Ökobilanzierung in der Tragwerksplanung

Bemessungstafeln

1 Warum müssen wir nachhaltig bauen?

Attitude Building Collective

Es ist in aller Munde, manche können es schon nicht mehr hören und doch ist es die größte Motivation und Ausdruck der Notwendigkeit einer Transformation: Der Bausektor ist weltweit für 37–55 % der Treibhausgasemissionen, mehr als 30 % des Energieverbrauchs, ca. 40 % des Ressourcenverbrauchs und 50 % des Abfallaufkommens verantwortlich. Eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, der wir als Expert:innen und Bauschaffende aktuell nicht gerecht werden. Diese Verantwortung hat eine Gruppe junger Bauschaffender zum Anlass genommen, ein Kollektiv zu gründen, um die Transformation des Bauens selbstwirksam und gemeinsam zu gestalten.

Das Attitude Building Collective verfolgt das Ziel, alle Bauschaffenden für die Transformation im Bauwesen zu mobilisieren. Gemeinsam entwickeln wir das Bauen weiter und setzen Impulse, um eine sinnhafte und ganzheitlich nachhaltige Bauwirtschaft zu schaffen. Dabei suchen wir den Dialog mit allen Beteiligten und Interessierten. Unsere Arbeit überschreitet die Türschwellen und partiellen Interessen verschiedener Institutionen, Büros oder Personen und fördert die kollektive und unabhängige Zusammen­arbeit. Wir stellen uns den Herausforderungen unserer Zeit und füllen leere und negative Zukunftsbilder mit Werten, Kreativität und Gemeinschaft.

Wir sind davon überzeugt, dass ein sinnorientiertes Bauen der Zukunft zuerst einen Wandel in der Arbeitskultur erfordert. Um dies zu erreichen, sind wir die Stimme einer neuen progressiven Baukultur. Wir wollen den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und Emissionen genauso in den Mittelpunkt stellen wie die Menschen als Erbauer:innen und Nutzer:innen der Gebäude selbst. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für uns die Wechselwirkung des Bauens mit der Gesellschaft in Bezug auf soziale und kulturelle Einflüsse und mit der Umwelt in Form von Flora, Fauna und Ökosystemen. Eines der Hauptziele unseres Kollektivs ist es, ein stabiles gemeinsames Wertefundament für uns und alle ­Bauschaffenden zu entwickeln. Um dies zu erreichen, haben wir eine flexible und interdisziplinäre Organisationsstruktur geschaffen, die enthusiastischen Bauschaffenden die Möglichkeit zur Mitgestaltung bietet. Gemeinsam bauen wir ein Netzwerk auf, das Wissen schafft, sammelt, weiterentwickelt und für alle leicht zugänglich macht. Wir laden alle herzlich ein, Teil der Community und des Kollektivs zu werden. 

Um einen aktiven Beitrag zu einer positiven, werteorientierten Entwicklung der Baubranche zu leisten und unsere Werte in die Praxis zu tragen, haben wir in unserem ersten Projekt eine Entwurfstafel zur Ökobilanzierung in der Tragwerksplanung erstellt. Die Entwurfstafel ist ein Informationsdokument und eine praxisorientierte Arbeitshilfe zur Methode des Life Cycle Assessment (LCA) und zu den Grundlagen des ressourcenschonenden Bauens. Sie vermittelt dringend benötigtes Grundwissen zur CO2-Optimierung von Gebäuden und schafft bei Bauplanenden ein Verständnis für die grauen Emissionen von Tragwerken. Die Tafeln dienen Bauingenieur:innen als kompaktes Nachschlagewerk in der alltäglichen Projektarbeit und schaffen einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema in einem bereits etablierten Format. Die ­Re­daktion erfolgt als Open-Source-Prozess unabhängig und büroübergreifend. In einem digitalen Hintergrunddokument sind die Quellen und zukünftig auch weiterführende Informationen als Ausgangspunkt für weitere Studien frei zugänglich. Das Projekt ermöglicht es uns, das Thema LCA weiterzuverbreiten. 

In dieser Kolumne und einer Serie von insgesamt sechs Beiträgen stellen wir die Inhalte, Hintergründe und Entwicklung der Entwurfstafeln vor. Die erste Seite der Entwurfstafel veranschaulicht die Verantwortung des Bausektors und zeigt auf, welchen Hebel die Tragwerksplanung in der Hand hat: Wenn Tragwerksplanende die CO2-Emissionen ihrer geplanten Tragkonstruktionen um nur 20 % reduzieren, können dadurch jährlich bis zu 100.000 kg CO2-Äq. pro Planer:in im Median eingespart werden. Das entspricht etwa 200 Hin- und Rückflügen zwischen London und New York. Rechne einmal selbst aus, welchen Hebel du und dein berufliches Umfeld damit in der Hand haben. 

Die Verantwortung von Bauingenieur:innen für ihre geplanten Bauwerke ist nicht erst durch die aktuelle Diskussion um die Klimakrise zum Thema geworden. Bereits 1998 formulierte der Dresdner Moralkodex die Bedeutung unseres Schaffens für die Gesellschaft. Dem ABC ist das nicht genug und es schlägt eine Aktualisierung des Kodex vor: Weltweit erbringen Ingenieur:innen Werke in Verantwortung vor der Menschheit, der Umwelt und sich selbst. Ihr Schaffen und Wissen ist eine kollektive Errungenschaft, dient dem Wohl der Gesellschaft und sollte transparent ohne Eigentumsansprüche weiterentwickelt werden.

Dieser großen Aufgabe möchten wir uns stellen und beginnen mit unseren Entwurfstafeln. Klar ist: Wandel braucht Haltung und die Bereitschaft, wieder mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Zeige Haltung und tritt in einen Dialog mit deinem beruflichen Umfeld.

Die Entwurfstafel beschränkt sich mit der Ökobilanz auf ein Werkzeug für die Emissionseffizienz von Bauwerken. Für eine ganzheitliche Transformation hin zu einem klimagerechten Bausektor müssen jedoch neben der Effizienz auch die Strategien der Suffizienz und der Konsistenz z. B. durch kreislauffähige Bauwerke angewendet werden. Für diese weiteren Aspekte des klimagerechten Bauens sollen in der Zukunft weitere Entwurfstafeln durch die Zusammenarbeit innerhalb des ABC entstehen. Hierfür sind wir ständig auf der Suche nach motivierten Bauschaffenden, die einen Beitrag zur Transformation leisten wollen.

Die gesamte Entwurfstafel kann ab sofort über den QR-Code und unsere Website kostenlos und frei heruntergeladen werden. 

abcontact@posteo.net
www.attitudebuildingcollective.org

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