Der Präsident der Bundesingenieurkammer, Dr. Heinrich Bökamp, hat auf bauingenieur24.de vorgeschlagen, beim Bauen und Sanieren auf einen möglichst geringen CO2-Fußabdruck zu achten. Statt aufwendiger und teurer Zertifizierungen durch wenige Expert:innen möchte er dafür ein einfaches Nachhaltigkeitsbewertungssystem, das von allen Ingenieur:innen angewendet werden kann und bei vielen Gebäuden zur CO2-Reduktion beiträgt. Also eine Nachhaltigkeitsbewertung quasi für jedes Gebäude in Eigenverantwortung oder mit anderen Worten ein Bemessungskriterium Klimaschutz – das wäre eine kleine Revolution! Aber dann bitte auch die Architekt:innen, die Bauausführung oder das Klimaengineering mit in die Pflicht nehmen. Der klassische, sequenzielle Dreiklang – Architekt:in entwirft, Ingenieur:in bemisst das dann und Baufirma führt schließlich aus – funktioniert nicht nachhaltig. Beim Entwurf werden bereits wichtige Weichen für den CO2-Fußabdruck gestellt und alle Planung ist graue Theorie, wenn die Ausführung dann doch nicht passt.
Können wir Ökobilanzen so sicher handhaben wie Raumbücher, Statik oder Bauablaufpläne?
Zurück zum Vorschlag der Bundesingenieurkammer, die Nachhaltigkeitsbewertung in planerischer Eigenverantwortung durchzuführen. Sind die Ingenieur:innen wie die Architekt:innen oder die Bauunternehmen wirklich entsprechend aufgestellt? Können wir Ökobilanzen so sicher handhaben wie Raumbücher, Statik oder Bauablaufpläne? Haben ressourceneffiziente und CO2-arme Konstruktionen bereits die Betonflachdecke abgelöst? Bekommen die Studierenden all das erforderliche Wissen mit auf den Weg gegeben, um diese Aufgaben anzugehen? Unterstützen die Verbände die Praxis bei der Weiterbildung oder mit Arbeitshilfen ausreichend? Sind die diversen Ausschüsse nicht nur diskursiv unterwegs, sondern liefern auch praktisch nutzbare Ergebnisse? Die Antworten mögen sehr unterschiedlich ausfallen, aber grosso modo scheint doch noch einiges zu tun.
Nachhaltigkeits-Zertifizierung, zirkuläres Bauen oder Klimaschutz haben alle gemeinsam, dass die Ökobilanz – oder konkret das CO2-Äquivalent – als Leitindikator gesehen wird. Auch wenn das zunächst eine Aufgabe für Umweltwissenschaft und Ökobilanzexpert:innen ist, hängt alles am Ende konkret mit der Planung und Ausführung der Bauwerke zusammen. Also müssen Architekt:innen und Ingenieur:innen die Ökobilanz-Indikatoren nicht nur einfach anwenden können, sondern deren Bestimmung, Unsicherheiten und Grenzen auch grundsätzlich verstehen. Das schließt Hersteller, Zulieferer und Bauunternehmer ebenso ein. Folglich ist die Ermittlung und transparente Kommunikation der Ökobilanz oder des CO2-Äquivalents entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines der wichtigsten Themen auf dem Weg zum rational bewerteten nachhaltigen Bauen. Vergleichbar ist das vielleicht mit der Rolle der Materialfestigkeit für die Bauwerkssicherheit. Vor mehr als einem Centennium war es die Festigkeitslehre, die mit Spannungsermittlung und Materialtests die empirischen Erfahrungen der Baumeister mit wissenschaftlichen Methoden ablöste. Dazu kommt jetzt ergänzend die Ökobilanzierung. Wer eine rationale Nachhaltigkeitsbewertung für alle will, muss mit der Ökobilanz anfangen.
Wie weit wir noch von einem hinreichenden Verständnis für die Ökobilanzierung entfernt sind, lässt sich am Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) ablesen. Seit März werden Rechenwerte zur Ökobilanzierung vorgegeben, obwohl es die etablierte ÖKOBAUDAT sowie die noch umfassenderen Umweltproduktdeklarationen (EPD) gibt. Offenbar wird eine solche Simplifizierung für erforderlich gehalten, um die Akzeptanz und Anwendung der Ökobilanzierung zu fördern. Nachvollziehbar ist, dass auf Energieaufwand und Treibhausgas, also primär Klimaschutz, fokussiert wird. Der Punkt ist, dass produktspezifische EPDs ausgeschlossen scheinen, und damit der Anreiz für ökologisch bessere Bauprodukte. Es ist ein Dilemma, möglichst alle mitnehmen zu wollen und dafür (zu) sehr zu vereinfachen. Da kommen wir nur mit einer Bildungsoffensive zur Ökobilanzierung raus. BAK, BingK, HDB & Co., übernehmen Sie – gemeinsam!
Bernhard Hauke
nbau Chefredakteur