A4F konstruktiv

Mission Weltrettung

Was bedeutet Handeln in der heutigen Zeit? Wo wir einen Punkt erreicht haben, an dem die Bedingungen so unüberschaubar geworden sind, dass selbst die Institutionen, die wir geschaffen haben, um Erkenntnisse über die Beschaffenheit und Vorgänge in der Welt zu bestimmen, ratlos werden, Legitimationsproblemen erliegen – wie sich in der über mehrere Fachbereiche erstreckenden Replikationskrise zeigt – oder schlimmstenfalls einer breiten Hoffnungslosigkeit Platz machen? Es macht den Eindruck, als würde die Gesellschaft darauf warten, dass irgendjemand das tut, was alle aus ihrer Perspektive als das einzig Vernünftige ansehen – und währenddessen weiter Forderungen stellen, Kritik üben und doch auch irgendwie auf der Stelle treten. Handeln bedeutet, unabhängig von Reiz und Entlohnung, kraft des eigenen Verstands und der eigenen Mittel aus eigenem moralischem Ermessen und unter Inkaufnahme der resultierenden Konsequenzen zu tun, was man für richtig hält. Dies setzt voraus, dass man sich als mit Handlungs­fähigkeit ausgestattetes Subjekt erkennt und begreift, doch ist der Subjektbegriff in der jüngeren Geschichte ebenfalls einem fluideren Begriff der Subjektivität – abhängig vom jeweiligen Kontext – gewichen oder gar von manchen ganz aufgegeben worden. 

Die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse seit Ende des 20. Jahrhunderts untermauern zunehmend die Wahrnehmung des Menschen als eben nicht des aufgeklärten, rational handelnden Souveräns, sondern hochgradig von den jeweiligen Prägungen unseres Umfelds abhängigen Organismus. Einfache Konzepte der Abhängigkeit unserer Selbst von unserem Nervensystem kategorisieren jede Aktion in Fight-Flight- oder Freeze-Reaktionen auf eine wahrgenommene Gefahr. Sollte also alles Tun und Lassen im Kern von Angst getriebene Reaktion sein, wird damit ein großes Stück Gewissheit, nämlich zu wissen, was man tut, infrage gestellt.

Also, weiß eigentlich noch jemand, was zu tun ist, oder wissen vielmehr alle, was nicht zu tun ist, tun es aber trotzdem weiter? Ein kurzer Blick in die Statistik zeigt, dass der Ressourcenverbauch der Baubranche nach den Lieferengpässen-bedingten Einbrüchen auf vorpandemischem Allzeithoch liegt [1]. Und dass trotz des vorhandenen Wissens um ökologische Fertigungs- und Handlungsweisen, der gegebenen Möglichkeiten, sich durch vielerlei Quellen weiterzubilden, und erfolgreicher Modellprojekte kein Umschwung erkennbar ist. Die immanente Hoffnung, die in die Digitalisierung und Quantifizierung der gebauten wie natürlichen Welt gelegt wird, droht vielleicht in ewiger Vorbereitung zu stagnieren und dabei einen Bleischuh zu produzieren, der wiederum mehr menschliche und materielle Ressourcen verschlingt. Das ambivalente Verhältnis zur Technik ähnelt in gewisser Weise einem deterministischen Glauben an die totale Quantifizier- und Vorhersehbarkeit der Welt und die damit verbundene Nichtnotwendigkeit der gegenwärtigen Stellungnahme. Als wäre damit die Praxis in die Zukunft vertagt, während man im Heute noch versucht, der allgemeinen Gemengelage Herr zu werden. Doch es scheint, dass dieser Punkt nicht kommen wird. Jede jetzt getroffene Entscheidung ist bereits existenziell grundlegend für die Bedingungen der Zukunft. Die Zeit wird immer knapper und die Erledigung der Aufgaben immer weiter verschoben, wie zuletzt in der Debatte um die letzte Generation zu hören war, deren Aktionen als vollkommen überzogen und irrational dargestellt wurden, während Friedrich Merz mit Hinblick auf die noch verbleibenden Jahre sagte, es gäbe keinen Anlass zur Panik, man hätte noch Zeit, die Weichen richtig zu stellen, um bis 2050 klimaneutral zu sein. Derlei Prognosen gehen von einer ganzen Reihe von Annahmen über die Zukunft aus – wie, dass für die auf den Weg gebrachten Gesetze dann auch die nötige Arbeitskraft zur Verfügung steht, keine neuen Pandemien auftreten, die globale Sicherheitslage stabil genug bleibt, um den Wandel umzusetzen und und und …

Es trifft vielleicht eine passendere Analogie aus dem Brandschutz auf den Umgang mit der derzeitigen Situation zu, nämlich dass es „[…] der Lebenserfahrung [entspricht], dass mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden muss“.

Die Dramatik der letzten Generation ist also vielleicht doch gar nicht so übertrieben und die Governance sollte dahingehend bestrebt sein, JETZT die Mittel bereitzustellen und eine technologieoffene, klare Zielvorgabe zu geben, um tatsächlich effektiv Marktmechanismus und Innovation zu nutzen, ohne eine klimaneutrale Deadline postulieren zu müssen, welche erfahrungsgemäß ihr Erreichen schuldig bleibt. Für solch eine progressive Wirtschaftspolitik spricht sich bspw. die Ökonomin Mariana Mazzucato aus, welche anhand des Mondfahrtprogramms aufzeigt, wie eine starke Regierung als Handlungsakteurin – mit der Bereitschaft zur Risikoübernahme und Investition – Hand in Hand mit der Wirtschaft gigantische Projekte umzusetzen in der Lage ist. Statt die rationale Freiheit des Subjekts anzunehmen und dessen Externalitäten aufzufangen, könnte Freiheit zum Handeln durch breite Bereitstellung der Mittel gegeben und durch ökologisch klar eingegrenzte Zielvorgaben kanalisiert werden. Statt Existenzängsten und einem erstickenden Regulierungsdschungel könnten Inspiration und Versorgungssicherheit unsere Subjektivierung prägen. Wer würde sich nicht gerne gut aufgehoben, willkommen und nützlich fühlen?

Architects for Future Deutschland e. V.
www.architects4future.de


Literatur

  1. United Nations Environment Programme (2022) 2022 Global Status Report for Buildings and Construction: Towards a Zeroemission, Efficient and Resilient Buildings and Construction Sector. Nairobi: UN Environment Programme.

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