundene Verlangsamung des Verkehrs in der Bauphase oder in der Instandhaltungsphase mit sich und verursachen hohe Stauemissionen, die zu Emissionen aus Modul B9 gehören und einen erheblichen Anteil an den Nutzeremissionen betragen. Bei einem zehnminütigen Stau mit 20.000 Fahrzeugen (DTV) betragen die stauverursachten Emissionen täglich 4,6 t CO2. Ein 30-minütiger Stau mit 120.000 Fahrzeugen verursacht täglich bereits 111,1 t CO2-Emissionen [6] (Bild 6).
Was ist die Bedeutung von 100 t CO2-Emissionen? Der Bau eines typischen 500 m2 großen Überführungsbauwerks verursacht ca. 1000 t CO2-Emissionen. Das heißt, dass die Stauemissionen innerhalb von 10 d bereits die konstruktionsbedingten Emissionen überschreiten. Hier zeigt sich deutlich, dass die Nutzeremissionen einen großen Anteil an den Gesamtemissionen im Gesamtlebenszyklus eines Brückenbauwerks betragen und sie sehr stark mit dem Kraftstoffverbrauch von Fahrzeugen verbunden sind.
3.4 Umweltkosten vs. Investitionskosten – realistische Kostenbewertung
Durch den Klimawandel entstehen signifikante Umweltkosten bzw. Klimafolgekosten, die bisher von der Gesellschaft getragen und nicht nach dem Polluter-pays-Prinzip zugewiesen werden. Im Jahr 2021 ergaben sich in Deutschland aus den Sektoren Straßenverkehr und Energieerzeugung Umweltkosten in Höhe von mindestens 241 Mrd. Euro.
Bisher wurden i. d. R. nur die Baukosten und Lebenszykluskosten bei der Bewertung von Planungsvarianten und Angeboten berücksichtigt. Umweltkosten sind darin nicht enthalten. Nachhaltige Lösungen sind also systematisch benachteiligt, wenn die Umweltkosten in die Kostenermittlung nicht mit einbezogen werden.
Das Umweltbundesamt empfiehlt daher, bei der Kostenberechnung einen Kostensatz in Höhe von 237 (Höhergewichtung der heutigen Generation) bzw. 809 (Gleichgewichtung der Generationen) Euro/t CO2e zu berücksichtigen. Die aktuelle CO2-Steuer in Deutschland beträgt jedoch lediglich 45 Euro/t CO2e für die Sektoren Verkehr und Energie. Emissionshandelssysteme in Europa sind ein erster Schritt, den vorgenannten Preismechanismus zu implementieren, allerdings sind die bisher angesetzten Preise noch zu gering, um die gewünschte Wirkung zu entfalten. Daher sollten diese Preise in Zukunft erhöht werden.
Für eine realistische Kostenbewertung müssen in Zukunft auch die Klimafolgekosten, die sich aus der Menge an Treibhausgasemissionen multipliziert mit dem CO2-Preis ergeben, addiert werden, d. h., der Anteil der Klimafolgekosten an den Baukosten nimmt mit steigendem CO2-Preis zu. Lösungen, die zu hohen Emissionen führen, werden dadurch teurer. Lösungen, die zu geringen Emissionen führen, werden wirtschaftlich attraktiver.
3.5 Pilotprojekt bei Autobahn GmbH
Bisher wurden in der Praxis im Zuge der Vorplanung (z. B. Variantenbetrachtung) die Berechnungen der verkehrsbedingten Emissionen wegen Stauzeiten während der voraussichtlichen Bauzeit nicht berücksichtigt. Arup hat im Auftrag der Autobahn GmbH im Rahmen eines Planungsprojekts die verkehrsbedingten Emissionen für drei Varianten eines anonymen Brückenbauwerks berechnet und gegenübergestellt (Bild 7).
Die Ermittlung der bauwerksbezogenen CO2-Emissionen für die Herstellungsphase (Module A1–A3 nach DIN EN 15643) und die Ermittlung der verkehrsbedingten CO2-Emissionen während der Bauphase wurden in Zusammenarbeit mit Matthias Müller vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) berechnet, der hier wichtige Vorarbeiten geleistet hat [7].
Die Ergebnisse (Bild 8) zeigen, dass die verkehrsbedingten Emissionen zum größten Teil durch die direkten CO2-Emissionen der Fahrzeuge verursacht werden. Der größte Teil der Emissionen wird durch Stop-and-Go-Betrieb und Beschleunigungsvorgänge nach dem Durchfahren der Baustelle im 4+0-Verkehr verursacht. Da solche Baustellen über vier bis fünf Jahre dauern, übersteigt die staubedingte Emission die graue Energie des Bauwerks. Es ist also klar die Variante mit der kürzesten Bauzeit zu empfehlen.
4 Initiative Net Zero Bridges
Net Zero Bridges ist eine Initiative von Brückenplanern mit dem Ziel, den CO2-Verbrauch im Brückenbau möglichst rasch zu reduzieren. Die Initiative hat ihren Ursprung in Großbritannien, steht jedoch jedem offen. Die primäre Frage ist: In welchen Bereichen liegt der größte Hebel für die Reduzierung von Emissionen?
In der Bauindustrie existieren bereits Lösungen dafür, wie der Bau von Infrastruktur einen höheren Beitrag zum Kilmaschutz leisten kann. So können durch die Optimierung von Materialien, Bauweisen, Baumaschinen, Transporten und Bauprozessen die Treibhausgasemissionen reduziert werden. In der Baubranche liegt der Schlüssel zum Kilmaschutz in der Planung.
Einerseits hat die Berücksichtigung von Notwendigkeit einen größeren Hebel auf Emissionen als technologische Optimierungen. Andererseits liegen die größten Reduktionspotenziale in den frühen Projektphasen.
Nichts mehr zu bauen wäre zwar am wirkungsvollsten, ist aber unrealistisch. Weniger zu bauen, also bspw. den Bedarf an neuer Infrastruktur kritisch zu hinterfragen oder den Bestand – wenn möglich – zu erhalten statt abzubrechen, ist realistischer und hat ein großes Potenzial.
Intelligent zu bauen, also bspw. eine kurze Bauzeit (geringe Emissionen aus Verkehrsumleitungen) und eine hohe Materialeffizienz zu erzielen, hat ein geringeres Potenzial, ist aber sicherlich einfacher zu erreichen.
Effizient zu bauen bezieht sich auf die Optimierung von Bauprozessen auf der Baustelle, bspw. die Elektrifizierung von Baumaschinen bei gleichzeitiger Verwendung regenerativer Energiequellen oder die Verkürzung von Transportwegen.
Kurz zusammengefasst: Sanierung vor Neubau, wiedergewonnenes Material vor Neumaterial, um Baustoffe später möglichst einfach trennen und wiederverwenden zu können, sind einige Beispiele von bewährten Ansätzen.
Die Verfasser stellen abschließend die nachstehenden Projekte vor, an denen Arup mitgewirkt und zu einem positiven Einfluss auf den Klimaschutz beitragen hat.
4.1 BIM-Planung
Das Ersatzneubauprojekt Ruhr Brücke in Herbede erfordert eine optimale Abstimmung von Rück- und Neubauplanung wegen der komplexen Randbedingungen in der Umgebung. Mittels Building Information Modeling (BIM) realisiert Arup den Ersatzneubau einer Großbrücke auf beengtem Raum ohne Verkehrsunterbrechungen und kann frühzeitig Kollisionen erkennen. Zusätzlich wurde bei der Variantenbetrachtung eine CO2-Bilanz erstellt.
4.2 Wiederverwendung
Bei der Neuplanung der Mühlendammbrücke in Berlin wurden die bestehenden Gründungen beibehalten und nach einer sorgfältigen Materialuntersuchung und Tragwerksplanung wiederverwendet. Zwei Drittel der Betonmassen wurden wiederverwendet und der Verbrauch von neuen Baumaterialien erheblich minimiert.
4.3 Modulares Bauen
Die Fertigteilbrücke in Werne verwendet modulare Brückensysteme, die mit hohem Vorfertigungsgrad geplant wurden. Durch Modulbauweise können Bauzeiten um bis zu 70 % reduziert werden. In dem Projekt wurde die Bauzeit von üblicherweise zwölf auf vier Monate reduziert und damit substanziell Treibhausgasemissionen gespart. Aus diesem Grund kann die Reduzierung der verkehrsbeeinträchtigenden Bauzeit als treibhausgasreduzierende Maßnahme bewertet werden.
5 Fazit
Um bis zum Jahr 2045 – in einem sehr engen Zeitplan – Netto-Treibhausgasemissionsneutralität zu erreichen, ist viel zu tun. In den kommenden 15 Jahren sollten über 60 % der notwendigen Treibhausgasemissionsreduktion erreicht werden. Brückenbauer können in ihrer Funktion einen wichtigen Beitrag dazu leisten – viel mehr als das, was sie als Privatpersonen erreichen könnten.
Beteiligte im Brückenbau benötigen einen Paradigmenwechsel zu einem New Normal, um das Klimaziel in Deutschland rechtzeitig zu erreichen. Die Ermittlung der bauwerksbezogenen CO2-Emissionen und der verkehrsbedingten Emissionen im gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks sollte vom Bauherrn unterstützt und angefragt oder sogar verpflichtend sein.
Zusätzlich sollte der richtige CO2e-Preis im Brückenbau vereinbart werden. Des Weiteren sind in Zukunft für eine realistische Kostenbewertung auch die Klimafolgekosten, die sich aus der Menge an Treibhausgasemissionen multipliziert mit dem CO2-Preis ergeben, zu betrachten. Je höher dieser Preis ist, desto wirkungsvoller ist er für die Suche nach klimaverträglichen Lösungen.
Literatur
- MIT News (2023) Explained: The 1.5 C climate benchmark [online]. Massachusetts: Massachusetts Institute of Technology. https://news.mit.edu/2023/explained-climate-benchmark-rising-temperatures-0827
- Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016) Umweltbericht zum Bundesverkehrswegeplan [online]. Berlin: BMDV. https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/BVWP/bvwp-2030-umweltbericht.pdf?__blob=publicationFile
- Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2023) Allgemeines Rundschreiben Straßenbau – Hinweise zur Berücksichtigung der großräumigen Klimawirkung in Vorhabenzulassung [online]. Berlin: BMDV. https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/StB/ars-aktuell/allgemeines-rundschreiben-strassenbau-2023-03.pdf?__blob=publicationFile
- ErsatzbaustoffV (2023) Verordnung über Anforderungen an den Einbau von mineralischen Ersatzbaustoffen in technische Bauwerke (Ersatzbaustoffverordnung).
- Umweltbundesamt (2013) Treibhausgas-Emissionen durch Infrastruktur und Fahrzeuge des Straßen-, Schienen- und Luftverkehrs sowie der Binnenschifffahrt in Deutschland. Text 96/2013. Dessau-Roßlau: UBA.
- Püstow, M.; Müller, T.-O. (2024) CO2-Schattenpreis – ein wichtiger Impuls für klimaverträgliches Bauen – Wie die öffentliche Hand die Klimaschutzziele erreichen kann. nbau. Nachhaltig Bauen 3, H. 1, S. 23–28.
- Müller, M. (2024) BIM-gestützte Nachhaltigkeitsbewertung von Brücken [Dissertation]. Karlsruher Institut für Technologie, Karlsruhe.
Autor:innen
Mary Wong, mary.wong@arup.com
Senior Engineer
John Adamek, john.adamek@arup.com
Senior Engineer
Dr. Markus Gabler, markus.gabler@arup.com
Director
Arup, Düsseldorf
www.arup.com