Tragwerksplanende aller Länder, ermächtigt euch!
Die Statik lag beim Prüfer und war schon samt Prüfbericht freigegeben, die Vorbereitung für die Bewehrungspläne war in vollem Gange und eigentlich war das Projekt für uns bereits in trockenen Tüchern.
Dann allerdings wurden im weiteren Verlauf erhöhte Ammoniumwerte im Baugrund gemessen, welche die Werte aus dem geotechnischen Bericht um den Faktor 5 überstiegen. Infolgedessen sahen wir uns aufgrund der erhöhten Exposition gezwungen, die Betongüte der Bodenplatte von C30/37 auf C35/45 zu erhöhen. Um die Anforderungen zur Begrenzung der Rissweite zu erfüllen, musste dementsprechend auch die Grundbewehrung erhöht werden.
Ich fühle mich als Teil einer jungen Generation dem Klimaschutz besonders verpflichtet. In einer ruhigen Minute beschäftigte mich die Frage nach der Tragweite dieser vermeintlich kleinen Entscheidung. Ein paar Berechnungen zum Variantenvergleich unter CO2-Aspekten später, ergab sich mir eine Differenz des CO2-Fußabdrucks von näherungsweise 105 t CO2-Äquivalent (~ +12 %). Zur besseren Einschätzung dieser abstrakten Tonnage betrachtete ich meine persönliche Entscheidung, mich vegan zu ernähren und auf Flüge zu verzichten. Unter der Annahme eines Sommerurlaubs in Bahndistanz anstelle in Thailand (~ 4,8 t CO2eq infolge der Flüge) und etwa 0,69 t CO2eq pro Jahr Ersparnis durch vegane Ernährung anstelle einer fleischbasierten Ernährung beläuft sich die Summe dieser persönlichen Entscheidung auf 5,5 t CO2eq.
Der oben beschriebene, vermeintlich kleine Wechsel in der Wahl der Betongüte hatte somit meine persönlichen klimagerechten Entscheidungen innerhalb eines Jahres um den Faktor 19 ausgehebelt!
Dies mag eine vereinfachte Darstellung sein. Die Annahmen unterliegen gewissen Unsicherheiten, da sich durch betontechnologische Maßnahmen oder unterschiedliche Zementarten das Ergebnis sicher in die eine oder auch in die andere Richtung bewegen lässt. Was bleibt, ist die Erkenntnis über die unglaubliche Tragweite konkreter Entscheidungen von uns Planenden im Bauwesen bzw. die Größe des Hebels, den wir aufgrund unseres Berufs besitzen.
Ich erlebe die Ernüchterung vieler junger, motivierter Kolleg:innen, die sich darüber bewusst sind, welche Mengen an Material und in gleichem Maße CO2 sie tagtäglich verplanen. Auch die Formulierung Blut an den Händen ist in diesem Kontext schon gefallen. Vermeintlich gefangen zwischen den Wünschen der Bauherrschaft, Zeitdruck, ökonomischen Zwängen, den Anforderungen anderer Fachplanender und v.a. überkommenen Denkweisen sehen sich viele als letztes Glied in einer Entscheidungskette, an deren Ende als vermeintlich logische Konsequenz CO2-Bunker stehen müssen. Dieser Annahme entgegenstehend sei auf die enorme Wirkmächtigkeit unseres Handelns verwiesen.
Bei der oben erwähnten Bodenplatte wurde frühzeitig die Entscheidung für den Entwurfsgrundsatz C nach der WU-Richtlinie getroffen. Die Anforderungen an die Rissweite und der rechnerische Wert der Zugfestigkeit des Betons können somit in gewissen Grenzen definiert werden, was erhebliche Auswirkungen auf den Bewehrungsgehalt hat. Dies ist mit einem höheren Planungs- und Ausführungsaufwand verbunden. Belohnt wird es jedoch mit enormen Stahleinsparungen im Vergleich zur weitverbreiteten WU-Planung mit Begrenzung der Rissweite auf 0,2 mm nach Entwurfsgrundsatz B. Die eingesparte Menge Stahl beläuft sich in diesem Fall auf mehr als 180 t und somit auf das gigantische CO2-Äquivalent von gut 138 t.
Die wirtschaftliche Bemessung von Tragwerken ist seit jeher ein essenzieller Bestandteil der Arbeit der Bauingenieur:innen, und das wird auch weiterhin so bleiben. Rückblickend wurde zunächst möglichst materialsparend geplant, später verlagerten sich die wirtschaftlichen Parameter auf die Optimierung auf der Baustelle und schnellere Ausführungszeiten. Unter Hinzunahme von CO2 als Key Performance Indicator und der Annahme einer künftigen CO2-Bepreisung wird auch das CO2-arme Planen und Bauen ein zentraler Bestandteil unserer täglichen Arbeit werden. Genau diese Bepreisung muss allerdings schnellstmöglich umgesetzt werden, um den notwendigen Prozess in Bewegung zu setzen. Auch das Handwerkszeug zum CO2-armen Planen und Bauen ist längst bekannt und verbreitet, die bereits etablierten Tools zur Ökobilanzierung sollten genauso selbstverständlich genutzt werden wie die Schneider Bautabellen.
Neben der Bepreisung ist auch eine transparente Kommunikation mit den anderen Gewerken und v.a. der Bauherrenschaft notwendig. Die Ermittlung von Zahlenwerten bspw. für Massen, Kosten und verbaute Tonnen CO2 sind keine Raketenwissenschaft. Diese Zahlen müssen möglichst verständlich und greifbar allen Beteiligten vermittelt werden. Ein ehrlicher Variantenvergleich schafft brauchbare Grundlagen und wirkt Illusionen ökologischer Sicherheit entgegen. Bei der Aufbereitung und Kommunikation der Ergebnisse muss sich der Tragwerksplanende seiner Aufgabe bewusst sein, die Verantwortung annehmen und beratend zur Seite stehen.
An dieser Stelle kann ich nur erneut auf die bekannte Datenlage verweisen: die Menge an verbautem Material, den Ausstoß an CO2, das Müllaufkommen und die Gewissheit, dass immer gebaut werden wird. Mehr denn je ist es für alle am Bau Beteiligten Aufgabe und Verantwortung, dem Bauherrn und der Gesellschaft gegenüber, das Heft in die Hand zu nehmen und gemeinschaftlich zu guten Lösungen zu kommen.