Nachhaltigkeit in Dänemark

In diesem Kurzbericht werden die individuellen Eindrücke der Autorin aus einem Jahr Leben und Arbeiten in Dänemark wieder­gegeben. Der Fokus liegt dabei auf dem Vergleich (sofern möglich) der Nachhaltigkeitsthemen: Wie geht Dänemark mit den Heraus­forderungen der Zukunft um? Wo kann Deutschland von seinem nördlichen Nachbarn lernen? Wie können wir den länderübergreifenden Austausch verbessern?

1 Hintergrund

Dänemark gilt in vielerlei Hinsicht als Vorbild für den großen Nachbarn Deutschland. Nicht nur ist es das zweitglücklichste Land der Welt (und Kopenhagen die lebenswerteste Stadt) – Dänemark gilt auch und insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeit als Vorzeigekind der Europäischen Union. Vor allem der letztgenannte Aspekt führte die Werner Sobek AG (und damit auch mich) Anfang 2022 in die dänische Hauptstadt, um dort eine Niederlassung unseres Büros zu eröffnen. Wir wollten hierbei zum einen von Dänemark lernen, zum anderen natürlich aber auch unsere Expertise in diesen interessanten Markt einbringen.

Neben vielfältigen, nicht unbedingt fachlichen und daher für diesen Bericht ungeeigneten Eindrücken u. a. hinsichtlich kultureller Eigenheiten konnte ich auch einige Unterschiede im Umgang mit der gebauten Umwelt identifizieren, die ich im Folgenden darlegen möchte. Dabei sei betont, dass dies meine persönliche Sichtweise ist, die sich mir über das letzte Jahr hinweg geboten hat, die natürlich aber nicht die einzig richtige sein wird bzw. kann.

2 Nachhaltigkeit in Dänemark

2.1 Umgang mit CO2

Der Umgang mit CO2 ist sicherlich einer der größten Unterschiede; aus meiner Sicht ist uns Dänemark hier viele Schritte voraus. Ab 2023 ist es gesetzlich für alle Neubauten verpflichtend, die CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus zu bilanzieren. Und für alle Gebäude über 1000 m² ist sogar eine bestimmte Grenze verpflichtend einzuhalten. Diese Grenze wird in regelmäßigen Abständen herabgesetzt, um die Anforderungen an die Gebäude zu erhöhen. Ab 2025 gilt sie zudem verbindlich auch für Gebäude, die kleiner als 1000 m² sind. Es ist durchaus sinnvoll, zuerst die großen Gebäude auf einen Grenzwert zu verpflichten. Meist werden diese mit einem größeren Team geplant, welches idealerweise Erfahrung mit CO2-Berechnungen und den möglichen Optimierungsmethoden hat. So kann das System auf seine Anwendbarkeit geprüft werden, bevor dann auch kleinere Bauwerke verpflichtend die Grenzwerte einhalten müssen. Die Berücksichtigung der kleineren Gebäude ist zwingend notwendig, um die Transformation des Bauwesens auch wirklich konsequent voranzutreiben. Denn häufig sind kleinere Gebäude pro m² besonders emissionsintensiv, obgleich hier z. B. durch die Verwendung von Holz in der tragenden Struktur CO2-Einsparpotenziale stecken.

Aus Bild 1 wird ersichtlich, dass die Grenzwerte für CO2-Emissionen/m² kontinuierlich reduziert werden. Für Bauherren, die höhere Ambitionen haben, werden freiwillige Grenzwerte aufgezeigt, die in Wettbewerbsverfahren auch bereits als Zielvorgaben eingesetzt werden.

Wer vermutet, dass sich die 12 kg CO2/m²a lediglich auf die sog. grauen Emissionen beziehen, der irrt. Denn in den 12 kg CO2 sind auch die betriebsbedingten, operativen Emissionen inkludiert. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Richtwert der DGNB ­allein für die grauen Emissionen von Büro- und Wohngebäuden gemäß der 2018er-Version des Zertifizierungssystems bei 9,4 kg CO2/m²a. Eine Untersuchung der zertifizierten Gebäude zeigt, dass dieser Durchschnittswert auf 8,8 kg CO2/m²a reduziert werden könnte. Eine Verpflichtung zur Einhaltung gibt es in Deutschland aber trotz lauter werdender Rufe auch aus der Baubranche bislang nicht. CO2-Kontingente, die von Planenden und Bauenden einzuhalten sind, wären doch eine gute Idee! Der Blick in das Nachbarland, das uns dies vormacht, stellt für mich daher eine sehr wertvolle Perspektive dar.

Die HafenCity Hamburg geht einen vergleichbaren Weg, indem sie in den Grundstückskaufverträgen CO2-Reduktionsziele fest vorschreibt. Wenn schon nicht national geordnet, so können zumindest Kommunen und Städte hier für ihre Bauvorhaben vorausgehen (oder Dänemark hinterhergehen).

Eine Studie von BUILD bzw. Zimmermann et al. [2] zeigt, dass viele Gebäude in Dänemark die 12 kg bereits jetzt schon einhalten. Das war für mich zunächst etwas überraschend, kann aber durchaus auch daran liegen, dass der dänische Strommix pro kWh nur etwa ein Drittel der CO2-Emissionen erzeugt, die pro kWh in Deutschland anfallen. Dänemark startet also nicht mit utopischen Zielen, sondern berücksichtigt den Status quo der Indu­strie und steigert die Anforderungen sukzessive.

Wie einfach oder schwer es letztendlich sein wird, die Grenzwerte einzuhalten und zu unterschreiten, wird sich zeigen. Es ist auf jeden Fall eine gewisse Nervosität und Unruhe bei dänischen Bauherren zu spüren, die nun darauf angewiesen sind, Nachweise zu erbringen und die Zielwerte per Gesetz einzuhalten. Das ist für mich ein sehr gutes Zeichen! Wir benötigen dringend diese Unruhe auch im deutschen Markt, denn das heißt: Es bewegt sich was!

2.2 Umgang mit Energie

Energieeinsparung war auch in Dänemark in den vergangenen Jahrzehnten das bestimmende Element beim Thema Nachhaltigkeit – aber stärker mit einem Fokus auf die dabei entstehenden CO2-Emissionen. Einen wichtigen Bestandteil der Energiepolitik stellt daher der Bezug von emissionsfreien Energieträgern dar. Bild 2 zeigt die Verteilung des durchschnittlichen Energiemixes in Dänemark für das Jahr 2021.

Daraus wird deutlich, dass Windenergie mit über 40 % den größten Anteil am Energiemix hat. Obgleich dieser Umstand sehr erstrebenswert ist und in einem CO2e-Wert von 142 g/kWh [3] resultieren kann, zeigte sich im Jahr 2021 die Volatilität dieser Aufteilung. Im Vergleich zu 2020 erfuhr der CO2-Wert pro kWh einen Anstieg um 14 %, da 2021 ein ungewöhnlich windstilles Jahr war, zudem der Energieverbrauch der Dänen anstieg und somit die Diskrepanz durch Kohle ausgeglichen werden musste. Im Vergleich zu Deutschland hat Solarenergie in Dänemark einen deutlich geringeren Anteil, was sich auch im Stadtbild ablesen lässt. PV-Anlagen sucht man hier recht lang, mit Ausnahme der internationalen Schule in Nordhavn vom Architekturbüro C. F. Møller. Die 12.000 Solarpaneele wurden hier als Gestaltungselement in die Außenhaut des Gebäudes integriert und decken ca. 50 % des jährlichen Energiebedarfs ab (Bild 3). Gebäudeintegrierte PV muss zwingend auch architektonischen und gestalterischen Ansprüchen entsprechen, und das ist C. F. Møller gut gelungen.

Interessanterweise scheint der Nutzerstrom noch nicht überall im allgemeinen Bewusstsein angekommen zu sein. Nicht nur, dass ich abends in unserem Co-Working-Space immer die Beleuchtung in den Telefonkabinen ausmachen muss. Es stört mich auch, dass das Licht im Treppenraum meines Wohnhauses – trotz natürlicher Belichtungsmöglichkeit bei Tag – permanent an ist und kein Schalter oder Bewegungsmelder vorhanden ist. Die Belüftung während meiner Abwesenheit läuft auch durchgehend, und ich fahre häufig spät abends an komplett leeren und trotzdem hell beleuchteten Bürohäusern vorbei.

Für eine Optimierung der operativen Energieemissionen ist die Reduktion des Wärmebedarfs ein weiterer Bestandteil der dänischen Strategie. So war die letzten Jahre ein klarer Einfluss der Industrie, v. a. aus dem Bereich der mineralischen Dämmstoffe, zu verspüren. Während in Deutschland Dämmstärken im Mehrfamilienhausbau von ca. 20 cm üblich sind, liegt der Wert in Dänemark bei mindestens 30 cm, fest verpackt in vorgefertigten Elementen, wie aus Bild 4 ersichtlich. Erstaunlich ist, dass es keine divers geführte Diskussion dazu gibt, wie viel Dämmung – v. a. auf mineralischer Basis und wenig trennbar ausgeführt – tatsächlich sinnvoll ist. Eine Konsequenz dieser sehr dichten Fassaden ist die durchgehende mechanische Be- und Entlüftung sogar von wenig tiefen Wohnräumen. Muss das sein?

Ein weiterer Unterschied, der mir als Mieterin einer dänischen Neubauwohnung sofort positiv aufgefallen ist, ist die digitale Transparenz des Stromverbrauchs und Strompreises. Nicht nur lässt sich somit tagesaktuell (per App) der tatsächliche Energieverbrauch nachverfolgen, sondern es wird auch ersichtlich, dass und wie der Strompreis über den Tag hinweg variiert. Nachts und bei Flaute ist er höher, tagsüber und bei Wind niedriger. So ein einfaches Mittel ermöglicht es jedem Haushalt (der Energie und Geld sparen möchte/muss), Energie in Bezug auf die Energieverfügbarkeit zu verbrauchen. Vor allem in unserem deutschen Energiekonstrukt mit einem verhältnismäßig hohen Anteil Solarenergie wäre ein verfügbarkeitsorientierter Verbrauch sehr effektiv.

2.3 Umgang mit Material

Materialien spielen auch in Dänemark zunehmend eine wichtigere Rolle. Dass die sog. grauen Emissionen gepaart mit den teilweise kritischen Materialverfügbarkeiten in der Hierarchie von Herausforderungen für das Bauwesen nun mit der Energieeinsparung mindestens gleichgezogen haben, ist auch in Dänemark angekommen. Auch hier gilt der Bestandserhalt als oberste Stufe der Nachhaltigkeit, und Sanierungen und Transformationen werden die Bauaktivitäten in den nächsten Jahren maßgeblich prägen (Bild 5).

Es kommen mir tatsächlich einige Nachhaltigkeits-Leitfäden von Stadtteilen und Bauherren unter, die ein sehr hohes Maß an Nachhaltigkeit, auch in Bezug auf Materialitäten, fordern. Auch hier ist es durchaus möglich, dass die Größe des Landes mit relativ wenig eigenen Ressourcen einen Treiber für Wiederverwendung und -verwertung darstellt.

Während sich in Deutschland nur vereinzelte Projekte in einem kleineren Gebäudemaßstab an den Themen des Recyclings und der Wiederverwendung versuchen, ist die Dimension in Dänemark eine ganz andere.

Eines der führenden Architekturbüros in diesem Rahmen ist das verhältnismäßig kleine und junge (sehr viele Architekturbüros in Kopenhagen haben eine 60–120 Jahre Tradition) Büro Lendager. Anders Lendager gilt als einer der mutigen, innovativen Köpfe der Recycling-Branche, der gerne Bauherren fordert und mit sämt­lichen Abfallprodukten experimentiert. Einzig bei dem Versuch Windradrotoren wiederzuverwenden ist er bislang gescheitert. Dieses Kompositprodukt ist anscheinend für nichts weiter zu gebrauchen (ich freue mich aber über Alternativvorschläge aus der Windanlagenindustrie!).

Besonders zwei Projekte stechen dabei hervor: Upcycle Studios und Resource Rows (Bild 6). Weitere, darunter auch ein Hochhaus, befinden sich in der Entwicklung. Die Größe dieser Projekte umfasst 3000 bzw. 9000 m². Das sind tatsächlich Dimensionen, bei denen die Herausforderung deutlich größer ist als bei kleinen Experimentaleinheiten. Solche Projekte sind jedoch sehr wichtig, um Ängste und Bedenken zu nehmen und um Präzedenzfälle zu schaffen. Eine Anmerkung an dieser Stelle: Es ist nicht möglich, ein derartig innovatives Projekt umzusetzen, ohne einen mutigen, starken Bauherren an seiner Seite zu haben. Bei den beiden Projekten war dies NREP, ein dänischer Entwickler. Upcycle Studios und Resource Rows behandeln diverse Themen der Ressourceneinsparung. Beispielsweise wurden gebrauchte (post-consumer) Glasscheiben in neue Rahmen gesetzt und mit neuen Glasscheiben kombiniert, sodass sie tatsächlich die erforderlichen Leistungen erzielen und trotzdem Primärmaterial einsparen. Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf das Lieblingsfassadenmaterial der Dänen: Klinker. Je nach verwendetem Mörtel ist eine Trennbarkeit der Ziegel nicht rückstandslos und ohne Beschädigung der Ziegel möglich. So auch in diesem Fall des abgebrochenen Gebäudes, weshalb sich Lendager dafür entschieden hat, die Klinker im Ganzen inkl. Fugenbild in ca. 1 m² großen Stücken auszuschneiden. Die Ziegel wurden anschließend zu einem spannenden Fassadenbild gepuzzelt und als Schalung für eine dünne Betonschicht verwendet. Ein weiterer für mich hervorzuhebender Aspekt liegt in der Kommunikation zu Materialverfügbarkeiten. Lendager hat das Unternehmen a:gain gegründet, das Materialien vermittelt. So kam es, dass Ortbeton, der auf einer der Metro-Baustellen der Stadt überschüssig war, in den Gebäuden von Resource Rows verwendet werden konnte. Ebenso wie Konstruktionsholz derselben Baustelle. Man sieht: Es reicht nicht, sich nur auf einzelne Projekte zu konzentrieren. Wie in vielen anderen Nachhaltigkeitsaspekten (Mikroklima, Energiekonzeption, soziale Integration) dürfen die Betrachtungen nicht an der Grundstückskante enden, sondern müssen die Umgebung einbeziehen. Daher ist es so wichtig zu wissen, welche Abbruch-/Aushub-/Sanierungsarbeiten in nächster Umgebung stattfinden, denn nur dann können Synergien wie in diesem Projekt entstehen. Vereinzelt existieren auch in Deutschland Plattformen wie z. B. concular oder Bauteilbörsen – ich würde das gerne auch in jeder größeren Stadt mit wöchentlichen Updates über die geplanten Bauarbeiten sehen.

In der Verwendung nachwachsender Rohstoffe (v. a. Holz) hinkt Dänemark noch etwas den skandinavischen Nachbarn hinterher. Es wird aber inzwischen stark gefördert. Wie auch in Deutschland erhofft man sich davon die Lösung aller ökologischen Probleme. Vor allem die brandschutztechnischen Normen verhindern aktuell den großflächigen Einsatz von Holz. Durch Tests wie unter Abschn. 2.6 beschrieben geht es langsam vorwärts, sodass ich erwarte, dass die Anzahl der neuen Holzgebäude weiter zunehmen wird.

Die vorherrschende Bauweise ist definitiv Betonfertigteilbau. Auch hier ist die dänische Industrie für diese bauliche Tendenz verantwortlich. Diese Fertigteilbauweise hat zwar viele Vorteile, auch ökologischer Art. Es wird weniger Beton auf der Baustelle verschwendet, die Bauteile sind höchst effizient und können sehr schnell gefügt und errichtet (und später wieder getrennt und wiederverwendet) werden. Zusätzlich profitiert die direkte Umgebung von weniger störendem Lärm und Staub auf der Baustelle. Und es bedarf weniger Facharbeiter, die bei (fast) jedem Wetter Bewehrung verlegen und Beton gießen müssen. Auf der anderen Seite wird dadurch verlernt, individuell für jedes Projekt die optimale Lösung des spezifischen Lastfalls zu entwickeln. Auch die Variabilität der Betonmischung, die durchaus hinsichtlich der CO2-Emissionen eine große Rolle spielt, wird reduziert. Der in Deutschland vielfach angepriesene Beton mit Hochofenschlacke ist in Fertigteilen nicht (zumindest nicht wirtschaftlich) umsetzbar, da die Ausschalfristen für den Schichtbetrieb zu lang sind. Da bleibt nur die Lösung des Ortbetons.

Der Trennbarkeitsgedanke in Dänemark geht übrigens sogar so weit, dass Anschlüsse an das (Beton-)Fundament lediglich geschraubt werden können – und das sogar bei lastabtragenden Bauteilen!

2.4 Umgang mit dem Stadtraum

Kopenhagen war nicht immer eine fahrradfreundliche Stadt. Zwar ist Strøget eine der ersten autofreien Fußgängerzonen der Welt, dennoch machen wir es uns in Deutschland mit Aussagen wie „Das ist bei uns etwas anderes“ zu einfach. Auch Kopenhagen war eine Stadt, gemacht für motorisierten Individualverkehr, mit breiten, vielspurigen Straßen, in der sich zu Fuß oder auf dem Fahrrad fortbewegende Menschen in der Hierarchie weit unten standen. Wer alte Fotografien von Nyhavn (Bild 7) oder Kongens Nytorv aus den 1970er-Jahren betrachtet, wird überrascht sein, dass der nun sehr beliebte und belebte Fußgängerbereich einst ausschließlich parkenden Autos vorbehalten war. Der dänische Urbanist Jan Gehl hat 1971 das Buch Life between buildings veröffentlicht und darin das Missverhältnis zwischen Mensch, Mobilität und Bebauung aufgezeigt sowie Lösungsansätze und Inspirationen für eine menschlichere gebaute Urbanität geliefert. Sein Credo Der Mensch als Maßstab wurde zum städtebaulichen Leitbild Kopenhagens und führte dazu, dass radikal umgedacht und das Auto konsequent aus der Stadt gedrängt wurde.

Und dabei ist das wirklich eine Frage der Konsequenz, des ­poli­tischen Muts und einer geschickten Städte- und Verkehrsplanung. Einbahnstraßen für MIV, Ampeln, die auf das Tempo von ­Fahrradfahrer:innen eingestellt sind, und v. a. eine herausragende Infrastruktur für nicht motorisierten Individualverkehr führten dazu, dass das Fahrrad in Kopenhagen und anderen dänischen (Groß-)Städten zum wichtigsten Fortbewegungsmittel geworden ist. Natürlich bietet die flache Topografie einige Vorteile, zumindest die Höhenmeter betreffend. Dafür ist im Norden meist mit ordentlich (Gegen-)Wind zu rechnen. Ein Großteil der Straßen verfügt über eigene Fahrradtrassen, die – im Gegensatz zu den meisten deutschen Fahrradwegen – von der Straße durch einen Bordstein abgehoben sind. Zudem sind die Fahrradwege breit genug, um Rad-Überholvorgänge sicher und komfortabel zu ermöglichen. Und auch während der zahlreichen Bauprozesse wird die Hierarchie eingehalten; so müssen Pkw eine Spur einsparen, damit der Fahrradweg weiterhin in notwendiger Breite (und mit kantenlosen Höhenübergängen!) zur Verfügung steht. Wie sonst soll die Entmotorisierung der Städte gelingen, wenn nicht durch eine Veränderung der Hierarchie?

Deutsche Kommunen und Bauherren agieren hier meiner Auffassung nach zu langsam und zu zaghaft. Denn was war zuerst? Der fehlende Platz für ein parkendes oder sich bewegendes Auto oder weniger MIV-Aufkommen? Nun, die Dänen haben gezeigt, dass es sich lohnt, forsch zu sein, Autos aus den Städten zu drängen und Alternativen (z. B. auch den Ausbau der Metro) zu fördern. Wozu benötigt ein Neubau in urbaner Lage langfristig pro Wohneinheit immer noch eineinhalb bis zwei Stellplätze? Vor allem Tiefgaragen verfügen über ein denkbar geringes Wiederverwendungspotenzial, wenn die Flächen spätestens in zehn bis 15 Jahren zu einem großen Teil überflüssig werden. Umbauter Raum, gebundene Ressourcen, ohne Mehrwert. Was ich in meiner Mietwohnung in Kopenhagen nicht anmieten konnte, ist ein Pkw-Stellplatz. Nein, ich zahle einen pauschalen Anteil für eine einladende Fahrradstellplatzinfrastruktur.

Ein weiterer Aspekt der nachhaltigen Außenraumgestaltung bezieht sich auf die aktive Belebung von öffentlich zugänglichen Flächen. Potenziale zur soziokulturellen Interaktion werden überall in der Stadt geschaffen, auch in den artifiziellen Neubauwohnvierteln. Sei es durch die gekonnte Integration von Wasser und Wassererlebnisflächen in das Stadtleben (Bild 8) oder die Verwendung eines Parkhauses (ja, es gibt auch ein paar Stellplätze) als Spielplatz (Bild 9). Oder einfach das intrinsische Bedürfnis, aktive Flächen für alle Arten der Bewegung oder des Aufenthalts zu gestalten. Vermutlich verschafft genau diese Blickweise auf die stadträumlichen Qualitäten den dänischen Architekturbüros einen kleinen Wettbewerbsvorteil auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen. Wir benötigen mehr davon!

Natürlich gibt es auch Negativbeispiele. Auf eines davon muss ich jeden Tag hinabblicken (Bild 10). Der sehr lieblos geplante Søren Kierkegaards Plads an eigentlich sehr prominenter Stelle bietet keinerlei Aufenthaltsqualitäten oder -möglichkeiten, nur vollständig versiegelte Fläche. Zum letztjährigen Großevent, dem Auftakt der Tour de France, wurden provisorisch einige Pflanzentröge und Verschattungselemente installiert – langfristig verbessert hat sich durch diese zweimonatige Verschönerung jedoch nichts.

Zum Glück sind mir von derartigen Problemzonen bislang nicht allzu viele begegnet.

2.5 Gleichberechtigung

Wenn auch nicht direkt mit dem ökologisch nachhaltigen Bauen verbunden, so gilt sie doch als ein wesentlicher Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit: die Gleichberechtigung unterschiedlicher Geschlechter wie auch Nationalitäten und Kulturen (nicht nur Verkehrsteilnehmer:innen).

Zunächst zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter. Hier fällt eines sehr früh auf, und zwar spätestens nach einigen Tassen Kaffee (Dänemark hält übrigens weltweit Platz 4 im Kaffeekonsum pro Person). Und zwar, dass Toilettenräume in Büros oder Restaurants sehr häufig unisex sind. Während das für unbedarfte Deutsche zunächst ungewohnt erscheint, gewöhnt man sich sehr schnell daran und eines – hier kommt die Nachhaltigkeit auch aus ökologischer Sicht ins Spiel – fällt auf: Das Zusammenlegen von Toilettenräumen spart Platz – und damit konsequenterweise wertvolle Ressourcen. So können z. B. Vorräume, Waschbecken und auch Kabinen inkl. der ver- und entsorgenden Haustechnik eingespart werden. Die Frage, wo Wickelmöglichkeiten angeordnet werden, stellt sich dadurch im Übrigen auch nicht. Ich halte es für ein valides Modell, welches auch bei uns durchaus Anwendung finden und in der Arbeitsstättenrichtlinie beachtet werden sollte. Es stellt die oberste Stufe der Optimierungsskala dar. Denn Reduktion kann nicht nur auf Bauteilebene erzielt werden, viel effektiver ist sie auf Gebäudeebene, z. B. eben durch die Reduktion von individualisiertem Raum, hier: Toiletten.

Obgleich Dänemark im Bereich der Aufteilung von sog. Care-­Arbeit sehr ausgewogen erscheint – schon allein aufgrund der horrenden Lebensunterhaltskosten ist es unverzichtbar, dass beide Partner möglichst Vollzeit arbeiten –, ist es dennoch erstaunlich, wie wenige Frauen in Partner- oder geschäftsführender Position mir in Architekturbüros begegnet sind. Hervorzuheben in diesem Rahmen sind die weiblichen CEOs von BIG sowie white arkitekter. Die bekannteste unter den Frauen in Führungsposition ist sicherlich Dorte Mandrup vom gleichnamigen Büro. Eine beeindruckende und meinungsstarke Frau, die genau auf diesen Missstand in der Baubranche unermüdlich hinweist. Wie kann es sein, dass bei ausgewogenem Studierenden- und auch Mitarbeitendenverhältnis die Führungsebenen dennoch vorrangig männlich besetzt sind? Und das sogar in einem sozialen Vorzeigeland wie Dänemark. Ermunternd ist in diesem Kontext aber z. B. die neue Doppelspitze bei COBE, wo sich seit Herbst 2022 tatsächlich zwei Frauen die CEO-Position teilen. Gleichberechtigt, zu gleichen Teilen, mit gleichem Stimmrecht. Ein zukunftsfähiges Konzept, das sich hoffentlich weiter durchsetzt.

Bezüglich Gleichberechtigung von Nationalitäten möchte ich mir eine kleine kritische Anmerkung erlauben: Mit seinen 5,5 Mio. Einwohner:innen und den knapp 43.000 km² Landfläche (ohne Grönland) ist Dänemark kein großes Land. Neben der Abhängigkeit von Importen von Rohstoffen u. a. für die Bauaktivitäten ist es auch abhängig vom Wissenstransfer über nationale Grenzen hinweg. Eine Institution der Metropolregion Kopenhagen (Copenhagen Capacity) ist sich dieses Umstands bewusst und hält gezielt Ausschau nach internationalen Firmen, die den kleinen, bislang relativ geschlossenen dänischen Markt bereichern sollen. So ist im Übrigen auch die Werner Sobek AG nach Dänemark gelangt. Die Unterstützung, die wir beim Start in Kopenhagen erfahren haben, war groß und sehr hilfreich; worauf wir jedoch nicht ausreichend vorbereitet wurden, war die Skepsis, die nicht dänischen Firmen entgegengebracht wird. Durch einen Dschungel von Regularien, Dokumentationsverpflichtungen und Qualifizierungsverfahren wird es internationalen Firmen schwer gemacht, sich zu etablieren. Ein Netzwerk von lokal ansässigen Firmen als Kooperationspartner ist dadurch unerlässlich. Zum Glück lieben es Dänen, zu netzwerken!

2.6 Umgang mit Information

Neben dem Netzwerken, welches in Dänemark durch die meiner Auffassung nach überdurchschnittlich häufigen Jobwechsel sehr schnell geht, ist das Teilen von Informationen und Erkenntnissen ein sehr wichtiges Gut. Weil Dänemark ein kleiner Markt ist, müssen sich die verschiedenen Stakeholder hier umso besser austauschen. Beispielsweise hat in dem Projekt UN17 der Entwickler NREP (die Gleichen wie beim Thema Recycling) wichtige Untersuchungen und Tests hinsichtlich Brandverhalten von Holzfassaden abgehalten. Wie selbstverständlich wurden die Informationen in der gesamten Baubranche detailliert geteilt, sodass alle davon profitieren können.

Auch die beiden erwähnten Recycling-Projekte wurden durch ausführliche Berichte auf eine sehr transparente Art und Weise aufgearbeitet und Lessons Learned abgeleitet. Die Ergebnisse sind allen frei zugänglich.

3 Fazit

Alles in allem lässt sich über unser nordisches Nachbarland sagen, dass es in einigen Themenfeldern der Nachhaltigkeit deutlich konsequenter agiert, als wir es in Deutschland tun. Es ist nicht in allen Bereich die Nummer 1 (z. B. bezüglich der Reduzierung von Nutzerstrom und mineralischen Dämmstoffen), geht aber viele Aspekte konsequent an: CO2-Grenzwerte, Einsatz von wiederverwendeten Bauteilen, Autos aus der Stadt drängen. Damit das überhaupt möglich ist, bedarf es v. a. Mut aufseiten der Bauherren, der Kommunen und der Landespolitik. Es ist wahr, dass die dänische Bevölkerung grundsätzlich sehr zufrieden ist. An manchen Stellen, wie z. B. bei der Diskussion über Dämmstärken oder dem Einsatz von Betonfertigteilen, würde ich mir einen konträrer geführten Meinungsaustausch wünschen – aber vielleicht ist auch genau das etwas, das wir aus Deutschland mitbringen können.


Literatur

  1. Aftale mellem regeringen (Socialdemokratiet) og Venstre, Dansk Folkeparti, Socialistisk Folkeparti, Radikale Venstre, Enhedslisten, Det Konservative Folkeparti og Alternativet om: National strategi for bæredygtigt byggeri. København: Indenrigs og boligministeriet. 5. marts 2021. https://im.dk/Media/C/4/Endelig%20aftaletekst%20-%20B%C3%A6redygtigt%20byggeri%20-%205.%20marts%202021.pdf
  2. Zimmermann, R. K. et al. (2020) SBi 2020:04: Klimapåvirkning fra 60 bygninger Svensson. København: Polyteknisk Boghandel og Forlag ApS.
  3. Øyen, M. (2022) Danskernes strøm blev mere sort i 2021 [online]. København: Altinget. www.altinget.dk/artikel/danskernes-stroem-blev-mere-sort-i-2021

Autorin

Dr.-Ing. Stefanie Weidner, stefanie.weidner@wernersobek.com
Werner Sobek AG, Kopenhagen/Stuttgart

www.wernersobek.com

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