Ungehobene Potenziale

Herausforderungen und Chancen der Kreislaufwirtschaft für die Baubranche

Anette Hering

Uns allen in der Branche ist inzwischen bekannt, dass der Gebäudesektor sowohl deutschland- als auch europaweit zu den energie- und rohstoffintensivsten Wirtschaftszweigen gehört. Während die Frage der Energieeffizienz von Gebäuden besonders angesichts der Energiekrise in der öffentlichen Debatte aktuell sehr präsent ist, kommt den Herausforderungen und Chancen eines kreislaufwirtschaftlichen Ansatzes jedoch sehr viel weniger Aufmerksamkeit zu. Dabei wäre dies bitter notwendig: Eine aktuelle Studie der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen u. a. zur Lage der Kreislaufwirtschaft im Bausektor in Europa kam zu dem Schluss, dass die Kreislaufwirtschaft bisher kaum in der Baubranche Fuß gefasst hat und die Vorgaben der EU-Taxonomie in dieser Hinsicht bislang nicht umsetzen kann.

Um die Frage voranzutreiben, wie eine Kreislaufwirtschaft im Bausektor in Deutschland durch Zusammenarbeit der verschiedenen Akteur:innen entlang der Wertschöpfungskette etabliert werden kann, brachte der Grüne Wirtschaftsdialog im Rahmen ­einer Reihe von Fachforen Expert:innen aus Bauwirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen. Ziel war es, Maßnahmen zu ­defi­nieren, wie die aktuellen regulatorischen und politischen Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, um eine ganzheitliche Transformation zu ermöglichen und wirtschaftlich reizvoll zu gestalten. Aus den Ergebnissen entstand ein Positionspapier [1], erstellt durch das Wuppertal-Institut, das konkrete Handlungsempfehlungen an die verschiedenen im Prozess beteiligten Akteur:innen richtet. Hier will ich die Kernpunkte des Papiers auch anhand von Auszügen kurz darstellen. Beginnen wir mit Zahlen zur Einordnung: In Deutschland werden lediglich 33 % der Bauabfälle wiederverwendet, was besonders dramatisch ist, wenn man bedenkt, dass 55 % der in Deutschland entstehenden Abfälle vom Bausektor verursacht werden – 229 Mio. t Bau- und Abbruchabfälle. Damit ist das Potenzial umrissen.

Überblick über die Handlungsfelder

Der Fokus wurde auf zwei Komplexe gerichtet: auf den Aufbau eines zirkulären Baustoffhandels und die Wiederverwendung von Gebäudekomponenten. Denn, so das Papier: Diese Handlungsfelder sind beide sowohl für die Bauausführung als auch die Nutzungsphase eines Gebäudes relevant. Hier werden bspw. Komponenten oder Baustoffe aus einem selektiven Rückbau in einem Neu- oder Umbau eingesetzt. Gebäude sind anthropogene Materiallager, die es zu nutzen gilt. Aktuell gestaltet sich die Vermarktung der zurückgewonnenen Baustoffe noch als herausfordernd, da sie einen selektiven Rückbau erfordert und zudem eine Einzelfallzulassung für die betreffenden Bauteile oder -stoffe notwendig ist. Darüber hinaus gibt es aktuell wenig Anreize oder Verpflichtungen für Architekt:innen, Gebäudestrukturen demontierbar und wiederverwendbar zu planen. Die Wiederverwendung von großen und/oder schweren Gebäudekomponenten und Baustoffen benötigt eine ortsnahe Aufbereitung bzw. ein Recycling, da ansonsten große Energiemengen (z. B. durch eine aufwendige Logistik) aufgewendet werden müssen. An dieser Stelle fehlt es bisher an einer konkreten Zusammenarbeit von Rückbauunternehmen und lokalen Akteur:innen zur Aufbereitung der Baustoffe.

Beim zweiten Schwerpunkt wurden Methoden zur Verlängerung der Gebäudelebensdauer sowie die Sanierung als nachhaltige Anpassung des Gebäudebestands identifiziert: Eine gute Möglichkeit bietet hier das serielle Bauen bzw. Sanieren, da hier Plan- und Bauprozesse verbunden und somit Einsparungen (z. B. Arbeitszeit, Ressourcen oder Energie) ermöglicht werden. Die energetische Sanierung ist bereits weitverbreitet und im Gebäudesektor etabliert, allerdings fehlt es bisher an übergreifenden Angeboten zur seriellen Sanierung. Dementsprechend besteht ein großes Potenzial für die Entwicklung von Geschäftsmodellen in diesem Bereich. Fehlende Daten über die eingesetzten Baustoffe und Baustrukturen erfordern eine aufwendige, zeit- und kostenintensive individuelle Sanierung, weshalb der Abriss und der Neubau von Gebäuden bislang häufig als rentabler wahrgenommen werden. Der gesamte Lebenszyklus von Gebäuden wird häufig zu wenig in der Planungsphase berücksichtigt und Nach- bzw. Umnutzungskonzepte vernachlässigt. Dies hat fatale Folgen. Die Ökobilanz und insbesondere der Ressourcenverbrauch eines kreislauffähigen Neubaus schneiden i. Allg. wesentlich schlechter ab als die eines sanierten Altbaus.

Handlungsempfehlungen für die Politik

Ziel des Grünen Wirtschaftsdialogs ist immer die konkrete Verbesserung, formuliert in Handlungsempfehlungen an die Politik, unter der Prämisse: was können wir realistisch vorschlagen und wo liegen die Handlungsbedarfe? Dazu aus dem Papier: Im ersten Schritt braucht es eine bessere übergeordnete politische Steuerung zirkulärer Transformationsprozesse und den Ausbau von ­Governance-Fähigkeiten. Eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, wie sie zu Beginn des Jahres 2022 bereits von Bundes­umweltministerin Steffi Lemke vorgestellt wurde, eine gemein­same DACH-Strategie zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie ein Bundessanierungsfahrplan würden wichtige Orientierung bieten. Behörden sollten personell, materiell und hinsichtlich Fachkenntnisse besser ausgestattet werden. Außerdem ist eine verstärkte Sensibilisierung von Behörden zu Themen zirkulärer Wirtschaft nötig, die auf entscheidende öffentliche Verwaltungstätigkeiten, wie etwa die öffentliche Beschaffung, ausstrahlen kann. Digitale Instrumente, wie z. B. eine digitale Bau­akte, könnten dabei Baugenehmigungsverfahren beschleunigen. Schließlich sollte die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand für zirkuläre und nachhaltige Bauvorhaben deutlich verstärkt werden, indem eine nachhaltige öffentliche Beschaffung gesetzlich fest auf kommunaler, Landes- sowie Bundesebene verankert wird.

Das Positionspapier des Grünen Wirtschaftsdialogs
Quelle: Grüner Wirtschaftsdialog

Auch in Bezug auf Bestandsschutz und Abrissvermeidung kommt der Politik eine zentrale Steuerungsrolle zu. Um die Bestandsnutzung zu verbessern, ist z. B. eine Vereinfachung der Landesbauordnungen empfehlenswert, um etwa die Änderung oder Nutzungsänderung von baulichen Anlagen leichter zu gestalten. Auch die flächendeckende Einführung einer sog. Abrissgenehmigung für einen Großteil von Gebäudeklassen mit einer verpflichtenden vorgeschalteten Sanierungsfähigkeitsprüfung würde dem Bestandserhalt dienen. Derartige Schritte könnten auf Bundesebene mittels einer Muster-Umbauordnung geschehen, um den Rechtsrahmen auf dem gesamten Bundesgebiet anzugleichen. In energierechtlicher Hinsicht sollten verbindliche und möglichst sinn­volle Sanierungsquoten und ihre fortlaufende Erhöhung ein­geführt werden. Dabei sollten Sanierungsraten und -tiefen zusammen gedacht werden, indem nicht bloß Gebäudehüllen energetisch verbessert werden, sondern auch Aspekte wie Haustechnik oder Energieversorgung Berücksichtigung finden. Zudem sollten kreislauffähige Neubauten gefördert und Ressourcen geschont werden. Dies könnte auf baurechtlicher Ebene durch eine verpflichtende Rückbauplanung als Voraussetzung für Baugenehmigungen erreicht werden.

Um den Einsatz von Sekundärbaustoffen oder zirkulären Baustoffen zu erhöhen, sollten – unter der Wahrung gleichbleibender Qualitätsstandards – von politischer Ebene Pflichtmengen für diese Materialien vorgeschrieben werden: Verpflichtende Gebäuderessourcenpässe sollten in diesem Zusammenhang dringend entwickelt werden und in die Umsetzung gelangen, ebenso wie Vorgaben zu klimaneutralen Neubauten. Im Kreislaufwirtschaftsgesetz müsste ein umfassenderes Konzept einer Kreislaufwirtschaft eingebettet werden, anstatt schwerpunktmäßig einen Blick auf Abfallmanagement zu werfen. Verbindliche Rezyklatanteile, Reparaturfähigkeit, Langlebigkeit, Recycelbarkeit oder höhere Abfallvermeidungsquoten sollten eingepflegt werden. Durch das Steuerrecht können ebenfalls Anreize geschaffen werden. So könnte eine Rohstoffsteuer eingeführt werden, die etwa auf neu geförderte mineralische Rohstoffe erhoben wird. Eine effektivere Besteuerung des CO2-Ausstoßes sollte ebenfalls anvisiert werden. Zudem könnte stellenweise die Mehrwertsteuer gesenkt werden, etwa auf Rezyklat- oder Sekundärbauteile oder für Sanierungs- und Reparaturmaßnahmen. Im Baurecht könnte ein Wiederverwendungsplan zur Voraussetzung einer Baugenehmigung integriert werden. In kreislaufwirtschafts- und abfallrechtlicher Hinsicht könnte eine erweiterte Produktverantwortung von Herstellern (Extended Producer Responsibility – EPR) eingeführt werden, welche nachgelagerte Rücknahme-, Abfallbehandlungs- und Entsorgungspflichten von Unternehmen enthält, sobald Produkte oder Baustoffe ihre erste Nutzungsphase beendet haben (bspw. bei Rückbau). Im Zivilrecht müssten Haftungs- und Gewährleistungsfragen bezüglich gebrauchter Bauelemente konsequent abgebaut werden.

Um all dies praktikabel und wirtschaftlich zu gestalten, bedarf es der Anpassung und des Ausbaus der bestehenden Förderprogramme. Insbesondere sollte der Fokus darauf liegen, hochwertiges Recycling zu fördern und Downcycling zu minimieren. Hierzu wäre im Vergaberecht Sekundärrohstoffen und -baustoffen der Vorzug zu geben. Im Baurecht könnten Sekundärbaustoffe als Bauprodukte anerkannt werden. Diese regulatorischen Schritte wären um eine Änderung der Honorarordnung für Architekt:innen und Ingenieur:innen (HOAI) zu flankieren. Die gegenwärtigen Honorarbestimmungen geben Architekt:innen wenig Anreize, einen Umbau von Gebäuden stärker zu forcieren. Zudem sind Sanierungen häufig wesentlich aufwendiger als Neubauten. Überdies gilt es, eine stärkere Ausbildungsförderung zu betreiben, indem in die Ausbildung von Fachkräften stärker kreiswirtschaftliche Aspekte integriert werden und die Qualifizierung und Förderung von Handwerkspersonal, Architekt:innen und weiteren Zielgruppen vorangetrieben wird. Die Kosten der emittierten CO2-Emissionen müssen gerecht zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen ausgeglichen werden, was für Vermieter:innen einen Anreiz für eine Erhöhung der Energieeffizienz eines Gebäudes darstellen kann. Zirkuläres Bauen muss günstiger werden und bezahlbaren Wohnraum schaffen. Darüber hinaus muss die Politik eine finanzielle Förderung zirkulären Bauens deutlich vorantreiben. In diesem Kontext könnte z. B. zunächst an Fördermöglichkeiten der KfW sowie der Bundesförderung für effiziente Gebäude angeknüpft werden. […] Es braucht Förderprogramme, die inhaltlich über bloß energetische Ansätze hinausgehen. Auch Innovationen und Wissenschaft sollten stärker gefördert werden, wobei Pilot- und Demonstrationsprojekte eine entscheidende Rolle einnehmen können. Hinsichtlich der Kreislauffähigkeit von Gebäuden könnte eine quantitative Bewertung der Kreislaufkonsistenz durch Verwendung des Urban-Mining-Index erfolgen, dessen Ziel eine Systematik zur Bewertung der Kreislaufpotenziale baulicher Anlagen ist.

Handlungsempfehlungen für Umsetzungs­akteur:innen

Die Verbesserung der politischen und finanziellen Rahmenbedingungen ist ein zentraler Bestandteil für eine effektive Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft in der Baubranche. Das reicht aber noch nicht aus: Es braucht eine entschlossene Zusammenarbeit aller Akteur:innen entlang des Planungs- und Bauprozesses, um die Kreislaufwirtschaft in die Fläche zu bringen. So sollten bereits vor Baubeginn insbesondere Architekt:innen und Bauunternehmen ein nachhaltiges und kreislauffähiges Design anwenden. Zur Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden und einzelnen Komponenten ist eine flexible Nutzbarkeit des Gebäudes zu berücksichtigen; gerade bei der Neubauplanung sollten unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten vorausschauend mitgedacht werden. Außerdem ist es von zentraler Bedeutung, Materialien zirkulär zu denken. Dies sollte durch die Einplanung einer leichten Demontierbarkeit von Gebäuden und der Wiederverwendbarkeit von Gebäudeteilen am Ende ihrer ersten Nutzungsdauer ermöglicht werden. Hierzu sollten besonders der Einsatz von vorgefertigten Bauteilen (z. B. modulare Bauweise mit vorgefertigten Wandelementen oder die Nutzung von Fertigziegelteilen) sowie die Wiederverwendung häufig verbauter Baustoffe gefördert werden. Des Weiteren sollte die größtmögliche Ortsnähe sämt­licher Arbeitsschritte berücksichtigt werden, etwa durch kurze Transportwege, nahe Recyclingmöglichkeiten oder lokale Materialfertigung, um neben Primärbaustoffen ebenfalls Emissionen einzusparen.

Workshop zum Positionspapier in Wuppertal mit Annette Hering
Quelle: Grüner Wirtschaftsdialog

Im Kern sollte ein Markt für Rezyklate geschaffen werden. Aktuell gibt es einige wenige Beispiele am Markt, welche sich bislang noch nicht in ausreichendem Umfang etablieren konnten. Um dies zu verändern, muss eine grundlegende Infrastruktur geschaffen werden. So könnte durch Gebäuderessourcenkataster sowie einen einheitlichen Materialpass ein Bau- oder Sanierungs­vor­haben bedeutend erleichtert werden. Die Schaffung von Datengrundlagen in Form von Datenerhebungen von Neu- und Bestandsgebäuden sollte vermehrt in den Fokus rücken. Insbesondere über den Gebäudebestand sollten wesentliche Informationen erhoben werden, wodurch eine Wiederverwendung der verbauten Materialien erleichtert wird. Digitale Informationsspeicher sind in diesem Kontext elementar: Digitale Building Logbooks, Building Information Modeling, Gebäudepässe, Ressourcenpässe sowie der Urban-Mining-Index müssen konsequent genutzt, ausgebaut oder noch geschaffen werden. Die so erfassten Informationen sollten dabei transparent zugänglich sein, um eine schnelle und branchenweite Skalierung zu ermöglichen.

Die Fachforen des Grünen Wirtschaftsdialogs zum Thema Nachhaltiges Bauen werden in 2023 fortgesetzt – unter dem Arbeitstitel Baustoffe der Zukunft. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es zum einen schon einige Vorreiter:innen gibt, von denen wir lernen können. Zum anderen hat aus meiner Sicht gerade der Dialog von Bauakteur:innen, Wissenschaft und Politik unser Thema ein Stück vorangebracht.


Literatur

  1. Braun, N.; Fecke, M.; Sebis, G. (2022) Positionspapier: Die Etablierung eines geeigneten Rahmens für zirkuläre Ansätze im Bausektor. Berlin: Grüner Wirtschaftsdialog e. V. https://gruener-wirtschaftsdialog.de/positionspapier-die-etablierung-eines-geeigneten-rahmens-fuer-zirkulaere-ansaetze-im-bausektor

Autor:in

Annette Hering, annette.hering@hering-bau.de

Unternehmensleitung HERING GmbH & Co. KG, Burbach
Vorstandsmitglied Grüner Wirtschaftsdialog, Berlin

www.heringinternational.com
www.gruener-wirtschaftsdialog.de



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