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Schon im Altertum wurden Fasern zur Verbesserung der Materialeigenschaften von damaligen Baustoffen eingesetzt. Pflanzen- oder Tierfasern (Haare) wurden bei der Herstellung von Lehm- und Tonziegeln zugemischt, um das Materialverhalten duktiler zu gestalten. Das Minarett von Agadez (Niger) widersteht seit 500 Jahren durch diese Bauweise den unterschiedlichen Umweltbelastungen [1]. Heutzutage spielt die Verwendung von Stahlfasern eine bedeutende Rolle im Betonbau. Seit Jahrzehnten wird Stahlfaserbeton in der Praxis eingesetzt.
Der Einsatz war hauptsächlich auf die bauaufsichtlich untergeordneten Bauteile, z. B. Industrieböden und Bodenplatten, beschränkt. Durch die bauaufsichtliche Einführung der DAfStb-Richtlinie Stahlfaserbeton [2] im Jahr 2010 können die Vorteile des Stahlfaserbetons sowie des stahlfaserverstärkten Stahlbetons auch für bauaufsichtlich relevante Bauteile genutzt werden. Potenzielle Beispiele für die Anwendung sind tragende Industrieböden für z. B. Hochregallager in Silobauweise und pfahlgestützte Bodenplatten, Fundamentplatten für Ein- bzw. Mehrfamilienhäuser und Fundamentplatten für den Geschossbau. Darüber hinaus erstreckt sich die Anwendungsmöglichkeit von Stahlfaserbeton zusätzlich auf Hybriddeckensysteme sowie auf Fertigteile.
Die Zugabe von Stahlfasern verbessert deutlich die Festbetoneigenschaften. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Fasern die Risse in der Betonzugzone überbrücken und die Kräfte über die Rissflanken hinweg übertragen. Diese Eigenschaft nennt man Nachrisszugfestigkeit. Dadurch verleihen Stahlfasern der Betonmatrix zusätzliche Zug-, Biege- und Querkrafttragfähigkeit und bringen eine sehr effektive Wirkung zur Begrenzung der Rissbreite hervor. Anhand dieser Vorteile des Stahlfaserbetons kann man den Bauteilquerschnitt sowie die notwendige herkömmliche Bewehrung optimieren. Dadurch entstehen nicht nur wirtschaftliche Einsparungen, sondern auch nachhaltige Vorteile.
Die nachhaltigen Vorteile ergeben sich aus der Tatsache, dass für den Bau desselben Zielobjekts weniger Rohstoffe verwendet werden. Infolgedessen wird die Ökobilanz durch Verringerung der produzierten und transportierten Baustoffe verbessert. Wie bei Bekaert die Umbemessung des Bauteils in Stahlfaserbeton bzw. in stahlfaserverstärkten Stahlbeton durchgeführt wird und wie die Auswertung der Nachhaltigkeitsaspekte erfolgt, wird in diesem Beitrag anhand der Fundamentplatte eines mehrgeschossigen Gebäudes in der Münchener Innenstadt erläutert.
Die Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA)
Das Pariser Abkommen gibt einen globalen Rahmen zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels vor, indem die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C gesenkt und die Bemühungen um eine Begrenzung auf 1,5 °C fortgesetzt werden.
Der Gebäudesektor ist für 39 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. 28 % stammen aus betrieblichen Emissionen der Gebäude und 11 % aus Baustoffen und Bauarbeiten [3]. Aufgrund der u. a. staatlich geförderten energetischen Sanierungen werden die Gebäude in der EU zunehmend energieeffizienter. Dadurch wird der Anteil der betrieblichen Emissionen allmählich reduziert.
Um den anderen Anteil zu reduzieren, müssen Baumaterialien nicht nur mechanische Leistungskriterien erfüllen, sondern auch die geringsten Umweltauswirkungen bei ihrer Herstellung herbeiführen.
Zur Abschätzung der Auswirkungen von Treibhausgasemissionen auf die Umwelt ist eine der gängigsten Methoden die Durchführung einer Ökobilanz (LCA-Analyse) des Produkts. Es gibt zwei Hauptmethoden zur Berechnung der Ökobilanz.
Cradle-to-Gate wird verwendet, um die Auswirkungen eines Produkts von der Herstellung (Cradle) bis zum Verlassen der Fabrik (Gate) zu bewerten, bevor es zum Verbraucher transportiert wird. Dies ist i. d. R. die ausschlaggebendste Betrachtung für die meisten Kunden. Cradle-to-Grave erfasst den gesamten Lebenszyklus des Produkts und versucht die gesamte Umweltauswirkung zu ermitteln (Bild 1).
Bei der Cradle-to-Gate-Analyse wird die Nutzungs- und Entsorgungsphase ausgeklammert. Die Methode reduziert die Komplexität einer Ökobilanz erheblich und schafft so schneller Erkenntnisse, insbesondere über interne Prozesse. Cradle-to-Gate-Bewertungen werden häufig für Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration, EPD) verwendet.
In Bild 2 sind die verschiedenen Stufen der LCA-Analyse nach EN 15978 und EN 15804 dargestellt. Diese Analyse ermöglicht die Feststellung der Werte vom globalen Erwärmungspotenzial (Global Warming Potential, GWP-Werte) in kg CO2-Äqivalent (kgCO2e), die für jede Phase der Herstellung eines Produkts emittiert werden (Phasen A1–A3). Wobei kgCo2e die Masseneinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase (u. a. Methan, Lachgas) umgerechnet in CO2-Mengen darstellt.
Die Stufen A1–A3 umfassen die Bereitstellung aller Materialien, Produkte und Energie sowie die Abfallverarbeitung bis zum End-of-Waste-Zustand bzw. die Entsorgung von Resten während der Produktionsphase.
Die Phasen A4 und A5 umfassen alle Auswirkungen und Aspekte, die mit den Verlusten während dieser Bauprozessphase zusammenhängen (d. h. Produktion, Transport, Abfallverarbeitung und Entsorgung der verlorenen Produkte und Materialien). Die Stufen B1–B7 sind die Nutzungsphasen und umfassen Nutzung, Wartung, Reparatur, Ersatz und Sanierung sowie den betrieblichen Energieverbrauch und den betrieblichen Wasserverbrauch. Alle C-Stufen umfassen die Bereitstellung und den Transport, die Bereitstellung aller Materialien und Produkte sowie den damit verbundenen Energie- und Wasserverbrauch.
Verschiedene Lebenszyklusphasen sind entweder obligatorisch oder optional je nach dem betrachteten Umfang der Ökobilanz. Bei Bewertungen auf Produktebene sind nach EN 15804 nur die Module A1–A3 obligatorisch, während alle anderen Phasen optional sind.
Auf Basis der EPDs der verwendeten Baustoffe kann für ein Bauwerk eine Ökobilanz (LCA) für die Phasen A1–A3 erstellt werden. EPDs geben die GWP-Werte des Baustoffs in kgCO2e/kg an, damit kann man die kgCO2e-Summe der verwendeten Mengen unterschiedlicher Materialien ermitteln. Diese Summe stellt die LCA für die Phasen A1–A3 dar.
Bei Bekaert wird die Ökobilanzierung durch eine standardisierte Software One Click LCA erstellt. GWP-Werte sind durch die aktuellen EPDs je nach Produktionsstandort im Programm hinterlegt.
Nachhaltiger Einsatz mit stahlfaserverstärktem Stahlbeton für VINZENT
VINZENT ist der Name des neuen Büro- und Wohngebäudes im Stadtteil Neuhausen, welches als erstes Gebäude in Holz-Hybridbauweise im innerstädtischen München zählt. Die Bauarbeiten haben am 14. September 2022 begonnen, bis Ende 2024 soll der Bau bezugsfertig sein. Das Gebäude verfügt über drei vollflächige Untergeschosse, welche hauptsächlich als Tiefgarage genutzt werden und Stellplätze für 214 Kfz inkl. Ladestationen und Carsharing bieten. Der sechsgeschossige Wohngebäudeteil erstreckt sich entlang der Gabrielenstraße sowie auf ein Hofhaus mit bepflanztem Innenhof und soll 56 Wohneinheiten bereitstellen. Der fünfgeschossige Gebäudeteil an der Rupprechtstraße bietet ca. 6500 m2 Bürofläche. Die begrünte Fassade sowie mehrere Dachgärten verstärken den Nachhaltigkeitsauftritt des Gebäudekomplexes (Bild 3). Erwähnenswert ist, dass eine Nachhaltigkeitszertifizierung LEED Core & Shell Gold für VINZENT angestrebt wird.
Das Ingenieurbüro Seidl & Partner Gesamtplanung GmbH war mit der Tragwerksplanung beauftragt. Die Fundamentplatte war als Stahlbetonplatte geplant und berechnet. Die Sohle unterliegt hohen Beanspruchungen durch hohe Gebäudelasten sowie einen ca. 10 m hohen Wasserdruckstand. Eine Plattenstärke von 100 cm sowie einige Gewi-Rückverankerungspfähle waren für die Auftriebssicherung notwendig. Als WU-Bauteil war die Rissbreite auf 0,25 mm begrenzt. Eine Festigkeitsklasse C35/45 sowie eine Betondeckung von 5,5 cm oben und 3,5 cm unten wurden anhand der Expositionsklasse festgelegt. Als volleingespannte Platte unter frühem und spätem Zwang war eine Grundbewehrung von ca. 32,72 cm2/m (Ø25/15 cm) kreuzweise oben und unten erforderlich.
Gewünscht war seitens der am Bau Beteiligten, die Fundamentplatte durch den Einsatz von Stahlfaserbeton zu optimieren. Dementsprechend wurde bei Bekaert eine optimierte Bemessung mit stahlfaserverstärktem Stahlbeton geplant. Die Optimierungsziele sind u. a. die Wirtschaftlichkeit, Materialeinsparung und eine verbesserte Ökobilanz. Eine Bemessung nach der DAfStb-Richtlinie und dem EC2 wurde wie in [6] erstellt. Durch den Einsatz von Stahlfaserbeton der Leistungsklasse L2,1/2,1 konnte die Grundbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite unter gleichen Bedingungen auf 16,75 cm2/m (Ø16/12 cm) kreuzweise oben und unten reduziert werden (Bild 4). Die Tragwirkung des Stahlfaserbetons wurde neben der Ermittlung der Rissbreitenbegrenzung auch für alle Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit herangezogen. Mit dieser Lösung ließ sich die Betonstahlmenge von 325 t auf 170 t reduzieren. Dementsprechend wurden 155 t eingespart und mussten nicht zur Baustelle in die Münchener Innenstadt gefahren werden. Zum Erreichen der erforderlichen Leistungsklasse wurde eine Dosierung von 28 kg/m3 der Dramix 5D 65/60 BG benötigt. Demnach wurden 82 t Stahlfasern für die Sohle eingesetzt.
Die Ökobilanz wurde wie oben beschrieben für die Phasen A1–A3 mit One Click LCA ermittelt. Der GWP-Wert (0,96 kgCo2e/kg) für die 5D 65/60 BG gemäß EPD der Produktionsstätte in Petrovice/Tschechien wurde hierbei verwendet. Für einen durchschnittlichen GWP-Wert von 1 kgCO2e/kg für den Betonstahl sind letztlich mindestens 75 t CO2e durch die Optimierung und den Einsatz von stahlfaserverstärktem Stahlbeton eingespart worden.
Fazit
Projektbeispiele optimierter Lösungen für Fundamentplatten aus stahlfaserverstärktem Stahlbeton hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit, Effizienz und des Bauverfahrens wurden bereits des Öfteren vorgestellt, z. B. in [6, 7]. Im Rahmen dieser Veröffentlichung steht die Nachhaltigkeit im Vordergrund. Bei oben aufgeführtem Beispiel wurde eine Nachrechnung der eingesparten Menge an CO2 durchgeführt und mit 75 t CO2-Ersparnis beziffert. Um diese Zahl für die Leser:in greifbarer zu machen und die Relevanz dieser Ersparnis offensichtlicher darzulegen, wird die Frage gestellt, wie viele Bäume es benötigt, um 1 t CO2 zu binden.
Bäume absorbieren CO2. Pro Jahr bindet ein ausgewachsener Baum ca. 20 kg CO2. Es müssten also 50 Bäume gepflanzt werden, um jährlich 1 t CO2 durch Bäume wieder zu kompensieren. In vorliegendem Beispiel wurden in der Fundamentplatte 75 t CO2 eingespart, also genau so viel, wie 50 ausgewachsene Bäume über eine Zeitspanne von insgesamt 75 Jahren binden bzw. 75 Bäume über einen Zeitraum von 50 Jahren.
Ausblick
Es hat sich nicht nur aus wirtschaftlichen, logistischen und bauverfahrenstechnischen Gründen rentiert, die Fundamentplatte in stahlfaserverstärktem Stahlbeton zu optimieren. Diese Aspekte sind und bleiben zwar äußerst wichtig, aber auch der wesentliche Nachhaltigkeitsaspekt sollte nicht unberücksichtigt bleiben – ganz im Gegenteil wird genau dieser Aspekt mehr in den Fokus gerückt. Die Autoren sind sich sicher, dass noch viele Fundamentplatten gebaut werden und eine Untersuchung des Optimierungspotenzials mittels einer Ausführungsvariante mit stahlfaserverstärktem Stahlbeton dem Umweltaspekt der Nachhaltigkeit dient.
Kasem Maryamh, M.Sc. (Technischer Leiter, Bekaert GmbH)
kasem.maryamh@bekaert.com
Dipl.-Ing. Philipp Guirguis (Vertriebsleiter, Bekaert GmbH)
philipp.guirguis@bekaert.com
www.bekaert.com
Literatur
- Arthus-Bertrand, Y. (2002) Die Erde von oben – Tag für Tag. 3. Aufl. München: Knesebeck.
- DAfStb-Richtlinie (2012) Stahlfaserbeton. Ausgabe Juni 2012.
- World Green Building Council [eds.] Bringing Embodied Carbon Upfront [online]. London: World Green Building Council. https://worldgbc.org/article/bringing-embodied-carbon-upfront [Zugriff am: 22. Jan. 2023]
- Elkem [eds.] Life Cycle Analysis [online]. Oslo: Elkem. https://www.elkem.com/silicon-products/sustainability-in-elkem-silicon-products/life-cycle-analysis [Zugriff am: 22. Jan. 2023]
- One Click LCA [eds.] Life Cycle Stages [online]. Helsinki: One Click LCA. https://oneclicklca.zendesk.com/hc/en-us/articles/360015064999-Life-Cycle-Stages [Zugriff am: 22. Jan. 2023]
- Guirguis, P.; Schmidt, S. (2014) Dicke Fundamentplatten in Kombinationsbewehrung. Bauingenieur 859, H. 2, S. A33–A38.
- Bauer, W.; Haus, A. (2016) Neubau des Wohnquartiers „Nordlichter II“ in Jena. Sonderdruck Geschosswohnungsbau, Juni 2016, S. 57–60.