Ökobilanzierung als Entwurfskriterium

Planung klima- und ressourcengerechterer Gebäude

Für die globale Klimakrise und Ressourcenendlichkeit ist das Bauen und Betreiben von Gebäuden zentral. Etwa 40 % der Treibhausgasemissionen, 55 % des Abfalls und 90 % des Verbrauchs mineralischer Rohstoffe sind dem Bauen direkt oder indirekt zuzuordnen. Die Auseinandersetzung mit den Umweltfolgen einer Planung hinsichtlich der Treibhausgasreduktion und des Primärrohstoffverbrauchs ist daher von zentraler Bedeutung. Die Betrachtung wird in der Lebenszyklusanalyse (LCA) und den Lebenszykluskosten (LCC) verfolgt und schafft transparente Grundlagen, um z.B. CO2-Grenzwerte im Bauen fordern und einhalten zu können.

1 Gute Baukultur schont die Umwelt

Die Lebenszyklusanalyse ermöglicht mittels angewandter Ökobilanzierung die durch ein Gebäude verursachten Treibhausgasemissionen für einen definierten Betrachtungszeitraum, den sog. Lebenszyklus, zu bilanzieren. Ökobilanzierung wird in Deutschland wie Kostenplanung zeitnah planungsbegleitend in Projekten Standard werden. In den skandinavischen Nachbarländern sowie Frankreich sind eine Lebenszyklusanalyse und zu erreichende Grenzwerte bereits bauordnungsrechtlich relevant. Durch die Einführung des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG) des Bundes und die Anforderungen des Förderprogramms Klimafreundlicher Neubau (KFN) werden Gebäude-Ökobilanzierungen ebenfalls mehr und mehr Teil des Planungsalltags. Bereits in der Vergangenheit waren Ergebnisse der Ökobilanzierung eine Vo­raussetzung für eine freiwillige Bewertung und Zertifizierung des Beitrags von Gebäuden zu einer nachhaltigen Entwicklung.

Im Entwurf eines Gebäudes sind eine Vielzahl von Parametern zu beachten: Neben gestalterischer Qualität, Raumprogramm, Genehmigungsfähigkeit oder Investitionskosten rückt die Umweltqualität ins Zentrum. Ausgelöst durch die Klima- und Ressourcenkrise ist es notwendig, Ressourcen- und Energieverbrauch sowie Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Es gilt (z. B. in der Ertüchtigung von Bestand): So wenig wie möglich verbrauchen bzw. verursachen und so viel wie nötig bauen.

Generell gilt, dass die gebaute Umwelt bereits eine gigantische ökologische Hypothek darstellt, da für sie zu einem früheren Zeitpunkt Ressourcen verwendet wurden. Dieser Bestand benötigt deutlich weniger Ressourceneinsatz, um energetisch zeitgemäß Platz zum Wohnen oder Arbeiten bereitzustellen. Tragwerk und Fundamente sind bereits erstellt. Oft genügt es, die Hülle thermisch instand zu setzen, die haustechnischen Anlagen oder den Innenausbau zu erneuern. Für altersgerechte Wohnungen (Bild 1), barrierefreie öffentliche Gebäude oder bspw. zeitgenössische Schulbaukonzepte mit offenen Raumtypologien wird weiterhin zusätzlich Neubau notwendig bleiben. Um diese möglichst umweltschonend – d.h. klima- und kreislaufgerecht – zu planen, befindet sich die Baubranche mitten in der großen Transformation des Bauens. Diese wird parallel zur Energie- und Mobilitätswende als Bauwende bezeichnet und fordert eine hohe Umweltqualität.

1.1 Umweltqualität von Gebäuden durch Ökobilanzierung

Die Umweltqualität von Gebäuden stellt die ökologische Dimension im nachhaltigen Planen und Bauen dar. Sie beinhaltet die Ermittlung, Bewertung und Beeinflussung von Treibhausgasemissionen sowie der grauen Energie. Doch wie können diese gemessen und gemindert werden? Eine planungsbegleitend angewandte Ökobilanzierung hilft, Materialien, Konstruktionsweisen und einen Gebäudeentwurf in Varianten der Umweltauswirkungen zu prüfen und zu optimieren. Die Betrachtung pro Quadratmeter und pro Kopf sei an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen. Insbesondere im Wohnungsbau sollte der Flächenverbrauch pro Kopf möglichst reduziert werden. Dies beginnt häufig mit dem Hinterfragen der Bestellung. Flexible, umnutzbare und möglichst ­intensiv genutzte Quadratmeter sind ökologisch die sinnvollste ­Investition. Flächensuffizienz sollte als Qualitätsmerkmal in Entscheidungen einbezogen werden.

Im nächsten Schritt können projektspezifisch oder anhand von globalen oder lokalen Kennwerten Ziele als Best-Case-/Worst-Case-Szenarien vereinbart werden. Global gibt es mit dem Pariser Klimaschutzabkommen ein verbleibendes CO2-Budget, welches nach aktuellen Schätzungen bereits vor dem Jahr 2030 verbraucht sein wird. Pro Person sollten wir nicht mehr als 1 t CO2-Äquivalent pro Jahr verursachen – wovon wir in Deutschland aktuell um den Faktor 10 entfernt sind. Aufschlussreich ist die Ermittlung des persönlichen Umweltfußabdrucks mittels eines CO2-Rechners z. B. vom Umweltbundesamt.

1.2 Von der Theorie in die Praxis

Die aus einer Ökobilanzierung gewonnenen Erkenntnisse sind erst dann erfolgreich, wenn sie auch in der Praxis umgesetzt werden. Die Bestellung, der Entwurf, die Planung und schlussendlich die Realisierung verändern sich durch die planungsbegleitende Ökobilanzierung: In mehreren landeseigenen Berliner Wohnungsbaugesellschaften wird z. B. inzwischen auf Untergeschosse verzichtet. In einem Umbauprojekt wurde die Aluminiumfassade aus den 1980er-Jahren nach energetischer Ertüchtigung wieder montiert, da sie einen maßgeblichen CO2-Impact bereits bei der Herstellung verursacht hatte. Ein Einfamilienhaus wurde aus nachwachsenden Rohstoffen mit möglichst wenig Zement gebaut.

Die Planung von Klima- und Ressourcenschutzmaßnahmen beginnt mit der Projektdefinition und kann am wirksamsten in den frühen Leistungsphasen beeinflusst werden. Zu den bauordnungsrechtlichen Anforderungen Brandschutz, Schallschutz, Wärmeschutz und Standsicherheit werden zukünftig Klima- und Ressourcenschutz in die Planung einfließen. Verbindliche Anforderungen an den Klimaschutz sind sowohl wünschenswert als auch notwendig und werden auch im deutschen Bauordnungsrecht erwartet, um klimaneutrales Bauen zu erreichen. Durch Ökobilanzierung können Treibhausgasemissionen für Gebäude bilanziert – und in der Folge vermieden – werden (Bild 2).

1.3 Fort- und Rückschritte

Aktuell verschiebt sich die Betrachtung von der Betriebsenergie und grauen Energie hin zur Fokussierung auf die Treibhausgasemissionen im gesamten Lebenszyklus als dringlichstes Ziel. Zeitnah werden allerdings ebenfalls der Ressourcenschutz mit Zirkularitäts- und Recyclingindikatoren, der Landverbrauch, die Versiegelung oder der Trinkwasserverbrauch als Planungsaufgaben zu berücksichtigen sein und ins Zentrum von Entscheidungen oder Förderungen rücken.

Die Ökobilanzierung weist eine Vielzahl von Indikatoren aus. Für die umgehende Verwendung im Planungsalltag ist zunächst die Fokussierung auf die Treibhausgasemission ratsam, um mögliche Lösungswege abzuleiten. Was im Vorfeld nicht gemessen wird, lässt sich später nicht lenken. If you can’t measure it, you can’t manage it. (Zitat P. Drucker)

Der Schlüssel für Umwelt- und Ressourcenschutz im Bauen liegt in Zukunft mehr denn je in der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Planung von Gebäuden, Infrastruktur und Technik. Breite Expertise im Planungsteam, in der Politik, bei der Auftraggeberschaft und der Bauindustrie haben bereits zu einem Umdenken geführt. Alle am Bauen Beteiligten tragen gemeinsam eine Verantwortung für die getroffenen und nicht getroffenen Projektentscheidungen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf unsere Umwelt.

2 Ökobilanzierung in der Praxis

Alle Projektbeteiligten in der Entwicklung, Architektur, Planung und Realisierung sowie Behörden können von Ökobilanzierung profitieren und diese aktiv einsetzen. Es gibt bereits eine Reihe von Nachschlaghilfen und Bauteilkatalogen wie z.B. vom BKI, in denen Ergebnisse zur Bilanzierung der Treibhausgasemissionen von Gebäuden und Bauteilen veröffentlicht sind. Die Baubranche befindet sich wie auch die Energiewirtschaft insgesamt in einer sich dynamisch verändernden Situation. Die zugrunde liegenden Umweltdaten der Bauprodukte und der wissenschaftliche Fortschritt bei der Bewertung von Umweltwirkungen entwickeln sich mit dem Ziel der Dekarbonisierung weiter.

2.1 Lebenszyklus

Bauen betrifft mit den Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt nicht nur den Moment der Realisierung. Alle Planungsentscheidungen wirken sich auf die kommenden Jahrzehnte aus. Dies bereits planungsbegleitend zu untersuchen, ist der Ansatz der Lebenszyklusanalyse. In der Regel umfasst die Betrachtung neben einer Lebenszykluskostenrechnung die ökobilanzielle Bewertung verursachter Energie- und Stoffströme sowie von Wirkungen auf die Umwelt, darunter das Klima. Einschlägige Normen, u.a. DIN EN 15643, liefern eine Grundlage für das Vorgehen. Mit Einführung der DIN 15804 wurden die Lebenszyklusphasen von Bauprodukten und mit Einführung der DIN EN 15978 die Lebenszyklusphasen von Gebäuden in Module eingeteilt und wie folgt definiert:

Modul A1–A3 Rohstoffgewinnung, Transport, Herstellung
Modul B4Nutzungsphase: Ersatz
Modul C3–C4Abfallbewirtschaftung, Deponierung
Modul D1Wiederverwendungs- und Wiederverwertungspotenzial

Die Werte der Herstellungsphase dürfen zu einem Wert zusammengefasst und als aggregiertes Modul A1–A3 ausgewiesen ­werden. Das Modul B4 wird als ggf. notwendiger Austausch von Bauteilen im Bilanzierungszeitraum auf Basis der Nutzungsdauertabelle des BBSR errechnet. Das Modul B6 wird im Energienachweis errechnet. Das End of Life gliedert sich in den Entsorgungsprozess (Modul C3–C4). Das sog. Recyclingpotenzial (Modul D1) muss stets gesondert angegeben werden.

Die Basis einer Lebenszyklusanalyse ist ein Gebäude- und Lebenszyklusmodell. Definiert wird ein Betrachtungszeitraum von 50 Jahren. Dieser entspricht nicht der kompletten Lebens- oder Nutzungsdauer eines Gebäudes – welche i. d. R. deutlich länger ist –, sondern gibt einen zeitlichen Rahmen vor, um die Vergleichbarkeit ökobilanzierter Gebäude sicherzustellen. Eine Ökobilanzierung kann angewendet werden, um in der Planung die Aus­wirkungen von Entscheidungen auf die globale Umwelt zu untersuchen, Varianten zu vergleichen sowie die Erfüllung von Anforderungen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden rechnerisch nachzuweisen.

Die mit Errichtung und Erhalt von Gebäuden verbundenen Anteile werden auch als graue Emissionen bezeichnet. Während die Auseinandersetzung mit Bau- und Nutzungskosten, der gestalterischen und städtebaulichen Qualität sowie der Funktionalität in der Planung eine lange Tradition hat, war die Ermittlung und Bewertung von Treibhausgasemissionen bis vor wenigen Jahren der Wissenschaft und wenigen Fachleuten vorbehalten. Dies beginnt nun sich zu ändern. Vor dem Hintergrund des bereits eintretenden Klimawandels sowie des bestehenden Minderungspotenzials besteht die Aufgabe, die Erfassung, Bewertung und gezielte Beeinflussung in jede Planung einzubeziehen.

Treibhausgasemissionen, die bei der Herstellung von Bauprodukten entstehen, lassen sich veröffentlichten Rechenwerten, Datenbanken bzw. den Umweltproduktdeklarationen von Herstellern entnehmen. Für die Ermittlung der Treibhausgasemissionen, die aus dem Einsatz von Energie resultieren, werden Emissionsfaktoren für Energieträger benötigt, die Tabellenwerken entnommen werden können. Treibhausgasemissionen werden zu einem Treibhauspotenzial (GWP100 = global warming potential) zusammengefasst und in der Einheit kg CO2-Äquivalent (CO2e) angegeben.

Das Treibhauspotenzial im Lebenszyklus eines Gebäudes setzt sich aus einem betriebsbedingten und einem gebäudebezogenen Anteil zusammen. In der jüngeren Vergangenheit entfielen noch fast zwei Drittel der Treibhausgasemissionen und des Energieverbrauchs auf den Gebäudebetrieb. Durch die steigenden Anforderungen an die energetische Qualität der Gebäude und sich ändernde Emissionsfaktoren aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien liegt diese Verteilung für energieeffiziente Neubauten aktuell etwa bei 50/50. In Zukunft wird der Anteil baustoffbedingter THG-Emissionen maßgeblich zunehmen und dadurch weiter an Bedeutung gewinnen.

2.2 Planungsbegleitende Praxisanwendung

Es kommt darauf an, zügig den planenden Berufen Werkzeuge für die Ermittlung und Bewertung der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus zur Verfügung zu stellen, wodurch wichtige Minderungsmöglichkeiten identifiziert werden und schneller Anwendung finden können. In jedem Projekt ist durch die Beteiligten abzuwägen, welche emissionsarmen Baustoffalternativen verwendet werden können.

Vergleichbar mit der Kostenplanung beginnt die Reduktion von Treibhausgasemissionen beim Start eines Projekts mit der Festlegung von Projektzielen, der Vorgabe eines Budgets sowie der Bestellung. Wird klimabewusst ausgeschrieben, kann z.B. bereits in dieser Phase auf Untergeschosse verzichtet werden, die ansonsten wesentlich zu gebäudebezogenen, aber auch betriebsbedingten Treibhausgasemissionen beitragen.

Der planungsbegleitende Prozess der Ökobilanzierung von Gebäuden kann in der Vorgehensweise sehr gut mit der Kosten­planung verglichen werden. Am Anfang eines Projekts kann am meisten beeinflusst werden. Ziel ist die Minderung der Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus bei gleichzeitiger Erfüllung gestalterischer, technischer, funktionaler und sonstiger Anforderungen. Synchron mit der Kostenverfolgung können die Projektbeteiligten in einzelnen Planungsschritten Kennwerte ermitteln, Varianten vergleichen, Abhängigkeiten erkennen und dies in Entscheidungen zum weiteren Vorgehen berücksichtigen.

Der Planungsprozess eines Gebäudes beinhaltet eine stufenweise Präzisierung und Detaillierung, welche sich auch in der Granularität und Genauigkeit der Ökobilanzierung wiederfindet. Die Planung beginnt mit dem Bedarf und der daraus resultierenden Bestellung, konkretisiert sich im Entwurf mit der konstruktiven Ausformulierung, der genehmigungsfähigen Planung inkl. der Koordination aller an der Planung fachlich Beteiligten betreffend Brandschutz, Tragwerk, technische Gebäudeanlagen, Bauphysik sowie Freianlagen. Auf dieser Grundlage werden Ausführungsplanung, Ausschreibung und Vergabe bis zur Realisierung und der eigentlichen Fertigstellung erarbeitet. Alle Planungsschritte sind wie in der Kostenplanung in der Ökobilanzierung abbildbar, mit jeweils fortgeschrittener Präzision.

3 Vorgehensweisen einer Ökobilanzierung

Eine angewandte Ökobilanzierung ermittelt die Umweltindikatoren eines Gebäudes i.d.R. über die Bauteile. Die Ökobilanz der Bauteile basiert wiederum auf den Umweltdaten der verwendeten Baustoffe. Kennwerte und Zielvorgaben auf allen drei Ebenen können den Planungsprozess unterstützen und zu einer Minderung von Treibhausgasemissionen beitragen.

3.1 Exemplarische Gebäude-Ökobilanzierung

Im Folgenden wird exemplarisch eine vergleichende Ökobilanzierung für einen Wohnungsneubau erläutert (Bild 3) (Tab. 1, 2). Es handelt sich um einen Neubau mit sieben Vollgeschossen oberirdisch sowie einem Untergeschoss. Das Untergeschoss und die zwei Treppenhauskerne werden in beiden Varianten in Stahlbeton ausgeführt. Die Nettoraumfläche (NRF) beträgt 3937 m2. Es werden 40 Wohneinheiten errichtet. Das Gebäude hat einen energetischen Standard gemäß KfW Effizienzhaus 40 (EH 40).

KostengruppeModul A–C*AnteilModul D1Modul A–C*Anteil Modul D1
KG 360 Dach127 t CO2e7 %–11 t CO2e85 t CO2e8 %–43 t CO2e
KG 350 Decken692 t CO2e38 %–28 t CO2e358 t CO2e31 %– 267 t CO2e
KG 340 Innenwände244 t CO2e13 %–10 t CO2e148 t CO2e13 %–26 t CO2e
KG 330 Außenwände443 t CO2e25 %–18 t CO2e268 t CO2e23 %–23 t CO2e
KG 320 Gründung301 t CO2e17 %–6 t CO2e291 t CO2e25 %–12 t CO2e
Summe1807 t CO2e100 %–73 t CO2e1150 t CO2e100 %–376 t CO2e
Tab. 1 Tabellarische Ökobilanzierung eines Wohnungsbaus in zwei Varianten
*bezogen auf einen Bilanzierungszeitraum von 50 Jahren, ohne Verbindungsmittel/Kleinstbauteile (< 5 %), einbezogene Module: A1–A3, B4, C3–C4

Die Variante in der mineralischen Bauweise beinhaltet folgende Bauteilaufbauten: Außenwände in Kalksandstein-Mauerwerk mit Wärmedämmverbundsystem (WDVS), Mineralwolle und EPS-Dämmung, Kunststofffenster, Stahlbetondecken, Trittschall- und Wärmedämmung, Zementestrich und Linoleumbodenbelag, Treppenelemente in Stahlbetonfertigteilen, Dachaufbau mit Stahlbetondecken, Abdichtungsschichten, EPS-Wärmedämmung, Noppenfolie, Vlies, Vegetationssubstrat. Die Wohnungstrennwände sind als Stahlbetonwände bilanziert, tragende Wände in Kalksandstein-Mauerwerk, nichttragende Wände als Gipskarton-Leichtbauwände mit Aluprofilen.

Die Variante in ökologischer Bauweise beinhaltet folgende Kon­struktionsweisen: Außenwände in Holzrahmenbauweise mit ­Mineralwolle – für eine bessere Vergleichbarkeit ebenfalls mit Kompaktfassade mit Steinwolle, Holzfenster, Decken in Brettsperrholzelementen mit Sichtqualität, gebundene Splittschüttung, Trittschall- und Wärmedämmung in Holzfaserdämmplatten, da­rauf Zementestrich. Treppenelemente sind als Stahlbetonfertig­teile erfasst, der Dachaufbau umfasst ebenfalls Brettsperrholz­elemente, Abdichtungsschichten, Wärmedämmsystem aus Holzfaserdämmmaterial, Noppenfolie, Vlies, Vegetationssubstrat. Die Innenwände sind in Holzrahmenbauweise mit Holzfaserdämmstoff bzw. Zellulose-Einblasdämmung bilanziert, Wohnungstrennwände als Holzrahmenbau mit Steinwolle und Gipsfaserbeplankung.

Die Reduktion der für Herstellung, Erhalt und Entsorgung der Bauteile der KG 300 verursachten Treibhausgasemissionen beträgt in diesem Beispiel 36 %. Absolut werden für den Betrachtungszeitraum von 50 Jahren THG-Emissionen in Höhen von 1807 t CO2e im Vergleich zu 1150 t CO2e verursacht. Bei einem möglichen Verzicht auf das Untergeschoss könnten bis zu 45 % CO2e vermieden werden.

Im Vergleich der beiden Varianten wird sichtbar, welche Reduktionspotenziale in welchem Bauwerkteil möglich sind. So kann in der KG 330 Außenwände und KG 350 Decken fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen vermieden werden. Auch bei den Innenwänden und dem Dach lässt sich jeweils etwa ein Drittel der ­THG-Emissionen reduzieren. Dabei erfüllen die jeweiligen Bau­teile ansonsten identische technische Anforderungen – die Vergleichbarkeit der Varianten ist gesichert.

KostengruppeModul A–C*Modul A–C*Anteil
KG 360 Dach127 t CO2e85 t CO2e–33 %
KG 350 Decken692 t CO2e358 t CO2e–48 %
KG 340 Innenwände244 t CO2e148 t CO2e–39 %
KG 330 Außenwände443 t CO2e268 t CO2e–46 %
KG 320 Gründung301 t CO2e291 t CO2e–3 %
Summe1807 t CO2e1150 t CO2e–36 %
Tab. 2 Tabellarische Ökobilanzierung eines Wohnungsbaus mit Reduktionspotenzial in %
*bezogen auf einen Bilanzierungszeitraum von 50 Jahren, ohne Verbindungsmittel/Kleinstbauteile (< 5 %), einbezogene Module: A1–A3, B4, C3–C4

3.2 Erkenntnisse für den Entwurf

Als Orientierung kann für einen Wohnungsneubau der Gebäudeklasse 5 mit sieben Vollgeschossen und einem Untergeschoss von folgender Verteilung der Treibhausgasemissionen der Bauwerksteile ausgegangen werden:

KG 320 Untergeschoss/Tiefgarage15–30 %
KG 330 Außenwand20–25 %
KG 340 Innenwand 10–15 %
KG 350 Decken 30–40 %
KG 360 Dach5–10 %
Kleinstbauteile, Befestigungsmaterial etc.< 5 %

Folgendes Potenzial zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen je Bauwerksteil ergibt sich:

Untergeschoss mit erdberührten Bauteilen: Reduktionspotenzial 0 %

Im Untergeschoss und bei erdberührenden Bauteilen gibt es aktuell keine wirtschaftlichen Materialalternativen zu mineralischen, synthetischen Baustoffen.

Außenwände: Reduktionspotenzial bis zu 75 %

An das Bauteil Außenwand werden hohe Anforderungen gestellt mit i.d.R. vielen Materialschichten. Jede der Schichten ist zu hinterfragen und abhängig von Vorschriften, Normen und technischen Baubestimmungen. Die Außenwände haben i.d.R. einen großen Flächenanteil an einem Gebäude. Daher sind die pro Quadratmeter Bauteil verursachten Treibhausgasemissionen sehr relevant.

Innenwände: Reduktionspotenzial etwa 60 %

Die Bauteilgruppe der Innenwände setzt sich zusammen aus Wohnungstrennwänden, tragenden und nichttragenden Innenwänden. Generell gilt: Je mehr Schichten ein Bauteil aufweist, desto material- und kostenintensiver ist es. In der Regel geht dies einher mit höheren verursachten Treibhausgasemissionen.

Decken: Reduktionspotenzial etwa 60 %

Für die Bauteilgruppe der Decken gilt neben einer Vielzahl an Anforderungen auch die flächenmäßig große Relevanz innerhalb eines Gebäudes. Es lohnt sich daher, projektspezifisch sowohl die Anforderungen als auch die konstruktiven Lösungen planungsbegleitend in der Ökobilanzierung zu vergleichen und dadurch fundiert entsprechende Entscheidungen zu treffen.

Dach: Reduktionspotenzial etwa 65 %

Der Dachaufbau ist als Teil der Gebäudehülle ein sehr relevantes Bauteil für den energetischen Standard des Gebäudes. Im urbanen Kontext, d.h. mehrgeschossigen Bauen, ist der flächenmäßige Anteil je zusätzlichem Geschoss jedoch weniger relevant. Meist kann bei der Substitution des Tragwerks durch nachwachsende Rohstoffe auch die letzte Geschossdecke entsprechend angepasst werden. Insbesondere die Wahl der Dämmstoffe und der Abdichtungssysteme ist allerdings entscheidend für eine ressourcenschonende Bauweise, die lösbar und reparaturfähig sein sollte. Insgesamt kann dadurch – bezogen auf das Bauteil – eine Reduktion von 65 % erreicht werden.

Kleinstbauteile, Befestigungsmaterial etc. < 5 %

Konstruktive Fügungen enthalten eine Reihe von Kleinstbauteilen und Befestigungsmaterial. Dieses verursacht in Summe i.d.R. weniger als 5 % des Treibhauspotenzials GWP100 und darf nach den Rechenregeln z.B. des QNG vernachlässigt werden.

Die grauen Emissionen der Kostengruppe 400 betragen nochmals ca. 20 % der Gesamtemissionen für Herstellung, Erhalt und Rückbau des Gebäudes. Die Nutzungs- und Betriebsenergie umfasst in den 50 Jahren Betrachtungszeitraum etwa 50 % aller Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus gesamt bei einem mehrgeschossigen Wohngebäude.

Bauteile mit der größten Hebelwirkung sollten prioritär verfolgt werden: Reduktion der erdberührten Bauteile, Optimierung der Hülle, Optimierung der Decken. Wie in der Kostenplanung sind Bauteile großer Mengen sowie mit großer Klima- und Ressourcenbelastung maßgeblich.

4 Die Neustadt aus Holz – realisiertes Beispiel Stadt als CO2-Senke

Der Wohnungsbau Neustadt aus Holz sue&til von weberbrunner und soppelsa architekten stellt einen Holz-Hybridbau mit 307 Wohnungen dar (Bilder 4, 5). Das Quartier wurde mit einer sozialen Mischung aus Eigentum und Miete, Familien-, Paar- und Singlehaushalten, Senioren- und Studierenden-Wohneinheiten realisiert. Allen Wohnungen zugrunde liegen jeweils wiederkehrende Wandtypen. Der gemeinsame Nenner ist nicht die Wohneinheit oder Raumbreite, sondern das Bauteil selbst. Durch kurze Baustellenzeiten und geringe Lärm- und Staubemissionen ist das Bauen mit Holz besonders für innenstädtische Lagen prädestiniert.

Holz leistet einen zentralen Beitrag zur Reduktion der Primärrohstoffe sowie CO2-Bilanz in der Erstellung eines Gebäudes. Neben der Einsparung von Treibhausgasen wird im Holz CO2 aus der Luft als Kohlenstoff für die Zeit der Gebäudenutzungsdauer temporär eingelagert sowie Sauerstoff freigesetzt – die sog. CO2-Senke. Die Neustadt aus Holz bspw. substituiert und bindet 10.000 t Treibhausgasemissionen. So lange das Holz im Ressourcenkreislauf in Verwendung ist, speichert es den entsprechenden Kohlenstoff ein. Dadurch eröffnet sich eine neue Perspektive: Holzbau sowie biogene, nachwachsende Materialien bieten der Baubranche die Chance, nicht nur Teil des Problems der Klimakrise, sondern auch Teil der Lösung zu sein.

Am Anfang eines Projekts können die größten Weichen für die Umweltauswirkungen eines Gebäudes gestellt werden, um z.B. Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Es sollte zur Grundlage guter Planung werden, für Bauvorhaben am Projektbeginn eine Lebenszyklusanalyse als Prognose der Umweltqualität zu erstellen. Die Erkenntnisse verändern den Planungsprozess, weil die großen Stellschrauben für alle Projektbeteiligten sichtbar und nachvollziehbar werden. Zum Abschluss eines Projekts sind die Ergebnisse einer Ökobilanzierung zwar interessant, aber eher von statistischer Natur. Die steuernde Wirkung entfaltet die Ökobilanzierung planungsbegleitend und wenn sie möglichst früh im Projekt eingesetzt wird.


Autor:in

Elise Pischetsrieder, Architektin BDA und Geschäftsführerin
elise.pischetsrieder@weberbrunner.de

weberbrunner berlin Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin
www.weberbrunner.de




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