Rundum runder Holzbau

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Mit dem gerade fertiggestellten Globe Theater hat Coburg ein neues Highlight der besonderen Art. Das Gebäudeensemble aus vier Baukörpern in Holzbauweise dient während der Sanierung des Landestheaters als Interimsspielstätte, es soll aber auch danach weiterhin für Veranstaltungen genutzt werden.

Coburg hat seit diesem Herbst einen neuen Theaterbau als Übergangslösung für die Zeit der Generalsanierung des altehrwürdigen Landestheaters im historischen Stadtzentrum. Das Gebäude­ensemble aus einem Haupt- und drei Nebengebäuden befindet sich zentrumsnah auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs. Dabei ragt der eigentliche Theaterbau, das Globe Theater, als Rundbau markant in die Höhe. Die drei Nebengebäude schließen an das Hauptgebäude hintereinander an und sind durch einen verglasten Verbindungsgang miteinander verbunden.

Der Rundbau war für alle Planer und Bauausführenden eine He­rausforderung – gerade auch in Sachen Geschossdecken in Holz-Beton-Verbund(HBV)-Trockenbauweise, die ZÜBLIN Timber aus Aichach in jeder Hinsicht meisterte.

Studierende gewinnen mit kühnem Entwurf aus alter Zeit

Die Idee für den runden Theaterbau hatten zwei Coburger Architekturstudierende. Ihr Entwurf ist an das elisabethanische Globe Theatre in London angelehnt und ging als Sieger aus einem Studierendenwettbewerb hervor. Der viergeschossige Rundbau mit einem Durchmesser von 36 m und einer Höhe von 18 m beherbergt in seiner Mitte den dreigeschossigen Theatersaal, der von den ­Foyers sowie im zweiten Obergeschoss von Nebenräumen umgeben wird. Im dritten Obergeschoss befindet sich über diesem Saal eine innenliegende Dachterrasse mit einem Durchmesser von 14 m. Vorbereitungsräume umschließen sie in einem Teil des ­äußeren Rings.

Im Erdgeschoss des Theatersaals sind die Drehbühne und der Zuschauersaal sowie der in der Höhe verstellbare Orchestergraben angeordnet. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich die Zuschauerränge.

Betritt man den Eingangsbereich, öffnet sich der Raum nach oben über alle Geschosse und wird beidseitig von repräsentativen offenen Treppenhäusern aus Holz flankiert. Das Kulissenlager verbindet den Rundbau wie ein Scharnier mit den Nebengebäuden. Um einen Brandüberschlag zu verhindern, wurde es in Stahlbeton ausgeführt. In den drei aneinandergereihten zweigeschossigen Gebäuden kommen Theaternebenräume unter, aber auch externe Büros und solche zur Nutzung als Coworking-Space.

Weiternutzung braucht flexible Konstruktionen

Da das Gebäudeensemble nach der Zeit als Ausweichspielstätte auch weiter für Veranstaltungen genutzt werden soll, aber noch offen ist, für welche genau, galt es von vornherein, das Tragwerkskonzept maximal flexibel zu gestalten. Dabei ist der Theaterbau als hybride Konstruktion aus Holz und Stahlbeton konzipiert. Sein Tragwerkskonzept basiert auf Brettsperrholz(BSP)-Wänden in Kombination mit HBV-Decken. Im Bereich der Galerien des Theatersaals kragen diese Decken dann einseitig aus – eine besondere Herausforderung für die Ingenieure. Der Schnür- und Rollenboden über der Hinterbühne wird zudem von Stahlfachwerken getragen.

Im Gegensatz zum Hauptgebäude sind die drei anschließenden Zweigeschosser als Skelettbauten aus Brettschichtholz(BSH)-Stützen und -Trägern in Kombination mit BSP-Decken ausgeführt. Ihr stringentes Konstruktionsraster mit einem Rastermaß von 2,50 m ermöglicht es, die Grundrisse bedarfs- und nutzungsbezogen einzuteilen bzw. sie immer wieder anzupassen und zu ändern.

Rundbau aus Holz steht auf Untergeschoss aus Stahlbeton

Der viergeschossige Theaterbau ist vom Erd- bis zum Dachgeschoss überwiegend ein Holzbau. Das Untergeschoss dagegen ist in Stahlbeton ausgeführt, und zwar als wasserundurchlässige Konstruktion (WU-Bauwerk). Die beiden Flucht-Treppenhäuser neben der Bühne sowie das Kulissenlager zwischen Haupt- und Nebengebäuden bestehen ebenfalls aus Stahlbeton.

Für die Außen- und Innenwände sowie das Dach war BSP das Material der Wahl, bei den Geschossdecken setzten die Tragwerksplaner auf eine HBV-Konstruktion aus BSP-Elementen und Betonfertigteilen. Den oberen Abschluss des Theatersaals bildet ein unterspanntes System aus sternförmig angeordneten Stahlträgern und Zwickelausfachungen aus BSP, um die darüber befindliche innenliegende Dachterrasse im dritten Obergeschoss als begehbare Freifläche zu ermöglichen. Oberhalb der Bühne befinden sich drei Stahlfachwerkträger, die das darüberliegende Geschoss und den Schnürboden tragen.

Die Vertikallasten des Gebäudes leiten überwiegend die vier äußeren Geschossringe der Gebäudehülle aus 22 cm dicken BSP-Wänden ab sowie die parallel dazu verlaufenden, polygonal angeordneten, ebenfalls 22 cm dicken Wände der inneren Teilringe der Geschosse. Während die in den Theatersaal hinein auskragenden Geschossdecken im ersten und zweiten Obergeschoss als ­Zuschauerränge fungieren, dient die mit über 3 m größte Aus­kragung im dritten Obergeschoss als Nutzfläche für die Vorbereitungsräume.

Elegante Lösungen für den Lastabtrag aus dem dritten Obergeschoss

Die als unterspannte Konstruktion ausgeführte achteckige Terrassendecke über dem Theatersaal hat einen Durchmesser von 14 m. Die acht sternförmig angeordneten HEB-Stahlträger sind mit BSP-Elementen ausgefacht. In mehrere Segmente unterteilt, schließen sie die Zwickel zwischen den Stahlträgern. Die Stahlträger selbst sind unterspannt von stählernen Druckpfosten auf einem achteckigen Stahlzugring, der über Zugdiagonalen wiederum an den HEB-Trägern angeschlossen ist. Auf diese Weise konnten die Zugkräfte in den als Druckglieder fungierenden HEB-Stahlträgern kurzgeschlossen werden. Das unterspannte System ist zudem überhöht ausgeführt.

Um auf ein Traggerüst verzichten zu können, erfolgte die Vormontage der Deckenkonstruktion auf dem Baufeld. Dabei hat man zur Gewichtsreduktion beim Einheben nur so viele BSP-Elemente eingebaut, dass die Stahlträger gegen Biegedrillknicken gehalten waren. Die restlichen BSP-Elemente wurden nachträglich eingehoben.

Als Anschlusseisen für die HEB-Träger der unterspannten Kon­struktion dienten die Enden von Stahlträgern, die aus der umgebenden Geschossdecke in den Luftraum führen. So ließ sich die einzubauende Konstruktion über auflagernahe Montagestöße einfach anschließen.

Getragen wird das unterspannte System von dem großen Fachwerkträger, der die Lücke zwischen den Treppenhäusern überspannt, und im übrigen Bereich von vertikalen Stahlzugbändern, die an einem Druckring vor der Innenwand auf Wandkronenhöhe rundum in Achse der HEB-Träger angeschlossen sind. Diese an dem Druckring hochgehängten Lasten der Terrassendecke bzw. die Lasten, die sich aus der polygonalen, dreistöckigen Holzkon­struktion ergeben, die im dritten Obergeschoss nach innen auskragt und somit aus der eingehängten, unterspannten Decke zusätz­liche Lasten erhält, werden über zweiteilige BSH-Druckstreben in einen Zugring in der Decke über dem zweiten Obergeschoss eingeleitet. Den polygonalen Zugring bilden Stahlbleche, die in die dafür eingefräste BSP-Deckenplatte eingelegt bzw. unter der Betonplatte der HBV-Decke eingebaut und über spezielle Stahlteile verbunden wurden. Da der polygonale Zug- bzw. Druckring im Bereich der Bühne jeweils unterbrochen ist und sich die Horizontalkräfte im Ring daher nicht aufheben, werden diese Kräfte in die Stahlbeton-Treppenhäuser seitlich des Bühnenbereichs eingeleitet. Letztere sorgen außerdem zusammen mit den BSP-Wänden bzw. den radial angeordneten Schottwänden in BSP sowie den HBV-Decken für die Aussteifung des Rundbaus.

Holz-Beton-Verbunddecken im Trockenbauverfahren

Eine Besonderheit stellt zudem die HBV-Decke im Trockenverbund dar: Als Verbundkomponenten kamen 10 cm dicke Betonfertigteilplatten auf 30 cm dicken BSP-Platten zum Einsatz. Sie wurden durchgängig eingebaut, selbst in den auskragenden Deckenbereichen. Im letztgenannten Fall trifft die vereinfachte Annahme nicht mehr zu, dass im Holz die Zugkräfte und im Beton die Druckkräfte aufgenommen werden. Denn im Bereich der letzten Abstützung bis zum Kragarmende kehren sich die Kräfte um: Das heißt, die Zugkräfte treten im Beton auf, der entsprechend bewehrt werden musste.

Die Herstellung des trockenen Verbunds ermöglichte Fertigteilverbinder (FT-Verbinder) in Kombination mit selbstbohrenden Schrauben. Dabei dient der FT-Verbinder als Platzhalter, d. h., er hält beim Betonieren der Fertigteilplatte den Weg für die später einzudrehende Schraube frei, und der 30° geneigte Schraubkanal dient als Führungshülse für die Verbindungsmittel. Der Hauptgrund für die Wahl des Trockenbauverfahrens lag darin, den Holzbau möglichst keiner Feuchtigkeit auszusetzen. Auch waren die Decken nach Herstellung des Verbunds sofort belastbar und der Bauprozess konnte stetig fortgesetzt werden. Die Decken zeichnet neben hoher Tragfähigkeit auch gutes Schwingungsverhalten aus.

Mit der Idee, die Holzdecke und die Betonplatten trocken zu verbinden, ließen sich zudem die Gewerke Holzbau und Betonbau trennen. Die besonderen Grundrisse beim Globe Theater erforderten jedoch eine aufwendige Planung der tortenstückförmigen Fertigteile. Die dafür erforderliche Detailstatik, 3D-Werkstattplanung sowie den Abbund der gleichermaßen tortenstückförmigen BSP-Platten steuerte ZÜBLIN Timber bei, ebenso die Logistikplanung in Form eines Lean-orientierten Bauablaufs. Letzteres ermöglichte, die unterschiedlichen Bauteilanlieferungen so zu takten, dass alle Bauelemente für die Montage zur richtigen Zeit und in der richtigen Reihenfolge am richtigen Ort waren.

Lamellenfassade für ansprechendes Erscheinungsbild

Der Theater-Rundbau erhielt als Fassadenbekleidung eine geschlossene Schalung aus vertikalen Brettern. Als zweite Fassade umschließt das Gebäude eine Hülle aus BSH-Lamellen mit variierenden Abständen. Wo sich Foyerbereiche und damit große Fensterflächen befinden, sind die Abstände größer, im Bereich geschlossener Wände sind sie kleiner. Blechabdeckungen auf den Lamellenköpfen und luftumspülte Anschlüsse sorgen dafür, dass Wasser nirgendwo eindringt oder wieder gut austrocknen kann. Ansonsten setzten die Planer auf einen Vorvergrauungsanstrich sowie auf Austauschbarkeit bei schadhaften Hölzern.

 Bild 8 Anschluss der Druckstreben an den Stahldruckring oben und den Zugring unten; zwischen den Brettschichtholz-Druckstreben ist jeweils eine Brettsperrholzwand als Schott eingefügt  Quelle: Ingenieurgruppe Knörnschild & Kollegen GmbH
Bild 8 Anschluss der Druckstreben an den Stahldruckring oben und den Zugring unten; zwischen den Brettschichtholz-Druckstreben ist jeweils eine Brettsperrholzwand als Schott eingefügt
Quelle: Ingenieurgruppe Knörnschild & Kollegen GmbH

Gebündelte Kompetenz führte zum gewünschten Ergebnis

Die Herausforderung bestand darin, für die Leistungsbereiche Holzbau, Stahlbau und Stahlbetonfertigteile für die HBV-Decken jeweils eine 3D-Werkstattplanung zu erstellen – und zwar parallel, trotz höchster Komplexität. Gleichzeitig ist der Abbund so spezieller BSP-Deckenelemente samt Anschlussdetails aufgrund der Rundbaustruktur extrem aufwendig, was ZÜBLIN Timber aber dank viel Erfahrung mit Sonderbauten in Holzbauweise routiniert bewerkstelligte. Mit einer baubegleitenden 3D-Vermessung per Tachymeter wurde der maßgenaue Baufortschritt kontinuierlich überprüft.

Die optimale Zusammenarbeit aller am Bau Beteiligten machte das hochkomplexe Projekt zu einer guten Erfahrung. Seit Eröffnung der neuen Spielzeit 2023/2024 im Oktober füllen die Besucher den Neubau mit Leben und bewegen sich darin, als wäre er schon immer da.

Dipl.-Ing. (FH) Susanne Jacob-Freitag, Karlsruhe


Projektdaten

Bauherr Stadt Coburg
Initiator Globe Coburg GmbH, Coburg
BGF gesamt 7970 m2, davon Theaterbau: 5100 m2

Baukosten ca. 24 Mio. Euro
Fertigstellung September 2023

Architekten Lph. 1–4: Glodschei Architekten & Stadtplaner, Weitramsdorf (Generalplanung)
Projektsteuerung: Eichhorn + Partner Architekten mbH in Zusammenarbeit mit kappes ipg GmbH, Stuttgart

Lph. 5–9: Eichhorn + Partner Architekten mbH, Coburg, in Kooperation mit Kaden+Lager GmbH (heute: Kaden+ / LagerSchwertfeger), Berlin)

Tragwerksplanung
inkl. Anschluss- und Fassadenstatik/ Brandschutz/
SiGeKo Ingenieurgruppe Knörnschild & Kollegen GmbH, Coburg

Prüfingenieur
Standsicherheit Ingenieurbüro BE Ingenieure GmbH, Karlsruhe

Raumakustik und Bauphysik Müller-BBM Building Solutions GmbH, Planegg/München

TGA Helfrich Ingenieure Projektierungsgesellschaft mbH, Bad Kissingen

Bühnenplanung Walter Kottke Ingenieure GmbH, Bayreuth

Bauausführung und Werkstattplanung Holzbau ZÜBLIN Timber GmbH, Aichach

Bauausführung
Massivbau Angermüller Bau GmbH, Untersiemau

www.zueblin-timber.com

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