Deutschlands unsichtbare Baukunst: Ein Ruf nach Anerkennung

In Deutschland wird Architektur nicht nur gebaut, sondern sorgfältig konstruiert – ein Synonym für Präzision, Innovation und Qualität. Wir sind weltweit führend in der Bautechnologie, ein Leuchtturm der Hightech-Lösungen im Wohnungsbau, die Sicherheit und Gewährleistung in einem Ausmaß bieten, das in keinem anderen Land zu finden ist. Doch trotz dieser globalen Anerkennung scheint die Wertschätzung für unsere Baukunst auf heimischem Boden zu schwinden. Warum wird diese Führungsrolle in der Bautechnologie, die so offensichtlich ist, nicht gebührend anerkannt?

Thomas Bader fordert, die Errungenschaften in der Bautechnologie und die unangefochtene Spitzenstellung, die Deutschland in diesem Bereich einnimmt, in den Vordergrund zu stellen
Quelle: Marina Geckeler

Die Stille hinter der Baukunst

Deutschland spielt in Sachen Bautechnologie in einer eigenen Liga – oder besser gesagt, in einem ganz anderen Spiel. Wände in KFN 40 (Klimafreundlicher Neubau) mit QNG, die mit beeindruckenden 36,5 cm konstruiert werden, stehen symbolisch für den Innovationsgeist und das Engagement für Qualität, das deutsche Bauunternehmen an den Tag legen. Im Vergleich dazu reicht in vielen anderen Ländern eine viel simplere Bauweise, oft nur aus Glas und Stahl, um die gleichen Bezeichnungen zu tragen. Diese Diskrepanz zwischen den Standards ist kein bloßer Vergleich von Äpfeln mit Birnen; sie ist ein Zeugnis unserer innovativen Kraft.

Doch diese Errungenschaften werden zu Hause oft übersehen oder als selbstverständlich angesehen. Die Frage ist, warum? Liegt es an einem Mangel an Kommunikation und Marketing, der die Öffentlichkeit daran hindert, die Bedeutung und den Wert deutscher Bautechnologie zu erkennen? Oder ist es eine tiefere, kulturelle Zurückhaltung, die uns davon abhält, unsere eigenen Erfolge zu feiern?

Deutschland: Spitzenreiter in Sachen Bautechnologie

Die Baubranche in Deutschland steht an der Spitze der Innovation und Nachhaltigkeit, trotz oder gerade wegen der Herausforderungen, die sich aus dem Fachkräftemangel und dem akuten Bedarf an Wohnraum ergeben. Der Einsatz von Technologien wie BIM, Robotik oder künstlicher Intelligenz sowie die Entwicklung nachhaltiger Bauprodukte, wie selbstverschattende Fassaden, Ziegel-Holz-Lehm-Hybridkonstruktionen und alternative Bindemittel für Beton, sind essenziell für die Zukunft des Bauwesens. Diese Innovationen tragen nicht nur zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung bei, sondern sind auch im Kampf gegen den Klimawandel und die Überhitzung der Städte im Sommer von großer Bedeutung.

Forschung und Industrie: Gemeinsam Lösungen für die Zukunft entwickeln

Die Forschung in der Bauindustrie, v. a. in den mittelständischen Unternehmen, zeigt beispielhaft, wie durch innovative Ansätze die CO2-Emissionen im Gebäudesektor deutlich reduziert werden können. Projekte wie die Entwicklung von Climate Active Envelopes (CAB) in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und anderen Partnern zielen darauf ab, das lokale urbane Klima zu beeinflussen und die Bildung von städtischen Wärmeinseln zu reduzieren (Bild 1). Die Nutzung robotischer Fertigungstechnologien und der 3D-Druck bieten nicht nur Lösungen für den Fachkräftemangel, sondern schützen auch die Städte vor dem Überhitzen.

Climate Active Bricks (CAB): Selbstverschattende Fassaden zur Abkühlung von Städten

Schon beim Design der Gebäude verarbeitet ein Konfigurator alle wichtigen geografischen Gegebenheiten des Gebäudes. Mit diesen Informationen berechnet die Software die bauphysikalisch optimale Fassadenstruktur – und gibt sie anhand von CAD-Dateien aus. Diese werden vom robotischen Arm ausgelesen und verarbeitet. Im nächsten Schritt versetzt er die einzelnen Steine millimetergenau – und das direkt vor Ort. Die Fassade besteht aus hoch wärmedämmenden Hintermauerziegeln und den davor gesetzten CABs, die für die Verschattung sorgen. Somit bleiben für die Handwerker auf der Baustelle künftig nur noch das Anrühren des Mörtels sowie dessen Verteilung auf den Steinen als Aufgaben übrig. In ersten Versuchen konnte mit den CABs die Temperatur der Fassade von 48 °C auf nur noch 32 °C reduziert werden – was auch der Außentemperatur entsprach. Das Forschungsprojekt Climate Active Envelopes löst auf diese Weise gleich mehrere Probleme, mit denen sich die Baubranche konfrontiert sieht: Dank der Nutzung robotischer Fertigungstechnologien werden Kosten gesenkt und dem Fachkräftemangel entgegengewirkt, während die entstehenden Fassaden Städte vor dem Überhitzen schützen. Dafür haben die CABs bereits 2021 den Deutschen Ziegelpreis gewonnen und erhalten finanzielle Unterstützung von der Bayerischen Forschungsstiftung.

Alternative Bindemittel für Beton

Darüber hinaus wird die Entwicklung alternativer Bindemittel für Beton erforscht, um den Zementklinker zu ersetzen oder dessen Anteil zu minimieren. Grundsätzlich findet Beton im Bauwesen sehr häufig Verwendung. Seine Vorteile sind klar: Er lässt sich in jede Form gießen und weist in Kombination mit Bewehrung eine sehr hohe Tragfähigkeit auf. Doch um die Mischung aus Gesteinskörnungen auch beieinanderzuhalten, braucht es geeignete Bindemittel. Das gängigste Bindemittel ist Zement. Bei der Herstellung des dafür benötigten Zementklinkers wird allerdings sehr viel Kohlenstoffdioxid freigesetzt – auf 1 t produzierten Zement etwa 600 kg. Deswegen forscht die Betonindustrie schon seit langer Zeit an einer Möglichkeit, den klimaschädlichen Zementklinker durch alternative Bindemittel zu ersetzen oder zumindest dessen Anteil zu minimieren. Infrage kommen hier bspw. Geopolymere, Magnesiumverbindungen oder auch calcinierte Tone, da sie ähnliche bauchemische Eigenschaften besitzen wie Portlandzementklinker. Hier kommt die Ziegelindustrie wieder als möglicher Pro­blemlöser ins Spiel: So hat der Verein Deutscher Zementwerke (VDZ, Düsseldorf) eigens eine Versuchsreihe mit dem Institut für Ziegelforschung Essen, der Scherer & Kohl GmbH (Ludwigshafen), der Spenner GmbH & Co. KG und Leipfinger-Bader gestartet (Bild 2). Orientiert haben sich die Forschenden an einem altbewährten Baustoff: dem opus caementicium, mit dem die Römer schon Bauwerke wie das Kolosseum oder das Pantheon in Rom möglich machten. Der sehr versatile Baustoff bestand aus Bruchstein, Puzzolan- und Ziegelmehl sowie Sand und gebranntem Kalk als Bindemittel. Bei den Betonzusatzmitteln ist Ziegelbruch besonders hervorzuheben, da er als Stoff auch nach dem Brennvorgang noch sehr reaktiv ist. Auf diese Weise kann die Festigkeit des Endprodukts weiter gesteigert werden. Die ersten Versuche mit dem R-ZiEMENT sind vielversprechend: So erreichte man eine Reduktion des Portlandzementklinkers um rd. 50 %. Für Anfang 2024 ist ein großtechnischer Betriebsversuch geplant.

Leipfinger-Bader unternimmt weitere Schritte, um die Bauwelt umweltfreundlicher zu gestalten, indem Beton durch Fließlehm in Hybridkonstruktionen ersetzt wird. Insbesondere bei der Verwendung in Decken (Bild 3) und als Verfüllziegel kommt dieser bereits zum Einsatz. Weitere Anwendungsmöglichkeiten werden gerade erforscht. Diese Initiative spiegelt ein tiefgreifendes Engagement für die Entwicklung von Baumaterialien wider, die nicht nur die strukturellen Anforderungen erfüllen, sondern auch die Umweltauswirkungen minimieren. Fließlehm, ein Material mit ausgezeichneten bauphysikalischen und ökologischen Eigenschaften, bietet eine vielversprechende Alternative zu traditionellen Baustoffen. Er unterstützt nicht nur ein gesundes Raumklima, sondern trägt auch zur Reduktion der CO2-Emissionen im Bauwesen bei.

Kaltziegel: Nicht gebrannt und doch keramischer Baustoff

Seit 2016 arbeitet Leipfinger-Bader an einer Lösung, aus Ziegelbruch einen neuen Wandbaustoff zu generieren. Nach vier Jahren Forschung konnte 2020 der erste Kaltziegel präsentiert werden, welcher aus einem hohen Anteil an recycliertem Material besteht – bei gleichzeitig niedrigem Einsatz von Bindemitteln (Bild 4). Die großen Vorteile: Der Kaltziegel besteht aus Ziegelsand und muss nicht gebrannt werden, wodurch sich der CO2-Abdruck erheblich vermindert. Bisher war es nicht möglich, Ziegelbruch in kleinen Körnungsgraden wiederzuverwenden. Mit dem Kaltziegel ist es gelungen, die Rate nicht wiederverwendbarer Materialien zu minimieren und das Recycling somit zu verbessern. Das Material für den Kaltziegel kommt aus einer eigens entwickelten Recyclinganlage in Niederbayern. In praktischen Versuchsreihen überzeugte der Kaltziegel mit einer sehr hohen Druckfestigkeit von bis zu 40 N/mm² sowie sehr guten Schalldämmeigenschaften (59 dB). Damit eignet er sich hervorragend für tragende Innenwände.

Effizienz und Schnelligkeit

Lean Construction Management und modulares Bauen sind weitere Trends, die auf Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung abzielen. Durch die schrittweise Planung und den Einsatz vorgefertigter Bauteile können Bauzeiten verkürzt und Ressourcen gespart werden. Zur Lösung der Wohnraumproblematik hat Leipfinger-Bader in die Entwicklung von Ziegelmodulen investiert (Bild 5). Das modulare Wohnraumkonzept bietet eine effiziente und nachhaltige Lösung, die speziell für den sozialen Wohnungsbau, Mitarbeiterwohnungen, Studentenwohnheime und Flüchtlingsunterkünfte entwickelt wurde. Das Herzstück dieses Konzepts ist der wärmedämmende Coriso-Mauerziegel, der eine bis zu fünfgeschossige Modulbauweise ermöglicht, ergänzt durch Planziegel für die Innenwände mit zusätzlichen Dämmeigenschaften, Estrichziegel mit integrierter Elektroheizung und Rollladenkästen mit Lüftung und Wärmerückgewinnung. Die Vorfertigung der Ziegelmodule unter witterungsgeschützten Bedingungen ermöglicht eine hohe Qualität und eine schnelle Montage. Die Module erreichen exzellente Wärmedämmwerte und erfüllen KFN 40 QNG. Ein Blick ins Innere der Module offenbart durchdachte Wohnlösungen, die modernen Wohnkomfort effizient umsetzen. Die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Module bietet eine ideale Antwort auf die vielfältigen Wohnbedürfnisse in Deutschland.

Bild 5 Ziegelmodule ermöglichen Effizienz, Nachhaltigkeit und Qualität im Wohnungsbau

Quelle: Leipfinger-Bader
Bild 5 Ziegelmodule ermöglichen Effizienz, Nachhaltigkeit und Qualität im Wohnungsbau
Quelle: Leipfinger-Bader

Ein Ruf nach Anerkennung

Deutschland steht in Sachen Bautechnologie und -qualität an der Spitze der Welt – ein Fakt, der zu Hause mehr Anerkennung finden muss. Es ist an der Zeit, die Errungenschaften der deutschen Baubranche zu würdigen. Durch die Förderung der Wertschätzung unserer Baukunst und unseres Ideenreichtums können wir nicht nur die innere Wertschätzung steigern, sondern auch die globale Führungsrolle Deutschlands in diesem Bereich weiter festigen. Dies erfordert eine konzertierte Anstrengung vonseiten der Industrie, der Medien und der Bildungseinrichtungen, um die öffentliche Wahrnehmung zu verändern und ein stärkeres Bewusstsein und Verständnis für die Bedeutung der Bautechnologie zu schaffen.

Darüber hinaus müssen wir wachsam bleiben. Krisen kommen und gehen, aber unser Innovationsgeist und unsere Qualität dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Es ist Zeit, unsere unsichtbare Baukunst in den Vordergrund zu rücken, unsere Errungenschaften zu feiern und die Welt daran zu erinnern, warum wir in dieser Disziplin unangefochten führen.


Autor:in

Thomas Bader, thomas.bader@leipfinger-bader.de
Leipfinger-Bader, Vatersdorf
www.leipfinger-bader.de

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