Materialgeschichten

11 Holzdorf

Seit Monaten versuchten wir Alfred, den berühmt-berüchtigten Berger vom Bergehof, zu treffen – und so konnte die Vorfreude wachsen. Auch ohne seine Anwesenheit ließ er uns vertrauensvoll in der jahrelang aufgebauten Sammlung stöbern. Nun ist der Tag gekommen. Die Spannung ist riesig und wir werden nicht enttäuscht. „Na schööön.“ Alfred fragt uns sofort, ob wir mal große Häuser bauen wollen, den lieben langen Tag in irgendeinem müden Büro sitzend. Da gucken wir mal!

Es gibt drei Optionen für uns: Kauf, Leihbasis oder Spende. Uns fehlen die Mittel, aber Alfred möchte trotzdem helfen. Wir können das Material ja wieder zurückbringen, kein Problem für ihn. Er ist sehr geduldig und erzählt liebevoll über die Herkunft und Bergungsgeschichte der verschiedenen, größtenteils historischen Baustoffe (Bild 1). Alfreds Telefon klingelt öfter, ihm werden viele Fragen gestellt, er scheint jede Antwort zu kennen, redet ruhig und bedacht. Seine hellblauen Augen sind sanft. Wir merken sofort, vor uns steht jemand, bodenständig, der mit Sinn und Verstand etwas Wichtiges tut, was die meisten gar nicht verstehen. „Die ganze DDR war nachhaltig“, sagt Alfred, „wir haben’s nicht so genannt, sondern einfach gemacht.“ Jeden Nagel habe er dreimal gerade geklopft und wiederverwendet. Er ist sich sicher, so lange wir in einer Überflussgesellschaft leben, ist das mit der Nachhaltigkeit schwer. Recht hat er. Alfred erzählt geduldig, er habe hier, an diesem Ort, im Jahr 2000 den Bergehof aufgebaut, mit geförderten Stellen ließ sich davon gut leben. Lächelnd denkt er zurück. Ich zeige auf große quadratische Fenster, viel größer als wir alle zusammen. Daraus hat er sich ein Gewächshaus gebaut. Allerdings gab es da einen Kompromiss, der Sockel ist aus Beton — man muss sich auch mal auf was einlassen, sagt er bescheiden. Wir betrachten gemeinsam Holzstämme, ungefähr zweimal so lang wie der Bus, mit dem wir gekommen sind. Er nennt uns den Preis, 15 Euro der Kubikmeter, das klingt fair. Wir nehmen verschiedene Natursteine (Bild 2) mit, z. B. Marmorplatten aus dem Blankenhainer Schloss, 17 km von Weimar entfernt. Ein Teil davon ist noch bis heute verbaut.

Es riecht nach feuchtem Holz. Viele Männer in Gummistiefeln buddeln, schrauben, brechen um uns herum, es brennt ein großes Feuer. Denn mit dem Lager in Holzdorf soll nun Schluss sein. Die Sorgfalt und Liebe zum Material, die Weitergabe von jahrelanger Erfahrung wird einer Wiese voller Schafe weichen. Wir dürfen als letzte Interessentinnen das Lager besuchen und sind unweigerlich Teil der Inventur und Auflösung des einzigen offiziellen Bergehofs Weimars (Bild 3).

Wir danken Alfred für seine spannenden Geschichten und viele wertvolle Materialspenden.

12 Eiermann-Bau Apolda

Die ehemalige Strickwarenfirma Borgmann & Co. wurde 1907 errichtet und durch Egon Eiermann als Feuerlöschgerätewerk erweitert. Seit das Gebäude 2001 unter Denkmalschutz gestellt wurde, haben Vereine, wie Freunde des Eiermann-Baus Apolda, sowie wechselnde Eigentümer-Gesellschaften Sanierungen ­durchgeführt und somit die Industriebau-Ikone vor dem Verfall bewahrt.

Seit Mitte der Neunzigerjahre weitestgehend ungenutzt, bietet der Eiermann-Bau (Bild 4) mit rd. 6000 m2 Geschossfläche nun seit 2014 einen Modellstandort der IBA Thüringen. Dank des Initiativprojekts der Openfactory, in der Produktion und Kultur eine kreative Nutzergemeinschaft bilden, wird die Immobilie Stück für Stück reaktiviert. Durch den Selbstbau kleiner Gewächshäuser konnte das Team der IBA 2018 die Räumlichkeiten des Eiermann-Baus ganzjährig beziehen. Ab sofort finden energetische Optimierungen sowie weitere Ausbauten statt, um die großen Hallen durch kleine gemeinschaftliche Nutzungseinheiten vermieten zu können.

Eigentlich hatten wir unsere Materialsuche schon längst abgeschlossen geglaubt, doch stand die Befestigung unserer Kon­struktion bislang noch aus. Da sind uns zum richtigen Zeitpunkt die Dachterrassenplatten des Eiermann-Baus in Apolda eingefallen. Mit der Zeit ist ihre Traglast von ca. 2600 kg/m3 zu groß geworden, und so mussten sie während der Sanierung rückgebaut werden. Auf der Freifläche haben sie nun ein vorübergehendes Plätzchen gefunden, bis sie für die bevorstehenden Baumaßnahmen weitergenutzt werden. Netterweise dürfen wir neun ehemalige Terrassenplatten (Bild 5) temporär entführen und für unsere Gründung nutzen.

Wir danken der Openfactory des Eiermann-Baus für die Leihgabe.

Autor:innen

Marie Heyer
Nora Iannone
info@materialgeschichten.org
Bauhaus Universität Weimar
Fakultät Architektur und Urbanistik

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