Bericht von der 18. Internationalen Architekturausstellung in Venedig
Unter dem Titel Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet, kuratiert von Arch+, Summacumfemmer und Büro Juliane Greb, hat der diesjährige deutsche Beitrag zur Architekturbiennale den Deutschen Pavillon in einen lebendigen Ort der (Re-)Produktion und ein Materialdepot verwandelt. Im Deutschen Pavillon wird das von über 40 Länderpavillons der Kunstbiennale 2022 gesammelte Material – das normalerweise entsorgt worden wäre – digitalisiert und in einem Schaudepot gelagert.
Durch den behutsamen Umgang mit dem, was bereits materiell, sozial und urban vorhanden ist, macht der Deutsche Pavillon Prozesse der räumlichen und sozialen Sorgearbeit sichtbar, die für gewöhnlich dem Blick der Öffentlichkeit entzogen sind. Die Materialien wurden nicht nur gesammelt und zum Deutschen Pavillon transportiert, sondern auch digital erfasst und katalogisiert. Dabei kommt eine Software zum Einsatz, die zur Digitalisierung von Bestands- und Neubauten entwickelt wurde, um die Wiederverwendung von Materialien zu ermöglichen und CO2, Abfall und Ressourcen einzusparen. Die App wurde in den letzten Monaten vom Kurator:innenteam genutzt, um eine Vielzahl der Materialien der Kunstbiennale 2022 zu erfassen, inventarisieren und bilanzieren. Alle relevanten Daten für die Wiederverwendung von Materialien, wie Herkunft, Größe, Material, Menge, Zustand und Rückbaubarkeit, wurden in der App erfasst und damit ein Digitaler Zwilling des physischen Depots und ein visuelles Archiv des Materials erstellt. Für jedes Material, das im Deutschen Pavillon deponiert wurde, ist ein digitaler Materialpass erstellt worden. Die Materialpässe sind in einer digitalen Datenbank (http://openformaintenance-depot.net) abgelegt, die für alle zugänglich und verfügbar ist. Die digitale Datenbank ist die Grundlage für die Planung der Wiederverwendung der Materialien im Rahmen des sechsmonatigen Werkstattprogramms Maintenance 1:1. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen werden Studierende und Auszubildende des Handwerks soziale Infrastrukturen in Venedig unter Wiederverwendung von Materialien der Biennale pflegen, reparieren und instand setzen. Um den Deutschen Pavillon zu einem Ort der aktiven (Re-)Produktion zu verwandeln, wurden verschiedene Eingriffe durchgeführt. Der Eingang wurde um eine Rampe vor dem Haupteingang ergänzt, um einen inklusiven repräsentativen Eingang für alle zu gewährleisten. Eine Werkstatt, eine Teeküche sowie ein ökologischer und diskriminierungsfreier Sanitärraum wurden eingerichtet. Außerdem wurde ein Versammlungsraum gestaltet, wo eingeladene Handwerker:innen, Studierende, Lehrende, Aktivist:innen und interessierte Besucher:innen Projekte gemeinsam planen und diskutieren können. Im Versammlungsraum befindet sich auch das Brettspiel Trivial Circuit – von LXSY Architekten gemeinsam mit Impact Hub Berlin und Concular entwickelt –, das die Prinzipien des zirkulären Bauens vermittelt. Trivial Circuit ermöglicht es allen Besucher:innen, den Prozess der Wiederverwendung von Materialien zu verstehen und die komplexe Neuordnung des Planungsprozesses beim zirkulären Bauen nachzuvollziehen. Die Besucher:innen können also aktiv mit dem Pavillon interagieren: sie können Trivial Circuit spielen, den Sanitärraum und die Teeküche benutzen und die QR-Codes der Materialien scannen, um mehr über die Herkunft der Produkte zu erfahren. Neben der kulturellen Aufwertung der vormals als Abfall behandelten Restmaterialien der Biennale zu Spolien, die einen integralen Bestandteil der Ausstellung im Deutschen Pavillon bilden, will die Ausstellung Open for Maintenance mit der breit angelegten Sammlung, Inventarisierung und Vermittlung des Materials einen praktischen Beitrag dazu leisten, in Zukunft systematischere Wege der Wiederverwendung und Inwerthaltung der alljährlich anfallenden Tonnen von Materialien im Zusammenhang mit der Großausstellung zu testen und nachhaltig zu fördern. Durch die systematische Erfassung von Ausstellungsmaterial der Biennale könnten Künstler:innen und Kurator:innen aus aller Welt das benötigte Material für die kommende Biennale finden. Dadurch kann ein Materialkreislauf entstehen und Tonnen an Abfall würden pro Jahr gespart werden. Der deutsche Beitrag erfüllt damit vollständig die Forderung der diesjährigen Biennale-Direktorin Lesley Lokko für ihr Thema The Laboratory of the Future. Bei der Architekturbiennale 2023, die als wichtigste Präsentation zur Baukunst weltweit gilt, steht die Rolle der Architektur und des Bauens in Zeiten des Klimawandels im Mittelpunkt.