Der Bau bzw. die Erneuerung von Brücken und Straßen ist in Deutschland für etwa 17 % der CO2-Emissionen des Bausektors verantwortlich. Trotzdem ist der Herstellungspreis immer noch das wichtigste Kriterium, wenn Bauherren entscheiden, welche Planungsvariante verfolgt wird. Für Matthias Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Versuchsanstalt des KIT für Stahl, Holz und Steine – Bereich Stahl- und Leichtbau, ist das eine unzulässige Verengung der Perspektive: „Ökobilanzielle Auswirkungen durch die Brücke sowie die im Stau stehenden Fahrzeuge, Lebenszykluskosten und volkswirtschaftliche Kosten werden wenig bis gar nicht berücksichtigt. Dabei übersteigen die volkswirtschaftlichen Folgekosten die reinen Lebenszykluskosten der Brücken oft deutlich.“
Zugrunde liegt dieser Schieflage ein methodisches Problem: Die Erschließung aller Planungsvarianten in Hinsicht auf Lebenszykluskosten, volkswirtschaftliche Kosten und Emissionsaufkommen ist mit hohem Aufwand verbunden und erfordert beträchtliches Know-how. Dank des am KIT durchgeführten Projekts IntegBridge (kurz für Integrale und ganzheitliche Planung von Straßenbrücken auf Basis von hierarchischen Modellen) könnte sich dies ändern: „Durch Building Information Modeling (BIM) – eine kooperative Arbeitsmethode mit digitalen Bauwerkmodellen – sowie durch die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen konnten wir den Aufwand für eine ganzheitliche Bewertung von Brückenvarianten deutlich reduzieren“, umreißt Müller den Ertrag des fünfjährigen, mit dem Green-BIM-Award 2022 ausgezeichneten Vorhabens.
Konkret erstellte das Forscherteam für sämtliche brückenspezifische Komponenten sog. Vorbilanzen – gewissermaßen Rohlinge aus ökobilanziellen, ökonomischen und verkehrstechnischen Daten – und speicherte diese in einem Element-Katalog. „Diese Elemente“, so Müller, „werden mit projektspezifischen BIM-Modellen verknüpft. Anschließend kann ein Bewertungsalgorithmus die ökobilanziellen Auswirkungen, die Lebenszykluskosten und die volkswirtschaftlichen Kosten berechnen. Dieser komplett digitale Workflow erlaubt es Planerinnen und Planern, Brückenvarianten frühzeitig, planungsbegleitend, ganzheitlich und teilautomatisiert zu bewerten.“
Die IntegBridge-Vorgehensweise hat die methodischen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die ganzheitliche Bewertung Einzug in die Planungspraxis halten kann. Nun sind Gesetz- und Auftraggeber gefragt: „Die Auszeichnung mit dem Green-BIM-Award unterstreicht das allgemeine Interesse, nicht länger die billigsten, sondern die standortspezifisch sinnvollsten Varianten einer Brücke zu realisieren“, sagt Matthias Müller. „Freilich wird die ganzheitliche Bewertung nur dann zum neuen Standard werden, wenn öffentliche Auftraggeber entsprechende Analysen auch einfordern.“
Projektseite IntegBridge
https://stahl.vaka.kit.edu/forschung_integbridge.php