Grün hinter den Ohren
Wir befinden uns zurzeit wieder in einer Phase, in der viel angeschoben wird. Und doch hat eigentlich bisher nichts wirklich so sehr wehgetan wie zuzusehen, dass alle Anstrengungen vehement im Sande verlaufen. Man fragt sich, ob überhaupt Wandel gewünscht ist. Ob es vielleicht nicht nur an der Verteilung der Macht liegt, dass progressive Ideen verhindert werden und konservative Kräfte sich zur Entschleunigung des Wandels aufgeschwungen haben. Vielleicht liegt es im Wesen des Tätigseins selbst, Probleme nicht lösen zu wollen, weil unklar wäre, was zu tun ist, wenn ein Thema abgehakt ist. Wer sich mit David Graebers Buch Bullshit Jobs vertraut gemacht hat, findet darin eine stechend fundierte Erklärung, warum wir – stets vom Burnout bedroht – versuchen, immer mehr Arbeit zu verrichten, dabei aber immer weniger erledigt kriegen. Wir denken, dass viel Arbeit viel wert ist. Eine Mentalität, die in den letzten Jahren als Hustle-Culture zunehmend in Verruf geraten ist. Doch die Erklärung dafür ist sehr viel tiefgreifender als proklamierte Unterschiede zwischen Jung und Alt, Boomer und Millennials/Gen Z. Sie wissen vermutlich nicht, warum Sie denken, dass es wichtig ist, viel zu arbeiten – nur, dass alle das so sehen. Dass eigentlich keiner so richtig Lust hat, aber alle es tun und – wenn man erst mal in der Mache ist – man sich auch richtig gut dabei fühlt. Graebers Arbeit hat aufgezeigt, dass unsere hohe Wertung von Arbeit in den zwischenmenschlichen Stoff eingewoben ist, den wir uns gegenseitig erzählen, seit der christliche Arbeitsethos durch das Aufbringen von Fleiß den Aufstieg ins Himmelreich in Aussicht gestellt hat. Arbeit ist wichtig, doch Beschäftigung um ihrer selbst willen ist behindernd. Dies muss sich nicht mal durch eine vollkommen obsolete Stelle äußern, der keinerlei effektiver Output entspringt. Bereits aufwendige Fleißarbeit in umständlich händischer Manier auszuführen, anstatt eine Softwarelösung dafür zu verwenden, weil man dadurch vermeintlich erst richtig mit der Materie vertraut würde, bedient dieses Narrativ vom immanenten Wert der Arbeit. In Wahrheit ist damit jedoch unwiederbringliche Lebenszeit für einen fragwürdigen Pathos vergeudet worden.
Wie würden Sie arbeiten, wenn Ihre Existenz gesichert wäre? Was würden Sie sich trauen Ihrem Vorgesetzten zu sagen oder wogegen würden Sie aufbegehren und welche Entscheidungen sich weigern mitzutragen? Würden Sie ihren derzeitigen Arbeitsvertrag nochmal so unterschreiben, wenn Sie es sich aussuchen könnten?
Wo der Schuh nun im Speziellen drückt und wo man ansetzen kann, versucht eine Arbeitsgruppe aus unseren Reihen herauszufinden mit einem vom Bund geförderten Forschungsprojekt zur ganzheitlichen und interdisziplinären Systemanalyse des Bau- und Gebäudebereichs. Es sollen in elf Bereichen Einflussfaktoren identifiziert werden, welche effektive Anstöße zur Transformation bieten. Dass dabei im eigentlichen Sinne keine Forschungslücke besteht, ist auch bekannt. Alles Wissen, alle Technologien sind vorhanden. Doch wie sich die Verhaltensstarre, die die Baubranche und weite Teile der Gesellschaft in Schach hält, erklären lässt, sodass jede:r Einzelne in die Lage versetzt werden kann, in seinem unmittelbaren Umfeld zu handeln, wäre ein wünschenswerter Output.
Es gibt in der Psychoanalyse den Begriff des großen Anderen. Auf diesen beziehen sich alle unerfüllten Wünsche, alle von uns ausgeübten Untaten, alle Wut und aller Zorn. In dessen Namen meinen wir zu handeln, wenn wir für die gute Sache gegen unsere eigenen Prinzipien verstoßen und nicht tun, was ethisch richtig wäre, wenn eine Situation Courage erfordert. Es gibt immer jemanden über uns, durch den wir unser Handeln oder Unterlassen rechtfertigen. Die existenzielle Tatsache jedoch ist: Wir sind allein und nur selten dringt diese Erkenntnis bis in den Kern vor. Diese Erkenntnis macht Angst, treibt uns dazu, verzweifelt und energisch zur Tat zu schreiten oder resigniert in Ohnmacht zu versinken, doch es gibt auch eine weitere Alternative. Mit der Angst leben lernen. Die Angst akzeptieren lernen und dadurch an Klarheit dazugewinnen. Über Angst sprechen und so an Handlungsfähigkeit gewinnen.
Ein interessanter Ansatz ist posthumanistisches Denken, in dem Menschen nicht mehr im Zentrum des Ganzen stehen. Das Konzept einer Trennung vom Menschen und seiner Umwelt wird vollkommen aufgelöst. Wir existieren weder als Schöpfer noch als Schädlinge. Es fügt sich ein in die Visionen von Zirkularität, Cradle-to-Cradle, neuer Humanökologie. Wir sollen uns nicht nur die Natur nicht untertan machen, sondern uns auch nicht zu deren Retter aufschwingen. Wir sollen nur so auf die Welt einwirken, dass ohne unser Handeln keine Veränderung zum ansonsten natürlichen Verlauf der Natur bemerkbar geworden wäre. Anders, als man daraus fälschlicherweise schlussfolgern könnte, bedeutet dies jedoch nicht, in der jetzigen Situation nichts zu unternehmen, sondern dass alles Handeln zur Beseitigung des verursachten Schadens dienen soll und die Nebenwirkungen unserer Existenz für die Welt verkraftbar sein müssen. Keine grüne Null, sondern ein grüner Grenzwert also. Allzu oft erzählen wir uns nämlich, dass die Opfer und der Einsatz, den wir bringen, unsere Entgleisungen rechtfertigen. Doch damit gehen wir uns wieder selbst auf den Leim, nehmen uns selbst – über das hinaus, was wir leisten – nicht in die Verantwortung. Das Ungerechte scheint zu sein, dass man so nie sagen kann, etwas geschafft zu haben, doch in gewisser Weise unterscheidet sich das nicht zum jetzigen Paradigma, wo wir um der Beschäftigung Willen beschäftigt bleiben. Also unterlassen wir doch, was wir vor uns selbst rechtfertigen müssen, und tun, was wir als richtig empfinden. Die seltsam schwer zu schluckende Pille ist, dass wir unseren Fußabdruck auf diesem Planeten nicht durch Arbeit wiedergutmachen müssen, sondern einfach weil wir leben, leben dürfen. Makel und Sünde mit eingenommen. Dadurch gewinnen wir die Freiheit frei zu handeln.
Und wenn Sie jetzt keine Lust auf noch mehr trockene Theorie haben, lesen Sie doch mal wieder Walden von Thoreau.
Architects for Future Deutschland e. V.