Der schizophrene Kampf gegen Klimawandel

Das zentrale Problem der Menschheit ist der Klimawandel. Die Politik hat das Problem erkannt, sieht jedoch v. a. in der Baubranche und im Straßenverkehr das Problem. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hat daher eine Studie über den Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland publiziert, in der es um die Auswirkungen der Errichtung und Nutzung von Gebäuden auf Klima und Umwelt geht [1]. Im Baugewerbe versucht man, sich auf erneuerbare Baustoffe umzustellen und setzt mittlerweile Holz selbst für die Konstruktion von Hochhäusern ein, für die früher nur Stahl und Beton genutzt wurden. Man versucht den Abbruch alter Gebäude mit ihrer grauen Energie zu vermeiden und setzt auf Reparatur und Renovierung. Viele neue Konzepte wie Bauen als Kreislauf, die konstante Erneuerung der Bausubstanz und das Recycling werden erforscht.

Ressourcen- und Energieeinsparungen im Bausektor und Verkehr allein sind aber nicht ausreichend, denn es geht nicht mehr nur darum, den Klimawandel aufzuhalten, sondern auch darum, mit dem Klimawandel zu leben und dieses Leben sicherer und erträglicher zu machen. Dürren, Feuer- und Flutkatastrophen nehmen von Jahr zu Jahr zu und fordern immer mehr Menschenleben. Man ist sich längst bewusst, dass Regenwasser, das in Form von Starkregen Landschaften und Städte verwüstet, nicht mehr schnellstmöglich über Flüsse in die Meere kanalisiert werden darf. Wasser ist ein notwendiges Gut, das als Grundwasser Landwirtschaft und Leben erst ermöglicht und Dürren entgegenwirkt. Vorkehrungen wie die Renaturierung der Flussläufe, überflutungsverhindernde Konstruktionen, Einlaufbauwerke, Rückhaltebecken und unterirdische Versickerungssysteme sind als Baumaßnahmen zwingend. Auch dafür müssen Ressourcen und Energie mobilisiert werden. So verlangt der Kampf gegen den Klimawandel eine Bereitschaft aller Menschen, auf viele Errungenschaften des täglichen Lebens zu verzichten. Es geht in unserer Gesellschaft im Überfluss um einen Verzicht auf alles Überflüssige und um das Ende des Vorrangs von Eigeninteressen und Besitzstandswahrung.

Denn jede zusätzliche Verschwendung von Energie und Ressourcen beschleunigt den Klimawandel. Wenn sich auch der Verzicht auf alles Unnötige nicht unmittelbar erreichen lässt, so muss es zumindest darum gehen, den CO2-Ausstoß so weit wie möglich zu reduzieren. Doch es gibt noch immer ressourcenverschwendende Bereiche, die anscheinend als gegeben hingenommen werden, obwohl sie mehr CO2 ausstoßen, als man mit noch so aufwendigen Maßnahmen im Bau- und Autoverkehrssektor einsparen kann. Dazu gehören v.a. Kriege, Weltraummissionen zum Mond und Mars und letztlich auch der Weltraumtourimus für Milliardäre. Doch hier zeigt sich die Schizophrenie der Politik, ja, der Menschheit. Es bleibt ein Rätsel, warum diese Bereiche nicht – zumindest ebenso wie die Baubranche – mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden.

Man muss zwar akzeptieren, dass es – anders als in der Baubranche – bei Kriegen keine Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Werte durch den Einsatz regenerativer Materialien geben kann. Das Verteidigungsministerium käme nicht, dem Bauministerium entsprechend, auf die Idee, eine Studie über den Umweltfußabdruck von Panzern in Auftrag zu geben, in der es um die Auswirkung von Herstellung und Nutzung auf Klima und Umwelt geht. Howard Hughes hatte einst vergeblich versucht, mit seiner Spruce Goose ein Flugzeug aus Holz herzustellen, als Metalle in den USA im Zweiten Weltkrieg knapp wurden. Schon die Spruce Goose kam damals über ihren Jungfernflug nicht hinaus – der Versuch, Panzer aus erneuerbaren Rohstoffen wie Holz zu bauen, wäre noch unrealistischer. Auch käme die EU nicht auf die Idee, den Beschluss, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ab 2035 nicht mehr zu produzieren und zuzulassen, auch auf Panzer anzuwenden, obwohl diese mit einem Verbrauch von 300 l bis 500 l Diesel auf 100 km fahren. Noch absurder wäre es, Panzer, die schon jetzt mit einem Gewicht von 40 t bis 60 t fahren, mit kaum noch einzubauenden und leicht brennbaren Batterien umweltfreundlich elektrifizieren zu wollen. Auch die Kreislaufwirtschaft, bei der alte Waffensysteme recycelt werden, hilft dem Klimaschutz wenig, selbst wenn im Ukrainekrieg alte Bestände russischer Bauart als Notlösung repariert und wieder eingesetzt werden. Heute geht es wieder darum, Waffen in ihrer Effizienz zu verbessern, um ihr zerstörerisches Potenzial zu erhöhen, wobei Nachhaltigkeit eine Illusion bleibt. Darüber hinaus stehen Waffensysteme, die heute mit großem Aufwand an Material und Energie produziert werden, angesichts des schnellen technologischen Fortschritts schon in wenigen Jahren wieder zur Verschrottung an.

Da Kriege mit dem Umweltschutz nicht vereinbar sind, kann es nur noch darum gehen, Kriege zu vermeiden oder schnellstmöglich zu beenden. Für den Ukrainekrieg würde das bedeuten, zumindest eine Kriegsführung zu wählen, die den Krieg nicht Jahrzehnte in die Länge zieht. Zurzeit liefern die NATO-Staaten der Ukraine zwar Waffen, jedoch nur zur Verteidigung. Die Begründung ist, man fürchte, sonst eine rote Linie zu überschreiten und damit Kriegspartei zu werden. Das ist jedoch eine fragwürdige Argumentation, denn rote Linien hat die NATO zuvor schon mehrfach überschritten. Hatte sie doch bei der NATO-Osterweiterung zugesichert, in die neuen NATO-Staaten keine Truppen und Waffen zu beordern. Doch nicht nur dort wurden Waffen stationiert, sondern inzwischen sogar in der Ukraine – einem Land, das noch nicht der NATO angehört. Aus Putins Sicht ist daher der Westen mehrfach eine Kriegspartei, die – laut russischen Medien – bereits Krieg gegen Russland führt.

Imaginäre rote Linien haben somit zu einer Kriegsführung geführt, die den Krieg für die Ukraine zu einem reinen Verteidigungskrieg gemacht hat und diesen damit auf unbestimmte Zeit in die Länge zieht. Westliche Politiker beteuern immer wieder, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, doch die Geschichte zeigt, dass Kriege noch nie durch bloße Verteidigung gewonnen wurden. Nicht einmal ein Fußballspiel kann eine Mannschaft gewinnen, wenn ihr nur erlaubt wird, sich zu verteidigen und verboten wird, die Mittellinie (rote Linie) zu überschreiten. Doch man scheut sich, solche Erkenntnisse auf die Ukraine zu übertragen. So lange russische Militärstützpunkte auf russischem Boden nicht Angriffsziel sein dürfen, hat Putin nichts zu befürchten. Russland kann die Ukraine über Jahrzehnte mit Raketen von sicherem russischem Boden aus angreifen und zermürben. Die Ukraine aber kann Russland bestenfalls nur standhalten, den Krieg jedoch nie gewinnen.

Der Ukrainekrieg ist zu einem zynischen Konstrukt geworden, das den angeblichen Kampf gegen den Klimawandel zur Farce werden lässt. Vom Klimaschutz her ist die Zeitenwende fatal, denn beiden Seiten stehen nicht genügend Waffen zur Verfügung, weil diese schneller verfeuert werden, als sie produziert werden können. Schon jetzt fühlen sich zuvor noch unbeteiligte Länder gezwungen, nach- und aufzurüsten, damit sie für ihre eigene Sicherheit gegen Russland sorgen und der Ukraine die nötigen Waffen liefern können. Auch Russland zögert nicht, Waffen bei seinen befreundeten Ländern zu bestellen. Es bahnt sich ein Weltkrieg an: ein Kampf zwischen Russland und der Ukraine, an dem sich der Rest der Welt beteiligt. Für Klima und Umwelt ist das eine Tragödie, die den gesamten Planeten betrifft und von der nur die Waffenindustrie profitiert.

Doch nicht nur die Verschwendung von Waffen, sondern auch die Zerstörung der Städte mit ihrer grauen Energie beschleunigt den Klimawandel. Dass man den Ablauf dieses Kriegs als gegeben hinnimmt und heute bereits über den Wiederaufbau der Städte nachdenkt, nicht aber alternative Strategien zur vorzeitigen Beendigung des Kriegs wagt, erinnert an längst vergangene Zeiten, obwohl sich die Einstellung zu Kriegen seit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg grundlegend geändert haben sollte. Auch damals sah man Kriege noch als unvermeidbar an und es gab noch keine Bedenken im Hinblick auf das Klima. Der englische Architekturhistoriker Martin Pawley konnte sich noch darüber mokieren, dass für Architekten und Planer galt: Bombers are the plan’s best friend und dass ein Engländer schrieb: This time we know better… We have … thanks to German bombers, a much greater opportunity for physical reconstruction [2]. Heute werden sich kein Architekt und keine Architektin mehr für Zerstörung als Chance für moderne Rekonstruktion begeistern. Im Gegenteil, der BDA wirbt mit seinem Programm Das Haus der Erde [3] für ein umweltverträgliches Bauen. Architekten haben sich schon immer und oft gegen den Krieg positioniert. Frank Lloyd Wright überwarf sich sogar mit seinem Bewunderer, dem Historiker Lewis Mumford, der sich für den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg stark gemacht hatte. Für Wright war Krieg „nur die Negation aller Möglichkeiten“ und, historisch gesehen, „eine Krankheit, die eine Kultur nach der anderen zu Fall gebracht hat, weil sie Gewalt mit Gewalt begegnete“ [4].

Wollte man, in pazifistischem Sinne, der Ukraine weiterhin tatsächlich nicht zugestehen, russische Raketenstützpunkte auf russischem Boden mit Waffen anzugreifen, so bliebe nur, von Putin zu lernen, dass Abschreckung und Drohungen mit Bomben mindestens so wirksam sind wie echte Waffen. Man müsste Putin drohen, dass jede weitere Rakete, die Russland auf die Infrastruktur und zivile Ziele der Ukraine abfeuert, jeweils mit einer ukrainischen Rakete auf die Militärstützpunkte in Russland zielgenau beantwortet wird. Auch durch eine solche Demonstration der Entschlossenheit kann der Krieg zu einem Ende kommen. Man sollte an den von den Nazis ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer erinnern, der einmal sagte (zitiert aus einem Vortrag von Arnd Henze im Braunschweiger Dom [5]): „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn der Friede muss gewagt werden.“

Nur durch Frieden lässt sich das Klima noch retten.


Literatur

  1. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung [Hrsg.] (2020) Umweltfußabdruck von Gebäuden in Deutschland (Projekt des Forschungsprogramms „Zukunft Bau“, durchgeführt im Auftrag des Bundesministeriums des Innern für Bau und Heimat (BMI)) [online]. BBSR-Online-Publikation 17/2020. Bonn: BBSR. https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/bbsr-online/2020/bbsr-online-17-2020-dl.pdf?__blob=­publicationFile&v=3
  2. Pawley, M. (1971) Architecture versus Housing. New York: Praeger, S. 45.
  3. Bund Deutscher Architekten BDA [Hrsg.] (2019) Das Haus der Erde, Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land. Berlin.
  4. Wright, F. L.; Mumford, L. (o.J.) Briefwechsel zwischen Architekt und Kritiker. Frank Lloyd Wright und Lewis Mumford. Bauwelt 28/2002, S. 26.
  5. Likus, H. (2023) Theologe in Braunschweig: Darum müssen wir Waffen liefern. Braunschweiger Zeitung BZ, 8. Februar 2023.

Autor:in

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Helmut C. Schulitz, hschulitz@schulitz.de
University of California Los Angeles
Technische Universität Braunschweig
Architekt BDA
Ehrenmitglied des American Institute of Architects
Mitglied der Akademie der Künste Berlin

www.schulitz.de

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