Stuttgarter Nachhaltigkeits­­­stammtisch­

Recycling – von der Symbolik zur Nachhaltigkeit

Als Leser:innen dieser Kolumne müssen wir euch die Begriffe Kreislaufwirtschaft und C2C nicht erklären. Eigentlich ist allen am Bau Beteiligten bewusst: Wir müssen nachhaltiger bauen, die CO2e-Bilanz von Neubauten reduzieren, Rohstoffe einsparen, den Rückbau vereinfachen und folglich auch Bauteile wiederverwenden.

Bauherr:innen, Ingenieur:innen, Architekt:innen und Planer:innen anderer Fachdisziplinen binden dieses Ziel bereits erfolgreich in ihren Planungsprozess ein und definieren Maßnahmen, um diesen Zielen gerecht zu werden. Viel zu häufig stoßen wir aber im Projektalltag in diesem Prozess an unsere Grenzen. Denn die Weichen sind bereits gestellt, bis schließlich alle Fachplaner:innen an Bord sind. Der Zug setzt sich in Bewegung und erreicht bald ein hohes Tempo. Viele Ideen, die die Nachhaltigkeit des Projekts noch maßgeblich beeinflussen könnten, kommen gar nicht erst zur Sprache, denn sie hätten zur Folge, den Zug anzuhalten, vielleicht sogar ein ganzes Stück zurückzufahren. Die Weichen gegebenenfalls nochmal neu stellen? Mit solchen Vorschlägen macht sich niemand im Planungsteam beliebt. Wie häufig ist bspw. der Abriss eines Bestandsgebäudes bereits besiegelt, wenn die Planungsphasen für den Neubau starten – Studien zum Umgang mit dem Bestand sind dann gar nicht mehr Teil der Planungsaufgabe.

In dieser Phase eine Wiederverwendung von bestehenden Gebäudeteilen oder Tragwerksteilen anzuregen, ist häufig auf die Leidenschaft der Planer:innen zurückzuführen und bedeutet einen Mehraufwand, der mit den wirtschaftlichen Interessen der jeweiligen Unternehmen nur schwer in Einklang zu bringen ist. Es ist Überzeugungsarbeit zu leisten, ohne dass man sich davon einen Nutzen für die eigentliche Projektarbeit versprechen könnte. Wenn es dann zu Untersuchungen an Bestandsbauteilen kommt, mit dem Ziel, diese im Neubau wiederzuverwenden, findet sich häufig kein optimaler Einsatz. Das liegt daran, dass der Entwurf die Wiederverwendung von Bauteilen i. d. R. nicht berücksichtigt, sondern dieser optimal auf die geplante Nutzung ausgelegt wird. Als Planer:innen würden wir es genauso begrüßen, wenn sich ein anderes Bauvorhaben für den Einsatz der Bauteile findet – dann würde sogar ein anderer Bauherr profitieren. Es ist also nur allzu verständlich, dass dieses Wagnis nur selten eingegangen wird.

Aber es gibt sie: Pilotprojekte, in denen Bauteile oder Rohstoffe in einem Rückbau gewonnen werden und einen neuen Nutzen finden. Die Re:crete Fußgängerbrücke in Fribourg besteht bspw. aus vorgespannten Betonsteinen, die aus einer Stahlbetonwand geschnitten wurden. Eine Fluchttreppe der ehemaligen Augsburger Stadtbücherei hat einen neuen Verwendungszweck in der Pfalz gefunden, um hier nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese Projekte zeigen, dass es möglich ist und dass es wirtschaftlich sein kann. Zwar scheinen sie mehr symbolischen Charakter zu haben, aber sie können den Weg für größere Projekte mit größerer Wirkung ebnen.

Was braucht es nun, um die Wiederverwendung zu einem festen Bestandteil der Planung werden zu lassen? Es braucht zum einen neue Prozesse und Handlungsempfehlungen normativen Charakters, auf die wir uns in der Planung beziehen können. Darüber ­hinaus ist die Etablierung eines Bauteil- bzw. Baustoffmarkts erforderlich, der es ermöglicht, die Nutzungsdauer von Bauteilen über den Lebenszyklus eines Gebäudes hinaus zu verlängern. ­Erste Plattformen entstehen hier bereits, wie die der Firma Concular (allerdings werden hier bisher keine tragenden Bauteile angeboten). Einige wenige Unternehmen gehen bereits voran und garantieren die Rücknahme ihrer Bauteile – beispielhaft kann hier die Firma Derix genannt werden. Dieses Konzept fördert auch die Verantwortung und Motivation der Hersteller, kreislauffähige Produkte zu entwerfen, da sie sich selbst mit der Rücknahme und Wiederverwendung auseinandersetzen müssen. Zur Verfügung stehende Materialien bzw. Bauteile müssen bereits im Gebäudekonzept berücksichtigt werden, vielleicht sogar auf Kosten anderer Zielgrößen. Und es braucht mehr Initiator:innen, es braucht euch und eure Ideen und die Beständigkeit, das Thema immer wieder anzusprechen und voranzubringen!


Stuttgarter Nachhaltigkeitsstammtisch

Termin: jeder letzte Dienstag im Monat, 18 Uhr
Ort: online, MS Teams
Nächste Präsenzveranstaltung: vorauss. Dienstag, 25. Juli 2023, in Stuttgart
(Informationen und Anmeldung über den Mailverteiler)

Kontakt: sustainability@knippershelbig.com

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