Ein Zukunftslaborauf der Insel?

Bernhard Hauke nbau Chefredakteur
Bernhard Hauke nbau Chefredakteur
Quelle: Luhnen-Lichtkunst Fotografie

La Biennale Architettura: Wegen Umbau geöffnet, mit Materiallager und Werkstatt zur Wiederverwendung der Überreste der Kunstbiennale des Vorjahres – das ist in kurz der Deutsche Pavillon zur diesjährigen 18. Architektur-Biennale in der Inselstadt Venedig. Zirkuläres Bauen und Wiederverwendung auf der einen Seite sowie Umbaukultur auf der anderen Seite sind schon mit die aktuellen Buzzwords der Branche – also alles richtig gemacht? Da zeigt sich die deutsche und europäische Architektur-Prominenz in der Lagune und lässt sich ablichten mit Architekturminister:innen, Päsident:innen, Geschäftsführer:innen oder Vorsitzenden. Da wird über Nachhaltigkeit geredet, über Ressourcen­effizienz und Kreislaufwirtschaft, vielleicht auch über CO2-Fußabdrücke, sicher über Dekarbonisierung. Alles ist ganz wunderbar, ja fröhlich – und auf Social Media zu bewundern. Dort kann dann auch nachgelesen werden, wie günstig die Flüge wieder sind und wie unpünktlich – merkt ihr selber, oder?

Das proklamierte Zukunftslabor scheint gefangen in bunter Heiterkeit, in Selbstbetrachtung auf seiner schönen Insel. Da wird sich auf die ökobilanziellen Peanuts konzentriert, auf Multiplexplatten, Textil oder Wickelfalzrohre – lobenswert sicher, aber am Ende wirklich ökoeffektiv? Gut, das ist halt grade vorhanden und machbar. Technisch und modisch ist der dekorative Kleinkram jedoch viel mehr den Anfeindungen der Zeit ausgesetzt; muss aus Gründen des Verschleißes oder wegen des sich wandelnden Geschmacks sowieso ausgetauscht und ersetzt werden. Die großen grauen Batzen sind hingegen Tragwerk, Fassade und – bisher ökobilanziell bei den grauen Emissionen kaum greifbar – vermutlich auch die Haustechnik. Um das zu betrachten, müsste man aus der gestalterischen Wohlfühlzone des Architektursilos rauskommen. Das ist dann deutlich technischer, hat richtig was mit Bauen zu tun – leise geht’s nicht – und lässt sich nur zusammen mit den entsprechenden Expert:innen relevant bewegen. Irgendwie verständlich: Auf der Insel ist es ruhiger und sowieso schöner. Aber wie viel Zukunftslabor ist das dann wirklich?

Noch immer ist alle Theorie grau und grün erst des Lebens goldener Baum

Nicht linear mehr soll das Bauen sein – nicht mehr produzieren, bauen, nutzen und dann wegwerfen –, sondern zirkulär, zurück in den Kreislauf des Bauens. Das Mantra der Kreislaufwirtschaft ist weit­gehend theoretischer Konsens und funktioniert auch im adriatischen Kleinlabor. Doch nach Goethe ist noch immer alle Theorie grau und grün erst des Lebens goldener Baum. Um zirkuläres Bauen wirklich mit der erforderlichen nennenswerten Quantität umwelt- und klimawirksam in der Baupraxis zu verankern, muss die ganze Wertschöpfungskette Bau einbezogen werden. Wie Network Governance gehen kann, zeigt beispielhaft der niederländische Bouwakkoord Staal mit freiwilliger und breiter Beteiligung des gesamten Sektors.

Nicht linear mehr soll das Bauen sein; nicht mehr zuerst entwerfen, dann berechnen und schließlich ausführen, sondern gemeinsam die klimafreundlichste Lösung finden. Das ist noch immer vielerorts Wunschdenken, so auch in Venedig. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Das Bauen dekorativ nur ein bisschen weniger schlecht zu machen, ist eine heitere, aber keine ernsthafte Lösung. Nur ein bisschen besser zu entwerfen, reicht nicht mehr aus. Bauen muss endlich anders, besser, kooperativer werden. Wozu brauchen wir dann eine im Theoretisieren der Praxisferne festgefahrene Architekturausstellung auf ihrer schönen Insel? Für die zugegeben wunderbaren Selfies?

Es wird Zeit für eine praktische, inklusive Architekturausstellung, die dann auch versteht, dass Architektur, zumal nachhaltige, nicht von Architekt:innen allein gemacht wird, sondern mit ganz vielen weiteren Expert:innen gemeinsam. Venedig mag Venedig bleiben, schön und bunt und selbstbezogen und vielleicht mit einem kleiner werdenden staatlichen Budget. Dann aber wird es Zeit für eine neue europäische Architekturausstellung, die vielleicht in Brüssel oder an wechselnden, gut erreichbaren Orten in Europa stattfindet, die das lineare Denken umfassend überwindet, alle an Planung und Bau Beteiligten einbezieht und ein kontinentales Zukunftslabor sein kann und will. Übrigens, unsere Architekturministerin ist weit umfassender und zuvorderst Bauministerin.

Bernhard Hauke
nbau Chefredakteur

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