ALLES ist goldwert!

Nur eine neue Systemarchitektur führt zu den notwendigen Veränderungen

Thomas M. Rau

Wer hat nicht ein ungeliebtes goldenes Schmuckstück zu Hause, das hoffnungslos aus der Mode ist und das man niemals wieder tragen möchte – Altgold eben. Würden Sie dieses Schmuckstück am Werkstoffhof einfach so abgeben? Nein, natürlich nicht. Zu kostbar und wertvoll ist Altgold. Sie bringen den Schmuck zum nächsten Juwelier, um zu erfahren, mit wie viel er Ihnen den materiellen Wert vergüten wird.

Bei Schmuck wird oft weder die Handwerkskunst noch der emotionale Wert vergütet, sondern meist ausschließlich der materielle Wert. Den reinen Materialwert werden Sie allerdings nicht vollständig erzielen, da die Händler:innen noch einen Risikoabschlag oder einen Abschlag für Abschmelzkosten einkalkulieren werden. Also abzüglich der Arbeits- und Energiekosten. Diese Abschläge können variieren. Daher lohnt es sich, vor dem Verkauf verschiedene Angebote einzuholen. Gold ist also immer auch goldwert.

Gold ist ein ziemlich ungewöhnliches Metall, das sich u. a. durch seine Seltenheit auszeichnet. So werden die Goldvorräte wahrscheinlich in ca. 20 Jahren erschöpft sein. Aufgrund seiner Seltenheit wird das geschürfte Gold genau registriert und die Reinheit des Goldes eingraviert. Die Identität ist also gesichert. Mit diesem angekauften Gold wird dann wieder neuer Schmuck (Wertschöpfung) hergestellt. Der Kunde, von dem das Altgold angekauft wurde, kann sich unter Verrechnung des Materialwerts des abgegebenen Altgoldes sogar neuen Schmuck anfertigen lassen. Der Ankauf von Altgold ist also ein selbstverständliches Geschäftsmodell in der Juwelierbranche. Es ist kein verpflichtender Rückkauf, da es keine vorab gemachten Absprachen gibt. Der Altgoldmarkt ist ­allerdings für den Juwelier eine willkommene neue Mine in der Rückwärtsrichtung. Dieses rückwärts gewandte Minen (Werterhaltung) hat in der Branche eine lange und geschichtsträchtige Tradition und wird auch immer bedeutungsvoller. Mehr als 80 % des „Neugoldes“ sind bereits Altgold. In diesem Fall hat sich die Juwelierbranche aus wirtschaftlichen Gründen befähigt (ability), eine adäquate Antwort (response) zu geben auf die Rücknahme, Rückgewinnung und Wiederverwertung des Goldes. Sie nimmt die freiwillige Verantwortung (responsibility) aus Eigeninteresse auf sich.

Die Verbindung von der Wertschöpfungskette (Schmuckstück) und der Werterhaltungskette (Rückkauf) ist hier vorbildlich organisiert. Ist die klassische Mine der Ursprung der Wertschöpfungskette, so ist der Rückkaufmarkt die Mine der Werterhaltungs­kette. Diese Verbindung von Wertschöpfungskette und Werterhaltungskette nennen wir Circular Economy. In der Juwelierbranche ist sie Teil des Geschäfts­modells.

Der Juwelier ist an einem freiwilligen Rückkauf aufgrund der Seltenheit des Materials Gold rein wirtschaftlich interessiert, auch wenn das originale Schmuckstück nicht von ihm selbst stammt. Er lässt sich gerne in die Pflicht nehmen, weil er die Fähigkeit organisiert hat, den Materialwert erneut zu aktivieren. Er ist derjenige, der die zweite Mine im Markt schürft.

Der Umkehrpunkt von der Wertschöpfungskette in die Werterhaltungskette bedarf eines wirtschaftlichen Anreizes, um in die Pflicht genommen zu werden. Responsibility geht also auch um die Fähigkeit, eine Antwort geben zu wollen – respons/ability.

Genau diese Verpflichtung sollten wir systemisch in allen Branchen miteinander juristisch verankern, weil ALLES goldwert ist – nur eben monetär nicht immer so viel wie Gold. ALLE nicht wachsenden Materialen haben Seltenheitswert, weil sie alle limitiert vorhanden sind. So lange wir also lediglich von einer Rohstoffknappheit sprechen, ist es noch nicht in unser Bewusstsein vorgedrungen, dass die Erde ein geschlossenes System ist und alle nicht wachsenden Materialen eine limited edition. Systemisch bedeutet das, dass man von der jeweils abkömmlichen Produktbranche den materiellen Wert – abzüglich Arbeit und Energiekosten – erstattet bekommt bzw. dieser verrechnet werden kann mit einem entsprechenden neuen Produkt.

Der Umkehrpunkt von der Wertschöpfungskette in die Werterhaltungskette bedarf einer juristischen Verpflichtung, um die Verantwortung ungefragt übernehmen zu müssen. Re-sponsibility bedeutet aber auch, dass man die Verantwortung für die Antwort zu übernehmen hat (he was responsible for the accident).

Alle Erscheinungsformen menschlichen Daseins beruhen auf Wertvorstellungen und den daraus abgeleiteten Verhaltensweisen, die sich wiederum spiegeln in der dauerhaften Erzeugung und Erhaltung von Werten. Es ist daher auch ein kultureller Auftrag, für die Werterhaltung von Materialien Verantwortung zu übernehmen.

Der Umkehrpunkt von der Wertschöpfungskette in die Werterhaltungskette bedarf eines kulturellen Bewusstseins, um den Wert „limitiertes Material“ unendlich zu kultivieren. Das bedeutet, dass man die daraus entstehenden Nutzungskonsequenzen der responsibility zu danken hat (trade was responsible for her wealth).

Damit ist RE-sponsibility der höchste Grad in einer neuen Verantwortungskette. Eine systemisch organisierte Verantwortung, und nicht freiwillig wie bei den Juwelieren, die alle Hersteller in der Vorwärtsrichtung zwingt vorzudenken, wie die einzelnen Materialen wieder aus dem Produkt herausgelöst werden können – ohne Wertverlust. Schließlich muss er beim Ankauf dem Kunden den Materialwert abzüglich Arbeits- und Energiekosten erstatten.

RE-sponsibility schafft eine wirtschaftliche, juristische und kulturelle Basis für eine neue Systemarchitektur. Macht und Verantwortung werden systemisch miteinander vereint.

Wer hat nicht eine ungeliebte alte Vorhangfassade, die hoffnungslos aus der Mode ist und den neuesten Energiebestimmungen schon lange nicht mehr entspricht? Altgold eben.


Autor

Thomas M. Rau, info@rau.eu 
RAU Architekten, Amsterdam; www.rau.eu

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